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verkürzt wird, zuletzt von links nach rechts den Querstrich. Dieser wird häufig als lästig oder als überflüssig weggelassen, namentlich in der Kursive. Wo er beibehalten ist, wie in der Unciale, entsteht das Bestreben, ihn mit dem linken Schaft zusammen unter Bildung eines spitzen Winkels in einem Zug auszuführen. Aus den zweien wird bald ein einziger bogenförmiger Strich. Die auf diese Weise gebildete Figur ist noch im Kleinbuchstaben unserer lateinischen Druckschrift erhalten. Anders wird der Buchstabe in der jüngeren Kursive und der Halbunciale ausgeführt: zuerst der linke, dann der rechte Schaft; der Querstrich verschwindet in dem kleinen Verbindungsbogen, der den linken an den rechten Schaft anschließt. Dieses sogen. „offene a“ ist aus der merowingischen Schrift auch in die ältere karolingische Minuskel übergegangen, wird aber bald wegen leichter Verwechselung mit u durch die geschlossene Form ersetzt oder durch die erstbeschriebene verdrängt. Aus dem geschlossenen a entstand das a, a der deutschen Kursive und der heutigen lateinischen und deutschen Schreibschrift und ebenso das a der Frakturschrift des Buchdrucks. Sie ist die Form der Kursive geworden, wie die andere die der Minuskel gewesen ist.

Man wird nicht leugnen können, daß die Ausführung des Buchstabens von rechts nach links nicht diejenige ist, die sich aus seiner Figur ohne weiteres ergibt. Sie erscheint vielmehr als ein Ueberbleibsel aus einer Zeit, in der die ganze Schrift linksläufig war, d. h. von rechts nach links geschrieben wurde. Dieser Eindruck wird verstärkt durch Beobachtung ähnlicher Erscheinungen bei B und D. Beide, aus einem geraden, einem oder zwei gebogenen Strichen bestehend, haben in der Majuskel die Gerade links, in der älteren Kursive rechts. Es ist unmöglich, die eine Form unmittelbar aus der andern abzuleiten, wie ja überhaupt die Kursive nicht aus der fertigen Majuskel der littera quadrata hervorgegangen ist; beide haben vielmehr eine lange Werdezeit hinter sich, in der ihre Wege nebeneinander her gegangen sind.

Die einfachste Erklärung dürfte sein, daß wir auch hier

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einen Ueberrest aus linksläufiger Schrift zu erkennen haben. Denn diese zeigt normalerweise das Spiegelbild der rechtsläufigen. Wie die rechtsläufige Schrift naturgemäß die einzelnen Buchstaben von links nach rechts ausführt, so in umgekehrter Richtung die linksläufige. Bei B findet sich die linksläufige Form nur noch in der älteren Kursive. Die jüngere Kursive hat in rechtsläufigem Zug bereits die Aufgabe gelöst, den Buchstaben in einem Strich auszuführen. Aber die spätere Entwicklung in der Minuskel hat das wieder vergessen. Erst in der gotischen Kursive ist die Entdeckung von neuem gemacht worden. Das D hat in Kursive und Minuskel und wieder in Kursive die linksgewendete Form beibehalten, aber ebenso wie B erst in der deutschen Kursive die Ausführung in einem Zug wiedergefunden. Das rechtsgewendete D ist im Großbuchstaben der heutigen Lateinschrift erhalten. Ein ähnlicher Wechsel im Anstrich findet sich noch beim y. Hier ist in der rustica noch der linke Strich von oben bis unten durchgeführt, der rechte kurze an ihn angesetzt. Die ältere Kursive hat das Verhältnis umgekehrt, an den ganz durchgeführten rechten wird der kürzere linke angesetzt. Aber während sie noch den langen Strich zuerst ausführt, beginnt die folgende Zeit mit dem kurzen; dadurch ist in diesem Fall die Ausführung in einem Zug vorbereitet, die in der Form der rustica unmöglich gewesen wäre.

Die Tafeln zeigen den einzelnen Buchstaben für sich, als Einzelerscheinung. Dagegen kann er in den „Schriftproben“ an seiner Stelle innerhalb des Wortes und Textes erkannt werden. Es wird von besonderem Reiz sein, den Buchstaben, den man zuerst in seinem Werdegang verfolgt hat, nachher im Text aufzusuchen, etwa das g in Schriftprobe 5 von 1523. An den Nr. 1–5 läßt sich beispielsweise deutlich erkennen, wie der Schulterstrich des T, in der Minuskel ursprünglich ebenso wie in der Majuskel entweder über den Schaft gelegt oder doch ganz oben an diesem angebracht, immer weiter heruntergerückt wird, um schließlich in der Kursive ganz unten

Gebhard Mehring: Schrift und Schrifttum
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