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im Beginn der Neuzeit in der Furcht vor Hexen, Dämonen, Vampyren und Nixen sich gestaltete. Poggio erzählt von einem Manne, der ein Mädchen vergewaltigte. Das Mädchen verwandelte sich in den Teufel und verschwand mit Gestank.

Alle diese Gedankengänge, wie sie ähnlich im Traum und in der Psyche des Neurotikers wiederkehren, zeigen den vorbauenden, in seiner Männlichkeit unsicheren Mann, der sich ebenso durch Aufstellung von Schreckgespenstern vor dem wirklichen Leben zu sichern trachtet, als er sich durch die Verehrung eines Ideals vor diesem selben Leben erschreckt. —

Die häufig scherzhafte Note in solcher Haltung zu den Frauen ist durchaus bedeutungslos in Hinsicht auf unsere Auffassung. Sie zeigt vielmehr den Versuch, sich keiner Übertreibung schuldig zu machen, das Dekorum zu wahren und sich vor Lächerlichkeit durch die Geste des Witzes zu sichern. Ähnlich bei Gogol, dessen starke Sicherungstendenzen im feinsten Geäder seiner Dichtungen fühlbar werden. Im „Jahrmarkt von Sorotschinsk“ lässt er eine Person reden[1]: „Himmel Herrgott, warum bestrafst du uns arme Sünder so? Es gibt doch schon soviel Unrat, musstest du auch noch die Weiber in die Welt setzen?“ In den „Toten Seelen“ dieses grossen Dichters, der zeitlebens neurotisch war, an Zwangsmasturbation gelitten hat und im Irrenhaus starb, lässt er seinen Helden beim Anblick eines jungen Mädchens überlegen:

Ein herrliches Weibchen! Was aber das Beste an ihr ist, — das Beste an ihr ist, dass sie soeben aus einem Institut oder Pensionat entlassen zu sein scheint, und dass sie noch nichts spezifisch Weibliches an sich hat, nichts von jenen Zügen, die das ganze Geschlecht verunzieren. Jetzt ist sie noch das reine Kind, alles an ihr ist schlicht und einfach; sie spricht wie ihr ums Herz ist und lacht, wenn ihr danach zumute ist. Es lässt sich noch alles aus ihr machen; sie kann ein herrliches Geschöpf, aber ebensogut auch ein verkrüppeltes Wesen werden, — und so wird es wohl auch kommen, wenn sich erst die Tanten und Mamas an ihre Erziehung machen. Die werden sie in einem Jahre mit ihrem Weiberkram vollpfropfen, dass ihr eigener Vater sie nicht wiedererkennen wird. Sie wird ein aufgeblasenes und affektiertes Wesen annehmen, wird sich nach auswendig gelernten Regeln drehen, wenden und kniksen, sich den Kopf darüber zerbrechen, was sie, mit wem sie und wieviel sie sprechen, wie sie ihren Kavalier anblicken muss usw., wird fortwährend in der grössten Angst schweben, ob sie nur kein überflüssiges Wort gesagt hat, schliesslich gar nicht mehr wissen, was sie zu tun hat, und wie eine grosse Lüge durchs Leben wandeln. Pfui Teufel! — Übrigens wüsste ich gern, wie sie eigentlich ist!“


  1. Aus O. Kaus, Der Fall Gogol. München, Reinhardt 1912.
Empfohlene Zitierweise:
Alfred Adler: Über den nervösen Charakter. J.F. Bergmann, Wiesbaden 1912, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:AdlerNervoes1912.djvu/188&oldid=- (Version vom 31.7.2018)