Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Kinder in röm. Häusern zu Zierde u. Zeitvertreib
Band IV,2 (1901) S. 24352438
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Deliciae (delicia, delicium. delicati). Plutarch Anton. 59 bezeugt, dass man δηλίκια die kleinen Kinder nannte, die die Römer der Kaiserzeit als Zierde und Zeitvertreib in ihren Häusern hielten, [2436] und mit denen namentlich die Frauen (Cass. Dio XLVIII 44, 3) zu spielen liebten. Doch ist in der römischen Litteratur durchaus die Form deliciae üblich; nur Seneca ep. 12, 3 deliciolum. Das älteste Beispiel ist wohl der pupulus der Lesbia, Catull 55, 5; dann das παιδίον, das Livia nach Cass. Dio a. O. schon vor 38 v. Chr. hatte. Augustus liebte ihre Gesellschaft, Suet. Aug. 83. Plut. a. O.; D. der Livia und ihrer Enkelin Livilla CIL VI 20237, der Antonia, Tochter des Claudius, ebd. 14959. Sie werden erwähnt im Hause des Domitian (Cass. Dio LXII 15, 3) und des Commodus, Herodian. I 17, 3. Man schätzte an ihnen Geschwätzigkeit und keckes, vorlautes Wesen, garrulitas Suet. a. O. Sen. dial. II 11, 3. Stat. silv. II 1, 73. V 5, 66; ψιθυρά Cass. Dio aa. OO. Sie waren (doch wohl nur in der warmen Jahreszeit) nackt und mit Gold- und Edelsteinschmuck geziert, Cass. Dio und Herodian. aa. OO. In reichen Häusern hielt man sie in grosser Zahl (undique conquirebat Suet. a. O. von Augustus); in gewöhnlichen bürgerlichen Verhältnissen war ihrer wohl meistens nur eines oder wenige. Die Sitte stammt wahrscheinlich aus Alexandreia – zu vergleichen die als Eroten gekleideten Kinder im Gefolge der Kleopatra, Plut. Anton. 26 – und war von Einfluss auf die wahrscheinlich ebenda aufgekommene Darstellung der Eroten als Kinder.

Augustus (Suet. a. O.) bevorzugte maurische und syrische Kinder; sonst waren alexandrinische besonders beliebt. Stat. aa. OO. Die Bissula des Ausonius (XXV Schenkl) war eine Suevin. Doch kommen auch Vernae als D. vor. Seneca ep. 12, 3. Martial. V 37, 20; vgl. V 34. X 61. Stat. silv. V 5, 73. Camerius Catull. 55, den Th. Birt (s. u.) als D. zu erweisen sucht, war nach seinem Namen ein römisches Bürgerkind (ohne Cognomen; s. o. S. 226), wie solche als D. auch in Inschriften vorkommen; so der vierundeinhalbjährige L. Aponius Abascantus CIL VI 12156, M. Iulius Saturninus CIL XIV 3907, Valeria Vitalis CIL VI 4674. Iunia Sp. f. Tyrannis, D. der Calvina, Tochter des M. Iunius Silanus cons. 19 n. Chr., war wohl uneheliche Tochter einer Freigelassenen der Familie. Die zehnmonatliche Curtia Felicla CIL XIV 899, D. des M. Curtius Sotericus, war wohl als Säugling freigelassen worden, wie der Knabe des Statius, silv. V 5. 73.

In Inschriften kommen D. beiderlei Geschlechts häufig vor, und zwar herrscht hier durchaus die von Plutarch a. O. bezeugte Form delicium; selten delicia (Sing.): CIL IX 1482. 1713. 1721. 4014. Die D. erscheinen hier in sehr verschiedenem Alter. Ein zehnmonatliches Kind CIL XIV 899; D. von 3 (CIL VI 3966), 4½ (VI 12156), 5 (II 1852). 6 (VI 14959. X 5500), 7 (VI 5163). 9 (VI 5236. 20237. IX 4811), 10 (X 5933), 12 (X 5921), 14 (IX 260. 4035). 17 (VI 4674;, 18 (XIV 2737) Jahren. Im letztgenannten Falle wird die freigelassene, verheiratete Sulpicia Rhanis doch von ihrer Patrona, deren D. sie war. bestattet. Offenbar ist hier das Verhältnis des D. ein über die Kindheit hinaus dauerndes. Und auch sonst erscheinen in den Inschriften die D. durchaus als an Kindesstatt gehaltene Sclaven oder Freigelassene, seltener freigeborne Kinder. [2437] Besonders charakteristisch hierfür sind einem Ehepaar und dem D. gesetzte Grabsteine (CIL VI 5180. 2156. IX 1713. 4811. X 4370. 5921. 5933) und solche, die ein Ehepaar dem D. setzt, X 5500. Vgl. sonst noch CIL VI 3966. 4376. 12096. IX 959. 1842. 4035 (wo am Schluss deli[cio suo], nicht deli[cium] zu ergänzen). XIV 2369. Grabrelief mit Inschrift und Relief des Verstorbenen, seiner Concubina, einer Freigelassenen und eines D. auf dem Arm der Concubina Ann. d. Inst. XLIV 1872, Tf. F; Sarkophagdeckel mit der liegenden Figur eines jungen Mannes, neben dem ein D. sitzt, Ann. d. Inst. XIX 1847, Tf. Q.

Ganz wie in Mittel- und Unteritalien die Delicia, finden sich in den Inschriften Oberitaliens (CIL V) die delicati und delicatae. Altersangaben sind hier seltener; es kommen aber vor 4 (8336), 7 (1410), 15 (1013), 18 (3825), 19 (1928), 24 (1137), 26 (3474) Jahre. In 2417 wird der Delicatus als kleines Kind bezeichnet, und als solches erscheint die inschriftlich (CIL VI 15482) bezeichnete Tyche delicata auf dem Relief Winckelmann Monum. ined. 244, 187. Auch die Delicati sind in den meisten Fällen Sclaven: 141. 936. 1013. 1176. 1323. 1405. 1410. 1417. 1928. 2180. 2336. 3039. 3825. 5148. 6064. 7023; so auch in den stadtrömischen Inschriften VI 14559. 15482. 17416 und das Fragment 3554); einzeln Freigelassene dessen, den gallischen XII 3571. 3582 (Nemausus; ebenda dem sie als Delicati angehört haben: CIL VI 27133. V 647. 7014; vgl. 7023, wo es heisst, der Herr würde ihn freigelassen haben, wenn er länger gelebt hätte. Einzeln sind es auch Freigelassene anderer (1460) oder vielleicht Freigeborene: 1137. 3474. Der Delicatus des Atedius Melior (Stat. silv. II 1, 77) war der Sohn zweier Freigelassenen desselben.

Im epigraphischen Sprachgebrauch müssen also delicatus und delicium als Synonyma gelten, zumal[WS 1] sie sich ihrer localen Verbreitung nach fast ausschliessen: Delicia kommen in Oberitalien nicht vor, Delicati sind ausserhalb Oberitaliens selten. Vereinzelt finden sie sich in Nemausus (CIL XII 3554. 3571. 3582) und Panhormus (X 8316). Dennoch war vielleicht ursprünglich ein Unterschied. Der Delicatus des Melior ist ein reifender Knabe (Stat. silv. II 2, 52). In der That ist für einen solchen die Bezeichnung angemessener, und es ist glaublich, dass ursprünglich solche, im Unterschied von den Delicia, so genannt wurden. Da aber in gewöhnlichen Verhältnissen solche Kinder durch beide Stadien hindurchgingen, so passten häufig beide Bezeichnungen auf dieselbe Person und konnte in einigen Gegenden die eine, in anderen die andere in der allgemeineren Bedeutung ,Liebling‘ mehr oder weniger ausschliesslich üblich werden.

Gewöhnlich versteht man unter Delicati die jugendlichen Luxussclaven, Pagen (formosi pueri Cic. de fin. II 23; ὡραῖοι Plut. Cat. mai. 4. Lucian. Gall. 11; exoleti Sen. dial. X 12, 5; ep. 95, 28) mit langen, nur über der Stirn ausgeschnittenen Haaren (capillati. comati, criniti Petron. 70. Martial. II 57, 5. III 58. 30. XII 49, 1) und bartlosen Gesichtern (leves Sen. ep. 119, 13; glabri Phaedr. IV 4 [5]. 22. Sen. dial. X 12, 5; ep. 47, 7; ornator glabrorum CIL VI 8956), in kostbarer, goldgeschmückter Kleidung [2438] (Sen. dial. VII 17, 2. IX 1, 8. Ammian. XXVI 6, 15), wie sie besonders anschaulich Philo de vit. cont. 6 p. 479 M. schildert. Von einem Paedagogus in einem Paedagogium (s. d. Marquardt Privatl.² 158) erzogen, hiessen sie auch paedagogiani (Ammian. XXVI 6, 15. XXIX 3, 3) und ihre Gesamtheit paedagogium (Sen. dial. VII 17, 2. IX 1, 8; ep. 123, 7. Plin. n. h. XXXIII 40). Sie wurden besonders zur Bedienung bei Tisch verwendet (Cic. de fin. II 23. Philo a. O. Sen. dial. X 12, 5; ep. 95, 24, 119, 13. Petron. 70; glaber a cyato CIL VI 8817). dienten aber auch zur Begleitung (Martial. II 57. Iulian. Misopog, p. 359 Spanh.), zu sonstiger Bedienung (Ammian. XXIX 3, 3) und zu obscönem Gebrauch (Sen. ep. 95, 24).

Zu den Deliciae (Quintil. decl. 298 p. 198 Ritter) gehören in weiterem Sinne auch die Zwerge, und zwar mit Vorliebe missgestaltete, die man als komische Erscheinungen zu halten liebte, die nani (Suet. Tib. 61. Hist. Aug. Al. Sev. 34, 2), pumili (Suet. Aug. 83) oder pumiliones, Martial. XIV 212. Gell. XIX 13, 2. CIL VI 9842; vgl. Prop. V 8, 41 (wo mit Birt die Lesung der Hss. Magnus zu behalten ist, als scherzhafter Name, wie Atlas Iuv. 8, 32). Quintil. inst. II 5, 11. Plin. n. h. VII 75. Suet. Dom. 4. Clem. Alex. paed. III 4 p. 271 Potter. Es gab in Rom einen eigenen Markt solcher τέρατα, Plut. de curios. 10. Zwerge wurden auch künstlich hervorgebracht, indem man das Wachsen der Kinder hinderte, de sublim. 44, 5. Ferner die Blödsinnigen: fatui, fatuae (Sen. ep. 50, 2), moriones (Martial. III 82, 24. VI 39. 17. VIII 13. XII 93, 3. XIV 210), sowie auch die Possenreiser (scurrae), deren Treiben Horaz sat. I 5. 52ff. schildert. Etwas Ähnliches mögen auch die copreae gewesen sein, von denen wir aus Suet. Tib. 61; Claud. 8 nur erfahren, dass sie bei Tisch anwesend waren und allerlei Unfug trieben.

Marquardt, Privatleben² 145. 152. Daremberg-Saglio Dict. d. Ant. II 60. Th. Birt De Amorum in arte antiqua simulacris et de pueris minutis apud antiquos in deliciis habitis commentariolus Catullianus alter, Marbg. 1892.

[Mau. ]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: znmal