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Autor: Hugo Friedländer
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Titel: Prozeß wegen Landesverrats.
Untertitel: Verhandlung vor dem vereinigten zweiten und dritten Strafsenat des Reichsgerichts zu Leipzig vom 12. bis 19. Mai 1884.
aus: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 7, S. 1–64
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Erscheinungsdatum: 1912
Verlag: Hermann Barsdorf
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Erscheinungsort: Berlin
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Prozeß wegen Landesverrats.
Verhandlung vor dem vereinigten zweiten und dritten Strafsenat des Reichsgerichts zu Leipzig vom 12. bis 19. Mai 1884.

Nachdem am 10. Mai 1871 Deutschland und Frankreich Frieden geschlossen hatten, lag erklärlicherweise noch viele Jahre nachher eine gewisse Spannung in der Welt. Im Sommer 1875 erschien in dem damaligen „Botschafterorgan“, der „Post“, die zweifellos engste Beziehungen zur Regierung hatte, ein Leitartikel mit der Überschrift: Ist der Krieg in Sicht? Eine amtliche Berichtigung erfolgte nicht, dagegen wurde mitgeteilt: der Reichskanzler Fürst v. Bismarck habe einen kalten Wasserstrahl nach Paris gerichtet und wir leben wieder im tiefsten Frieden. Ein Berliner Witzblatt, „Die Wespen“, von Julius Stettenheim, brachte die Bemerkung: „Der Kaiser, nicht der Kayßler, erklärt den Krieg.“ Der langjährige Chefredakteur der „Post“ war nämlich Dr. Leopold Kayßler, den auch schon lange der kühle Rasen deckt. Mehrfach verfinsterten Kriegswolken den politischen Himmel. Um so größer war die Erregung, als plötzlich bekannt wurde: ein königlich preußischer Staatsbeamter, ehemaliger Hauptmann der deutschen Armee, habe die wichtigsten Einrichtungen der deutschen Armee für schnödes Geld an Frankreich, Rußland und Österreich verraten. Es wurde festgestellt, daß der gesamte Aufmarsch der deutschen Armee, bzw. Eisenbahntransport nach der Westgrenze bei Ausbruch eines Krieges, die Art der Mobilmachung der deutschen Armee, die Befestigung von Metz, die neuen Gewehrkonstruktionen, die Brückenschlagungen im Kriege, die Truppenverpflegung im Kriege und eine ganze Anzahl anderer militärischer Dinge an fremde Regierungen verraten waren. Die Verräter, der in Dresden wohnende polnische Dichter und Schriftsteller Dr. v. Kraszewski und der Kaiserliche Telegraphensekretär, Hauptmann a. D. Hentsch, wohnhaft zu Schöneberg bei Berlin, wurden sofort verhaftet und eine umfassende Untersuchung vorgenommen. Am 12. Mai 1884 hatten sich Dr. v. Kraszewski und Hentsch vor dem vereinigten zweiten und dritten Strafsenat des Reichsgerichts in Leipzig zu verantworten. Inzwischen sind jedenfalls alle verratenen Dinge vollständig geändert gewesen, denn auf ausdrücklichen Wunsch des Reichskanzlers Fürsten v. Bismarck fand die Verhandlung fast durchweg in voller Öffentlichkeit statt. Es war das der erste Landesverratsprozeß, dem noch eine ganze Reihe folgten, die jedoch kaum von solcher Bedeutung wie der erste waren. Es war erklärlich, daß die Verhandlung in der ganzen Kulturwelt mit größter Spannung verfolgt wurde. Den Gerichtshof bildeten: Senatspräsident Drenkmann (Vorsitzender) und die Reichsgerichtsräte Thewalt, Schwarz, Kirschhoff, Krüger, Stechow, Petsch, Dr. Spieß, Dr. Freiesleben, Dr. Mittelstädt, Schaper, v. Bezold und Calame (Beisitzende). Die Oberreichsanwaltschaft vertraten Oberreichsanwalt Dr. Frhr. v. Seckendorff, Exzellenz, und der Erste Staatsanwalt am Reichsgericht Treplin. Das Protokoll der Verhandlungen führte Obersekretär Kanzleirat Schleiger. Die Verteidigung führten Rechtsanwalt Saul (Berlin) für Dr. von Kraszewski und Rechtsanwalt Dr. Samter (Berlin) für Hentsch. Als Sachverständige waren geladen: 1. Oberstleutnant und Chef der Zentralabteilung im preußischen Kriegsministerium Wodke, 2. Major Perthes vom Großen Generalstab, 3. Major v. Goßler vom preußischen Kriegsministerium, 4. Major Erffling vom preußischen Kriegsministerium, 5. Kanzleirat Seegel (Berlin), 6. Kanzleiinspektor Gottschalk (Berlin) und Buchhändler Kasprowicz (Leipzig). Als Zeugen waren vorgeladen: 1. Kriminalkommissar Paul (Dresden), 2. Amtsvorsteher Feurig (Schöneberg bei Berlin), 3. Fräulein Flora Heinitz (Dresden), 4. Kaiserlichrussischer Major a. D. v. Bodanowicz (Dresden), 5. Photograph Coßmann (Frankfurt a. O.), 6. Leutnant im Eisenbahnregiment Friedrich (Berlin), 7. Leutnant im rheinischen Pionierbataillon Nr. 8 Balthasar (Koblenz), 8. Leutnant im 2. pommerschen Feldartillerieregiment Nr. 17 Rüppel (Stettin), 9. Hauptmann a. D. Hoffmann (Berlin), 10. Betriebsführer des Feuerwerkslaboratoriums Hartmann (Spandau), 11. Stallmeister Sr. Königl. Hoheit des Prinzen Wilhelm, Leutnant Plinzner (Potsdam), 12. Amtsgerichtsrat Pniower (Berlin), 13. Landgerichtsrat Brausewetter (Berlin), 14. Magistratssekretär Gäde (Berlin) und 15. Hauptmann im 54. Infanterieregiment Thiede (Kolberg).

Der Angeklagte v. Kraszewski hieß mit Vornamen Joseph Ignatz; er war am 21. Juli 1812 zu Warschau geboren, katholischer Konfession und später sächsischer Staatsangehöriger. Er redigierte längere Zeit die in Warschau erscheinende „Gazetta polska“. Ganz besonders war aber v. Kraszewski als polnischer Romanschriftsteller tätig. Über 200 Bände hatte er geschrieben. Er galt bei allen seinen Landsleuten als einer der bedeutendsten polnischen Schriftsteller. Er wurde in seiner Heimat der „polnische Goethe“ genannt. Vor vielen Jahren beging v. Kraszewski sein 50 jähriges Schriftstellerjubiläum. Dies wurde in Krakau mehrere Tage hindurch in solenner Weise gefeiert und gestaltete sich in ganz Polen zu einem großartigen Volksfeste. Im Jahre 1863 nahm v. Kraszewski für die polnische Insurrektion Partei. Es tauchte der Verdacht auf, daß er in irgendeiner Weise an dem Aufstande sich beteiligt habe. Da er deshalb seine Verhaftung befürchtete, entfloh er nach Deutschland und wohnte seit dieser Zeit in Dresden. Schon 1871 war eine Anzahl Zeitungskorrespondenten für ihn tätig, die jedoch seinen Wünschen nicht zu entsprechen schienen. Später lernte er einen Literaten, namens Adler kennen. Mit diesem schien er besser zufrieden zu sein, denn er lieferte ihm sehr wertvolle Arbeiten über die Art der Mobilmachung des deutschen Heeres, die Einrichtung der Verpflegung der deutschen Armee im Kriege, über den Aufmarsch resp. Eisenbahntransport der deutschen Armee nach der Westgrenze, über neue Schießinstruktionen im deutschen Heere, über die Organisation der Pferdeaushebung bei Gelegenheit einer Mobilmachung der deutschen Armee u. dgl. mehr. Adlers Quelle war der zweite Angeklagte Hentsch, den Kraszewski nicht kannte. Adler spielte zwischen beiden den Vermittler, indem er dem Hentsch sagte: Er kaufe die Arbeiten für einen sehr reichen, alten Herrn in Dresden. Schließlich kam es jedoch zwischen v. Kraszewski und Adler infolge eines Streites zur offenen Feindschaft; Adler brach mit v. Kraszewski alle Verbindungen ab und siedelte nach Wien über. Auf seine Veranlassung setzte aber Hentsch seine Arbeiten fort, sandte sie gegen hohes Entgelt an Adler, der sie in vortrefflicher Weise zu verwerten verstand. Das Material erschöpfte sich jedoch endlich und damit gleichzeitig die Geldquelle Adlers. Er geriet schließlich in Geldverlegenheit und versuchte deshalb auf dem Wege der Erpressung sich Geld zu verschaffen. v. Kraszewski hat ihm auch infolge seiner Drohungen nach und nach 7000 Mark gegeben, Hentsch, der vollständig vermögenslos und noch obendrein verschuldet war, vermochte ihm jedoch nichts zu geben. Er teilte ihm auch in einem Schreiben seine Verhältnisse mit dem Bemerken mit: er sei in seiner Hand; er solle mit ihm machen, was er wolle. Da Adler von Kraszewski auch nichts mehr erlangen konnte, so machte er der preußischen Regierung von allem Vorgefallenen, unter Übersendung aller vorhandenen Belege, Mitteilung.

Hentsch hieß mit Vornamen: August Rudolph Albert Franz; er war am 20. Oktober 1838 zu Lützow bei Kolberg geboren und evangelischer Konfession. Er war der Sohn eines evangelischen Pastors. Er war Hauptmann im 21. Posenschen Infanterieregiment. Im Jahre 1871 nahm Hentsch seinen Abschied. Er wurde mit Pension und mit der Berechtigung, die Landwehrhauptmannsuniform zu tragen, entlassen. Nach einiger Zeit fand er eine Anstellung bei dem kaiserlichen Telegraphenamt in Berlin, woselbst er eine Reihe von Jahren als Sekretär arbeitete. Infolge dieser seiner Anstellung schied er aus dem Militärverbande und erhielt nur noch die aus dem Reichsinvalidenfonds an Verwundete gezahlte Pension. Im Jahre 1881 nahm er auch als Telegraphensekretär seinen Abschied. Hentsch entfaltete eine umfangreiche Tätigkeit als Militärschriftsteller. Dieser Umstand, sowie ferner seine militärische Vergangenheit, seine gesellschaftliche Gewandtheit und persönliche Liebenswürdigkeit eröffneten ihm die höchsten militärischen Kreise. Dadurch gelang es ihm, sich in den Besitz von wertvollem Material zu setzen. Die Gewandtheit des Hentsch in diesen Dingen erhellt u. a. aus Folgendem: Er zählte zu den Freunden des Stallmeisters des Prinzen Wilhelm, jetzigen deutschen Kaisers, Leutnant Plinzner, zu Potsdam. Mit diesem traf er einmal in Swinemünde zusammen. Er fand in dessen Wohnung ein Buch, das die Pferdeaushebung der deutschen Armee behandelte. Mit den Worten: „Dies Buch können Sie mir gefälligst einmal leihen“, nahm er es an sich und übersandte den Inhalt des Buches an Adler.

Der § 92, Abs. 1 des Strafgesetzbuches, der der Anklage zugrunde lag, lautet: „Wer vorsätzlich Staatsgeheimnisse oder Festungspläne oder solche Urkunden, Aktenstücke, oder Nachrichten, von denen er weiß, daß ihre Geheimhaltung einer anderen Regierung gegenüber für das Wohl des Deutschen Reiches oder eines Bundesstaates erforderlich ist, dieser Regierung mitteilt oder öffentlich bekannt macht, wird mit Zuchthaus nicht unter zwei Jahren bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Festungshaft nicht unter sechs Monaten ein.“

Der von dem Protokollführer, Kanzleirat Schleiger, verlesene Eröffnungsbeschluß hatte folgenden Wortlaut: „Im Namen des Reiches! In der Strafsache gegen den Schriftsteller und Dr. phil. Joseph Ignatz v. Kraszewski zu Dresden, den Hauptmann a. D. und Telegraphensekretär a. D. Albert Hentsch zu Berlin, den Geschäftsführer Wladislaus Anastasius Stephan v. Konospacki und den russischen Major a. D. Stephan Casimir August v. Bodanowicz zu Dresden, wegen des Verbrechens des § 92, pos. 1 des Strafgesetzbuches, hat das Reichsgericht, Erster Strafsenat, nach Anhörung des schriftlichen und mündlichen Antrages des Oberreichsanwalts in nichtöffentlicher Sitzung vom 10. März 1884, in Erwägung, daß wider die vier Angeschuldigten die Voruntersuchung eröffnet und von dem Oberreichsanwalt gegen die Angeschuldigten v. Kraszewski und Hentsch Anklage erhoben, hingegen bezüglich der Angeschuldigten v. Konospacki und v. Bodanowicz der Antrag gestellt worden ist, dieselben in Ermangelung genügenden Beweises einer strafbaren Tat außer Verfolgung zu setzen; in Erwägung, daß nach dem Inhalt der Voruntersuchung die Angeschuldigten v. Kraszewski und Hentsch genügend verdächtig erscheinen, und zwar beide Angeschuldigte, Nachrichten betreffend den Aufmarsch resp. Eisenbahntransport der deutschen Armee nach der Westgrenze und betreffend die Dienstinstruktion für die Feldtelegraphie, von welchen sie wußten, daß ihre Geheimhaltung anderen Regierungen gegenüber für das Wohl des Deutschen Reiches und der Bundesstaaten erforderlich sei, in den Jahren 1876 bis 1881 gemeinschaftlich durch zwei selbständige Handlungen der französischen Regierung in der Weise mitgeteilt zu haben, daß Hentsch den Inhalt dieser Nachrichten aus amtlichen und sekretierten Materialien entnahm, in schriftlichen Ausarbeitungen zusammengestellt, und diese Schriftstücke durch die Vermittelung des Literaten Adler dem Angeschuldigten v. Kraszewski übersendete, dieser aber sie an die bezeichnete Regierung gelangen ließ, der Angeschuldigte Hentsch allein in den Jahren 1876 bis 1883 durch mehrere selbständige Handlungen, Nachrichten über a) Komplettierung der Behörden und Truppen an Pferden, b) die Fortifikationen der Festung Metz, c) technische Bestimmungen für Fortifikations-, Artillerie- und Garnisonbauten, d) die Verwendung des Infanteriegewehrs M. 71, von welchen er wußte, daß ihre Geheimhaltung anderen Regierungen gegenüber für das Wohl des Deutschen Reiches und der Bundesstaaten erforderlich sei, diesen Regierungen in der Weise mitgeteilt zu haben, daß er den Inhalt der bezeichneten Nachrichten aus amtlichen und sekretierten Materialien entnahm, denselben in schriftlichen Ausarbeitungen und Abschriften zusammenstellte und diese Schriftstücke zu a, b, c durch die Vermittelung des Literaten Adler an den Agenten der russischen Regierung, bzw. an diese selbst, zu d aber durch die nämliche Vermittelung an die österreichische Regierung gelangen ließ; sowie ferner im Jahre 1881 sich zur Begehung des Verbrechens des § 92 Pos. 1 des Strafgesetzbuches erboten zu haben, indem er schriftlich und gegen eine Belohnung in Geld, Nachrichten über das Sturmgerät, von welchem er wußte, daß ihre Geheimhaltung anderen Regierungen gegenüber für das Wohl des Deutschen Reiches und der Bundesstaaten erforderlich sei, solchen Regierungen mitzuteilen in Aussicht stellte; in Erwägung, daß auf diese strafbaren Handlungen die §§ 92, Pos. 1, 74, 47, 49, Pos. 4 des Strafgesetzbuches und sonach bezüglich der Aburteilung derselben die §§ 136 und 138 des Gerichtsverfassungsgesetzes und die §§ 2ff. und 201ff. der Strafprozeßordnung zur Anwendung zu bringen sind, beschlossen: daß gegen die Angeschuldigten v. Kraszewski und Hentsch das Hauptverfahren vor dem vereinigten zweiten und dritten Strafsenat des Reichsgerichts wegen der vorbezeichneten strafbaren Handlungen zu eröffnen und die Untersuchungshaft des Angeschuldigten Hentsch beizubehalten, die von dem Oberreichsanwalt beantragte Untersuchungshaft des Angeschuldigten v. Kraszewski aber, in Anbetracht des bezüglich dessen Gesundheitszustandes erstatteten ärztlichen Gutachtens nicht zu verhängen, dagegen nach § 93 des Strafgesetzbuches, §§ 480, 333 bis 335 der Strafprozeßordnung das Vermögen dieses Angeschuldigten bis zur rechtskräftigen Beendigung der Untersuchung mit Beschlag zu belegen sei. – Im weiteren besagte der Eröffnungsbeschluß, daß der gegen Hentsch erhobenen Anklage wegen Versuch des Landesverratsverbrechens wegen mangelnder Beweise keine Folge gegeben werde, und daß die Beschuldigten v. Konopacki und v. Bodanowicz, in Ermangelung genügender Beweise für eine strafbare Tat, außer Verfolgung zu setzen seien.

Dr. v. Kraszewski war ein kleiner, schon etwas gebückt gehender Herr von sehr vornehmem Äußeren. Hentsch war ein mittelgroßer, hübscher, sehr vornehm aussehender Mann mit dunkelblondem, kurz geschnittenem Vollbart.

Die Verhandlung gestaltete sich etwa folgendermaßen: Vors.: Herr Hauptmann Hentsch, bekennen Sie sich schuldig? – Hentsch: Ich bin unschuldig. – Vors.: Erzählen Sie einmal, wodurch Sie zu der ganzen Angelegenheit gekommen sind? – Hentsch: Im Jahre 1855 trat ich in das 57. Luxemburgische Infanterieregiment ein. Im Februar 1859 wurde ich nach Trier, im Dezember 1859 nach Gnesen, 1860 nach Inowrazlaw versetzt. Nach der Mobilmachung anno 1860 wurde ich nach Bromberg und von dort sehr bald an die Schießschule zu Spandau versetzt. Ich fungierte dort als Lehrer und machte 1866 den Feldzug mit. Ich wurde alsdann vielfach auf Kommando geschickt. Infolge aufreibenden Dienstes wurde ich brustkrank. Ich mußte auf ärztliches Anraten das Bad Reichenhall aufsuchen. Ganz besonders infolge meiner Krankheit geriet ich in Schulden, in welcher Folge ich im Frühjahre 1870 meinen Abschied nahm. Ich wurde als Hauptmann mit Pension und mit der Berechtigung, die Hauptmanns-Landwehr-Uniform zu tragen, entlassen. Ich war nun bemüht, mir eine Zivilanstellung zu verschaffen. Inzwischen brach der Krieg gegen Frankreich aus. Obwohl ich nun infolge der vielen Einziehungen mit Leichtigkeit eine Zivilanstellung hätte bekommen können, so hielt ich es doch für meine Pflicht, nunmehr meine Dienste dem Vaterlande zur Verfügung zu stellen. Ich trat in das 24. Landwehrregiment ein, machte den Feldzug gegen Frankreich vollständig mit, obwohl die Ärzte meines Regiments meinen Gesundheitszustand für sehr bedenklich hielten. Nach Beendigung des Krieges nahm ich wiederum meinen Abschied und fand sehr bald eine Anstellung bei der kaiserlichen Reichstelegraphie. In demselben Jahre (1871) heiratete ich. Meine Frau war auch mittellos. Nun passierte mir noch das Unglück, daß meine Frau auch kränklich wurde. Ich wurde von meiner Behörde vielfach auf Dienstreisen geschickt. Dadurch wurde mein Gesundheitszustand immer schlimmer. Ich geriet immer mehr in Schulden und war genötigt, mir durch Korrespondenzen für politische und militärische Zeitschriften einen Nebenerwerb zu verschaffen. Im Jahre 1875 starb der damalige Generaltelegraphendirektor, Oberst v. Meydam. Die Telegraphie wurde alsdann mit dem Postwesen verbunden und ich vermochte nunmehr bei der Telegraphie nur dann eine feste Anstellung zu erhalten, wenn ich das Examen als Telegraphensekretär machte. Mein Gehalt betrug damals 1200 Mark pro anno. Ich war genötigt, trotz angestrengten Dienstes, mich an den Abenden für das Examen vorzubereiten und noch Zeitungskorrespondenzen zu machen. Im Jahre 1876 machte ich das Examen als Telegraphensekretär. Sehr bald darauf lernte ich den Literaten Adler in Berlin kennen. Dieser ersuchte mich, ihm Korrespondenzen, möglichst militärischen Inhalts, zu liefern. Außerdem beauftragte er mich mit Extraarbeiten und sagte mir: er brauche die Arbeiten für einen alten, sehr reichen, in Dresden wohnenden Herrn. Ich bekam von Adler ein festes Honorar von monatlich 30 Mark; für militärische Aufsätze erhielt ich extra bezahlt. Die erste Arbeit, die ich an Adler lieferte, war der Aufmarsch resp. Eisenbahntransport der deutschen Truppen nach der Westgrenze. Für diese versprach er mir 1000 Mark. Ich habe viele Wochen an diesem Werke gearbeitet. Einige Zeit nach der Ablieferung erhielt ich die Arbeit von Adler mit dem Bemerken zurück: sie sei unbrauchbar, da sie mangelhaft und teilweise falsch sei. Ich lieferte außerdem noch verschiedene andere Arbeiten an Adler, für die ich Bezahlung erhielt. Im Jahre 1879 verfeindete sich Adler mit dem mir inzwischen bekannt gewordenen Dr. v. Kraszewski. Ich trat daher mit letzterem direkt in Verbindung und nun drohte Adler sowohl dem Dr. v. Kraszewski als auch mir, uns wegen Landesverrats zu denunzieren, mit dem Bemerken, daß v. Kraszewski ein Agent der französischen Regierung sei und alle Arbeiten an die französische Regierung verkaufe. v. Kraszewski beteuerte mir, daß das vollständig unwahr sei; Adler behaupte das nur, um Geld zu erpressen. Ich schrieb dem Adler: Mir ist nicht bekannt, etwas Strafbares begangen zu haben. Ende 1881 schrieb Adler wieder an mich, ob ich wiederum Korrespondenzen und Arbeiten für ihn schreiben wolle. Ich antwortete ihm zustimmend und trat wiederum in Verbindung mit ihm. Ich nahm jedoch nach einiger Zeit kein Honorar mehr von Adler, sondern tat alles Mögliche, um die Verbindung wieder mit ihm abzubrechen. Plötzlich wollte ich das nicht tun, da ich die Denunziation Adlers fürchtete. Ich drang in Adler, mir zu sagen, für wen er die Arbeiten verwende. Nach längerem Drängen gestand mir Adler, daß die Arbeiten für die russische Regierung bestimmt gewesen seien. Ich brach infolge dieser Mitteilung die Verbindung sofort mit Adler ab. Anfangs 1880 schrieb Adler Drohbriefe an mich, in welchen er Geld und Korrespondenzen von mir verlangte. Auch bot mir Adler einige meiner Briefe zum Kauf an. Ich schrieb dem Adler: Ich habe kein Geld und habe auch meines Wissens nichts Strafbares begangen. Ich bemerke, daß ich mit Adler und auch mit Kraszewski ganz offen verkehrt habe. Ich habe meine Korrespondenzen vollständig offen geführt und nur das Material an Adler geliefert, das ich in militärischen Werken fand und jedermann zugänglich war. – Vors.: Wodurch lernten Sie Adler kennen? Hentsch: Adler erfuhr meinen Namen durch meine Korrespondenzen und suchte mich auf. – Vors.: Was war Adler für ein Mensch? – Hentsch: Adler war Korrespondent für mehrere politische Zeitungen; er sagte mir, daß er u. a. für die Kreuzzeitung und Norddeutsche Allgemeine Zeitung schreibe. – Vors.: War Adler zum Zeitungskorrespondenten denn befähigt? – Hentsch: Ich kann das nicht genau beurteilen, ich glaube es aber. – Vors.: Angeklagter, Sie waren preußischer Offizier; wußten Sie nicht, daß eine Arbeit über den Aufmarsch der deutschen Truppen nach der Westgrenze dem Deutschen Reiche schaden könnte? – Hentsch: Daran dachte ich nicht, zumal die Werke, nach denen ich arbeitete, im Buchhandel zu haben waren. – Vors.: Sie mußten sich doch die Frage vorlegen, wozu will Adler diese Arbeit? – Hentsch: Ich glaubte, er wolle sie für militärische Zeitschriften verwenden. – Vors.: Dachten Sie nicht daran, daß eine solche Arbeit für die französische Regierung sehr wertvoll sein könnte? – Hentsch: Nein, denn ich arbeitete nicht nach amtlichen Quellen. – Vors.: Sie mußten sich doch aber sagen, daß solche Arbeiten nur einer fremden Regierung und im vorliegenden Falle Frankreich nützen können? – Hentsch: Ich hielt die Veröffentlichung dieser Arbeiten nicht für bedenklich. – Vors.: Die Arbeit betreffs des Truppenaufmarsches erhielten Sie nun von Adler nach einigen Wochen zurück, da die Aufstellung angeblich falsch und mangelhaft war. Haben Sie absichtlich falsche Angaben gemacht? – Hentsch: Das nicht, ich bemühte mich, richtige Angaben zu machen. – Vors.: Wenn Sie glaubten, nichts Strafbares zu begehen, weshalb fürchteten Sie die Denunziation des Adler? – Hentsch: Ich konnte mich doch nicht weiter als heute exkulpieren und befürchtete eine Anklage und meine Entlassung aus meinem Amte. – Vors.: Nun, nachdem Adler Ihnen gedroht, traten Sie wiederum mit ihm in Verbindung, lieferten ihm wiederum Arbeiten und freuten sich sogar, daß die Verbindung wieder hergestellt war; das ist doch sehr eigentümlich. – Hentsch: Ich glaubte durchaus nicht, irgendwelche Geheimnisse mitzuteilen, die fremden Regierungen nützen könnten. Außerdem fürchtete ich, wenn ich die Verbindung mit Adler nicht wieder aufnähme, von diesem denunziert zu werden. – Es wurden hierauf einige Briefe verlesen, die Adler an Hentsch geschrieben hatte. In einem dieser Briefe, in dem Adler den Hentsch wiederum zur Vermittelung von Korrespondenzen aufforderte, schrieb er: „Ich habe Sie nur schrecken wollen; im Ernst dachte ich nicht daran, Sie zu denunzieren.“ – Auf Veranlassung des Vert. R.-A. Dr. Samter bemerkte Hentsch: Er habe für viele militärische Zeitschriften technische Aufsätze geschrieben, so u. a. für die Deutsche Heereszeitung, die Militärischen Blätter, die Zeitung für Landwehroffiziere, die Unteroffizierzeitung usw. Ferner habe er für die Rhein- und Ruhrzeitung, die Danziger Zeitung und die Hallesche Zeitung geschrieben. Außerdem habe er mehrere militärische Werke geschrieben. Adler habe in Berlin u. a. mit Professor Dr. Paulus Cassel verkehrt. – Vors.: Welches Material benützten Sie bei der Bearbeitung des Truppenaufmarsches? – Hentsch: Ich benutzte das amtliche Postkursbuch, die Fahrpläne von 1876 und die Werke von Eberstein und Fröhlich. – Vors.: Angeklagter Dr. v. Kraszewski, Sie redigierten in Warschau längere Zeit die „Gazetta polska“; was war das für eine Zeitung? – K.: Es war das mehr eine literarische als eine politische Zeitung. – Vors.: Im Jahre 1863 siedelten Sie nach Dresden über, da Sie befürchteten, wegen Teilnahme am polnischen Aufstande verhaftet zu werden? – K.: Ich hatte mich an dem Aufstande nicht im mindesten beteiligt. – Vors.: Sie standen aber im Verdacht, das getan zu haben? – Angekl.: Jawohl. – Vors.: Sie gehören der polnischen Nationalpartei an, die die Wiederherstellung Polens in den Grenzen von 1772 erstrebt? – K.: Ich gehöre gar keiner Partei an; von einer Wiederherstellung Polens kann unter den gegenwärtigen Verhältnissen keine Rede sein; es handelt sich aber darum, daß wir unsere Nationalität aufrechterhalten. – Vors.: Mit was beschäftigten Sie sich in Dresden? – K.: Ich schrieb Romane und Novellen. – Vors.: Sie sollen in allen Ihren Werken die Wiederherstellung Polens mit großer Begeisterung befürwortet haben? – K.: Das habe ich allerdings getan, ich wiederhole jedoch, daß an eine Wiederherstellung Polens unter den gegenwärtigen Umständen nicht zu denken ist. – Vors.: Im Jahre 1867 sind Sie einmal durch Posen durchgekommen. Es wurde dort Ihnen zu Ehren von den dort lebenden Polen im Hotel Bazar ein Diner veranstaltet. – K.: Das ist wahr. – Vors.: Im Jahre 1879 wurde in Krakau Ihr 50jähriges Dichterjubiläum gefeiert? – K.: Jawohl. – Vors.: Sie beschäftigten auch verschiedene Korrespondenten? – K.: Ich hatte in Paris einen Freund, namens Zaleski, den ich unterstützen wollte. Dieser war Zeitungskorrespondent und deshalb suchte ich ihm interessante Mitteilungen zu verschaffen. Ich lernte im Jahre 1871 einen Schriftsteller namens Ruppert Mahortschitsch in Berlin kennen, der mir Adler empfahl. Adler lieferte mir nun eine Anzahl auch militärischer Arbeiten. Ich verstand und verstehe von militärischen Dingen gar nichts. – Vors.: Sie haben von Adler die Arbeit betreffend den Aufmarsch der deutschen Truppen nach der Westgrenze erhalten und an Zaleski gesandt? – K.: Das ist möglich, aber ich habe die Arbeiten gar nicht durchgelesen. – Vors.: Sie sahen doch den Titel der Arbeit, Sie mußten mithin doch wissen, was die Arbeit ungefähr enthalten kann? – K.: Ich habe mir auch den Titel der Arbeit nicht angesehen. – Vors.: Das ist doch ganz eigentümlich; Sie sollen sich also nicht einmal den Titel einer Arbeit angesehen haben, für die dem Hentsch 1000 Mark versprochen waren? Es ist doch wirklich kaum anzunehmen, daß Sie das alles ganz blindlings taten. – K.: Ich verstand von solchen Dingen nichts und überließ die Beurteilung lediglich dem Zaleski. – Vors.: War Ihnen bekannt, was Zaleski mit diesen Arbeiten machte? – K.: Dieser übergab sie einer Zeitung zum Abdruck. – Vors.: Es ist festgestellt, daß die Arbeit in irgendeinem Journal nicht abgedruckt war, die deutsche Botschaft in Paris hätte sonst sofort Nachforschungen angestellt. Außerdem war der Artikel zur Aufnahme in eine Zeitung gar nicht geeignet. Sie mußten sich doch auch sagen, daß eine Arbeit zum Abdruck für eine Zeitung nicht den Wert von 1000 Mark hat. Der Inhalt des Aufsatzes hätte Sie zu der Überzeugung bringen müssen, daß er nicht zur Veröffentlichung geeignet war. Der Aufsatz interessierte selbst nicht einmal das militärische Publikum, war jedoch für eine fremde Regierung, ganz besonders für die französische Regierung von sehr großem Werte. Wußten Sie denn, für welche Zeitung Zaleski schrieb? – K.: Nein. – Es wurden hierauf eine Anzahl Briefe verlesen, die K. im Sommer 1879 von Florenz aus an Adler geschrieben. In diesen hieß es u. a.: „Die Arbeiten, die erhalten, sind sehr mangelhaft und zum Teil falsch; es ist auf alle Korrespondenten kein Verlaß. Die Arbeiten sind keineswegs das viele Geld wert. Man möchte gern erfahren, wie das neue in Spandau gearbeitete Repetiergewehr gearbeitet ist und wie die mit dem Gewehr angestellten Proben ausgefallen sind. Ferner ist es nötig zu erfahren, in welcher Weise der Lebensmitteltransport im Kriege erfolgt, wie die Patronensalven konstruiert sind, wie sie sich bewähren und wieviel Patronen jeder Soldat im Kriege erhält. Des weiteren möchte ich sehr bald etwas über Brückenkonstruktionen erfahren und auch darüber, wie diese am besten zerstörbar sind usw. – Vors.: Was sagen Sie zu diesen Briefen, Herr Dr. v. Kraszewski? – K.: Es waren dies Briefe der Redaktion, die Zaleski an mich sandte und die ich lediglich übersetzte. Die Übersetzung ist vielleicht nicht ganz genau. – Vors.: Sie schreiben in einem dieser Briefe: „Wir können nur ganz Zuverlässiges gebrauchen, wir sind keine Laien.“ – K.: Ich selbst verstehe gar nichts von militärischen Dingen, ich wiederhole, ich habe lediglich den mir zugegangenen Brief übersetzt. – Vors.: Mußten Sie sich denn nicht sagen, daß das, was der Briefschreiber zu wissen verlangte, eine Zeitung durchaus nicht interessieren kann, sondern daß das lediglich für eine fremde Regierung ein Interesse haben kann? — K.: Ich habe der Sache durchaus nicht solche Wichtigkeit beigelegt und war der Überzeugung, daß Zaleski all diese Sachen für Journale verwende. – Vors.: Weshalb haben Sie diese Briefe an Adler ohne Namensunterschrift gesandt? – K.: Ich hielt die Unterschrift nicht für erforderlich, da Adler meine Handschrift kannte. – Vors.: Konnten Sie aus den Ihnen übersandten Briefen den Namen der Zeitung nicht ersehen, für die Zaleski all die Arbeiten verwendete? – K.: Nein. – Vors.: Nun, endlich entzweiten Sie sich mit Adler und dieser überhäufte Sie mit Drohbriefen? – K.: Ja. – Vors.: Sie haben schließlich dem Adler mehrere tausend, im ganzen sollen es etwa 7000 M. gewesen sein, gegeben? – K.: Ja. – Vors.: Wenn Sie der Meinung waren, daß Sie nichts Strafbares getan haben, dann hatten Sie doch keine Veranlassung, dem Adler solche Summen zu zahlen? – K.: Ich wollte nicht, daß ich, wenn auch unschuldig, in eine Untersuchung verwickelt würde. – Vors.: Sie haben für das Geld von Adler die Herausgabe einer Anzahl Briefe verlangt und alle diese, nachdem sie in Ihrem Besitz waren, verbrannt? – K.: Jawohl, ich hatte kein Interesse an diesen Briefen. – Vors.: Zaleski hat Ihnen, anläßlich der von Adler gemachten Drohungen, Geld geschickt, um Adler zu befriedigen? – K.: Jawohl. – Vors.: Das ist doch aber ganz eigentümlich. Die Redaktion einer Zeitung gibt doch für solche Fälle kein Geld? Kraszewski schwieg. – Erster Staatsanwalt Treplin: Der eine von Kraszewski an Adler gerichtete Brief erregt den Verdacht, daß Kraszewski sich auch der Aufforderung zum Landesverrat laut § 49a des Strafgesetzbuches schuldig gemacht hat, ich beantrage daher, den Angeklagten auf diesen erweiterten Gesichtspunkt aufmerksam zu machen. – Der Vorsitzende entsprach diesem Antrage. – Es wurde alsdann mit der Zeugenvernehmung begonnen. – Kriminalkommissar Paul (Dresden) und Amtsvorsteher Feurig (Schöneberg bei Berlin), die bei den Angeklagten Haussuchung vorgenommen hatten, wußten etwas Bemerkenswertes nicht zu bekunden. – Leutnant im Eisenbahnregiment Friedrich (Berlin): Er habe mit Hentsch vielfach verkehrt und diesem mehrere Bücher aus der Bibliothek des Regiments geliehen. Seines Wissens nach haben die Bücher nichts Sekretes enthalten. – Betriebsführer des Feuerwerklaboratoriums Hartmann (Spandau): Ich habe mit Hentsch freundschaftlich verkehrt. Bücher habe ich ihm niemals geliehen. Auf sein Ersuchen schenkte ich ihm einmal einen unbrauchbaren Zünder. – Auf Befragen des Staatsanwalts Treplin äußerte noch der Zeuge: Im Februar 1883 habe er den Hentsch einmal in Spandau durch das Feuerwerklaboratorium geführt. Hentsch habe ihn bei dieser Gelegenheit nach der Zusammensetzung und Wirkung einer Anzahl Materialien gefragt. Er habe dem H. jedoch geantwortet: Das wisse er nicht, es seien das auch sekrete Dinge. – Auf Befragen des Verteidigers, Rechtsanwalts Dr. Samter bestätigte Leutnant Friedrich: Hentsch habe ihm stets, wenn er ihn um ein Buch aus der Bibliothek bat, gesagt: „Aber geben Sie mir nichts Sekretes.“ Es wurde hierauf ein Gutachten des Preußischen Kriegsministeriums verlesen. In diesem hieß es: „Die Arbeit des Hauptmanns Hentsch über Truppenaufmarsch ist keineswegs amtlichen Quellen entnommen. Die Aufstellung der Fahrpläne ist nur Phantasiegebilde. Die Kriegsstärke der Formationen kann jedoch nur amtlichen Quellen entnommen sein. Diese hat Hentsch mit minutiöser Genauigkeit gemacht. Dieses Stärkeverhältnis ist vielfach geändert und vollständig sekret behandelt worden. Das Material darüber kann nur aus amtlichen Quellen benutzt sein.“ – Ein zweites Gutachten vom Großen Generalstabe bestätigte im wesentlichen das erste. Im weiteren hieß es in diesem Gutachten: „Wenn auch die Fahrpläne unrichtig sind, so kann doch die Arbeit des Hentsch dazu beitragen, daß der Truppenaufmarsch in einem Kriegsfalle vom Feinde gestört werde.“ – Major vom Großen Generalstabe Perthes bestätigte dieses Gutachten und fügte hinzu: Die Kriegsstärke der einzelnen Truppenteile, die Zahl der Fahrzeuge usw. kann Hentsch nur durch Benutzung der Anlagen zum Mobilmachungsplan, die streng sekret behandelt werden, entnommen haben, – Vors.: Wodurch kann Hentsch das Material wohl erhalten haben? – Sachverständiger: Das kann nur durch sehr großen Vertrauensbruch geschehen sein. Im weiteren bemerkte der Sachverständige auf Befragen des Vorsitzenden: Wenn auch die Kriegsstärke nicht in allen Teilen richtig ist, so kann doch die Mitteilung des Angeklagten das Wohl des Deutschen Reichs zweifellos gefährden. In dem Buch des Majors Eberstein, nach dem Hentsch gearbeitet haben will, ist die Kriegsstärke nicht richtig angegeben und es ist infolgedessen für eine fremde Regierung von hohem Werte, die Angaben des Eberstein richtig gestellt zu sehen. Selbst wenn angenommen wird, Hentsch habe nicht nach amtlichen Quellen gearbeitet, sondern mittelst großen Scharfsinns die Angaben des Eberstein richtig gestellt, so ist diese Handlungsweise ebenfalls geeignet, das Wohl des Deutschen Reiches zu gefährden und feindlichen Regierungen Vorschub zu leisten. Ich bin jedoch der Überzeugung: dem Hentsch hat die amtliche Kriegsverpflegungstabelle vorgelegen. – Verteidiger R.-A. Dr. Samter: Der Herr Sachverständige hat mir gesagt, daß auch die Angaben des Hentsch über die Kriegsstärke des deutschen Heeres teilweise falsch sind. Ich ersuche deshalb den Herrn Sachverständigen, zu sagen, was im Eberstein und was in den Arbeiten von Hentsch falsch ist. Falsche Angaben können doch einer fremden Regierung nichts nützen? – Sachverständiger: Die vom Herrn Verteidiger gestellte Frage kann ich in öffentlicher Gerichtssitzung nicht beantworten. – Auf Antrag des Oberreichsanwalts, Dr. Frhrn. v. Seckendorff beschloß der Gerichtshof, für diesen Teil der Verhandlung den Ausschluß der Öffentlichkeit. – Die nichtöffentliche Verhandlung dauerte etwa 1½ Stunden. Auch am folgenden Tage wurde zunächst unter Ausschluß der Öffentlichkeit verhandelt. – Nachdem die Öffentlichkeit wiederhergestellt war, verlas der Vorsitzende ein Gutachten des Kriegsministeriums über die gestern erwähnten Briefe, die Kraszewski im Sommer 1879 von Florenz an Adler geschrieben, in denen er bekanntlich alle Einzelheiten über den Truppenaufmarsch nach der Westgrenze verlangte. Das Gutachten ging dahin, daß alles das, was K. von Adler zu wissen verlangte, ganz besonders über die Konstruktion und Versuche des Repetiergewehres, über die Brauchbarkeit der in Deutschland erfundenen Eisenbahnbrücke in Kriegsfällen, Mitteilungen über die Leistungsfähigkeit der Patronen u. dgl. m. nur durch groben Vertrauensbruch in die Öffentlichkeit gelangen konnte, „denn all diese Sachen werden streng sekret behandelt; ihre Veröffentlichung ist geeignet, das Wohl des Deutschen Reiches zu gefährden, und könnten einer fremden Regierung bei Ausbruch des Krieges von großem Vorteil sein. – Die Sachverständigen Major Perthes, Major v. Goßler und Major Erffling bestätigten das Gutachten und bemerkten auf Befragen des Vorsitzenden, daß derartige Einzelheiten über die Organisation des deutschen Heeres im allgemeinen und über den Aufmarsch der deutschen Truppen nach der Westgrenze sich nicht zur Veröffentlichung in einem militär-fachwissenschaftlichen Journal eignen. Die Einzelheiten, die in der betreffenden Arbeit des Hentsch enthalten seien und im besonderen diejenigen, die Kraszewski von Adler gefordert hatte, interessieren das militärische Publikum durchaus nicht; sie haben jedoch für eine fremde feindliche Regierung ein hohes Interesse. – Der Vorsitzende verlas weiter ein Schreiben des Auswärtigen Amtes an den Reichskanzler Fürsten v. Bismarck, in dem es hieß: „Nach dem Pariser Wohnungsanzeiger von 1881 wohnte ein Graveur Zaleski in dem Hause ‚Bibliothèque polonaise‘. Es scheint, daß dieser Zaleski mit dem von Kraszewski genannten identisch ist. Die späteren Wohnungsanzeiger enthalten den Namen Zaleski nicht mehr. Was die 8 Schecks anlangt, so ist ermittelt worden, daß keine Geldsendung an Kraszewski von Zaleski gesandt worden ist; die meisten waren von einem de la Roche gesandt. Ein de la Roche ist Kabinettschef im französischen Auswärtigen Amt. Auch im französischen Kriegsministerium befindet sich ein de la Roche; es muß jedoch bemerkt werden, daß der Name de la Roche in Paris sehr häufig vorkommt.“ – Ein weiteres Schreiben des deutschen Botschafters Fürsten Hohenlohe an den Fürsten Reichskanzler bestätigte im wesentlichen den Inhalt dieses Schreibens. – Vors.: Nun, Herr v. Kraszewski, was sagen Sie zu diesen Briefen? – K.: Das ist richtig, Zaleski war zur Zeit, als die Geldsendungen an mich erfolgten, schwerkrank und mußte die Einzahlungen von anderen Personen besorgen lassen. – Auf Befragen des Vorsitzenden äußerte Major Perthes: Im Großen Generalstabe werden alle französischen militärischen Journale sehr aufmerksam gelesen. Wenn die hier in Rede stehenden Arbeiten in einem dieser Journale gestanden hätten, so hätte das dem Großen Generalstabe nicht entgehen können. – Auf Befragen des Verteidigers R.-A. Saul äußerte der Sachverständige: Ich wiederhole, daß die Details, wie sie einmal in der Arbeit über den Truppenaufmarsch enthalten sind, als auch die von Kraszewski von Adler geforderten Mitteilungen, für irgendein Preßorgan absolut nicht geeignet sind. Auch jeder Laie mußte sofort wissen, daß all die erwähnten Dinge streng sekreter Natur waren, daß ihre Geheimhaltung im Interesse des Deutschen Reiches dringend geboten schien, und daß ihre Veröffentlichung einer feindlichen Regierung von großem Vorteil sein könnte. – Es wurde alsdann ein von Hentsch an Adler unterm 3. Januar 1880 gerichteter Brief verlesen. In diesem hieß es unter anderem: „Geehrter Herr! Zunächst wünsche ich Ihnen ein glückliches Neujahr. Meinen besten Dank für die mir übersandten 100 Mark; leider waren diese nur ein Tropfen auf einen heißen Stein. Ich werde sehr bald in der Lage sein, Ihnen Mitteilungen über Einrichtungen des Ingenieurkorps, über Schießversuche gegen Hartgußpanzerungen, über eiserne Brücken, über den Verpflegungsetat der deutschen Armee im Kriege, über Instruktionen für den Generalintendanten, über die Fortifikation der Festung Metz u. dgl. mehr einzusenden. Sie sehen, ich bin nicht faul gewesen, ich karge nicht mit Vorschlägen. Ich habe jetzt eine vorzügliche Quelle entdeckt, es darf jedoch nicht wieder geknausert werden. Wir müssen den günstigen Augenblick benutzen; Knauserei kann aber den Plan sehr leicht zerstören. Ich werde Ihnen also schicken: Artilleriemagazin für 300 Mark, die Fortifikation von Metz für 600 Mark“; in dieser Weise ging die Tabelle weiter. – Der Vorsitzende verlas ferner einen Brief des früheren Militärattachés bei der Russischen Botschaft in Wien, Major v. Feldmann. In diesem verlangte letzterer von Adler Mitteilungen über Aufmärsche der deutschen Armee, Truppenkonzentrationen usw. – Hentsch: Er habe die Briefe, die Feldmann an Adler gerichtet, niemals gesehen; die von ihm dem Adler gemachten Vorschläge seien niemals zur Ausführung gelangt. – Fräulein Flora Heinitz (Dresden), Wirtschafterin des v. Kraszewski, bekundete: Sie wurde eines Tages von K. zu Adler, der sich zurzeit in Dresden aufhielt, geschickt, um diesem 1000 Mark für eine Anzahl auszuantwortender Briefe zu geben. Adler nahm die 1000 Mark, quittierte über den Empfang und gab ihr die Briefe, die, wie sie glaube, Kraszewski sofort verbrannt habe. – Russischer Major a. D. v. Bodanowicz (Dresden): Ich kenne Dr. v. Kraszewski seit 1867. Ich wurde aufgefordert, ihm Korrespondenzen, auch militärischen Inhalts, zu liefern, lehnte diesen Auftrag jedoch ab, da ich mich dazu nicht für befähigt hielt. – Vors.: Bei Ihren früheren Vernehmungen haben Sie gesagt, Sie ahnten, daß die Korrespondenzen für die französische Regierung bestimmt seien, deshalb hielten Sie es mit Ihrer Ehre nicht vereinbar, den Aufträgen zu entsprechen. – Zeuge: Das habe ich wohl nicht gesagt; diesem Protokoll muß eine irrtümliche Auffassung zugrunde liegen. – Im weiteren äußerte der Zeuge auf Befragen des Vorsitzenden: Er wurde eines Tages von Kraszewski mit einem Schreiben zu Adler nach Wien gesandt und beauftragt, diesem gegen Aushändigung einer Anzahl Briefschaften 4000 Mark zu zahlen. Kraszewski sagte ihm nicht, welchen Inhalts die Briefschaften seien. Er habe, dem Auftrage des K. entsprechend, die von Adler erhaltenen Briefe, ohne sie näher anzusehen, an Zaleski nach Paris gesandt. – Vors.: Herr Dr. v. Kraszewski, waren denn die Briefe von so großer Wichtigkeit, daß Sie 4000 Mark für sie zahlten? – K.: Ich weiß das nicht mehr; infolge der langen Zeit sind viele Einzelheiten meinem Gedächtnis entschwunden. – Vors.: Sie kauften die Briefschaften von Adler, anläßlich der von diesem gegen Sie gerichteten Drohungen. – K.: Ja. – Vors.: Dann müssen diese Briefschaften für Sie doch sehr gravierend gewesen sein? – K.: Ich weiß mich auf den Inhalt der Briefe nicht mehr zu erinnern. – Der Vorsitzende verlas darauf ein am 24. Mai 1879 von Hentsch an Adler gerichtetes Schreiben. In diesem hieß es: „Bester Herr! Ich schreibe noch heute, damit Sie noch am Sonntag Antwort erhalten. Die Mitteilungen, die Sie haben wollen, lassen sich selbstverständlich nicht so schnell beschaffen. Es ist dazu viel sekretes Material und eine Verbindung mit Straßburg und Metz erforderlich. Die Beschaffung der geforderten Mitteilungen dürfte also mindestens 2 Monate in Anspruch nehmen. Die Beschaffung erfordert aber viele Reisen, und ich erwarte daher umgehend ein größeres Honorar. Ich kann mir nicht denken, daß Ihr Auftraggeber Ihre Knauserei billigt. Wenn man solch wichtige Mitteilungen verlangt, dann muß man auch größere Opfer bringen können. Man muß den günstigen Augenblick doch stets benützen. Wenn Sie weniger engherzig wären, würden Sie viel mehr erhalten, aber die Beschaffung von Material kostet Geld. Es strömt mir augenblicklich so viel Material zu, daß ich, um damit zu räumen, gern 20 Korrespondenzen in einem Monat machen würde; die verlangten Bücher kann ich Ihnen nicht sofort verschaffen; ich würde, wenn ich dabei übereilt handle, Verdacht erregen und mich am meisten schädigen. Bekommen sollen Sie die Bücher. Daß Sie nicht mehr erhalten haben, verschuldet Ihr Auftraggeber, der sehr wankelmütig zu sein scheint. Ich habe ihm schon vor einiger Zeit Mitteilungen über Eisenbahn- und Telegraphenanlagen im Kriege und ihre Zerstörbarkeit, sowie die Einrichtung der Feldtelegraphie im besonderen usw. angeboten, er hat sie jedoch abgelehnt. Jetzt will er sie haben; so schnell lassen sie sich aber nicht wieder beschaffen. Die Felddienstorders kann ich Ihnen beschaffen, aber ich wiederhole nochmals, ohne Geld läßt sich nichts machen.“ – Hentsch: Er habe diesen Bericht im Auftrage Adlers geschrieben, um Dr. v. Kraszewski, den er damals noch nicht kannte, zu veranlassen, größere Geldsummen herzugeben. – Vors.: Sie haben aber in der Tat eine Arbeit über Feldtelegraphie gemacht; die Arbeit ist bei Ihnen gefunden worden? – Hentsch: Das ist richtig; ich habe die Arbeit jedoch lediglich für mich gefertigt, eine Abschrift habe ich an niemanden gegeben. – Vors.: Aus welchem Grunde verfaßten Sie die Arbeit? – Hentsch: Zu meiner eigenen Belehrung; ich machte die Arbeit nach einem in der Kaserne des Ingenieurkorps gehaltenen Vortrage. – Der Vorsitzende hielt Hentsch aus dem Protokoll vor, daß er sich bezüglich dieser Angelegenheit vielfach widersprochen habe. Der Vorsitzende verlas ferner einen von Hentsch an Adler im Juli 1879 gerichteten Brief. In diesem hieß es: „Ich bin in der Lage, Ihnen wichtige Mitteilungen über neue Panzergeschütze und Festungsanlagen zu machen. Ferner ist in Spandau ein Versuch mit Pyroxinraketen gemacht worden. Ich könnte Näheres genau erfahren; Sie müssen aber den Alten veranlassen, sofort Geld zu schicken, und zwar ehe es zu spät ist. Die Raketen werden nämlich schon in den nächsten Tagen von Spandau nach Berlin transportiert, alsdann dürfte es mir nicht mehr möglich sein, etwas zu erfahren. Ferner ist ein neuer Sprengstoff erfunden worden. Vielleicht gelingt es mir, auch darüber Genaues zu erfahren; die Sache ist jedoch erst im Entstehen. Auf alle Fälle, dies wiederhole ich, ist Geld erforderlich, wenn man Wichtiges erfahren will. Ich erwarte deshalb umgehend Sendung.“ – Vors.: Was sagen Sie nun dazu, Hentsch? – H.: Auch diesen Brief habe ich nur im Auftrage Adlers geschrieben, um den K. zur Geldhergabe zu veranlassen. Ich bemerke, daß die Dinge, die ich versprach, so z. B. die Versuche mit den Pyroxinraketen gar nicht stattgefunden haben. – Sachverständiger Oberstleutnant Wodke: Die Bemerkung des Hentsch ist unwahr; es haben in Spandau Versuche mit Pyroxinraketen stattgefunden. – Es wurde hierauf ein von Hentsch am 19. Juli 1880 an Adler gerichteter Brief verlesen. In diesem hieß es: „Bester Herr Adler! Ich werde Ihnen sehr bald wieder Arbeiten senden. Die verlangten Mitteilungen, Feldpostdienstordnung usw., kann ich augenblicklich nicht erlangen. Zunächst bedarf ich dazu Geld, mein Gewährsmann ist schon etwas ungeduldig; er verlangt mindestens für die Herausgabe 100 Mark. Das verlangte höhere Reglement kann ich Ihnen erst nach etwa 3 Monaten, nach Beendigung des Manövers verschaffen. Allein ich kann Ihnen eine ganz neue Instruktion über Felddiensttelegraphie schicken.“ – Ein weiterer, ebenfalls im Juli 1880 von Hentsch an Adler gerichteter Brief besagte: „Ich bin in der Lage, Ihnen zu übermitteln: Instruktion über Repetiergewehr für 150 Mark, Original eines Zünders für 350 Mark, Instruktion für Feldtelegraphie für 60 Mark, Rohr- und Kastenbrückenbauten für 100 Mark. Jedenfalls bitte ich, mich nicht in Verlegenheit zu lassen und mir nicht wieder einen Wechsel zu schicken.“ – Vors.: Nun, Hentsch, was sagen Sie dazu? – Hentsch: Das ist richtig; es war das die Arbeit, die ich ein Jahr vorher für mich anfertigte. – Leutnant Rüppel (Stettin): Ich stand zurzeit in Kolberg in Garnison und lernte dort Hentsch kennen. Dieser verkehrte viel mit Offizieren. Auf Ersuchen des Hentsch übergab ich ihm verschiedene Vorträge über Festungskriege, die ich als Hörer in der Ingenieurschule erhalten hatte. Ich ahnte nicht, daß sie zur Übermittelung an eine feindliche Macht dienen sollten. – Auf Befragen des Vert. R.-A. Saul sagte der Zeuge: Es machte auf mich nicht den Eindruck, als verlange Hentsch etwas Sekretes. – Alsdann wurde folgendes, vom Fürsten Bismarck an den Kriegsminister Bronsart v. Schellendorf gerichtetes Schreiben verlesen: „Ew. Exzellenz. In bezug auf den Fall Kraszewski beehre ich mich, Ew. Exzellenz folgende Mitteilung zu machen. In Paris besteht seit dem Jahre 1864 eine Gesellschaft unter dem Namen ‚Towarzystow Zolnierzy-polski‘ (‚Polnisch-Militärische Gesellschaft‘). Diese zählt 30 Mitglieder und hat sich, um für die Wiederherstellung Polens zu wirken, zur Aufgabe gemacht: 1. eine Statistik über die Stärke der europäischen Armeen herzustellen, 2. eine Verbindung zwischen Offizieren polnischer Nationalität anzubahnen, welche sich in deutschen, russischen und österreichischen Diensten befinden und 3. bei allen wichtigen europäischen Ereignissen werktätig einzugreifen. Die Gesellschaft hat bereits mehrfach ihre Tätigkeit entfaltet, so im Jahre 1866 bei dem Garibaldischen Freikorps, 1870/71 unter Wolowski in Frankreich, 1877/78 in türkischen Diensten. Im Jahre 1873 wurden sämtliche Mitglieder von dem Chef des Statistischen Bureaus des französischen Kriegsministeriums, Oberst Samuel, zu Spionendiensten benützt. Im Jahre 1877 wurde das Bureau aufgelöst und Gambetta beauftragte den Wolowski, ein Nachrichtenbureau zu konstituieren, um Mitteilungen über die deutsche, österreichische, russische und italienische Armee zu erhalten. Der Mittelpunkt dieses Bureaus war in Dresden. Kraszewski hatte es übernommen, Nachrichten entgegen zu nehmen und sie zu honorieren. Bei Anwesenheit des Kraszewski in Pau und Tarmer verkehrte er mit Samuel und wurde von diesem Herrn dem Minister Ferry vorgestellt, der ihm eine Dekoration versprach. Als die Verhaftung Kraszewskis in Paris bekannt wurde, ließ General Thibaudin bei dem Baron v. Erlanger Haussuchung halten, da letzterer im Verdachte steht, deutscher Agent zu sein. Um jedoch dieses Motiv zu verdecken, gab man an, es handle sich um die Untersuchungsangelegenheit der „Union générale“. Gambetta hatte außerdem in Wien einen Agenten, Namens Wolowski, der seinem in Paris lebenden Bruder die für die französische Regierung bestimmten Nachrichten übersandte. Ergebenst: „Bismarck.“ (Große anhaltende Bewegung.) – Angekl. Dr. v. Kraszewski, der bis dahin ziemlich teilnahmslos dasaß, erhob sich anscheinend in voller Entrüstung und rief wiederholt in sehr gereiztem Tone: Kein Wort ist davon wahr, was in diesem Briefe behauptet wird. Ich kann schwören, daß absolut nichts wahr davon ist; ich kenne niemanden von den in dem Schreiben genannten Franzosen. – Am dritten Verhandlungstage nahm das Wort Verteidiger, Rechtsanwalt Saul: Ich habe nicht Veranlassung genommen, den Kriminalkommissar Paul über die Tätigkeit meines Klienten, Dr. v. Kraszewski in Dresden zu fragen, da bisher in dieser Beziehung absolut nichts Gravierendes zutage getreten ist. Allein der gestern verlesene Brief des Fürsten Bismarck an den Kriegsminister veranlaßt mich, den Antrag zu stellen: den Kriminalkommissar Paul noch einmal über die Tätigkeit Kraszewskis in Dresden zu vernehmen. Die Tätigkeit des Dr. v. Kraszewski in Dresden ist bereits Gegenstand der Untersuchung gewesen. – Oberreichsanwalt Dr. Frhr. v. Seckendorff: Ich habe gegen diesen Antrag nichts zu erinnern. – Der Gerichtshof beschloß, den Kriminalkommissar Paul noch einmal vorzuladen. – Vors.: Wir kommen nun zu den Mitteilungen, die vom Angeklagten Hentsch der russischen Regierung gemacht worden sind. Angeklagter Hentsch, diese Ihre Tätigkeit begann im Januar 1880, zu welcher Zeit Sie mit Adler von neuem in Verbindung traten. Erzählen Sie einmal, in welcher Weise diese neue Verbindung angebahnt worden ist? – Hentsch: Ich habe bereits gesagt, daß, als Ende 1879 Adler sich mit Kraszewski verfeindete und ich nun mit K. direkt in Verbindung trat, er uns beiden mit Denunziation drohte, mit dem Bemerken: Kraszewski habe alle Arbeiten an die französische Regierung verkauft. K. schwor mir, daß er mit keiner Regierung in Verbindung stehe, sondern die Arbeiten lediglich für Journale liefere. Adler setzte jedoch seine Drohungen fort und schrieb mir: er werde von einer Denunziation Abstand nehmen, wenn ich wieder mit ihm in Verbindung träte. Anläßlich dessen ließ ich mich dazu herbei, nachdem mir auf mein Befragen Adler wiederholt die Versicherung gab, daß die zu liefernden Arbeiten ausschließlich an Journale gegeben werden. Im Dezember 1880 sagte mir Adler: ich solle die Korrespondenz ihm stets in zwei Exemplaren liefern und die eine mit R. und die andere mit O. bezeichnen. – Vors.: Sie erhielten nun für die R.-Korrespondenz höhere Bezahlung als für die O.-Korrespondenz? – Hentsch: Ja. Adler sagte mir, der R.-Korrespondent sei bedeutend reicher als der O.-Korrespondent. – Vors.: Wußten Sie, wer die Herren sind und was sie mit den Arbeiten machten? – Hentsch: Adler sagte mir, es seien dies Zeitungskorrespondenten, die die Arbeiten für Journale benützen. Anfang des Jahres 1881, etwa zu der Zeit, als das Attentat auf den Kaiser von Rußland gemacht wurde, kam Adler nach Berlin und gestand mir: er benütze meine Arbeiten für die russische Regierung. Von diesem Augenblicke brach ich jede Verbindung mit Adler ab. – Vors.: Vorher wußten Sie es nicht, daß Adler ein Agent der russischen Regierung ist? – Hentsch: Nein, das glaubte ich absolut nicht; die Preise, die für die Arbeiten gezahlt wurden, waren auch durchaus nicht solche, wie sie wohl eine Regierung bezahlen dürfte. – Vors.: Haben Sie dieses, hier vorliegende, bei Ihnen vorgefundene Konzept in derselben Weise an Adler geschickt? – Hentsch: Das weiß ich nicht genau; ich glaube jedoch, das, was ich einsandte, war eine wirkliche Abschrift des vorliegenden Konzeptes. – Vors.: Dieses Schriftstück enthält einen Mobilmachungsplan des dritten Armeekorps, die Pferdeaushebung betreffend? – Hentsch: Jawohl; ich habe nur das Aushebungsreglement, das für jedermann zu kaufen ist, geliefert. – Vors.: Sie haben in dieser Beziehung die verschiedensten Angaben gemacht. Sie haben bereits in der Voruntersuchung gesagt: Sie haben das geheime Instruktionsreglement dem Ihnen zurzeit befreundeten Stallmeister Sr. Königl. Hoheit des Prinzen Wilhelm von Preußen, Plinzner, genommen und es dem Adler eingesandt. Im übrigen haben Sie auch dem Adler diese Ihre Akquisition mitgeteilt? – Hentsch: Ich habe das Instruktionsregelement geliehen erhalten; genommen habe ich es mir nicht. Daß das von Plinzner gegebene Instruktionsreglement geheim gewesen, wußte ich nicht. – Vors.: Daß Sie das geheime Instruktionsreglement des dritten Armeekorps mitgeteilt, geht aus diesem Schriftstück hervor. Sie haben in dieser Beziehung Ihre Angaben in der Voruntersuchung ebenso vielfach geändert, wie Ihre Aussagen bezüglich des Adler. – Hentsch: Das weiß ich nicht. – Der Vorsitzende verlas die vom Amtsgerichtsrat Pniower zu Protokoll gegebene Aussage des Hentsch; danach hat dieser gesagt: „Ich wußte, daß Adler ein Agent der russischen und österreichischen Regierung ist und habe ihm trotzdem, teils um Geld zu verdienen, teils um einer Denunziation auszuweichen, Arbeiten geliefert.“ Sie haben allerdings diese Ihre Aussage sehr bald widerrufen. Fest steht aber, daß Sie sich bereits schuldig bekannt haben. – Hentsch: Es ist möglich, daß ich eine solche Aussage gemacht habe; ich war an diesem Tage in einem Zustande, daß ich selbst nicht wußte, was ich sprach. – Stallmeister Plinzner (Potsdam): Ich bin Stallmeister Sr. Königl. Hoheit des Prinzen Wilhelm von Preußen. Ich war für den Fall einer Mobilmachung zurzeit als Kommissär für die Pferdeaushebung in Frankfurt a. M. bestimmt. Ich lernte den Hauptmann a. D. Hentsch Anfang 1880 in Berlin in einem geselligen Verein kennen. Hentsch verkehrte in Berlin in den höchsten Kreisen, hauptsächlich in höheren Offizierskreisen. Im Sommer 1880 besuchte mich Hentsch in Kolberger-Münde, woselbst ich mich zur Kur aufhielt. Eines Tages bat mich Hentsch, ihm das in meinem Besitze befindliche Dienst-Instruktionsreglement für Pferdeaushebung zu leihen. Ich entsprach diesem seinem Wunsche, ich glaubte nicht, daß das Reglement sekreten Charakters sei. – Magistratssekretär Gaede (Berlin): Ich kenne Hentsch schon seit vielen Jahren; er verkehrte in Berlin in den feinsten Kreisen. Im Sommer 1880 traf ich mit Hentsch in Kolberg zusammen. Er bat mich, sobald ich wieder nach Berlin zurückkomme, ihm bei Mittler & Sohn ein Reglement für Pferdeaushebung zu kaufen und es ihm einzusenden. Das tat ich auch. – Amtsgerichtsrat Pniower (Berlin): Eines Tages machte ich dem Hentsch die Eröffnung, daß nun ein anderer Richter die Untersuchung gegen ihn führen werde. Hentsch war infolgedessen ungemein zerknirscht; er sagte mir: Ich will ein offenes Geständnis ablegen. Das ist schön, sagte ich; dann ist es aber auch erforderlich, daß Sie sich überlegen, was Sie sagen; ich werde Ihre nunmehrige Aussage wörtlich protokollieren lassen. Darauf äußerte Hentsch genau wie im Protokoll steht: „Ich habe gewußt, daß Adler ein Agent der russischen und österreichischen Regierung ist, und habe ihm, von seinen Drohungen eingeschüchtert, trotzdem nach wie vor sekrete Dinge mitgeteilt.“ Es ist allerdings richtig, Hentsch war bisweilen etwas verwirrt, er zeigte sich überhaupt von Anfang an sichtbar zerknirscht und reumütig. Ganz besonders, als ich ihm sein großes Verbrechen in eindringlicher Weise vorhielt, beklagte er sein Schicksal mit dem Bemerken: er sei infolge des ersten Fehltritts in der Hand Adlers gewesen und konnte, auf dieser einmal betretenen Bahn angelangt, nicht mehr zurück. Das Geständnis hat Hentsch zweifellos mit voller Überlegung getan. Ich glaube, es haben ihn dazu auch die vorhandenen Briefe des Adler, sowie der Umstand veranlaßt, daß ich ihm sagte: er solle bedenken, daß das Gesetz bei dem Verbrechen des Landesverrats auch mildernde Umstände zuläßt. Unmittelbar nach seinem Geständnis hat er es widerrufen. – Landgerichtsrat Brausewetter (Berlin): Hentsch hat mir unumwunden zugestanden, daß er das geheime Instruktionsreglement für Pferdeaushebung sich von Plinzner geliehen, ohne dessen Wissen abgeschrieben und an Adler gesandt habe. Während er in anderen Dingen leugnete, machte er in dieser Beziehung ein volles unumwundenes Geständnis. Er drückte sein Bedauern aus, daß er dies getan, indem er bemerkte: Zehn Jahre meines Lebens würde ich darum geben, wenn ich das nicht getan hätte. – Es wurde alsdann ein Gutachten des Chefs des dritten Armeekorps, Freiherrn v. Falkenstein, verlesen. Dieses besagte: Die von Hentsch an Adler gelieferte Arbeit über das Pferdeaushebungsreglement des dritten Armeekorps im Falle einer Mobilmachung war streng sekreten Charakters. Die Geheimhaltung war für das Wohl des Deutschen Reiches dringend geboten. – Dasselbe besagte auch ein weiteres Gutachten des Kriegsministeriums; es bestätigte das erstere mit dem Bemerken, daß das Instruktionsreglement das in den Buchhandlungen käuflich zu habende Reglement richtig stelle. – Major v. Goßler: Es existiert ein von Sr. Majestät dem Kaiser erlassener Mobilmachungsplan. Zu diesem allgemeinen Mobilmachungsplan werden von den Generalkommandos Ergänzungen, betreffend die Verpflegung der Truppen usw., gemacht. Ferner geben die Generalkommandos Mobilmachungs-Spezialinstruktionen an die in der Mobilmachungskommission beschäftigten Offiziere. Eine solche Mobilmachungsinstruktion war die dem Hentsch von Plinzner übergebene. Diese Instruktionen werden den Offizieren in Friedenszeiten gegeben, um bei einer plötzlichen Mobilmachung vollständig orientiert zu sein. Daß die Instruktion sekreten Charakters war, mußte dem Hentsch, wenn er sie sich aufmerksam durchlas, vollständig klar sein. In dieser Instruktion ist die ganze Organisation der Pferdeaushebung bei einer Mobilmachung in allen Einzelheiten enthalten. Die Mitteilung dieser Instruktion an eine fremde Regierung kann zweifellos das Wohl des Deutschen Reiches aufs höchste gefährden. – Darauf wurde zu den von Hentsch an Adler gelieferten Arbeiten über die Fortifikation von Metz übergegangen. Der Vorsitzende verlas zunächst einen Brief, den der Militärbevollmächtigte bei der russischen Botschaft in Wien, Major v. Feldmann an Adler geschrieben. Dieses Schreiben besagte: „Ich wünsche Mitteilung über die Fortifikation von Metz, über die Konstruktion der Geschützwagen (Ober- und Untergestell) und die Tragfähigkeit der Wagen, über die Konstruktion der bombensicheren Eisendecken, die Konstruktion der Küstenwerke.“ Hentsch behauptete, von diesem Briefe keine Kenntnis zu haben. Der Vorsitzende verlas hierauf einen von Hentsch an Adler gerichteten Brief, in dem es hieß: „Ich bin in der Lage Ihnen mitzuteilen, Einrichtung der offenen Küstenwerke 240 bis 400 Mark (d. h. R. 400, O. 240), Provisorischer Geschützstand 60 bis 108 Mark, Konstruktion der bombensicheren Eisendecken 40 bis 90 Mark. – Hentsch: Ich habe diese Arbeiten an Adler nicht geliefert; ich habe ihm lediglich einen Auszug aus der Fortifikation von Metz gesandt, etwas, was ich durchaus nicht für sekret hielt. Ich habe diese meine Arbeit aus dem Heft 23 der Ingenieurmitteilungen entnommen. – Vors.: Sie wußten aber damals bereits, daß Adler Agent der russischen Regierung ist? – Hentsch: Jawohl. – Vors.: Und trotzdem nahmen Sie keinen Anstand, dem Adler eine solche Arbeit zu übermitteln? – Hentsch: Herr Präsident, einmal, wollte ich den Adler los werden und andrerseits hielt ich diese Mitteillung durchaus nicht für sekret. – Vors.: Was heißt das, Sie wollten den Adler los werden; Sie hatten doch nur nötig, ihm nichts mehr zu geben, dann waren Sie ihn los. Und daß diese Ihre Mitteilungen sekreter Natur waren, mußte Ihnen klar sein? – Hentsch: Ich glaubte das nicht. – Vors.: Sie waren preußischer Infanteriehauptmann; was hätten Sie getan, wenn Sie in Metz gestanden und gesehen hätten, daß ein russischer oder französischer Offizier sich Zeichnungen über die Anlage der Festungseisenbahn, die zum Transport der Geschütze dient, und über die Geschützwagen macht? – Hentsch: Wenn ich gewußt hätte, daß die Beschreibung in den Heften des Ingenieurkomitees, die im Buchhandel zu haben sind, steht, dann hätte ich nichts dagegen einzuwenden gehabt. – Ein alsdann verlesenes Gutachten des Kriegsministeriums besagte: Der Auszug über die Fortifikation von Metz war nicht direkt sekreten Charakters, stand jedoch unter dem Schutz des Dienstgeheimnisses. – Major Erffling: Die Lage der Festung Metz ist eine solche, daß, wenn dem Feinde die Kommunikationsverhältnisse der Geschütze genau bekannt sind, er nur nötig hat, seine Geschütze auf diesen Punkt zu richten. Dadurch wird es ihm gelingen, die Soldaten in der Festung in ihren Verteidigungsmitteln zu beschränken und somit die Festung zu nehmen. Somit wird selbstverständlich das Wohl des Deutschen Reiches aufs höchste gefährdet. Das muß jedem Offizier und auch dem Angeklagten Hentsch vollständig klar sein. – Hentsch: Er habe das Heft 23 des Ingenieurkomitees von dem Leutnant Friedrich, der es ihm aus der Bibliothek des Eisenbahnregiments lieh, erhalten. Ob speziell das Heft 23 im Buchhandel zu haben sei, wisse er nicht, jedenfalls seien eine Anzahl Hefte im Buchhandel zu haben, er habe deshalb mit Bestimmtheit angenommen, daß auch das Heft 23 käuflich sei. – Der Verteidiger, Rechtsanwalt Dr. Samter überreichte mehrere Rechnungen von Berliner Buchhändlern über gekaufte Hefte des Ingenieurkomitees. – Major Erffling bestritt, daß das Heft 23 im Buchhandel zu haben sei. – Leutnant Balthasar (Koblenz): Ich lernte den Hentsch im Sommer 1881 in einem geselligen Verein in Berlin kennen. Hentsch war in diesem Verein Maître de plaisir; er verkehrte in Berlin in den feinsten Kreisen, gab oftmals Festlichkeiten und führte überhaupt einen sehr guten Hausstand. Seine elegant eingerichtete Wohnung machte den Eindruck großer Wohlhabenheit. Ich verkehrte in den Jahren 1881/82 vielfach, und ich muß gestehen, sehr gern in seiner Familie. Er ersuchte mich einmal, ihm ein Heft des Ingenieurkomitees zu leihen; ich willfahrte seinem Wunsche, wenn auch mit Widerstreben. Welches Heft dies gewesen, weiß ich nicht. Hätte ich geahnt, daß Hentsch aus dem Heft Auszüge behufs Übermittelung an eine fremde Regierung machen würde, dann hätte ich es ihm selbstverständlich nicht geliehen. – Photograph Coßmann: Ich habe dem Hentsch, auf sein Ersuchen, die in dem Heft 23 des Ingenieurkomitees befindliche Karte über die Fortifikation der Festung Metz aufgezeichnet. Alsdann wurde zu der von Hentsch an Adler gemachten Mitteilung, betr. technische Vorschriften über Fortifikationsartillerie und Garnisonsbauten übergegangen. – Vors.: Woraus haben Sie diese Ihre Arbeiten entnommen? – Hentsch: Ich entnahm sie aus dem Buche von Wagner (Hauptmann im Ingenieurkorps). – Vors.: Sie wußten damals bereits, daß Adler Agent der österreichischen und russischen Regierung ist? – Hentsch: Jawohl, allein ich glaubte nicht, daß diese Mitteilung sekret sei, da das Buch im Selbstverlag des Herausgebers zu kaufen war. – Vors.: Und selbst wenn das richtig wäre, dann hätten Sie doch als ehemaliger preußischer Offizier wissen müssen, daß Mitteilungen an eine fremde Regierung, wie Sie sie hier gemacht, das Wohl des Deutschen Reiches unendlich gefährden könnten? – Hentsch: Ich konnte mir nicht denken, daß etwas sekret ist, was man im Buchhandel kaufen kann. – Photograph Coßmann gab zu, dem Hentsch eine Zeichnung der erwähnten Fortifikation gemacht zu haben. – Ein alsdann verlesenes Gutachten des Kriegsministeriums besagte: Die von Hentsch dem Adler überlieferte Mitteilung ist in hohem Maße geeignet, das Wohl des Deutschen Reiches zu gefährden. Die Arbeit des Hentsch enthält genaue Angaben über Vorschriften von Festungsneubauten, die selbstverständlich sekreter Natur sind und einer feindlichen Macht unendlichen Vorteil gewähren könnten. Das Buch des Hauptmanns Wagner ist keineswegs im Buchhandel zu haben. – Major Erffling: Ich kann das Gutachten des Kriegsministeriums nur vollinhaltlich bestätigen. Dem Hauptmann Wagner ist eine Anzahl sekretes Material übergeben worden, um dies Buch zu verfassen. Das Material ist dem Hauptmann Wagner dienstlich mit der Verpflichtung, es geheim zu halten, übergeben worden. Das Buch ist eine Zusammenstellung einer Anzahl technischer Dinge über Fortifikationen und gewährt einen Einblick über die Vorschriften von Festungsneubauten. Das Buch bildet gewissermaßen ein Kompendium für Offiziere und ist nur auf dem Wege der Subskription von dem Hauptmann Wagner persönlich zu beziehen. Selbstverständlich verkauft Hauptmann Wagner das Buch nur an ihm persönlich bekannte oder direkt empfohlene Offiziere als dienstlich sekret zu behandelndes Werk. Wagner kennt jeden einzelnen, der das Buch von ihm gekauft hat, und ist bemüht, es von den Angehörigen verstorbener Offiziere zurückzuerhalten. Die von Hentsch dem Adler gemachten Mitteilungen waren in hohem Maße geeignet, dem Feinde Vorschub zu leisten. Es ist zweifellos, daß der Angeklagte sich der Strafbarkeit seiner Handlung bewußt gewesen sein muß. In dem bei dem Angeklagten vorgefundenen Wagnerschen Buche sind mehrere Stellen mit Bleistift ausgestrichen. Ich vermute, daß Hentsch die falschen Angaben im Wagner durchstrichen hat, um die genauen Zahlen mitzuteilen. – Verteidiger, Rechtsanwalt Dr. Samter: Der Angeklagte kann hierbei sehr wohl bona fide gehandelt haben, zumal von einer Anzahl anderer Schriftsteller, Bücher über Verpanzerungen und ähnliche Dinge im Buchhandel zu haben sind. – Auf Befragen des Ersten Staatsanwalts Treplin bemerkte Hentsch: Er habe das Buch von Wagner ebenfalls von dem Leutnant Friedrich, der es ihm aus der Bibliothek des Eisenbahnregiments geliehen, erhalten. – Es folgte der Anklagepunkt, betreffend die Überlieferung des Hentsch an Adler, betreffend das Buch: „Die Verwendung des Infanteriegewehres M 71 nebst einer Anleitung zum Distanzeschießen von A. Mieg, königlich bayrischer Major a. D.“ – Vors.: Sie geben zu, den ganzen Inhalt des Buches an Adler übermittelt zu haben? – Hentsch: Ich habe bloß die ersten 114 Seiten, die den ballistischen Teil behandeln, abgeschrieben. Den folgenden Teil, der die Anleitung zum Distanzeschätzen behandelt, habe ich nicht abgeschrieben. – Ein von Hentsch an Adler gerichteter Brief besagte: „Ich werde Ihnen den Mieg schicken, sobald Sie mir 500 Mark vorher senden. Sie können mir diese meine Forderung der Vorausbezahlung nicht verdenken, denn wenn Sie die Arbeit haben, kann ich, wenn Sie nicht zahlen wollen, nichts gegen Sie ausrichten. Ich will eben nicht noch einmal ‚reinfallen‘. – Vors.: Sie bleiben dabei, daß Sie nur den ersten Teil des Buches abgeschrieben und an Adler gesandt haben? – Hentsch: Ja. – Vors.: Weshalb schrieben Sie das Buch nicht vollständig ab? – Hentsch: Ich wäre sonst mit der Arbeit nicht fertig geworden; ich durfte es bloß 14 Tage behalten. – Vors. Sie wußten damals bereits, daß Adler Agent der österreichischen Regierung ist, und wußten ferner, daß er die Arbeit an die österreichische Regierung verkaufen wollte? – Hentsch: Jawohl, ich hielt jedoch den Inhalt des Buches nicht für sekret, da ich ähnliche Dinge schon einige Jahre vorher in anderen Büchern gelesen hatte. – Vors.: Von wem erhielten Sie das Buch? – Hentsch: Von dem Hauptmann Thiede in Colberg. – Hauptmann Thiede: Ich habe dem Hentsch das Buch von Mieg auf dessen Ansuchen geliehen. Ich war der Meinung: Hentsch sei erst einige Zeit vorher abgegangen und infolgedessen sei ihm das Buch ebenso bekannt wie mir. Selbstverständlich hielt ich den Inhalt des Buches für sekret; ich glaubte jedoch keinen Anstand nehmen zu sollen, es einem Manne, wie Hentsch, zu leihen. – Ein hierauf verlesenes Gutachten des Kriegsministeriums besagte: „Dem ehemaligen bayrischen Hauptmann Mieg ist zur Zeit amtliches Material behufs Zusammenstellung des Buches übergeben worden, um eine Instruktion für die Infanterieoffiziere zu schaffen. Das Buch ist vollständig sekret und die Mitteilung seines Inhalts an eine fremde Macht für das Wohl des Deutschen Reiches schädigend. Dies mußte auch dem Hentsch bekannt sein. Jeder Offizier hatte die Pflicht, das Buch aufs strengste geheim zu behandeln.“ – Major v. Goßler bestätigte dies Gutachten und führte aus: „Es wurde zur Zeit ein Gewehr erfunden, das bedeutend besser als das Zündnadelgewehr war. Die praktische Anwendung machte jedoch Schwierigkeiten. Es mußte deshalb darauf Bedacht genommen werden, Einrichtungen zu treffen, das Gewehr besser zu konstruieren, um eine Überlegenheit über den Feind zu gewinnen. Deshalb wurde sowohl auf die bessere Schießausbildung des einzelnen Mannes, sowie auf eine bessere Instruktion für die Feuerleitung Bedacht genommen. Anläßlich dessen wurde Hauptmann Wagner, unter Überreichung des nötigen Materials, mit der Zusammenstellung des Buches beauftragt, das den Infanterieoffizieren als geheime Instruktion für die Feuerleitung dienen sollte. Wenn der Inhalt des Buches einer fremden Macht bekannt wurde, dann war selbstverständlich das Wohl des deutschen Reiches gefährdet. – Auf Befragen des Vorsitzenden bemerkte der Sachverständige: Die in dem Buche enthaltenen Einzelheiten waren wohl bekannt, das System bezüglich der Feuerleitung war jedoch lediglich der deutschen Regierung bekannt und sollte das geistige Eigentum der deutschen Infanterieoffiziere werden. Durch den Umstand, daß das Buch in Regimentsbibliotheken vorhanden war, wurde sein sekreter Charakter nicht beseitigt. Die Geheimhaltung der mitgeteilten Seiten 1 bis 114 war für das Wohl des deutschen Reiches ebenso geboten, wie der übrige Teil des Werkes. – Vors.: Angeklagter, auf dem Buche steht noch extra gedruckt: „Streng geheim zu halten.“ – Hentsch: Ich stelle auch keineswegs den sekreten Charakter des Buches in Abrede, allein das, was in dem Buche enthalten, ist lange vorher durch die verschiedensten Bücher bekannt gewesen. Auch in Österreich war das, was in dem Buche mitgeteilt ist, längst bekannt. – Vors.: Und trotzdem ließ die österreichische Regierung sich das Buch schicken und zahlte 500 M. dafür? – Hentsch: Ich habe kein Geld dafür erhalten. – Vors.: Hat Adler auch nichts dafür bekommen? – Hentsch: Das weiß ich nicht. Adler schrieb mir, er könne mir Geld dafür nicht schicken, da das Buch längst bekannt, mithin ohne Wert sei. – Der Angeklagte führte noch, unter Anführung verschiedener Schriftsteller aus, daß der Inhalt des Miegschen Buches vollständig bekannt war. – Major v. Goßler: Die nicht offiziellen Publikationen der höheren aktiven Offiziere sind allerdings für eine fremde Regierung wertlos, da diese die Intention der Militärbehörde nicht erkennen lassen. – Landgerichtsrat Brausewetter und Amtsgerichtsrat Pniower bekundeten übereinstimmend: Hentsch habe ganz ausdrücklich bekannt, daß die Auslieferung des Miegschen Buches an Österreich strafwürdig sei. – Am vierten Verhandlungstage verlas der Vorsitzende, Senatspräsident Drenkmann zwei Briefe, die Hentsch an Adler am 23. und 24. Oktober 1880 gesandt hatte. Der erste Brief lautete: „Die 60 Mark habe ich erhalten. Die Instruktion für den Generalintendanten habe ich Ihnen gesandt. Das Magazin kann ich augenblicklich nicht beschaffen. Die Kontrolle ist augenblicklich eine so strenge, daß kein Arbeiter auch nur ein Stückchen Papier mit herausnehmen darf. Wenn Sie mir jetzt 1000 Mark gäben, dann wäre ich nicht imstande, es Ihnen augenblicklich zu beschaffen. Fremde Mächte haben schon 5–600 Mark dafür zahlen wollen; augenblicklich ist jedoch absolut kein Exemplar zu erlangen. Wenn es zu erhalten ist, dann bin ich jedenfalls der erste, der es bekommen wird. Für 120 Mark wird es, meiner Meinung nach, beschafft werden können; ich will bloß 20 Mark dabei verdienen. Senden Sie also 140 Mark, dann dürfte es sich schon beschaffen lassen. Ich bin in der Lage, Ihnen auch eine Zeichnung von den neuen Revolvern zu liefern, mit denen demnächst die Kavallerie ausgerüstet werden soll. Ferner kann ich Mitteilungen des Ingenieurkorps liefern. Allerdings darf hierbei der günstige Augenblick nicht wieder versäumt werden; es darf nicht wieder geknausert werden.“ – Am 26. Oktober 1880 schrieb Hentsch an Adler: „Bester Herr! Leider vermag ich das Magazin immer noch nicht zu beschaffen. Augenblicklich kann es keine Macht der Erde erhalten; selbst dem Prinzen Wilhelm ist die Aushändigung eines Exemplars abgelehnt worden. Allein, ich werde es schon erhalten, wenn Sie 150 Mark anlegen wollen. 50 Mark will ich dabei aus meiner Tasche zulegen, denn unter 200 Mark ist es keinesfalls zu beschaffen. Mehr als 50 Mark kann ich aber nicht verlieren. Aber ich will es Ihnen beschaffen, um Ihrem Auftraggeber zu zeigen, daß ich leistungsfähig bin. Daß Ihr Auftraggeber bessere Quellen hat, bezweifle ich. Die Bücher kann ich augenblicklich nicht beschaffen. Ich ersuche Sie aber dringend, die 37 Mark mir sofort telegraphisch zu senden; ich hoffe bestimmt, das Geld noch heute zu erhalten.“ – Vors.: Was war das für ein Magazin? – Hentsch: Das Löwesche Magazin, eine Anlage zum Mausergewehr. Es war vollständig bekannt und längst patentiert. – Major Erffling: Das Löwesche Magazin war nicht bekannt, sondern ein Geheimnis der deutschen Armee und seine Geheimhaltung im Interesse des deutschen Reiches geboten. – Hentsch: Ich bleibe dabei, daß das Magazin längst bekannt war. – Vors.: Sie haben dem Adler ferner ein Reglement für die Geldverpflegung der deutschen Armee im Kriege gesandt? – Hentsch: Ich habe allerdings das Reglement für die Geldverpflegung der Truppen im Kriege angeboten, aber nur ein solches Reglement für den Frieden gesandt. – Vors.: Ferner haben Sie dem Adler angeboten: Anleitung von Schießversuchen gegen Hartgußpanzerungen, Anleitung zum Zerstören von Eisenbahnschienen und Telegraphenleitungen, Anleitung zur Unterbrechung von Eisenbahnfahrten der Kavallerie, die Felddienstordnung, Instruktion, betreffend Sprengpatronen und Zünder, eine Instruktion der Verwaltung von königlichen Pulverfabriken, eine Instruktion zur Anlegung von Wallgängen usw. – Hentsch: Jawohl, alle diese Sachen habe ich aber bloß angeboten; im übrigen sind alle die Sachen nicht sekret gewesen. Die meisten waren längst im Buchhandel zu haben. – Vors.: Die Gutachten des Kriegsministerums besagen, daß all diese angebotenen Sachen streng sekreter Natur waren und ihre Geheimhaltung zum Wohl des deutschen Reiches geboten war. – Angekl.: Bei den Akten befindet sich eine Rechnung von der Buchhandlung Stankiewicz in Berlin, die beweist, daß ich die Instruktion für die Verwaltung der königlichen Pulverfabrik dort gekauft habe. – Major v. Goßler: Ich muß bemerken, daß allerdings gewisse Sachen im Buchhandel zu haben sind, die aber bloß an Offiziere verkauft werden. Wenn dem Angeklagten eine solche Instruktion verkauft worden ist, so ist dies geschehen, weil er sich als preußischer Offizier vorstellte. Der Buchhändler konnte doch wohl auch nicht ahnen, daß ein preußischer Offizier solchen Mißbrauch mit einem sekreten Buche treiben wird. Ich will noch bemerken, daß die betreffende Instruktion z. B. an Militärbevollmächtigte fremder Staaten nicht verkauft werden darf. Dasselbe Verfahren wird auch bei anderen Sachen, die nur für die Offiziere der deutschen Armee bestimmt sind, beobachte. – Der Vorsitzende verlas im weiteren einen Brief des Hentsch an Adler von Anfang Januar 1882: „Geehrter Herr Adler! Zuerst meine herzliche Gratulation zum neuen Jahre. Für die übersandten 25 Mark sage ich Ihnen besten Dank, ich erwarte jedoch bis spätestens zum 16. d. weitere 30 Mark und ersuche Sie, die weitere Schuld in monatlichen Ratenzahlungen in Höhe von 25 Mark abzuzahlen. Ich ersuche Sie aber dringend, mich nicht in Verlegenheit zu lassen und sich nicht wieder in Schweigen zu hüllen. Ich bin in der Lage, Ihnen ein Programm über Schießversuche und des weiteren eine Zeichnung über den Mauerbau für die Befestigung Deutschlands zu senden. Ich ersuche Sie aber nochmals, mich nicht in Verlegenheit zu lassen.“ – In einem anderen Briefe schrieb Hentsch an Adler: „Wenn R. nicht mehr abnehmen will, so muß er doch wenigstens die bestellten Sachen bezahlen.“ – Am 18 Januar 1882 schrieb Hentsch an Adler: „Ich bin in der Lage, Ihnen ein Buch über Pulverversuche zu beschaffen. Dies ist jedoch sekret und unter 900 Mark nicht zu erhalten. Die Beschaffung eines solchen Buches wäre das beste Mittel, um mit Rußland wieder anzuknüpfen.“ – Vors.: Nun Hentsch, Sie hatten also 1882 noch die Absicht, mit Rußland wieder anzuknüpfen? – Hentsch: Das angebotene Buch war im Buchhandel für 12 Mark zu haben. Ich habe diesen Brief geschrieben, um endlich einmal Rußland los zu werden. – In einem ferneren Briefe forderte Adler von Hentsch eine Mitteilung über die Konstruktion, Leistungsfähigkeit und Zerstörbarkeit eiserner Eisenbahnbrücken. – Am 31. Januar schrieb Hentsch an Adler: „Bester Herr Adler! Ich war leider genötigt, eine Stellung anzunehmen und kann mich um andere Sachen wenig kümmern[WS 1]. Ich habe auch kein Geld, um mir Material zu beschaffen. Warum haben Sie mich in Verlegenheit gelassen? Sie verschulden alles, ich habe Sie ja zeitig genug auf die Sachlage aufmerksam gemacht.“ – Die Sachverständigen bekundeten, daß all die angebotenen Dinge sekret waren und nur durch großen Vertrauensbruch in die Hände Unberufener gekommen sein können. Die Geheimhaltung all dieser Sachen lag im dringenden Interesse des deutschen Reiches.

Es wurde alsdann Kriminalkommissar Paul (Dresden) vernommen: Ich bin seit 1878 in Dresden Kriminalkommissar und habe nichts wahrgenommen, was darauf schließen ließ, daß Kraszewski jemals mit einer fremden Regierung in Verbindung getreten ist. Ausländer werden in Dresden schärfer als Inländer beobachtet. Das ist auch bezüglich des K. geschehen, der von 1863 bis 1869 als Ausländer in Dresden gelebt und erst 1869 seine Angehörigkeit als sächsischer Staatsbürger nachsuchte. Die Personalakten des Kraszewski ergaben jedoch nichts Gravierendes gegen ihn. Er lebte auch sehr zurückgezogen, es war sehr schwer Zutritt zu ihm zu erhalten. 1879 wurde in der in Dresden bestehenden Druckerei des K. ein litauisches Buch gedruckt. Anläßlich dessen wurden wir von der Gumbinner Polizeibehörde auf K. aufmerksam gemacht. Seit dieser Zeit wurde er ziemlich streng observiert. 1879 erhielten wir eine Zuschrift aus Posen mit der Mitteilung, daß K. mit einem dort wegen politischer Umtriebe angeklagten Kaszielski in Verbindung stehe. In einem von Kraszewski an Kaszielski gerichteten Briefe lehnte jedoch ersterer jede Verbindung mit Kaszielski ab. Im Jahre 1880 kam Adler nach Dresden, wir wurden benachrichtigt, daß Adler verdächtig sei, mit einer fremden Macht in Verbindung zu stehen. Wir observierten infolge- dessen den Adler sehr scharf, vermochten jedoch auch nichts Verdächtiges zu bemerken. Soviel steht fest, mit Militärpersonen hat weder Adler noch Kraszewski verkehrt. Ob Adler mit Kraszewski verkehrt, weiß ich nicht; dagegen hat Hentsch viel bei Kraszewski verkehrt.

Angeklagter Dr. v. – Kraszewski: Adler hat mich nur selten besucht. Er kam nur, wenn er etwas zu bringen hatte und hielt sich alsdann auch immer nur sehr kurze Zeit bei mir auf. – Es wurde hierauf eine Anzahl Briefe verlesen, die Adler an Hentsch geschrieben. In diesen hieß es: „Ich hätte eine solche Handlungsweise von Ihnen nicht erwartet. Ich glaubte immer, es gäbe noch eine gewisse Spitzbubenehrlichkeit, aber auch diese scheint bei Ihnen nicht zu finden zu sein. Sie verlangen fortwährend Geld und schicken lauter längst bekannte Dinge. Ich habe jetzt erst wieder 6 Ihrer Arbeiten auf einmal zurückbekommen, weil es längst bekannte Sachen, wörtliche Abschriften aus jedermann zugänglichen Instruktionen, militärischen Zeitschriften usw. sind. Wenn sie einmal wirklich etwas Sekretes haben, dann verlangen Sie einen horrenden Preis. Was ich nun machen werde? nun warten Sie es ab, ich lasse mich von Ihnen nicht länger düpieren, ich habe lange genug Geduld gehabt.“ In einem weiteren Briefe schrieb Adler an Hentsch: „Ich bin in größter Geldverlegenheit und Kraszewski lehnt alle meine Forderungen ab. Ich werde nun keine Rücksicht mehr nehmen. Ich habe von K. 1200 Taler zur Begründung eines neuen Unternehmens verlangt, er hat mir jedoch gar nicht geantwortet. 1200 Taler ist gewiß eine sehr billige Forderung. Ich werde jetzt eine Broschüre über das Leben und Wirken Kraszewskis herausgeben, für die mir jeder Buchhändler bedeutend mehr als die geforderte Summe zahlt.“ In einem anderen Briefe Adlers hieß es: „Sie scheinen sich immer noch nicht herbeilassen zu wollen, mir Korrespondenzen zu liefern. K. scheint Ihnen mehr zu bezahlen. Nun, Sie sowohl, als auch K. sollen mich kennen lernen. Die Briefe, die ich in Händen habe, dürften für die preußische Regierung einen hohen Wert haben; sie werden mir hoffentlich viel Geld einbringen. Ich sehe auch nicht ein, weshalb ich noch länger Rücksicht nehmen soll.“ – Angekl. Hentsch: Aus diesen Briefen geht doch zur Genüge hervor, wie schwer es mir war, den Adler los zu werden. Anläßlich dessen habe ich ihm all die heute verlesenen Briefe geschrieben. Ich wollte ihn düpieren und[WS 2] habe ihn von dem Momente ab, wo ich wußte, daß er ein Agent der österreichischen und russischen Regierung ist, absolut nichts mehr gegeben, was ich irgendwie für sekret hielt. Da ich ihn gar nicht los werden konnte, bot ich ihm schließlich ein Buch für 900 Mark an, das ich beim Buchhändler für 12 Mark gekauft hatte. Ich ersuche nun aber den Herrn Präsidenten, den Herrn Dr. v. Kraszewski fragen zu wollen, ob ich mich ihm irgendwie aufgedrängt habe? – Kraszewski verneinte diese Frage. – Es gelangte darauf der Anklagepunkt, betr. den von Hentsch begangenen Versuch des Landesverrats zur Verhandlung. Der Zeuge, Photograph Coßmann, ehemals Unteroffizier im Garde-Pionierbataillon in Berlin, war bei Hentsch als Zeichner engagiert. Im Mai 1881 beauftragte Hentsch den Coßmann, sich die Versuche, die auf dem Exerzierplatze des Eisenbahnregiments in Berlin mit streng sekretierten Sturmgeräten angestellt wurden, anzusehen. Dieser Exerzierplatz ist mit einem hohen Zaun umgeben, um die Übungen der Beobachtung zu entziehen. Coßmann beobachtete die Übungen, die in Gegenwart Sr. Maj. des Kaisers stattfanden, durch die Spalten und Astlöcher des Zaunes, entwarf alsdann sofort Zeichnungen von dem Gesehenen und gab dem Hentsch die erforderlichen Erläuterungen. – Am folgenden Tage bot Hentsch dem Adler „sehr wichtige sekrete Sachen über die zur Einrichtung gelangenden Sturmvorrichtungen“ für 200 Mark an. Da jedoch damals die Geschäfte mit Rußland bereits ins Stocken geraten waren, wurde diese Offerte nicht angenommen – Auf Antrag des Oberreichsanwalts wurde für die Verhandlung über diese Angelegenheit die Öffentlichkeit ausgeschlossen. – In der geheimen Sitzung wurde die Beweisaufnahme beendet und beschlossen: den Zeugen Coßmannn nicht zu vereidigen, da er der Teilnahme am Landesverrat dringend verdächtig sei. –

Am fünften Verhandlungstage begannen die Plaidoyers. Vertreter der Reichsanwaltschaft, Erster Staatsanwalt Treplin: Dank der Leitung der Verhandlungen sind manche bisherige Zweifel gehoben, manche dunklen Punkte aufgeklärt worden. Da die uns vorgeführten Tatsachen noch in unserer aller Erinnerung sind, so erübrigt es, noch einmal des näheren darauf einzugehen. Ich will daher die Anklage zunächst von einer anderen Seite betrachten. Nach dem § 92 des Strafgesetzbuches, der der Anklage zu Grunde liegt, ist es strafbar, wenn jemand Nachrichten, deren Geheimhaltung im Interesse des deutschen Reiches einer anderen Regierung gegenüber geboten ist, veröffentlicht. Der Angeklagte Hentsch hat, um mich eines kaufmännischen Ausdrucks zu bedienen, auf Vorrat gearbeitet. Es ging ihm, wie er an Adler schrieb, soviel Material zu, daß er stets großen Vorrat hatte. Nun könnte man bei Beurteilung der Sachlage sagen: wir leben ja im tiefsten Frieden. Nein, m. H. wir befinden uns leider in einem unaufhörlichen Kriegszustande. Klarheit haben wir über die Situation nicht, da wir es hier mit Verrat zu tun haben und zwar mit Verrat von allen Seiten. Das ist ja das Gefährliche beim Landesverrat, daß, sobald einer Regierung etwas mitgeteilt ist, auch die andere Regierung diese Nachricht haben will. Es handelt sich hier zunächst um den Truppenaufmarsch nach der Westgrenze, um die Fortifikation von Metz. Man sollte nun glauben, an solchen Dingen könne nur Frankreich Interesse haben; nein auch die russische Regierung kauft die Arbeit. Der Angeklagte Hentsch verkaufte zunächst den Truppenaufmarsch an Frankreich und für genau dieselbe Arbeit bietet der russische Bevollmächtigte, Major v. Feldmann 7000 Mark. Das Vaterland ist fortdauernd in seinem Wohle auf’s höchste bedroht und sicherlich wird es jedermann unserer Regierung Dank wissen, daß die Regierung mit aller Energie vorgeht, um diese Verräter, diese unsauberen Gesellen los zu werden. Der hier zur Verlesung gelangte Brief des Fürsten Bismarck, der uns die Tätigkeit der polnisch-militärischen Gesellschaft schildert, zeigt uns, welche Gefahren durch solche Verräter dem Vaterlande drohen. Selten ist wohl so überzeugend der Beweis für den vollendeten Landesverrat geführt worden, als in dieser Verhandlung. Daß die Arbeiten nicht für eine Zeitungsredaktion, sondern für eine fremde Regierung bestimmt waren, ist durch die Beweisaufnahme hinlänglich dargetan. Für ein Journal hatten die Nachrichten nicht das mindeste Interesse. Bei Nachrichten, die zur Publikation in einem Journal bestimmt sind, dürfte es wohl auch kaum so sehr auf all die Einzelheiten ankommen. Es sind hier vielfach Zweifel über das Wort „Geheimhaltung“ geltend gemacht worden. Die Behörde, die ich zu vertreten die Ehre habe, stellt sich auf den Standpunkt, daß sie weniger darauf Gewicht legt, ob sekretes Material geliefert worden ist, sondern ob die Angeklagten objektiv schädliches Material einer fremden Regierung geliefert haben.

Es ist geltend gemacht worden, daß das Buch von Mieg nicht sekretiert war und viele andere Dinge im Buchhandel zu haben waren. Allein, meine Herren, trotz dieser Tatsachen waren die Dinge sekret, sie waren nur Offizieren der deutschen Armee zugänglich und ihre Übermittelung an eine fremde Regierung dem Vaterlande schädlich. Wären die Dinge allgemein zu haben gewesen, dann hätten fremde Regierungen nicht solche hohe Summen dafür geboten. Adler verlangte von Hentsch das Buch von Mieg. Hentsch schrieb dem Adler: „Ich kann das Buch für 500 Mark beschaffen“. Wäre das Buch von Mieg allgemein zugänglich gewesen, dann hätte man nicht solche Anstrengungen gemacht, um es zu erhalten. Hentsch arbeitete Tag und Nacht, um das Buch abzuschreiben. Die Frage, wodurch Hentsch in den Besitz sekreten Materials gelangt ist, will ich nicht weiter untersuchen. Wir wissen ja, daß es kaum möglich ist, alles Material unter Verschluß zu halten. Wir haben gesehen, daß selbst ein Mann von der Stellung des Stallmeisters Plinzner, keinen Anstand nahm, dem Hentsch eine geheime Instruktion über die Pferdeaushebung zu geben. Daß der Truppenaufmarsch nicht für ein Journal bestimmt war, geht aus dem Briefe des Angeklagten Kraszewski an Adler hervor. Aus diesem Briefe ist zu ersehen: Die französische Regierung wünscht mit peinlichster Genauigkeit alle Einzelheiten über den Truppenaufmarsch zu wissen. Ich will nun zu einem anderen Punkte übergehen und zunächst die Persönlichkeit des Angeklagten Kraszewski betrachten. Es drängt sich die Frage auf: Wie kam Kraszewski, dieser alte Mann, der anscheinend in stiller Zurückgezogenheit in der Nordstraße in Dresden wohnte, dazu, zum Landesverräter zu werden? Nun, m. H. Richter dieses höchsten Gerichtshofes, es ist zu erwägen, daß der Angeklagte v. Kraszewski Pole ist. Es gilt fast jedem Polen als Axiom, für die Wiederherstellung des Königreichs Polen zu wirken. Es gibt ja eine Anzahl Polen, die resigniert den Verhältnissen entgegensehen. Zu diesen Leuten zählte jedoch der Angeklagte v. Kraszewski nicht. Der Angeklagte v. Kraszewski war allerdings kein Revolutionär im gewöhnlichen Sinne; dazu war er zu alt und zu reich an Erfahrung. Er hatte drei blutige erfolglose Revolutionen mit durchlebt, er wußte, daß mit dem Säbel in der Hand nichts auszurichten war. Allein er war trotzdem in eifrigster Weise für die Wiederherstellung Polens tätig. Er versuchte das, da er den anderen Weg augenblicklich nicht für geboten hielt, in anderer Weise, und zwar durch Belehrung seines Volkes zu bewirken. Er gewann sich auch dadurch die vollen Sympathien seiner Landsleute, wie die Feier seines fünfzigjährigen Schriftstellerjubiläums in Krakau bewiesen hat. Aus den von dem Angeklagten geschriebenen Romanen geht zur Evidenz hervor, daß der Angeklagte v. Kraszewski ein Feind der Deutschen und ein Freund der Franzosen war. So z. B. heißt es in einem seiner jüngst geschriebenen Romane: „Der Sachse ist stupide, mit eingefallenen Schultern. Seinen Mund öffnet er nur zum Fluchen.“ – Verteidiger, Rechtsanwalt Saul: Ich muß doch gegen die Verlesung eines Buches protestieren, das nicht Gegenstand der Beweisaufnahme gewesen ist. – Staatsanwalt: Dann werde ich mich auf bloße Erwähnungen beschränken; ich halte dies zur Charakteristik des Angeklagten Kraszewski für erforderlich. – Vors.: Ich habe nichts dagegen, wenn der Herr Vertreter der Reichsanwaltschaft eine kleine Exkursion behufs Charakterisierung des Angeklagten macht. – Staatsanwalt fortfahrend: An einer andern Stelle des Romans heißt es: „Die Berliner, einmal mit Weißbier angefüllt, gleichen losgelassenen Bestien, denen mit dem Bajonett zu begegnen ist und die mit dem Pallasch auseinandergetrieben werden müssen.“ Und was sagt Kraszewski von den Franzosen: „Schön wie ein Königssohn, gerade gewachsen.“ – Vors.: Ich möchte den Herrn Vertreter der Reichsanwaltschaft ersuchen, mich nicht in die Lage zu bringen, ihn in dieser seiner Exkursion zu unterbrechen. – Staatsanwalt: Dann werde ich davon aufhören; es genügt ja auch, um erkennen zu lassen, wie Kraszewski über Deutschland dachte. Es ist ja hinlänglich bekannt, daß die Polen sich zumeist mit den Franzosen auf dem Schlachtfelde gegen Deutschland zusammenfanden. Daß der Angeklagte Kraszewski nicht als blindes Werkzeug gehandelt hat, wie er behauptet, ist durch die Beweisaufnahme hinlänglich dargetan. Der Angeklagte schrieb dem Adler: Wir können nur durchaus Zuverlässiges gebrauchen, sonst zahlen wir nicht einen solch’ hohen Preis. Daraus geht wohl zweifellos hervor, daß Kraszewski nicht bloß Abschreiber war, sondern ganz direkt mit der französischen Regierung in Verbindung stand. Es handelte sich nämlich um den Aufmarsch, und dabei kommt es auf Tage, auf Stunden an, wenn man dem Feinde zuvorkommen will. Was Kraszewski außer den hier zur Verhandlung gelangten Dingen fremden Regierungen mitgeteilt hat, dürfte absolut nicht festzustellen sein. Siebentausend Mark hat Kraszewski an Adler für die Herausgabe der Briefe gezahlt, um sie sofort zu verbrennen. Wenn man erwägt, welches Material die hier zur Verlesung gelangten Briefe ergeben haben, dann kann man sich ein ungefähres Bild von dem Inhalte der verbrannten Briefe machen. Ich gehe nun zu der Charakteristik des Angeklagten Hentsch über. – Ein widerwärtiges Bild tritt uns hier entgegen. Hentsch war Offizier der deutschen Armee, er trug den Rock seines Königs und hatte diesem den Eid der Treue geschworen. Er hat diesen Rock beschmutzt und den Eid gebrochen, sein eigenes Vaterland dem Feinde verraten. Widerwärtig ist das Bild, das uns hier entgegentritt, auch deshalb, weil der Angeklagte in eine Gesellschaft geraten ist, deren nähere Bezeichnung Sie mir erlassen werden. Es handelt sich hier nicht um Verrat, sondern wir finden ihn in der Gesellschaft von Verrätern. Der Angeklagte muß es sich gefallen lassen, daß ihn ein Mensch wie Adler einen Spitzbuben nennt, daß er sich von Adler sagen lassen muß: ich glaubte, es gibt noch eine gewisse Spitzbubenehrlichkeit, allein auch diese scheinen Sie nicht einmal zu besitzen.“ Daß der Angeklagte Hentsch sich der Tragweite seiner Handlungsweise vollständig bewußt war, bedarf wohl keiner weiteren Ausführung. Ebenso ist es zweifellos, daß der Angeklagte Hentsch in allen Fällen Materialien geliefert hat, deren Geheimhaltung einer fremden Regierung gegenüber zum Wohle des Deutschen Reiches geboten war. Daß sich Hentsch auch des versuchten Landesverrats schuldig gemacht hat, wird gewiß keinem Zweifel unterliegen. Die Art und Weise, wie er sich Kenntnis von den neuen Sturmgeräten zu verschaffen suchte, gibt eine weitere Charakteristik für seine Handlungsweise. Ich komme nun zu der Stellung der Strafanträge. Von der Zubilligung mildernder Umstände kann bei beiden Angeklagten nicht die Rede sein. Das Wort Zuchthaus ist ein sehr häßliches Wort, und es ist traurig, daß ein solch’ alter Mann wie Kraszewski noch ins Zuchthaus wandern muß. Allein die Gerechtigkeit handelt mit verbundenen Augen und kann das hohe Alter des Angeklagten v. Kraszewski nicht in Betracht ziehen. Ich beantrage deshalb gegen den Angeklagten Hentsch eine Zuchthausstrafe von zehn Jahren und zehn Jahren Ehrverlust, gegen den Angeklagten v. Kraszewski fünf Jahre Zuchthaus und fünf Jahre Ehrverlust. – Verteidiger, Rechtsanwalt Dr. Samter: Meine Herren! Ein trauriges Bild hat uns diese Verhandlung entrollt, traurig schon deshalb, weil die nicht zur Anklage stehenden hier verlesenen Briefe uns gezeigt haben, daß fremde Regierungen bemüht gewesen sind, Mitteilungen über militärische Einrichtungen unseres Vaterlandes zu erhalten und daß dadurch unser teures Vaterland verraten wird. Trotzdem kann ich aber nicht zugeben, daß sich mein Klient Hentsch in allen Punkten des Landesverrats schuldig gemacht hat. Es ist richtig, Hentsch hat dem Adler noch Material geliefert, als er bereits wußte, daß dieser Agent fremder Regierungen ist. Allein die gestern hier zur Verlesung gelangten Briefe des Adler an Hentsch beweisen, daß Hentsch wohl als Betrüger, aber nicht als Landesverräter gehandelt hat. Er hat den Adler tatsächlich düpiert und ihm von der Zeit ab, wo er wußte, daß er Agent der österreichischen und russischen Regierung ist, nichts geliefert, was sekret war. Dies hat wohl auch den Adler hauptsächlich zur Denunziation veranlaßt. Die gelieferte Arbeit über den Truppenaufmarsch ist kein Landesverrat, denn tatsächlich hat der Angeklagte die Arbeit zurückbekommen, da sie falsch und, weil außerdem nur bekannte Tatsachen enthaltend, wertlos war. Die Angaben des Hentsch konnten auch einer fremden Regierung nichts nützen, denn es ist festgestellt, daß alles, was im Eberstein richtig ist, auch im Hentsch richtig und was im Eberstein falsch, ist auch im Hentsch falsch. Ich behaupte: eine Benützung des amtlichen Kriegsverpflegungsetats hat überhaupt nicht stattgefunden. Ich beantrage also wegen dieses Punktes die Freisprechung. Was die Punkte 2, 4, 5 und 6, die Dienstinstruktion für Feldtelegraphie, Auszug aus dem Bericht für die Fortifikation von Metz, Sammlung der technischen Bestimmungen für Fortifikations-, Artillerie- und Garnisonbauten, die Anwendung des Infanteriegewehres M. 71, nebst einer Anleitung zum Distanzschätzen von A. Mieg anlangt, so dürfte es doch zweifelhaft sein, ob Hentsch nicht der Annahme war, es handle sich um nicht sekrete Dinge. Auch dürfte der sekrete Charakter der mitgeteilten Dinge noch nicht erwiesen sein. Der Verteidiger suchte dies in eingehender Weise darzutun und führte weiter aus: Was die Anklagepunkte 3 und 7, die Aushändigung der geheimen Instruktion bezüglich der Komplettierung mit Truppen und Pferden und die Angelegenheit bezüglich der Sturmgeräte anlangt, so hat der Angeklagte allerdings dolose gehandelt, und ich habe bezüglich dieser beiden Punkte nichts weiter zu sagen. Wegen aller anderen Punkte beantrage ich die Freisprechung. Wenn ich mich nun zu der Frage des Strafmaßes wende, so wird doch zu erwägen sein, daß der Angeklagte durch seine dem Vaterlande geleisteten Dienste krank geworden, daß er anläßlich dessen genötigt gewesen ist, kostspielige Badekuren zu unternehmen und somit tief in Schulden geraten ist. Er hat schließlich aus eigenem Willen die Verbindung mit Adler abgebrochen. Aus allen diesen Gründen ersuche ich diesen höchsten Gerichtshof, meinem Klienten mildernde Umstände zuzubilligen. Der Angeklagte v. Kraszewski nahm den Strafantrag des Reichsanwalts mit derselben Teilnahmlosigkeit entgegen, mit der er fast der ganzen Verhandlung gefolgt war. Hentsch dagegen war ungemein niedergeschlagen und brach bei den Schlußworten seines Verteidigers, als dieser seine persönlichen Verhältnisse schilderte, in Tränen aus. – Es wurden nun nochmals die Sachverständigen Major Perthes, Major Erffling und Major v. Goßler vernommen, die übereinstimmend bekundeten: Hentsch habe bei seiner Arbeit über den Truppenaufmarsch den amtlichen Kriegsverpflegungsetat benützt. – Verteidiger, Rechtsanwalt Saul: M. H. Mit derselben Entrüstung, mit der sich die Oberreichsanwaltschaft und die Herren sachverständigen Kommissare dem Verbrechen des Landesverrats gegenüberstellen, mit derselben Entrüstung wendet sich selbstverständlich die Verteidigung von einem so schweren Verbrechen ab. Wenn ich es dennoch unternehme, diesen Mann, der dieses Verbrechens angeklagt ist, zu verteidigen, so geschieht es, weil ich der Überzeugung bin, daß mein Klient des ihm zur Last gelegten Verbrechens nicht überführt ist. Ich behaupte, die Schuld des Angeklagten ist weder objektiv noch subjektiv erwiesen. Objektiv ist dem Angeklagten nicht nachgewiesen, daß er die ihm von Adler übergebenen Arbeiten, betreffend den Truppenaufmarsch und die Dienstinstruktion für die Feldtelegraphie, direkt oder indirekt an eine fremde Regierung übermittelt hat. Subjektiv macht die Reichsanwaltschaft geltend: es sei nicht denkbar, daß Kraszewski aus bloßer Gutmütigkeit, um seinen Freund Zaleski zu unterstützen, die Mitteilungen gekauft hat, und ferner werden die hohen Preise, die dafür gezahlt sind, gegen Kraszewski geltend gemacht. Man muß zunächst die eigenartige Natur der Polen in Betracht ziehen. Die Polen scheuen bekanntlich kein Opfer in Angelegenheiten der gegenseitigen Unterstützung. Aber auch das hohe Honorar ist kein Beweis, daß die Arbeiten einer fremden Regierung mitgeteilt worden sind. Wir dürfen hierbei nicht deutsche Verhältnisse in Betracht ziehen. Die deutschen Redaktionen sind bekanntlich im allgemeinen nicht so gentil als die französischen. Es wird in Zweifel gezogen, daß der Angeklagte Kraszewski bloß der Abschreiber gewesen ist. Die Herren Sachverständigen haben bekundet: Die auf die Arbeit bezüglich des Truppenaufmarsches gemachten Monita müssen von einem Manne gemacht worden sein, der genaue militärische Kenntnisse besitzt. Es ist ja kein Beweis darüber erhoben worden, ich kann jedoch die Versicherung geben, daß mein Klient von militärischen Dingen absolut nichts versteht. Die Art seiner Ausdrucksweise: „man verlangt das und das zu wissen,“ erklärt sich aus dem Umstande, daß der Angeklagte der deutschen Sprache nur sehr unvollständig mächtig ist. Der Umstand, daß der Brief an Adler von Florenz aus nicht unterschrieben war, kann doch auch nicht zu der Annahme führen, Kraszewski war sich der Strafbarkeit seiner Handlung bewußt. Aber auch die hohe Summe, die Kraszewski dem Adler für die Herausgabe seiner Briefe gezahlt hat, spricht nicht für sein Schuldbewußtsein. Ist es nicht erklärlich, daß ein Mann von der Stellung Kraszewskis, der wie der Herr Reichsanwalt selbst hervorgehoben, im höchsten Ansehen bei seiner Nation stand, der, ich darf es sagen, ohne indiskret zu sein, der Freund gekrönter Häupter war, daß dieser wohlhabende Kraszewski, der schon mit einem Fuße im Grabe steht, der lieben Ruhe und des Friedens wegen 7000 Mark gibt. Aber auch objektiv ist die Schuld meines Klienten nicht erwiesen. Es wird gegen meinen Klienten geltend gemacht: er habe Geldsendungen einmal von Zaleski, sodann von einem de la Roche aus Paris erhalten. Das hier verlesene Gutachten besagt: im französischen Auswärtigen Amte sitzt je ein hoher Beamter, die beide den Namen de la Roche führen. Allein das Gutachten sagt auch weiter: Der Name de la Roche kommt in Frankreich sehr häufig vor; ich erlaube mir hinzuzufügen: wohl ebenso häufig, wie in Deutschland die Namen Schultze und Müller. Dieser Umstand kann gegen den Angeklagten nicht im mindesten sprechen. Im weiteren wird geltend gemacht: Die Arbeiten haben in einem französischen Journale nicht gestanden, sonst hätte die Kaiserlich deutsche Botschaft in Paris davon Kenntnis gehabt. Bei aller Hochachtung vor der deutschen Botschaft in Paris, halte ich dieses Gutachten doch noch für keinen Beweis, daß die Arbeiten nicht in einem französischen Journale gestanden haben. Bewiesen ist meinem Klienten nicht, daß er mit fremden Regierungen in Verbindung gestanden hat. Ich glaube auch, der hohe Gerichtshof wird zu einem Schuldig nicht gelangen können. Sollte jedoch das Gegenteil eintreten, so nehme ich den hier zur Verlesung gelangten Brief des Fürsten Bismarck für meinen Klienten in Anspruch. Wenn Sie, meine Herren Richter, zu der Überzeugung von der Schuld des Angeklagten gelangen sollten, dann gibt das Schreiben des Fürsten Bismarck den besten Beweis, daß der Angeklagte aus idealen Gründen gehandelt hat, daß er das Verbrechen begangen hat aus Liebe zu seiner Nation, zu seinem Vaterlande! Der Herr Vertreter der Reichsanwaltschaft hat dies wohl auch kurz angedeutet und selbst die Äußerung getan: Was die Beurteilung des Angeklagten Kraszewski anlangt, so muß ich bemerken, daß Zuchthaus allerdings ein sehr häßliches Wort ist, allein, so fuhr der Herr Reichsanwalt fort: „die Gerechtigkeit hat eine Binde.“ Ich bin jedoch der Meinung: die Binde, die die Gerechtigkeit tragen soll, ist nicht dahin zu verstehen, daß die Richter nicht Milde walten lassen dürfen. Ich bitte Sie, meine Herren Richter, sollten Sie zu einem Schuldig gelangen, dann ziehen Sie die Vergangenheit meines Klienten, sein hohes Alter, seine ganze gesellschaftliche Stellung in Betracht. Schicken Sie den Angeklagten nicht ins Zuchthaus. Darum bitte ich Sie in meinem eigenen Namen und im Namen der ganzen polnischen Nation. (Große Bewegung im Zuhörerraum.) – Oberreichsanwalt Dr. Freiherr v. Seckendorff: Obwohl ich der Überzeugung bin, daß die Ausführungen der Herren Verteidiger das Ergebnis der Beweisaufnahme in keiner Weise erschüttert haben, so habe ich doch noch einiges anzuführen. Ich will nun zunächst bemerken, daß laut Paragraph 92 des Strafgesetzbuches vor einer fremden Regierung alles geheim gehalten werden muß, von dem man weiß, daß die Geheimhaltung im Interesse des Deutschen Reiches geboten ist. Wenn also jemand nur in einer Privatgesellschaft etwas erzählt, von dem ihm bekannt ist, daß es einer fremden Regierung nicht mitgeteilt werden darf, durch seine Erzählung aber zur Übermittelung der Nachricht an eine fremde Regierung beiträgt, so macht er sich des Verbrechens des Landesverrats schuldig. Es ist also nicht nötig, direkt als sekret bezeichnete Dinge mitzuteilen, es genügt das Bewußtsein von dem sekreten Charakter der Mitteilung. Es ist vollständig gleichgültig, ob die Mitteilung aus amtlichen Quellen geschöpft ist. Es ist selbstverständlich, daß eine fremde Regierung die Arbeit nur dann bezahlt, wenn sie der Überzeugung ist, ihr Agent habe aus amtlichen Quellen geschöpft. Glaubt sie ihm das und bezahlt die Arbeit, die Dinge enthält, deren Geheimhaltung zum Wohle des Deutschen Reiches geboten war, so ist das Verbrechen des Landesverrats vollendet, selbst wenn der Betreffende nicht aus amtlichen Quellen geschöpft hat. Gibt die fremde Regierung die Arbeit wieder, da sie teilweise oder ganz für sie wertlos ist, so ist der Versuch des Landesverrats begangen worden. Daß Kraszewski aus bloßer Gutmütigkeit für Zaleski, um diesen zu unterstützen, Nachrichten sich kauft und dafür Tausende von Mark ausgibt, daß er diesem all’ die Arbeiten für eine Zeitungsredaktion schickt, die in der Luft liegt, von deren Dasein er niemals Kenntnis erlangt hat, obwohl er sich in der Zwischenzeit in Paris befunden und mit Zaleski verkehrt hat, kann ihm niemand glauben. Eine bona fides des Kraszewski ist vollständig ausgeschlossen. Es ist gegen das Schreiben des Fürsten Bismarck eingewendet worden: es sei nicht unter Beweis gestellt gewesen. Ich erwidere darauf, daß das Schreiben von dem großen Manne ausgeht, der stets auf der Warte des Deutschen Reiches und des europäischen Friedens gestanden hat. Die Richtigkeit des in dem Schreiben Mitgeteilten dürfte daher nicht zu bezweifeln sein. Über das Strafmaß will ich nicht weiter sprechen, sondern dies dem Ermessen des hohen Gerichtshofes anheimstellen. Ich möchte bloß noch bemerken: ich achte jedes Nationalgefühl, wenn es auch für eine Nation empfunden wird, die keine Selbständigkeit mehr besitzt. Das Nationalgefühl ist mir bedeutend lieber als die Internationalität, die alle Schranken der Nationen durchbrechen will. Allein dieses Nationalgefühl kann dem Angeklagten Kraszewski nicht zugutekommen. Er hat ein Land an eine feindliche Macht verraten, dessen Gastfreundschaft er genießt und unter dessen Schutze er steht. Ein solcher Mann aber ist ein gemeiner Landesverräter. – Verteidiger, Rechtsanwalt Saul: „Ich will dem Herrn Oberreichsanwalt nur noch erwidern: wenn der Angeklagte v. Kraszewski auch deutscher Reichsangehöriger ist, so hat er doch niemals aufgehört, Pole zu sein. – Nach noch kurzen Bemerkungen des Reichsanwalts Treplin und des Verteidigers, Rechtsanwalts Dr. Samter, sagte Angeklagter Hentsch: Ich bekenne, ich habe schwere Sünden begangen, die eine strenge Sühne erheischen. Ich bitte jedoch den hohen Gerichtshof, meine traurigen Verhältnisse, in die ich unverschuldet geraten bin, sowie ferner den Umstand in Erwägung zu ziehen, daß ich alles aufgeboten habe, um die Verbindung mit Adler wieder zu brechen. Ich bitte Sie, m. H. Richter, verurteilen Sie mich zu einer hohen Strafe, denn diese habe ich verdient. Schicken Sie mich aber nicht ins Zuchthaus, sondern verurteilen Sie mich zu einer hohen Festungsstrafe. – Angeklagter Dr. v. Kraszewski: Ich vertraue auf die deutsche Gerechtigkeit und schließe mich den Ausführungen meines Herrn Verteidigers an. – Am sechsten Verhandlungstage wurde das Urteil gesprochen. Der Vorsitzende, Senatspräsident Drenkmann verkündete unter gespanntester Aufmerksamkeit des zahlreichen Publikums: Der vereinigte zweite und dritte Strafsenat des Reichsgerichts hat dahin erkannt, daß der Angeklagte, Hauptmann a. D. Hentsch in vier Fällen des vollendeten, in zwei Fällen des versuchten Landesverrats und in einem Falle der Aufforderung zum Landesverrat schuldig, der Angeklagte, Schriftsteller Dr. v. Kraszewski des vollendeten Landesverrats in einem Falle und der Aufforderung zum Landesverrat in einem Falle schuldig und deshalb zu bestrafen ist: Hentsch mit neun Jahren Zuchthaus und neun Jahren Ehrverlust, Kraszewski mit drei Jahren und sechs Monaten Festungshaft. Die Verfügung betreffend die Beschlagnahme des Vermögens des Angeklagten Dr. v. Kraszewski wird aufgehoben, die Kosten des Verfahrens werden den Angeklagten zur Last gelegt. (Bewegung im Zuhörerraum.) Der Angeklagte Hentsch ist des vollendeten Landesverrats in sechs Fällen, der Aufforderung zum Landesverrat in einem Falle und der Angeklagte v. Kraszewski des vollendeten Landesverrats in zwei Fällen und der Aufforderung zum Landesverrat in einem Falle angeklagt. Der Gerichtshof ist der Ansicht gewesen, daß es bei der Beurteilung des Tatbestandes lediglich darauf ankommt, ob die mitgeteilten Nachrichten zum Wohle des Deutschen Reiches einer fremden Regierung gegenüber geheim zu halten waren; es ist dabei gleichgültig, ob die Nachricht in irgendeiner Form bereits veröffentlicht worden ist. Zur Vollendung des Landesverratsverbrechens ist es nicht erforderlich, daß sekretes Material geliefert worden ist. Es können gewisse Instruktionen den Offizieren, aber nicht den Mannschaften bekannt sein. Aber selbst wenn eine Instruktion auch den Mannschaften eines ganzen Armeekorps bekannt ist, so macht sich derjenige des Landesverrats schuldig, der diese Instruktion einer fremden Regierung mitteilt, wenn die Geheimhaltung der Instruktion einer fremden Regierung gegenüber zum Wohle des Deutschen Reiches erforderlich ist. Die vorliegenden Verbrechen sind im In- und Auslande verübt worden. Da laut Strafgesetzbuch nur solche Verbrechen strafbar sind, die im Inlande begangen werden, so liegen auch in dieser Beziehung keine Bedenken vor. Daß die hier zur Anklage stehenden Verbrechen zumeist durch die Vermittlung eines gewissen Adler, einer mystischen Persönlichkeit, die dem Gerichtshofe unbekannt geblieben, verübt worden sind, ist unerheblich; diese Tatsache ändert nicht das geringste an dem Schuldbewußtsein der Angeklagten. Was nun den ersten hier zur Anklage stehenden Fall, den Aufmarsch der deutschen Truppen nach der Westgrenze, anlangt, so ist durch Gutachten des Kriegsministeriums, in Übereinstimmung mit den mündlichen Bekundungen von vier sachverständigen Stabsoffizieren, festgestellt worden, daß die Geheimhaltung dieser Arbeit einer fremden Regierung zum Wohle des Deutschen Reiches geboten war. Wenn auch die in der Arbeit enthaltenen Fahrdispositionen falsch waren, so war doch der Angeklagte bemüht, richtiges Material zu geben. Ganz besonders kommt aber in Betracht, daß in der Arbeit die Kriegsstärke der deutschen Truppen an der Westgrenze richtig angegeben war und daß nach den übereinstimmenden Gutachten damit der französischen Regierung Material geliefert wurde, wodurch bei Ausbruch eines Krieges das Deutsche Reich unendlich hätte geschädigt werden können. Der Sachverständige, Major Perthes hat bekundet: Ganz richtig waren die Angaben des Hentsch über die Kriegsstärke allerdings auch nicht, allein das, was Hentsch falsch angab, war unerheblich; im übrigen waren seine Angaben nur in einem Punkte falsch. Der Angeklagte Hentsch stellt den Eberstein richtig, und es ist infolgedessen zweifellos, daß er amtliches Material benützt hat. Es steht fest, so behaupteten die Sachverständigen übereinstimmend, daß Hentsch den Kriegsverpflegungsetat abgeschrieben hat. In einem Briefe, den Hentsch am 3. Januar 1881 an Adler schrieb, gibt er dies auch zu. Wie Hentsch in den Besitz des amtlichen Materials gekommen ist, kann nicht näher untersucht werden. Wenn man erwägt, in welcher Weise Hentsch den ehemaligen Unteroffizier Coßmann zu bewegen wußte, ihm, unter Benützung seiner früheren autoritativen Stellung, Mitteilungen über Bambus- und Kastenbrücken u. dgl. mehr zu machen, dann kann man sich kaum noch wundern, daß Hentsch in den Besitz sekreten Materials gekommen ist. Ob Eberstein zur Zeit, als ihn der Angeklagte benützte, noch sekret war, ist für die Beurteilung des vorliegenden Falles vollständig gleichgültig. Jedenfalls war Hentsch bemüht, nur zuverlässiges Material zu liefern; er hat von Eberstein nicht bloß abgeschrieben, sondern ihn auch zur Grundlage seiner Arbeit, an der er fünf Monate tätig gewesen ist, gemacht. Mit dieser Arbeit, für die ihm ein Honorar von 1000 Mark geboten wurde, begann Hentsch die verbrecherische Laufbahn zu betreten. Daß die in der Arbeit enthaltenen Mitteilungen lediglich für die französische Regierung bestimmt waren, mußte dem Angeklagten bekannt sein. Ebenso mußte er aber auch wissen, daß die Geheimhaltung der in der Arbeit enthaltenen Mitteilungen einer fremden Regierung gegenüber zum Wohle des Deutschen Reiches geboten war. Adler sagte dem Hentsch, die Arbeit sei für einen alten, reichen Herrn in Dresden bestimmt. Dieser alte Herr war der Angeklagte v. Kraszewski, der sie an einen, zurzeit in Paris lebenden Zaleski behufs Publikation in einem Journal geschickt haben will. Zaleski, einstmals in Rußland wegen Verdachts revolutionärer Umtriebe mit Deportation nach Sibirien bestraft, soll, nachdem er von der russischen Regierung begnadigt worden, nach Paris übergesiedelt sein, dort bei einer polnischen Gesellschaft die Stellung eines Bibliothekars bekleidet und außerdem mit Zeitungskorrespondenzen sich beschäftigt haben. Der Angeklagte v. Kraszewski will ihm verschiedene Arbeiten geschickt haben, lediglich um den Zaleski zu unterstützen. Er will sich die Arbeiten, auch diejenige, die den Truppenaufmarsch nach der Westgrenze behandelt, nicht durchgelesen, sondern sie einfach an Zaleski gesandt haben. Er ist alsdann in Paris gewesen, hat dort vielfach mit Zaleski verkehrt, er hat den Zaleski jedoch niemals gefragt, für welches Journal er schreibt. Diese Behauptung erscheint durchaus unglaubwürdig; ebenso unglaubwürdig ist aber auch seine Behauptung: der von ihm an Adler gerichtete Brief vom 17. Juli 1878 sei nur die Abschrift eines Briefes der betreffenden Redaktion gewesen, der Zaleski alle seine Arbeiten gebe. Kraszewski erhielt von einem pariser Handlungshause acht Schecks, die an ein Handlungshaus in Dresden gerichtet waren. Diese Summen sollen von der erwähnten Redaktion nicht bloß für die gelieferten Arbeiten, sondern auch gesandt worden sein, um den Adler bezüglich seiner Erpressungen zu befriedigen. Die angebliche Redaktion hatte doch um so weniger Veranlassung, zu letzterem Zwecke Geld herzugeben, da sie die Arbeit betreffs des Truppenaufmarsches nicht einmal aufgenommen hatte. Im übrigen, so bekundeten die Sachverständigen, war die Arbeit zur Aufnahme in ein Journal durchaus nicht geeignet, sie hat auch in keinem französischen Journale gestanden, dies hätte der deutschen Botschaft in Paris und dem Großen Generalstab, wo alle militärischen Journale Frankreichs in aufmerksamer Weise gelesen werden, nicht entgehen können. Auch konnten laut Bekundung der Sachverständigen die Monita, die an der Arbeit gemacht worden, nur von einem militärisch gebildeten Manne, und zwar auch nur von einem fremdländischen Offizier gemacht sein, da in Deutschland nicht übliche Bezeichnungen gebraucht worden sind. Daß aber der Aufmarsch der Truppen nach der Westgrenze mit allen Einzelheiten einer fremden Regierung gegenüber zum Wohle des Deutschen Reiches geheim gehalten werden muß, leuchtet jedem ein, gleich- viel ob er Soldat gewesen ist oder nicht. Der Angeklagte v. Kraszewski wendet ein: er habe von militärischen Dingen kein Verständnis und habe den Inhalt der Arbeit, den Truppenaufmarsch betreffend, nicht gekannt. Dieser Be- hauptung steht die Tatsache gegenüber, daß Kraszewski die Arbeit bestellt und 1000 Mark dafür bot. Im weiteren sagt Kraszewski in dem vielfach erwähnten, an Adler gerichteten Briefe vom 17. Juli 1878: „Auf alle Korrespondenten ist kein Verlaß, wir können nur absolut Zuverlässiges gebrauchen, wir sind keine Laien.“ Ferner ist zu erwägen, daß Kraszewski lange Zeit militärische Korrespondenten beschäftigt hat. In dem Briefe vom 19. Juli 1878 schreibt Kraszewski an Adler: „Nur sekretes Material können wir gebrauchen, nicht bereits gedrucktes. Wenn aber Gedrucktes gegeben wird, dann darf es bloß aus Büchern entnommen sein, die nicht zu haben sind. Daß Kraszewski wußte, daß die Arbeit lediglich für die französische Regierung bestimmt war, steht somit außer allem Zweifel. Es kommt aber noch hinzu, daß er dem Adler für ca. 7000 Mark Briefe abkaufte, teils um sie zu verbrennen, teils um sie an Zaleski zu senden. Es ist eingewendet worden: Kraszewski wollte nicht, wenn auch unschuldig, in einen unliebsamen Prozeß verwickelt werden. Nun, nicht deshalb zahlte Kraszewski eine so hohe Summe, sondern lediglich um Aktenstücke zu beseitigen. Der Gerichtshof hat den Angeklagten Kraszewski aber auch der Aufforderung zum Landesverrat im Sinne des Paragraph 49a des Strafgesetzbuches, auf Grund des von ihm an Adler am 17. Juli 1878 gerichteten Briefes, für schuldig befunden, in welchem er eine Anzahl sekretes Material verlangte, dessen Geheimhaltung zum Wohle des deutschen Reiches geboten war. Der Umstand, daß Adler nicht zur Bestrafung gezogen werden kann, da er im Auslande wohnt, kann bei der Beurteilung der Sachlage nicht in Betracht kommen. Obwohl Adler österreichischer Untertan ist, so würde ihn trotzdem, wenn er im Inlande ergriffen würde, ebenfalls die gesetzliche Strafe treffen. Daß die Aufforderung zum Verbrechen nicht zur Ausführung gelangt ist, ist nicht das Verdienst des Angeklagten Kraszewski. Was nun die Arbeit anlangt, die in den Akten mit „H. 6“ bezeichnet wurde, so gibt diese ein übersichtliches Bild über die Feld-Telegraphen-Abteilung; sie gibt einen genauen Einblick in die Etappen-Konstruktion. Im Buchhandel ist diese Instruktion nicht käuflich. Der Angeklagte Hentsch führte in der Voruntersuchung an: er habe die Arbeit nach Eberstein und Fröhlich zusammengestellt; im Audienztermin behauptete er: er habe die in der Ingenieurschule gehaltenen Vorträge benützt. Jedenfalls ist sekretes Material benützt worden. Da jedoch nicht genau ersehen werden kann, ob die Arbeit in der Tat zur Kenntnis einer fremden Regierung gelangt ist, so hat der Gerichtshof in diesem Punkte den Angeklagten Hentsch nur wegen versuchten Landesverrats für schuldig erachtet und demgemäß in diesem Punkte bezüglich des Kraszewski auf Freisprechung erkannt. Die von Hentsch an die russische Regierung ausgelieferte Konstruktion zur Kompletierung der Behörden an Truppen und Pferden, die für eine etwaige Mobilmachung des dritten Armeekorps bestimmt gewesen, war, wie die vom Gerichtshof aufs Eingehendste geprüften Gutachten der Sachverständigen besagen, zweifellos sekret. Es war eine Anlage zum allgemeinen Mobilmachungsplan für den Stallmeister Sr. königl. Hoheit des Prinzen Wilhelm, Herrn Leutnant Plinzner, der zum Kommissar für die Pferdeaufsicht in Frankfurt a/O. bestellt worden und dem die Instruktion in dienstlicher Eigenschaft übergeben worden war. Die Mitteilung dieser Instruktion ist zweifellos ein vollendeter Landesverrat. Dasselbe trifft zu bei dem mitgeteilten Auszug über die Fortifikation von Metz. Es ist dabei gleichgültig, ob die meisten Hefte des Ingenieurkomitees im Buchhandel zu haben sind; jedenfalls ist das Heft 23, aus dem Hentsch wesentlich geschöpft haben will, nicht im Buchhandel zu haben. Dasselbe trifft bei der Sammlung der technischen Bestimmungen für Fortifikations-Artillerie und Ganisonbauten zu, welche Arbeit Hentsch nach dem Buche des Hauptmanns Wagner zusammengestellt haben will. Das Buch von Wagner ist lediglich den Offizieren der deutschen Armee zugänglich. Ebenso hat der Gerichtshof es für erwiesen erachtet, daß Hentsch mit vollem Bewußtsein von der Strafbarkeit seiner Handlungsweise den Inhalt des Buches über die Anleitung des Repetiergewehrs M. 71 nebst Distanzschätzen an Österreich geliefert hat. Das Buch von Mieg war ebenfalls bloß Offizieren zugänglich; der Angeklagte hat, infolge seiner früheren militärischen Stellung, den Hauptmann Thiede zu veranlassen gewußt, ihm das Miegsche Buch zu leihen. Der Dolus in dieser Beziehung ist zweifellos. Obwohl es in hohem Grade wahrscheinlich ist, daß diese Mitteilungen zur Kenntnis der österreichischen Regierung gelangt sind, so liegen bestimmte Tatsachen hierfür nicht vor, der Gerichtshof hat deshalb in dieser Handlung nur den Versuch des Landesverrats erblickt. Der letzte Anklagepunkt, wonach Hentsch den Zeugen Coßmann veranlaßt hat, sich durch den Bretterzaun des auf dem Tempelhofer Felde in Berlin belegenen Exerzierplatzes die Versuche des Garde-Pionierbataillons mit den neuen streng sekretierten Sturmgeräten anzusehen und alsdann von diesen Geräten eine Zeichnung zu entwerfen, qualifiziert sich zweifellos als Verbrechen im Sinn des § 92 des Strafgesetzbuches. Hentsch bot dem Adler „neue streng sekretierte Sturmgeräte für 200 Mark“ an. Das Geschäft kam jedoch nicht zustande; der Gerichtshof hat deshalb in dieser Handlungsweise nur eine Aufforderung zum Landesverrat erblickt. Der Gerichtshof hat deshalb den Angeklagten Hentsch in 4 Fällen des vollendeten, in 2 Fällen des versuchten Landesverrats und in einem Falle der Aufforderung zum Landesverrat für schuldig erachtet. Was nun das Strafmaß anlangt, so ist als erwiesen angenommen worden, daß Hentsch dem Adler noch sekrete Dinge übermittelte, als er bereits wußte, daß dieser Agent der österreichischen und russischen Regierung war. Dies beweisen eine Anzahl Briefe, die Hentsch an Adler gerichtet, und auch die Bekundungen der hier vernommenen Herren Untersuchungsrichter. Es ist ferner erwiesen worden, daß Hentsch dem Adler außerdem ungemein wichtiges Material, wie Küstenbefestigungen, Resultate über Pulverversuche, Normalbauten für die Befestigung Deutschlands usw. angeboten hat. Der Gerichtshof hat aus den zur Verlesung gelangten Briefen die Überzeugung gewonnen, daß diese Offerten nicht gemacht wurden, um Adler zu düpieren und ihn los zu werden. Hentsch war im Gegenteil stets bemüht, genaues Material zu liefern. Ob er seine Arbeiten direkt an fremde Regierungen verkaufte oder durch Vermittelung dritter Personen, ist vollständig gleichgültig. Einen Milderungsgrund für Hentsch vermag selbst der humanste Richter nicht zu finden. Hentsch war Offizier der deutschen Armee; mittelst dieser ehemaligen militärischen Eigenschaften gelang es ihm, sich durch Überredungen usw. in den Besitz sekreten Materials zu setzen. Seine militärischen Kenntnisse gestatteten ihm einen vollständigen Einblick in die Gefahren, die er durch seine Handlungsweise dem Vaterlande bereitete. Es ist nun zu erwägen, ob Hentsch lediglich alle diese Verbrechen schnöden Geldgewinnes halber beging. Not kann ihn nicht dazu verleitet haben, denn der Angeklagte hat in seinem ganzen Auftreten dem Gerichtshof den Beweis geliefert, daß er nicht nur ein Mann von Bildung ist, sondern daß er auch eine gewisse Findigkeit und große, im bürgerlichen Leben zu verwertende praktische Kenntnisse besitzt. Der Angeklagte war somit in der Lage, auf ehrliche Art und Weise sich und seine Familie zu ernähren, wenn auch sein Verdienst alsdann ein nicht so großer und seine Arbeit vielleicht eine mühevollere gewesen wäre. In Erwägung aller dieser Umstände hat der Gerichtshof erkannt: wegen des Aufmarsches und der Instruktion zur Komplettierung der Behörden mit Truppen und Pferden auf je 3 Jahre Zuchthaus, wegen des Auszuges aus der Fortifikation von Metz und den technischen Bestimmungen, betreffend Artillerie- und Garnisonbauten, auf je 2½ Jahre Zuchthaus, wegen des Versuchs betreffs der Telegrapheninstruktion auf 2 Jahre Zuchthaus, wegen des Versuchs mit dem Repetiergewehr auf 1½ Jahr Zuchthaus und wegen Aufforderung zum Landesverrat auf 1 Jahr Gefängnis, die den gesetzlichen Bestimmungen gemäß in 8 Monate Zuchthaus umzuwandeln waren. Die Gesamtstrafe beträgt somit 15 Jahre und 2 Monate Zuchthaus, die gemäß § 74 des Strafgesetzbuches auf 9 Jahre Zuchthaus reduziert worden sind. Da die Handlungsweise des Angeklagten eine ehrlose war, so sind dem Angeklagten auch die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt worden. Was den Angeklagten Kraszewski anbetrifft, so ist erwogen worden, daß dieser ursprünglich die Triebfeder des Ganzen war. Der Umstand, daß er Pole ist, kann mildernd nicht ins Gewicht fallen. Tatsächlich lebt er seit vielen Jahren in Deutschland, ist deutscher Staatsangehöriger und hat somit sein Vaterland verraten. Es kommt jedoch in Betracht, daß Kraszewski Mitglied der polnischen Nationalpartei ist, daß somit anzunehmen ist, seinen Handlungen habe ein gewisses Ideal zugrunde gelegen. Wenn auch nicht jede verbrecherische Handlung, die aus idealen Motiven geschehen, mildere Beurteilung verdient, so waren doch die Beweggründe des Kraszewski nicht so niedrige als die des Hentsch. Diesen Umstand hat der Gerichtshof in Betracht gezogen und ferner erwogen, daß der Angeklagte ein langes, ehrenvolles Leben geführt und, obwohl er zwei blutige Revolutionen in Polen mit durchlebt, er niemals Anteil an diesen genommen, mithin den Beweis geliefert hat, daß er allen Gewalttaten ferngestanden. Lediglich aus diesem Gesichtspunkten hat der Gerichtshof dem Angeklagten v. Kraszewski mildernde Umstände zugebilligt. Angesichts dessen hat der Gerichtshof wegen des vollendeten Landesverrats, den Aufmarsch betreffend, auf drei Jahre Festung, wegen der Aufforderung zum Landesverrat auf ein Jahr Festung und somit auf eine Gesamtstrafe von dreieinhalb Jahren Festung erkannt. Die gegen den Angeklagten v. Kraszewski verfügte Vermögensbeschlagnahme ist aufzuheben; Hentsch ist in Haft zu behalten und der Angeklagte v. Kraszewski freizulassen. Die Kosten des Verfahrens haben die Angeklagten gemeinschaftlich zu tragen. Die Verhandlung ist beendet. – Die Angeklagten nahmen beide die Urteilsverkündung mit ziemlicher Fassung entgegen. Am Schlusse traten dem Angeklagten Hentsch die Tränen in die Augen. – Hentsch wurde zur Verbüßung seiner Strafe in das Zuchthaus zu Halle a. S., Dr. v. Kraszewski in die Festung Magdeburg übergeführt. Beide sind nach Verlauf eines Jahres gestorben.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: kümmmern
  2. Vorlage: und und