Schriftstellerischer Schwindel

Textdaten
<<< >>>
Autor: unbekannt
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Schriftstellerischer Schwindel
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 47–48
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Blätter und Blüthen
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[47] Schriftstellerischer Schwindel. Freifrau von N., in einer süddeutschen Stadt wohnhaft, erhielt im vorigen Herbst franco ein Paket mit einem Brief folgenden originellen Inhalts:

„Gnädigste Frau! Das rege Interesse, welches Ihr seliger Herr Gemahl stets für die Geschichte und die Machtentwickelung unseres deutschen Vaterlandes hegte, hatte schon seit Jahren in mir den Wunsch erweckt, demselben ein von mir herausgegebenes vaterländisches Geschichtswerk widmen zu dürfen. Die Herausgabe des beifolgenden Werkes hat sich leider um einige Jahre verzögert und Ihr hochgeehrter Herr Gemahl ist nach Gottes unerforschlichem Rathschluß inzwischen nach einem wirkungsreichen Leben in die Ewigkeit abgerufen worden. Ist es mir somit auch nicht mehr vergönnt, ihm selbst meine Schrift überreichen zu können, so will ich doch, gnädigste Frau, dieselbe Ihrer gütigen Durchsicht unterbreiten und bitte ich Ew. Hochwohlgeboren, dieselbe als ein Zeichen meiner aufrichtigen Verehrung für Sie gütigst von mir anzunehmen.

Die Grafen und Freiherren von N. widmeten sich in den letzten Jahrhunderten mit besonderer Vorliebe dem Kriegsdienst, in welchem sie mehrmals die höchsten Chargen bekleideten und manche von ihnen auf den berühmtesten Schlachtfeldern Europa’s geblieben sind. Obwohl Ihr hochgeehrter Herr Gemahl nicht dem Militärstande angehörte, hat er doch stets ein reges Interesse für die Kriegsgeschichte unseres Vaterlandes, insbesondere derjenigen Zeit gehegt, welche mein Buch behandelt. Es hatte dies wohl mit darin seinen Grund, weil sich der Großvater Ihres Herrn Gemahls in jener Zeit nicht unwesentliche Verdienste um unser Vaterland erworben hatte. Ich habe nicht verfehlt, dies in meiner Schrift anerkennend zu erwähnen, und darf ich wohl hoffen, daß mein Buch auch für Sie, gnädigste Frau, nicht ohne jegliches Interesse sein wird. In dieser Voraussetzung habe ich mir erlaubt, mein Buch Ihrem Herrn Sohne G ..… zuzueignen, der, obgleich erst im sechszehnten Lebensjahre stehend, dennoch ein lebendiges Verständniß für die Geschichte jener ewig denkwürdigen Zeit von 1805 bis 1816 besitzt. Zwar werden Ew. Hochwohlgeboren schon ein Werk über die Geschichte jener Zeit besitzen, wohl aber noch keines, in welchem Ihrer hochgeehrten Familie und deren Verdienste anerkennend Erwähnung geschieht. Es sollte mich daher freuen, wenn Sie meine Schrift Ihrer eingehenden Prüfung unterziehen würden.

Obgleich die großen Ereignisse der gegenwärtigen Tage unser Interesse fast ausschließlich in Anspruch nehmen, so ist doch gerade die Geschichte von 1805 bis 1816 für unsere jetzige Zeit so bedeutungsvoll, da nur aus der Vergangenheit die Gegenwart verstanden und aus diesem Verständniß die feste Grundlage für den Bau deutscher Macht und Größe gewonnen werden kann.

Gern hätte ich Ihnen, gnädigste Frau, die beifolgenden beiden Exemplare unentgeltlich überschickt; da jedoch die Herstellungskosten des Werkes so bedeutend waren, werden es Ew. Hochwohlgeboren gütigst verzeihen, wenn ich den Betrag des Buches – à einen Thaler – der Kürze wegen durch Postvorschuß erhebe, falls Sie es nicht vorziehen, mir selbigen einzusenden.

Mit dem Wunsch und der Bitte, daß mir Ew. Hochwohlgeboren dies nicht als eine Unbescheidenheit auslegen mögen, bin ich in steter Verehrung und Hochachtung

Ew. Hochwohlgeboren               
ganz ergebener          
F. R. Paulig, Literat.“

Datirt ist der Brief von Frankfurt a. O. vom 20. September 1866. Keine Nachnahme, keine Werthbezeichnung auf dem Paket stört die erwartungsvolle Neugierde, wer wohl der unbekannte Freund an der Oder und was der Inhalt der Sendung sein möge. Läßt nun auch der Inhalt des Schreibens keinen Zweifel mehr über die wahre Absicht des neuen Historiographen der Grafen und Freiherrn von N., so ist doch diese Paarung von Ironie und Unverschämtheit zu komisch, um nicht auch noch auf das Product des stillen Verehrers der Familie N. gespannt zu machen. Aus der Umhüllung kamen zwei Exemplare einer „Geschichte der Befreiungskriege. Ein Beitrag preußischer Geschichte der Jahre 1805 bis 1816 von F. R. Paulig. Dritte Auflage. Frankfurt a. O. 1866“ zum Vorschein. Und wirklich, ein säuberlich gedrucktes Widmungsblatt war hinter dem Titel eingeklebt: „Herrn G. Freiherrn von N., Majoratsherrn auf N., als ein Zeichen seiner Verehrung und Hochachtung gewidmet vom Verfasser.“ Eine solche Huldigung hatte sich der fünfzehnjährige Oberquartaner nicht träumen lassen! Leider war ein Theil der Illusion von vornherein schon zerstört. Der junge Majoratsherr war acht Tage zuvor bei seinem Oheim auf Besuch, als auch dieser von demselben Verehrer mit demselben Zeichen seiner aufrichtigen Hochachtung beglückt wurde. Ich brauche wohl nicht erst hinzuzufügen, daß die „Kriegsdienste, die höchsten Chargen der Grafen und Freiherren von N., ihr Tod auf den berühmtesten Schlachtfeldern von Europa“ etc. in’s Feld der Erfindung gehören; daß selbst Herrn Paulig’s Werk nicht unter diejenigen zählt, in welchen der hochgeehrten Familie und deren Verdienste anerkennend Erwähnung geschieht, sintemal auch nicht einmal der Name darin genannt wird, und daß in dem ganzen langen Schreibebrief des Herrn Literaten gerade so viel Wahres über die Familie steht, wie in dem Gothaischen Hofkalender zu finden ist. Dort kann ja Herr Paulig mit Leichtigkeit Namen genug für Tausende von Exemplaren seiner „Befreiungskriege“ finden, und in wenigen Tagen wird der Drucker die Widmungsblätter gedruckt haben, damit Herr Paulig in Stand gesetzt ist, dem gesammten Adel in seinen einzelnen Gliedern das Zeichen seiner Verehrung und Hochachtung darzubringen, was er so gern unentgeltlich thun würde, wenn nur die Herstellungskosten nicht so bedeutend wären. –

Kurz darauf kam dann folgender Brief nach: „Indem ich mich auf mein ergebenes letztes Schreiben beziehe, erlaube ich mir den kleinen Betrag für das Ew. Hochwohlgeboren übersandte Werk hiermit der Kürze wegen durch Postvorschuß zu erheben.

Mit dem Wunsche, daß mir Ew. Hochwohlgeboren dies nicht als eine Unbescheidenheit auslegen mögen, bin ich in steter Verehrung und Hochachtung

Frankfurt a. O., 12. Juli 1866.

Ew. Hochwohlgeboren               
ganz ergebener          
F. R. Paulig, Literat.“

Also schon damals war der Schwindel fabrikmäßig vorbereitet!

Was es übrigens mit den drei Auflagen des Buches für eine Bewandniß hat, braucht dem Leser wohl nicht auseinandergesetzt zu werden; es sind nichts als sogenannte Titelauflagen, d. h. nichts ist von der zweiten und dritten Auflage neu, als das Titelblatt. In der Vorrede zu der so erlangten dritten Auflage bemerkt er, es seien „in kurzer Zeit abermals fünftausend Exemplare abgesetzt worden, es sei daher nicht rathsam, beim neuen Abdruck irgend welche Veränderungen vorzunehmen. Nur den bisher gebrauchten Titel „Freiheitskriege“ habe man in „Befreiungskriege“ geändert, weil dem Verfasser von hochstehenden Militärs, welche an diesem Kampfe Theil genommen, mitgetheilt wurde, daß man die denkwürdigen Kriege der Jahre 1812 bis 1815 in jener Zeit allgemein als „Befreiungskriege“ bezeichnete.

[48] Und damit auch diese dritte Auflage ihre verdiente Verbreitung wenigstens in den hohen und höchsten Kreisen finde, so wurde an Diejenigen, die das Glück haben, im Gothaischen Hofkalender verewigt zu sein, je ein oder zwei Exemplare mit Extrawidmung abgesandt. Wenige können doch unnobel genug sein, diese Verherrlichung ihres Namens zurückzuweisen, die Meisten werden über diesen modernsten Schwindel lachen. Wir aber thun das Unsrige, um diese gemeine Herabwürdigung des „Literatenthums“ zur gewerbsmäßigen Bettelei zu brandmarken.