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die Stirnseite war ausgestellt). Da er nicht ohne Not Verkröpfungen im Gebälk oder halbe und viertel Pilaster und Säulchen, noch eine Menge Giebel hat, so wie man hier an der Hofkapelle nach heutigem italienischen Geschmacke sieht, mithin ist die Baukunst daran groß. Und da er auch nicht mit unnötiger und überhäufter Bildhauerei belästigt ist, wie das Zwingergartengebäude, und nur Paulus und Petrus am Haupteingang hat, so sage ich, daß er auch simpel und edel angeordnet sei.“

Vorbilder fand Krubsacius in seiner Literatur nicht vor. „Unstreitig ist ein schöner Turm, heißt es in der Kritik[1], eine der schwersten Aufgaben in der Baukunst. Die Kirchtürme sind eine Erfindung der Goten und vertreten mit weit mehreren Nutzen und Zierde die Stelle der alten Prachtkegel, Helden­säulen und Pyramiden. Die Goten konnten gar leicht damit zurecht kommen, weil sie selbige nach Willkür so lange auszackten und durchbohrten, bis sie sich allmählich zuspitzten. Dieses sehen wir hier zu Lande an dem wunderschönen durchbrochenen und mit Mühe erbauten Turme zu Meißen. Allein wenn die griechischen Säulenordnungen nach der Regel dergestalt aufeinander getürmt werden, daß sie sich oben zuspitzen sollen, so will das viel sagen. In diesem Stücke sind die Italiener und Franzosen selbst nicht weit gekommen, und man findet in ihren Ländern kaum einen einzigen Turm, den man nur dem schön zugespitzten gotischen vergleichen könnte. Laugier sagt dieses selbst (1752), unerachtet seine Verbesserung noch schlechter aussehen würde, als das Getadelte. Sie sind mehrerenteils oben ganz glatt, wie ein Stadtturm oder höchstens mit einer italienischen Haube oder Kuppel gedeckt.“ Die Alten kannten keine Türme. Der italienische Kampanile blieb auch in der Renaissancezeit nur ein hohes Glockengebäude ohne äußere und innere Verbindung mit der Kirche. Man stellte wohl Ordnungen übereinander, „ohne indes auch nur das mäßige Ziel einer schönen Abstufung und wirksamen Verteilung von Pilastern, Halb- und Freisäulen zu erreichen“.[2] Am Florentiner Dom zeigt der Kampanile nach Lage und Wirkung die größte Verwandtschaft mit einem gotischen Turmzwilling. Aber hier trat ihm auch zuerst in Brunelleskos machtvoller Kuppel ein Konkurrent zur Seite, der dem italienischen Empfinden verwandter war. Diesseits der Alpen erfuhr die Kuppel turmartige Höhensteigerung, wie ein Blick von St. Peter in Rom auf St. Paul in London, den Invalidendom in Paris oder den „Frauenturm“ in Dresden lehrt. Die vom Kampanile abgeleiteten Turmtheorien Albertis fanden in Italien keine Nachfolge. Nach ihm war der schönste Turm aus quadratischen und runden Geschossen so zu mischen, daß über einem quadratischen Sockel und Erdgeschoß drei Rundgeschosse, dann ein quadratisches und schließlich ein Monopteros mit sphärischen Kuppelchen folgte (Burkhardt). Ähnlicher Art sind die Eckbauten am Hospital in Greenwich von Wren (1700) und ihre Abkömmlinge am Berliner Gendarmenmarkt von Gontard (1780), die über quadratischem Unterbau Ringgeschosse mit schlanker Kuppel und Laterne tragen. Vorherrschen der Stockwerksteilung, der horizontalen Schichtung hindern ein Aufstreben der Linien, die Ausbildung von Vertikalbeziehungen. Der Kuppel zuliebe ist bis ins obere Drittel eine bedeutende Stärke (17 m bei der Gontardschen) nötig, eine innige Ver­knüpfung mit dem Kirchgebäude zu höherer Einheit aber ausgeschlossen. Bei diesen Bauten ist der Kampanilecharakter noch herrschend. Speziell für sie gilt, was Burkhardt sagt: „Die antiken Ordnungen können zwar einen relativ schönen Turm hervorbringen helfen, obwohl man immer fühlen wird, daß der Turmbau nicht auf diese Weise entstanden ist.“

Krubsacius und die Dresdner Klassizisten knüpften, wie schon die Kritik oben zeigte, an den deutschen Turmcharakter an. Der Einfluß Chiaveris machte sich hierbei geltend. Die individuellere Auffassung der antiken Formen, wie sie dem Barock eignete, hatte ihn befähigt, das Säulenturmproblem

zu lösen. Krubsacius strebte in seiner strengen Art wohl dem gleichen Ziele zu. Auch er


  1. Neue Bibliothek der Wissenschaften und schönen Künste. Leipzig 1770. – Die Kritik stammt wohl von Hagedorn, der viele solche geschrieben hat. Über die Zeichenmanier von Krubsacius heißt es (S. 157): „Ich verdenke es dem Herrn Hofbaumeister, daß er sich von der hiesigen Porzellänmode nicht losgerissen, sondern seinen wunderschönen Turm sehr fein und noch dazu mit einer rötlich kalten Tusche ausgepinselt hat. Er wird mir verzeihen, wenn ich sage, daß er zwar ungemein sauber, aber nicht meisterhaft gezeichnet aussah. Allenfalls gehört der ängstliche Fleiß für Klein­maler und Kupferstecher und die, die da lernen, aber nicht für die, die da lehren. Werfen uns denn nicht eben immer noch alle auswärtigen Künstler unseren ängstlichen Fleiß vor? Ich sehe eher auf die Kunst und bezahle sie reichlich, den Fleiß aber ohne die Kunst sehr gering. Freilich muß man erst Kenner werden, sonst betrügt man sich und andere.“
  2. Burkhardt, Geschichte der Renaissance in Italien. 1891.
Empfohlene Zitierweise:
Alfred Barth: Zur Baugeschichte der Dresdner Kreuzkirche. C. C. Meinhold & Söhne, Dresden 1907, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Alfred_Barth_Zur_Baugeschichte_der_Dresdner_Kreuzkirche.pdf/130&oldid=- (Version vom 24.4.2024)