Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Volk von Lesbos, Kyme u. s. w.
Band I,1 (1893) S. 1030 (IA)–1032 (IA)
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Aioles (Αἰολεῖς). Das einzige Volk, das diesen Namen geführt hat, sind die kleinasiatischen A. von Lesbos, Kyme u. s. w. Dieselben führen sich auf einen Eponymos Aiolos zurück, der als Vater der aiolischen Heroen Athamas, Kretheus u. a. natürlich in Thessalien gelebt haben musste; ist doch auch zweifellos die Heimat der Aioler [1031] Kleinasiens hier zu suchen. Die Folge ist, dass der Name Aioles und Aiolis für die Urzeit auf Thessalien und seine Bewohner übertragen wurde: Herod. VII 176 Θεσσαλοὶ ἤλθον ἐκ Θεσπρωτῶν οἰκήσοντες γῆν τὴν Αἰολίδα. Strab. V 221. Apollod. I 7,3 u. a. Andererseits sind die Boioter den Aiolern nahe verwandt, die aiolische Wanderung ist von Boiotien (Aulis) ausgegangen, ὥστε καὶ Βοιωτικὴν προσαγορευθῆναι Strab. IX 402, die Aioler galten als Colonisten der Boioter, Thuk. VII 57, vgl. III 2. VIII 100. Daher sollen auch die Boioter aus Thessalien gekommen sein (Thuk. I 12 u. s. w.) und ursprünglich Aioler geheissen haben (Paus. X 8, 4); ja Theopomp fr. 237 (Steph. Byz. s. Χαλία) sagt in der Geschichtserzählung, ‚die Chalkidier führten Krieg mit den Αἰολεῦσι τοῖς τὴν ἤπειρον ἔχουσι Χαλίοις καὶ Βοιωτοῖς καὶ Ὀρχομενίοις καὶ Θηβαίοις‘. Des Weiteren werden alle Stämme, deren Eponymen Nachkommen des Aiolos sind, zu den Aiolern gerechnet, vor allem die Aitoler und Eleer. Darauf beruht es wahrscheinlich auch, dass nach Thuk. III 102 (vgl. Strab. X 465) das Land um Pleuron und Kalydon früher Αἰολίς hiess. So ist man schliesslich dazu gekommen, alle griechischen Stämme, die nicht dorisch oder ionisch sind, als Aioler zu bezeichnen. Darauf beruht die beirühmte Angabe Strabons (VIII 333) von den vier Dialekten Griechenlands, die er auf eine ursprüngliche Zweiheit reduciert: ionisch und attisch, dorisch und aiolisch. Nach ihm „werden alle Stämme innerhalb des Isthmus ausser Athenern, Megarern und Dorern am Parnass auch jetzt noch Aioler genannt“, ebenso waren die Peloponnesier vor der dorischen Wanderung und der Festsetzung der Ionier im Aigialos Aioler, die Arkader und Eleer sprechen aiolisch, die übrigen nichtdorischen Stämme einen Mischdialekt.

In dieser Ausdehnung darf der Aiolername nicht gebraucht werden, denn die Aitoler, Phoker, Akarnanen, Achaeer (in Phthiotis wie im Aigialos) sprachen einen zweifellos nicht dem aiolischen, sondern dem dorischen mehr verwandten Dialekt. Auch verwerten die Grammatiker den Namen aiolisch nie in diesem weitern Sinn; ja in einem anonymen Citat bei Steph. Byz. s. Ἰωνία werden die Aitoler geradezu zu den Dorern gerechnet (ἐν μέντοι Δωριεῦσιν Αἰτωλοί, ἐν δὲ Αἰολεῦσι Βοιωτοί, ἐν δὲ τοῖς Ἴωσιν Ἀθηναῖοι). Wohl aber wenden sie ihn ausser auf das eigentliche aiolisch von Lesbos auch auf die Dialekte Boiotiens und der thessalischen Stämme an (z. B. Steph. Byz. s. Γόννοι [von den Perrhaebern]. Ἰωνία [von den Boiotern]. Paus. IX 22, 3 [von Korinna]. Plut. quaest. symp. VI 8, 1; quaest. graec. 8; andere Stellen bei Meister Griech. Dial. I 7). Und dieser Gebrauch hat seine Berechtigung, denn thessalisch, boiotisch und asiatisch-aiolisch sind eng verwandt und haben ursprünglich unzweifelhaft eine Einheit gebildet. Diese Einheit kann man nach dem Vorgang der Alten als (ur-)aiolisch bezeichnen, obwohl es ganz unerweisbar ist, dass die Stammgruppe, welche diesen Dialekt sprach, sich jemals Aioler genannt hat. Weit problematischer ist die Ausdehnung des Namens auf die mit diesem uraiolischen näher verwandten urpeloponnesischen Dialekte, die sich im arkadisch-kyprischen (und pamphylischen) erhalten [1032] haben, in Lakonien und Messenien und wohl auch in Argolis vor dem Einfall der Dorer gesprochen wurden und wohl auch die Grundlage des elischen bildeten.