Textdaten
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Autor: Rainer Maria Rilke
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Titel: Requiem
Untertitel:
aus: Das Buch der Bilder
2. Buch Teil 12, S. 175–184
Herausgeber:
Auflage: Zweite sehr vermehrte Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1906
Verlag: Axel Junker Verlag
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Erscheinungsort: Berlin / Leipzig, Stuttgart
Übersetzer:
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Originalsubtitel:
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Quelle: Commons,
E-Text von eLib Austria Projekt
Kurzbeschreibung:
Signatur ÖNB 665257-B.Neu-Mag
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[175]
Requiem

Clara Westhoff[1] gewidmet

[177]
Seit einer Stunde ist um ein Ding mehr

auf Erden. Mehr um einen Kranz.
Vor einer Weile war das leichtes Laub … Ich wands:
Und jetzt ist dieser Efeu seltsam schwer

5
und so von Dunkel voll, als tränke er

aus meinen Dingen zukünftige Nächte.
Jetzt graut mir fast vor dieser nächsten Nacht,
allein mit diesem Kranz, den ich gemacht,
nicht ahnend, daß da etwas wird,

10
wenn sich die Ranken ründen um den Reifen;

ganz nur bedürftig, dieses zu begreifen:
daß etwas nicht mehr sein kann. Wie verirrt
in nie betretene Gedanken, darinnen wunderliche Dinge stehn,
die ich schon einmal gesehn haben muß …

15
… Flußabwärts treiben die Blumen, welche die

Kinder gerissen haben im Spiel; aus den offenen
Fingern fiel eine und eine, bis daß der Strauß nicht
mehr zu erkennen war. Bis der Rest, den sie nach
Haus gebracht, gerade gut zum Verbrennen war.

20
Dann konnte man ja die ganze Nacht, wenn einen alle

schlafen meinen, um die gebrochenen Blumen weinen.

Gretel, von allem Anbeginn,
war dir bestimmt, sehr zeitig zu sterben,
blond zu sterben.

25
Lange schon eh dir zu leben bestimmt war.
[178]
Darum stellte der Herr eine Schwester vor dich

und dann einen Bruder,
damit vor dir wären zwei Nahe, zwei Reine,
welche das Sterben dir zeigten,

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das deine:

dein Sterben.
Deine Geschwister wurden erfunden,
nur, damit du dich dran gewöhntest,
und dich an zweien Sterbestunden

35
mit der dritten versöhntest,

die dir seit Jahrtausenden droht.
Für deinen Tod
sind Leben erstanden;
Hände, welche Blüten banden,

40
Blicke, welche die Rosen roth

und die Menschen mächtig empfanden,
hat man gebildet und wieder vernichtet
und hat zweimal das Sterben gedichtet,
eh es, gegen dich selbst gerichtet,

45
aus der verloschenen Bühne trat.


… Nahte es dir schrecklich, geliebte Gespielin?
war es dein Feind?
Hast du dich ihm ans Herz geweint?
Hat es dich aus den heißen Kissen

50
in die flackernde Nacht gerissen,

in der niemand schlief im ganzen Haus …?
Wie sah es aus?
Du mußt es wissen …

[179]
Du bist dazu in die Heimat gereist.

– – – – – – – – – – – – – –

55
Du weißt

wie die Mandeln blühn
und daß Seeen blau sind.
Viele Dinge, die nur im Gefühle der Frau sind,
welche die erste Liebe erfuhr,

60
weißt du. Dir flüsterte die Natur

in des Südens spätdämmernden Tagen
so unendliche Schönheit ein,
wie sonst nur selige Lippen sie sagen
seliger Menschen, die zu zwein

65
eine Welt haben und eine Stimme –

leiser hast du das alles gespürt, –
(o wie hat das unendlich Grimme
deine unendliche Demut berührt).
Deine Briefe kamen von Süden,

70
warm noch von Sonne, aber verwaist, –

endlich bist du selbst deinen müden
bittenden Briefen nachgereist;
denn du warst nicht gerne im Glanze,
jede Farbe lag auf dir wie Schuld,

75
und du lebtest in Ungeduld,

denn du wußtest: Das ist nicht das Ganze.
Leben ist nur ein Teil … Wovon?
Leben ist nur ein Ton … Worin?
Leben hat Sinn nur verbunden mit vielen

80
Kreisen des weithin wachsenden Raumes, –

Leben ist so nur der Traum eines Traumes,

[180]
aber Wachsein ist anderswo.

So ließest dus los.
Groß ließest dus los.

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Und wir kannten dich klein.

Dein war so wenig: Ein Lächeln, ein kleines,
ein bißchen melancholisch schon immer,
sehr sanftes Haar und ein kleines Zimmer,
das dir seit dem Tode der Schwester weit war.

90
Als ob alles andere nur dein Kleid war

so scheint es mir jetzt, du stilles Gespiel.
Aber sehr viel
warst du. Und wir wußtens manchmal,
wenn du am Abend kamst in den Saal;

95
wußten manchmal: jetzt müßte man beten;

eine Menge ist eingetreten,
eine Menge, welche dir nachgeht,
weil du den Weg weißt.
Und du hast ihn wissen gemußt

100
und hast ihn gewußt

gestern …
Jüngste der Schwestern.

Sieh her,
dieser Kranz ist so schwer.

105
Und sie werden ihn auf dich legen

diesen schweren Kranz.
Kanns dein Sarg aushalten?
Wenn er bricht
unter dem schwarzen Gewicht,

110
[181]
kriecht in die Falten

von deinem Kleid
Efeu.
Weit rankt er hinauf,
rings rankt er dich um,

115
und der Saft, der sich in seinen Ranken bewegt,

regt dich auf mit seinem Geräusch;
so keusch bist du.
Aber du bist nicht mehr zu.
Langgedehnt bist du und laß.

120
Deines Leibes Thüren sind angelehnt,

und naß
tritt der Efeu ein …
– – – – – – – – – – – – – –
Wie Reihn
von Nonnen,

125
die sich führen

an schwarzem Seil,
weil es dunkel ist in dir, du Bronnen.
In den leeren Gängen
deines Blutes drängen sie zu deinem Herzen;

130
wo sonst deine sanften Schmerzen

sich begegneten mit bleichen
Freuden und Erinnerungen,
wandeln sie wie im Gebet
in das Herz, das, ganz verklungen,

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dunkel, allen offen steht.

Aber dieser Kranz ist schwer
nur im Licht,

[182]
nur unter Lebenden, hier bei mir;

und sein Gewicht

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ist nicht mehr,

wenn ich ihn zu dir legen werde.
Die Erde ist voller Gleichgewicht,
deine Erde.
Er ist schwer von meinen Augen, die daran hängen,

145
schwer von den Gängen,

die ich um ihn getan;
Aengste aller, welche ihn sahn,
haften daran.
Nimm ihn zu dir, denn er ist dein

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seit er ganz fertig ist.

Nimm ihn von mir.
Laß mich allein! Er ist wie ein Gast …
Fast schäm ich mich seiner.
Hast du auch Furcht, Gretel?

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Du kannst nicht mehr gehn?

Kannst nicht mehr bei mir in der Stube stehn?
Thun dir die Füße weh?
So bleib wo jetzt alle beisammen sind,
man wird ihn dir morgen bringen, mein Kind,

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durch die entlaubte Allee.

Man wird ihn dir bringen, warte getrost, –
man bringt dir morgen noch mehr.

Wenn es auch morgen tobt und tost,
das schadet den Blumen nicht sehr.

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[183]
Man wird sie dir bringen. Du hast das Recht,

sie sicher zu haben, mein Kind,
und wenn sie auch morgen schwarz und schlecht
und lange vergangen sind.
Sei deshalb nicht bange. Du wirst nicht mehr

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unterscheiden, was steigt oder sinkt;

die Farben sind zu und die Töne sind leer,
und du wirst auch gar nicht mehr wissen, wer
dir alle die Blumen bringt.

Jetzt weißt du das Andre, das uns verstößt,

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so oft wirs im Dunkel erfaßt;

von dem, was du sehntest, bist du erlöst
zu etwas, was du hast.
Unter uns warst du von kleiner Gestalt,
vielleicht bist du jetzt ein erwachsener Wald

180
mit Winden und Stimmen im Laub. –

Glaub mir, Gespiel, dir geschah nicht Gewalt:
Dein Tod war schon alt,
als dein Leben begann;
drum griff er es an,

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damit es ihn nicht überlebte.


Schwebte etwas um mich?
trat Nachtwind herein?
Ich bebte nicht.
Ich bin stark und allein. –

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Was hab ich heute geschafft?
[184]
… Efeulaub holt ich am Abend und wands

und bog es zusammen, bis es ganz gehorchte.
Noch glänzt es mit schwarzem Glanz.
Und meine Kraft

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kreist in dem Kranz.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Clara Westhoff (1878–1954), deutsche Bildhauerin und Ehefrau von Rainer Maria Rilke.