Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Sagenfigur
Band I,2 (1894) S. 2339 (IA)–2342 (IA)
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Antaios. 1) Eine erst verhältnismässig spät und zwar im Gebiete der griechischen Kolonien Nordafricas entstandene Sagenfigur; dem alten Epos ist er unbekannt, und alle Züge seiner Sage sind von älteren Sagen erborgt. Er ist der Vertreter der Eingeborenen gegenüber den hellenischen Ansiedlern, zunächst in Kyrene, wohin die älteste Spur weist. Dort galt er als König über das gesegnete Gebiet (vgl. Herod. IV 158. Barth Wand. durch d. pun. und kyren. Küstenl. 504) des Kyrene benachbarten Irasa; dem Danaosmythos entlehnt (v. Wilamowitz Eurip. Herakles II 128) ist die Sage bei Pind. Pyth. IX 181ff., er habe unter den Freiern um die Hand seiner schönen Tochter einen Wettlauf veranstaltet, in dem Alexidamos, der Stammvater des von Pindar gefeierten Siegers, den Preis errang (die Tochter wird Alkeis oder Barke genannt, Schol. Pind. Pyth. IX 183). Später, als sich das Verhältnis zwischen Griechen und Libyern trübte, namentlich seitdem der Zuzug neuer (dorischer) Ansiedler und die damit verbundene Besetzung neuer Landstriche unter Battos II. zum Aufstand der Libyer geführt hatte, „musste aus dem freundlichen ‚Gegenüber‘ der hassenswerte ‚Gegner‘ werden“ (Studniczka Kyrene 123; die noch immer von einigen [Oertel in Roschers Lex. I 363. Hager Entwickl. d. Heraklessage, Progr. Wandsbeck 1888 S. XI] verfochtene Verschiedenheit des Heraklesgegners von dem Vater der Barke bedarf ebenso wie Roschers natursymbolische Erklärung [Lex. I 364 Anm.] keiner Widerlegung). Er tritt nun in Gegensatz zu Herakles, dem dorischen Stammeshelden, und der Zweck der weiteren Sagenbildung ist, ihn diesem im Kampfe unterliegen zu lassen. Zunächst auch in dieser Fassung noch in Irasa localisiert (Pherekyd. frg. 33 d, FHG I 80), wird sein Wohnsitz, wie der des Atlas, dem Vordringen [2340] der Heraklessage folgend (v. Wilamowitz a. a. O.), immer weiter nach Westen verlegt, bis er in dem mauretanischen Tingis (Tingis von A. gegründet, Plin. n. h. V 2; dort sein Grab, dessen Aufgraben Regengüsse herbeizieht, die es überschwemmen, Mela III 106, wie Gerhard Auserl. Vasenb. II 132, 18 gesehen hat, ein der Kyknossage entlehnter Zug, vgl. Hes. Aspis 478; Sertorius liess es öffnen, Plut. Sertor. 9. Strab. XVII 829, der das Grab nach Lixos verlegt; A. ist König von Lixos bei Plin. n. h. V 3; seine Gebeine in Olympia, Tzetz. Lyk. 662) seine feste Stätte findet. Über dieses Kehrbild, den ‚bösen A.‘, berichtet die ältere Sage nur, er sei ein riesiger (Pherekyd. frg. 33 e, FHG I 80, vgl. Plut. Sertor. 9. Strab. XVII 829) libyscher König gewesen, der alle sein Gebiet durchziehenden Fremden zum Ringkampfe zwang und die Besiegten tötete, um aus den Schädeln der Erschlagenen seinem Vater Poseidon einen Tempel zu bauen (Pind. Isthm. IV [III] 70ff. Plat. Theait. 169B. Apollod. II 5, 11, 5. Diod. IV 17, 4. 27, 3. Hyg. fab. 31; auch dies ein der Kyknosfabel entlehnter Zug, vgl. Gerhard Auserl. Vasenb. II 106, 78 und Stesich. frg. 12 Bgk.). Herakles zieht gegen ihn aus (Pind. Isthm. a. a. O.; Herakles fordert ihn heraus, Diod. IV 17, 4; er wird von A. zum Kampfe gezwungen, Apollod.) und tötet ihn. Bereits zu Pindars Zeit galt dies als ein Triumph der geistig überlegenen, schulmässigen griechischen Athletik über die rohe Naturkraft des Barbaren (vgl. auch Anth. Pal. IX 391 und die Kunstdarstellungen). Nach dem Kampfe gesellt sich Herakles dem Weibe des A., Iphinoe, und zeugt mit ihr den Palaimon oder Polemon (Pherekyd. frg. 33 e, FHG I 80; Palaimon als Beiname des Herakles bei Hesych. s. v. und auf der boiotischen Inschrift Le Bas 148, 665; nach der Sage von Tingis heisst die Gattin des A. Tinge, und Sophax, ihr Sohn von Herakles, ist Stammvater der mauretanischen Könige, Plut. Sertor. 9). Noch später wird, vielleicht unter dem Eindruck von Kunstwerken (vgl. Gerhard a. a. O. II 104) und wahrscheinlich erst in hellenistischer Zeit, auf A. ein Motiv der Alkyoneussage übertragen (vgl. M. Mayer Gig. u. Tit. 172 und den Artikel Alkyoneus Nr. 1; umgekehrt urteilt Koepp Arch. Ztg. 1884, 37, 10), dass er aus der Heimaterde immer neue Kräfte zieht; Herakles hebt ihn deshalb in die Höhe und erdrückt ihn in der Luft (Apollod. II 5, 11, 5; beliebte Vorstellung bei römischen Dichtern, Ovid. met. IX 183f. Iuven. III 86ff. Stat. Theb. VI 893ff., vgl. auch Quint. Smyrn. VI 287); schliesslich wird A. zum Sohn der Gaia (Apollod. Hyg. fab. 31); als Poseidonsohn nennt ihn Ovid Ibis 399 Bruder des Busiris. Neben Kerkyon und Amykos nennt ihn schon Platon (Leg. VII 796 A) als Erfinder palaistrischer Kunstgriffe; derselben Anschauung verdankt auch der eherne σόλος des A. (Quint. Smyrn. IV 445ff.) sein Dasein.

Ebenfalls in hellenistischer Zeit ward A. von den Griechen in Ägypten mit einem oberägyptischen Gotte identificiert und die diesem geweihte Stadt Antaiupolis genannt, vgl. die Tempelinschrift CIG III 4712 und die Wandgemälde von Gau el Kebîr, Ztschr. f. ägypt. Sprache u. Altertumsk. XX (1882) 135ff. Tat III. IV (Golenischeff, [2341] dessen weitere Folgerungen aber wohl unhaltbar sind).

Dramatisch behandelt war die Sage von Phrynichos (FTG² 720) und Aristias (FTG² 726). Rationalistische Auffassung bei Diod. I 17, 3. 20, 4. Tzetz. Chil. V 218ff. Eustath. 1700, 1ff. (Od. XI 375).

Darstellungen. Reichhaltige Zusammenstellung von Stephani C. R. 1867, 14ff. Liste der Vasen in Kleins Euphronios² 122ff. Beste Übersicht giebt Furtwängler Roschers Lex. I 2206ff. 2230f. 2245.

Der Ringkampf des A. mit Herakles begegnet zuerst auf sf. Vasen späteren Stils. Amphoren: a) München 3 (Gerhard Auserl. Vasenb. 114), b) Brit. Mus. 542, c) Brit. Mus. 603, d) Sarteano, Samml. Lunghini (Bull. d. Inst. 1859, 30); Hydrien: e) München 114 (Arch. Ztg. 1878 Taf. 10), f) Brit. Mus. 471, g) Boulogne-sur-Mer (Durand 305. Panckoucke 410, vgl. M. Mayer Arch. Anz. 1889, 185, abg. Gerhard Auserl. Vasenb. 113), h) Durand 12; Oinochoe: i) München 1107 (Gerhard a. a. O. 69–70, 3. 4); Kelebe: k) Neapel 2519 (Jahn Ber. Sächs. Ges. 1853 Taf. 9); Lekythos: l) Raifé 1310; Bruchstück: m) Samml. Northampton (Arch. Ztg. 1846, 341; ob der von W. Müller Theseusmetopen 48 auf A. bezogene Gefässdeckel Cat. étr. 114 = Beugnot 44 hierher gehört, ist zweifelhaft). Unter den rf. Vasen strengen Stils ist die bedeutendste Darstellung A) Krater im Louvre, ein Meisterwerk des Euphronios (Wiener Vorlegebl. V 4. D 2). Ferner B) ein Stamnos aus Caere (Bull. d. Inst. 1866, 183) und eine Reihe von Schalen: C) München 605 (Jahn Ber. Sächs. Ges. 1853 Taf. 8, 1). D) Einst Samml. Joly de Bammeville (Arch. Ztg. 1861 Taf. 149). E) Österr. Mus. 322 (Ann. d. Inst. 1878 D). F) Athen, Samml. Trikupis (Journ. Hell. Stud. X pl. 1). G) Florenz, Mus. Etrusco (Mus. Ital. III 263). Der Gegensatz des riesigen Barbaren und des durch schulmässige Übung geschmeidigen Griechen wird von Anfang an hervorgehoben; A. wird durch langen Bart oder riesenhafte Grösse ausgezeichnet; am feinsten hat Euphronios den Gegensatz ausgearbeitet. Ein fester Typus hat sich nicht gebildet, doch ist die Version, dass A. in der Luft erdrückt werden muss, den Vasenmalern unbekannt (ob auf m ein Hochheben stattfand, ist zweifelhaft). Es ist ein gewöhnlicher Ringkampf, bisweilen mit regelrechten Kunstgriffen (A. packt den Gegner am Fusse: b e g G; Herakles hat A. auf den Rücken geworfen und würgt ihn so: e D E F; er hält A. bei den Haaren und holt zum Schlage aus: d; A. kniet besiegt und fleht um Gnade: k B). Bald ist das ringende Paar allein (h i C D E F), bald sind Nebenfiguren dabei (meist die Gattin, die auf a Ἀνδρονόη zu heissen scheint, sonst wohl Iphinoe zu benennen ist: c d e f g l A B G; vereinzelt noch ausserdem eine [l] oder mehrere [A] weibliche Figuren, wohl als Töchter zu fassen; von Göttern Athena: b c e f g k, Hermes: b c e f k, Poseidon: c e f; ein Hoplit, wohl Iolaos: f k m); das Haus des A. ist angedeutet auf B D. Seit dem Beginn des schönen Stils kommt die Sage auf Vasen nicht mehr vor. Dem 5. Jhdt. scheint noch das Relieffragment vom Südabhang der Akropolis (Arch. Ztg. 1877, 165 nr. 83, vgl. Milchhöfer Arch. Ztg. 1883, 179) anzugehören; ebenso würde [2342] auch die Darstellung des A.-Kampfes innerhalb des Dodekathlos am Herakleion zu Theben (Paus. IX 11, 6) zu datieren sein, wenn es sicher wäre, dass der Künstler Praxiteles d. Ä. war (s. Art. Praxiteles).

In den späteren Darstellungen herrscht durchaus das Motiv des Emporhebens; dass dies Motiv nicht (wie Stephani a. a. O. 15 behauptet) erst in römischer Zeit aufkam, hat Furtwängler a. a. O. 2230 nachgewiesen. Das Original einer auf Tarentiner Silbermünzen (Carelli Num. Ital. Vet. 116, 282) wiedergegebenen Gruppe gehört noch dem 4. Jhdt. an; man könnte an das Bild des Apelles denken (Plin. n. h. XXXV 93) oder an die Gruppe des Lysippos in Alyzia, später in Rom, vgl. Overbeck Plastik³ II 109f. Es ist möglich, dass das Motiv dieser Gruppe, ursprünglich nur als Kunstgriff des Ringers gedacht, der den Gegner hochhebt, um ihn zu Boden zu schmettern (litterarisch so nur bei Liban. Ekphr. IV 1082 Reiske überliefert), den Anlass zur Übertragung der Alkyoneussage (s. o.) gab; ebenso möglich aber auch, dass die Gruppe bereits von der Übertragung abhängig ist. Ob Herakles den A. in der Luft erdrücken oder zu Boden schmettern will, lässt sich schwerlich mit Sicherheit entscheiden. Jedenfalls ist es unrichtig, wenn Furtwängler überall nur jenen Ringerkniff erkennt und das Erdrücken des A. in der Luft der antiken Kunst überhaupt abspricht. Bei der ausschliesslichen Verbreitung, die diese Sagenversion in römischer Zeit hatte, wäre es Voreingenommenheit, auf Kunstwerken dieser Zeit, die jene Deutung zulassen, anders zu deuten. Statuengruppen: Marmor: Florenz, Uffizien (Clarac 802, 2016. Dütschke II 18, 37, ohne die Ergänzungen abg. nach einer Zeichnung van Heemskercks Arch. Jahrb. V 14), Fragment aus Aquileia (Wiener Jahrb. XLVIII Anz. p. 101 Taf. 1, 3), Rom Samml. Baracco (Matz-Duhn 129), Marbury Hall (Clarac 804, 2015 A. Michaelis Anc. Marbl. in Gr.-Brit. 507, 14), Wilton House ([Creed] Wilton Marbles pl. 42. Michaelis a. a. O. 714, 223); Bronze: Florenz (Zannoni Gal. di Fir. III 105), Samml. Beugnot 379; Knochen: Dresden, Albertinum (Arch. Anz. 1889, 175 – antik?); Beschreibungen: Epigramm Anth. Pal. XVI 97. Liban. Ekphr. IV 1082. Reliefs: Neapel Mus. Naz. und Replik in Rom, Mus. Kirch. (Bull. d. Inst. 1865, 36), in einem Fries mit Heraklesthaten aus Ostia (Ann. d. Inst. 1857, 308), aus Rom (Caylus Rec. IV 92), Altar aus Düren, zuerst in Durlach (Rhein. Jahrb. IX 153), jetzt in Karlsruhe (Fröhner D. grossh. Samml. vaterl. Altert. zu Karlsruhe I nr. 32), Rel. in Avignon (Arch. Anz. 1853, 397). Wandgemälde: aus dem Nasonengrab (Bellori Pict. ant. sepulcr. Nasonum tab. XIII. Montfaucon I 130), aus Pompeii (Sogliano 495), fingierte bei Philostr. im. II 21. 22. Gemmen (die meisten modern) zusammengestellt von Stephani 15, 6, vgl. Furtwängler 2245. Münzen der römischen Kaiserzeit Stephani 16, 1. Mosaik Smith Coll. ant. II 22.

Fälschlich auf A. bezogen: 1) die Kerkyonmetope des sog. Theseion. 2) Br.-Gruppe Florenz (Mon. d. Inst. 1856 tav. 25: etwa ein hinsinkender Gigant im Stil der pergamenischen Kunst).