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fand man alte Schriften, aus denen hervorging, dass im Jahre 1415 Wittchensdorf mit der ganzen Umgegend verwüstet wurde. Im Jahre 1835 musste der Thurmknopf schon wieder durch einen neuen ersetzt werden, den abermals der damalige Besitzer, Kaufmann Albanus in Chemnitz, der Kirche zum Geschenk machte. Leider sind Thurm und Kirche ohne Blitzableiter, jedoch haben sie ein schönes Geläute von drei Glocken. Die beiden grössern sind älter, die kleinste aber wurde 1837 neu gekauft, nachdem die frühere bei dem Trauergeläute um König Anton gesprungen war.

Der Gottesacker, der die Kirche umgiebt, ist gross und freundlich, und die daranstossenden Pfarrgebäude sind gut.

Das Schulgebäude ist alt, aber leidlich erhalten, der Raum des einzigen Lehrzimmers aber so beschränkt, dass seit 1831 für eine zweite Classe ein Lokal gemiethet werden musste. Ausser der gewöhnlichen Schule hat Wittchensdorf noch eine Fabrikschule, die von 30 bis 40 Kindern besucht wird. Die Collatur über Kirche und Schule hat der Besitzer des Rittergutes. Eingepfarrt ist das 25 Minuten entfernte Morschnitz oder Murschnitz (das oben erwähnte Mössnitz).

Ueber das Entstehen des Ortes fehlen bestimmte Nachrichten, indess ist so viel bekannt, dass er schon im 13. Jahrhundert vorhanden und früher Afterlehn der Burggrafen von Leissnig war. Im Hussitenkriege, sowie im dreissigjährigen wurde Wittchensdorf gleich der ganzen Umgegend von schweren Drangsalen heimgesucht, namentlich von der Pest. Diese raffte 1630 nicht weniger als 52 Menschen hinweg, im Jahre 1632 wieder 62 und im Jahre 1633 sogar 274 Menschen, während die gewöhnliche Sterblichkeit 1627 nur 13 und 1628 nicht mehr als 17 Personen betragen hatte. Im Jahre 1643 forderte ein nochmaliger Besuch dieses unheimlichen Gastes abermals gegen 30 Opfer. Auch 1813 und 1814 hat Wittchensdorf viel durch die Kriegsunruhen gelitten. Fortwährend fanden Truppendurchmärsche statt; die nöthige Verpflegung derselben, dann Lieferungen an Geld und Naturalien, konnten nur dadurch ermöglicht werden, dass die Gemeinde ein Kapital von 3900 Thalern aufnahm. Auch das Nervenfieber suchte den schwergeprüften Ort heim und raffte viele Menschen fort. Von allen diesen Drangsalen aber hat sich Wittchensdorf völlig wieder erholt. Sie leben nur noch in der Erinnerung als böser Traum, und nichts an dem freundlichen und gewerbthätigen Dorfe verräth, dass sie einst waren.

Den Besitz von Wittchensdorf hatte im 17. Jahrhundert die Herrschaft Rochsburg, dann ging er an die Familie von Schönberg über, von welcher ihn im Jahre 1830 der Kaufmann Albanus in Chemnitz erkaufte. Gegenwärtig ist der Besitzer (seit dem letzten Frühjahr) Herr Günther, der gewöhnlich auf dem Rittergute wohnt. Das Gehöft desselben ist ansehnlich, das Herrenhaus geräumig und modernisirt und hat eine freundliche Lage. Zu demselben gehört eine Brauerei, gute Felder, etwas Holz, eine Ziegelei und eine Schäferei, die in einiger Entfernung von dem Gute liegt und mit demselben durch eine schöne Allee verbunden ist.

Ausser dem Rittergute hat Wittchensdorf 42 Bauergüter, 30 Gärtner- und 152 Häuslerwohnungeit, die bereits erwähnten 3 Mühlen, 2 Baumwollenspinnereien und 2 grosse Kunstbleichen.

Der Hauptnahrungszweig der Einwohner ist ausser dem Ackerbau die Baumwollenfabrikation, namentlich die Strumpfwirkerei, die sich seit Anfang dieses Jahrhunderts sehr ausgedehnt hat, so dass sie im Jahre 1841 bereits 236 Meister zählte, die sich zu einer eigenen Innung vereinigten, während sie früher der zu Burgstädt einverleibt gewesen waren.

Bemerkenswerth ist für Wittchensdorf noch, dass es eine eigene concessionirte und uniformirte Schützengilde hat, die alljährlich bei ihren Schiessbelustigungen zwei grosse Aufzüge hält.

Eine historische Merkwürdigkeit besitzt Wittchensdorf in einer Ruine, die in dem Walde seiner Flur liegt. Es ist die einer Kapelle, welche als Kirche eines besonderen Dorfes gedient haben soll, das als ein ehemaliges Filial von Wittchensdorf bezeichnet wird. Den Namen des jetzt spurlos bis auf die genannte Ruine verschwundenen Dorfes kennt man indess nicht mehr, und eben so wenig weiss man, wann es verwüstet wurde. Wahrscheinlich geschah dies im Hussitenkriege, 1429, oder in dem mörderischen Bruderkriege zwischen Friedrich dem Sanftmüthigen und Wilhelm, der von 1445 bis 1451 wüthete, und während dessen in der hiesigen Gegend an einem Tage 30 bis 40 Dörfer in Flammen aufgingen.

Eine Glocke, welche zu der Kapelle gehört haben soll, wurde vor geraumer Zeit durch[WS 1] ein Schwein aufgewühlt und nach Burgstädt gebracht, wo sie am 3. September 1650 bei einem grossen Brande schmolz. Eine andere Glocke soll, wie die Sage geht, auf einer kleinen Wiese unfern der Ruine in einem runden Loche, der Glockenborn genannt, versenkt liegen. Vor mehreren Jahren wurden deshalb Nachgrabungen angestellt, indess auf Befehl der Behörde mussten sie aufgegeben werden.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: durck
Empfohlene Zitierweise:
Gustav Adolf Pönicke (Hrsg.): Album der Schlösser und Rittergüter im Königreiche Sachsen IV. Section. Expedition des Ritterschaftlichen Album-Vereins, Leipzig 1856, Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Album_der_Schl%C3%B6sser_und_Ritterg%C3%BCter_im_K%C3%B6nigreiche_Sachsen_IV.djvu/112&oldid=- (Version vom 21.5.2017)