Textdaten
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Autor: Karl v. Holtei
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Titel: Plaudereien aus meinem Leben
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 88–91
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[88]

Plaudereien aus meinem Leben.

Von Karl v. Holtei.

Unter dieser Ueberschrift sollen von Zeit zu Zeit Erinnerungen aus meinem Leben hier mitgetheilt werden. Ein alter Mann, zu solchen Mittheilungen angeregt, hat wohl Acht zu geben, daß er nicht in selbstgefälliges Schwatzen sich verirre; um so schärfer, wenn er bereits ein Langes und Breites aus seinem Dasein erzählte und nun in Gefahr kommt, schon Gesagtes noch einmal vorzubringen. Eine zweite noch drohendere Gefahr liegt in der von kleinen Schilderungen dieser Art unzertrennlichen Nothwendigkeit, über sich selbst zu sprechen, wo man berufen ward über Andere, über bedeutende und interessante Männer oder Frauen zu reden. Mag der Erzähler noch so redlich bemüht bleiben, sich selbst in den Hintergrund zu stellen – ohne Wissen und Wollen wird er genöthigt werden, mit seiner eigenen Persönlichkeit einzutreten, weil eben nur in Beziehung auf diese ihm vergönnt gewesen ist, in Verkehr zu gelangen mit Jenen, deren Wesen, wie es ihm erschien, er flüchtig schildern will.

Da hilft nun weiter keine Vorsicht; beiden Gefahren ist Jeder ausgesetzt, der zu „plaudern“ beginnt, und er muß auf Nachsicht rechnen, welche verständige, billigdenkende Leser ihm nicht vorenthalten mögen. Zuletzt darf auch der Bescheidenste ehrlich mit Goethe eingestehen: „Was habt ihr denn aber, was euch erfreut, als eure liebe Persönlichkeit, sie sei auch wie sie sei?“ –

Gönnen doch Hörer dem Greise, der ihnen aus vergangenen Tagen allerlei vorplaudert, gern Verzeihung für manche mitunterlaufende schwatzhaft-eitle Breite. Weshalb sollte ein ähnlicher Pardon nicht auch von Lesern ertheilt werden, wofern es dem [89] Erzähler nur gelingt, sich Hörer aus Lesern zu schaffen, das heißt: schreibend so natürlich mit ihnen zu reden, als ob er spräche?

Eine Hauptbedingung dabei ist immer die Wahrheit: die Wahrheit der Thatsachen, die Treue der Auffassung, die Aufrichtigkeit der Gesinnung! Deren darf ich mich rühmen. Deshalb rechtfertige ich meine Plaudereien ein für allemal mit Goethe’s Worten: „In der jetzigen Zeit soll Niemand schweigen, oder nachgeben; man muß reden und sich rühren, nicht um zu überwinden, sondern sich auf seinem Posten zu erhalten; ob bei der Majorität oder Minorität, ist ganz gleichgültig,“ und ich beginne mit der Stätte, von der diese Worte ausgingen, der für jeden Deutschen ewig geweihten Stätte, welche unser großes Dichterzweigestirn und noch so mancher andere glänzende Stern am Himmel unsers nationalen Schriftenthums für ewig geweiht und geheiligt haben – mit meinen Erinnerungen an Weimar.


I. Weimarische Abende.
1. Bei Goethes.

Es gehen lügenhafte Sagen umher, die im Laufe der Zeit Geschichte werden. Unter diese gehört jene ungerechte, tausend Mal aufgewärmte Anklage: Goethe habe sich theilnahmlos gegen jungaufstrebende Talente verhalten und ihre Hervorbringungen keiner Aufmerksamkeit gewürdigt, außer wenn sie ihm unbedingt huldigten. Das ist Verleumdung! Gegen Personen mag er sich hin und wieder abstoßend gezeigt, mag, durch bittere Erfahrungen argwöhnisch gemacht, sich vor allzuhäufigem Andrange und vielfältigem Ueberlaufen bisweilen gesichert, mag die ihm einwohnende, wahrhaft humane Milde gewaltsam unterdrückt haben, wie schwer es ihm immer wurde. Gegen geistige Erzeugnisse blieb er auch dann gerecht, wenn er gegen deren Erzeuger etwas auf dem Herzen hatte. Selten wohl hat es einen Dichter gegeben, welcher die Dichtungen Anderer so scharf zu sondern wußte von ihren Schöpfern, der so objectiv betrachtete und beurtheilte. Freilich stets von seinem Standpunkte. Ob dieser jedesmal der unfehlbare, unumstößliche gewesen? Das wäre doch eine recht unnütze Frage. Denn welcher Mensch, sei es der weiseste, welcher Poet, sei es der größte, welcher hohe Geist bleibt von vorgefaßten Meinungen frei, von Einseitigkeiten, Idiosynkrasien, Sympathien? „Nicht Unparteilichkeit,“ sagt J. P. Fr. Richter treffend, „ist dem Erdenmenschen anzusinnen, nur Bewußtsein derselben.“ Und aus seinem Bewußtsein heraus, aus seinem eigensten Gefühle, allerdings auch manchmal durch den Schleier selbstgewobener Theorien, hat Goethe den Blick auf Kunstwerke der jüngeren Welt gerichtet, ohne vorher zu fragen: wie steht’s mit ihren Verfassern? Hängen sie mir an? Gehören sie zu meinen Schülern, oder zu meinen Gegnern? Nein, er trennte Personen und Sachen. Er konnte unerbittlich streng den Stab brechen über Arbeiten derer, die er gern um sich sah; er konnte sich kindlich freuen über poetische Erstlinge ihm wildfremder Leute. Ich erinnere mich, daß sein Sohn August mir erzählt hat, welch’ herzliche Freude „der Vater“ gefunden am Drama „Alexander und Darius“ von Fr. v. Uechtritz, welches der ihm gänzlich unbekannte Autor eingesendet. „Wie ein Kätzchen,“ versicherte August, „trug er’s unter’m Arme mit sich herum, gab es nicht aus den Händen, ging, glaub’ ich, damit zu Bette, ergötzte sich liebkosend daran, wie an einem edlen, reinpoetischen Werke.“

Etwas Aehnliches mag Michael Beer gehofft und erstrebt haben, da er meinen Aufenthalt in Weimar benutzen wollte, seine Tragödie „Struensee“ durch mich bei Goethe einzuschwärzen, indem ich dieselbe dort vorlas, wie ich bereits in Berlin vor meinem gewöhnlichen Publicum gethan. Der Aufführung dieses Stückes stellten sich damals noch unterschiedliche Hindernisse entgegen. Auch war es noch nicht mit den musikalischen Schwingen versehen, welche Bruder Giacomo ihm – leider erst nach des Dichters Tod – ansetzte. Es hatte, neben vielen anerkannten Schönheiten, die unzukömmliche Eigenschaft eines allzugroßen Umfanges, den ich, trotz raschestem Tempo, nur nach Ablauf dreier voller Stunden bändigen konnte. In Berlin, unter aufmerksamster Controlle der zahlreichen Beer’schen Familie, durfte ich nicht kürzen, auch schleppende Stellen nicht. In Weimar war das „Streichen“ Pflicht, sollte derjenige, auf den es abgesehen war, die Geduld nicht verlieren. Ich übte diese Pflicht als routinirter Theatermensch und strich barbarisch.

Mögen die Dichter noch so heftig dawider eifern, es thut häufig Noth, zu ihrem und ihrer Arbeiten Vortheil. Denn im Flusse der Begeisterung vergessen sie allzuleicht, wie Wenige auf der Bühne reden können und wie Wenige vor der Bühne hören wollen. Wobei noch zu erwägen, daß breite Recitation auch im günstigsten Falle die Handlung hemmt. Demnach gebrauchte ich meinen Rothstift gewaltig, in Michael Beer’s Interesse, nicht minder in meinem eigenen, weil es mir auf diesem Wege endlich gelingen sollte, so meinte ich, daß Goethe mich lesen höre, was er bis dahin hartnäckig verweigert – den Seinigen sowohl, als andern Antragstellern – mit der Entschuldigung: „Er habe jetzt gerade viel zu thun, und so etwas störe ihn!“

Diesmal hatte Frau Ottilie, die liebenswürdige Schwiegertochter, versprochen, den Schwiegervater einzufangen, und er hatte versprochen sich fangen zu lassen. Auch war die Falle pfiffig aufgestellt, und hübsche Frauen und Mädchen waren zur Lockung verheißen. Mittags zwölf Uhr befand er sich in erwünschtem Wohlsein; es konnte gar nicht fehlschlagen.

Eine größere Gesellschaft fand ich, nicht in den von ihm bewohnten Räumen, sondern im oberen Stockwerk, welches „Kammerraths“ inne hatten, (im sogenannten „Schiffchen“) versammelt, als ich, meinen Adoptivsohn Struensee im sauberen Manuscripte fest an die Brust geklemmt, anrückte. Die Versammlung überraschte mich, so zahlreich erwartete ich sie nicht. Sie erschreckte mich zugleich, denn es stieg mir beim ersten Ueberblicke die Befürchtung auf, das Erscheinen der Hauptperson sei dadurch in Zweifel gestellt. Noch war’s nicht ausgesprochen, noch hoffte Frau von Goethe, „Papa werde nicht ausbleiben.“ Ich zählte die Minuten, jeder Sprung des Secundenweisers gab mir einen Stich in’s Herz. Aber dennoch ließ auch ich die Hoffnung nicht schwinden. Mir war’s wirklich mehr um den entfernten Dichter und dessen heißeste Wünsche, als um den Vorleser, welcher letztere auf seinen Erfolg als solcher heute kein besonderes Vertrauen baute. Eine derartige künstlerische Production steht immer auf schwankenden Füßen, wofern sie nicht classisch-festen Boden unter sich fühlt. Wer unbestrittene Meisterwerke vorzutragen hat, darf sich mit allen Kräften der Seele seiner Aufgabe widmen. Ihn erfüllt dann lediglich der eine Gedanke: Du sollst darthun, daß du würdig bist, den Dichter in’s Leben zu rufen, ihm sein Recht zu erweisen! Und fehlt es dann sonst nicht an Fähigkeit und Uebung, so wird er muthig vorgehen, günstiger Wirkung sicher. Wer jedoch Sorge zu tragen hat für das seinem Talente anvertraute, noch unbekannte Werk, wer gleichsam die Verpflichtung übernahm, diesem Eingang zu verschaffen, den drückt auf zusammengeschnürter Brust gleich einem Alp die Angst, ob er so schwieriger Pflicht zu genügen, ob er den Autor glücklich zu vertreten im Stande sein werde.

So war mir’s mehrmals schon in gleicher Situation ergangen, wo ich einem hochpreislichen Publicum (und was bedeutete mir ein solches im Vergleiche mit Goethe!) gegenüber saß. Einmal, um nur ein Beispiel, aber ein schlagendes, anzuführen: da ich meinem lieben, verehrten Freunde L. Rellstab angelobt, seinen „Franz von Sickingen“ vor besagtem Auditorium lebendig zu machen, selbigen wackern Rittersmann jedoch mit all’ meinem an ihn verwendeten Lebensathem tödtete, daß er kein Glied mehr rührte; – oder vielleicht von ihm getödtet wurde! Wer will’s entscheiden? Wir brachten wahrscheinlich Einer den Andern um. Und wenn sich das heute Abend wiederholte! Wenn ich eine poetische Leiche in Goethe’s Haus geliefert hätte, um sie vor ihm zu seciren? Vor ihm, der bekannten Abscheu wider Leichen hegte! Und was würde Michael Beer von mir denken, der sein Schooßkind mir überantwortet auf Treu’ und Glauben, daß ich es in’s hellste Licht setzen möge?

Diese peinliche Spannung ward noch gesteigert durch das Betragen der Anwesenden, welche, gleich mir des hohen Hausherrn gewärtig, obschon ohne Furcht, vielmehr in froher Aussicht auf eine, möglicherweise zwei Hinrichtungen, gierige Blicke wechselten zwischen mir und dem für mich errichteten Schaffot, dabei aber doch nur ehrfurchtsvoll flüsterten, wie etwa in der Kirche geschwatzt wird, ehe die Predigt beginnt.

Mancherlei Zustände lassen sich nicht beschreiben. Wer sie nicht an sich selbst erlebt hat, wird sie nicht verstehen; wer gesunde starke Nerven hat, begreift nimmermehr, bis zu welchem Grade krankhafter Ueberreizung derjenige gebracht werden kann, der, ungeachtet vorhergegangener Successe im Bereich künstlerischer Reproduction, [90] ehrlich-bescheiden fortwährend an seinen Fähigkeiten zweifelt und diese Zweifel niemals quälender empfindet, als kurz vor jedem neuen Versuche. Diese Aufregung ist unbesiegbar. Ja, nach meinem Dafürhalten soll sie es bleiben, ist unerläßlich; denn einzig allein aus ihr entspringt jene Art von Begeisterung, die dem gesprochenen Worte Geist und Seele verleiht, die ihm Kraft giebt, den Hörer gewaltig zu ergreifen und fortzureißen. Wer mit vollständiger Fassung, mit ruhiger Besonnenheit, frei von dem Fieber, welches im Bühnen-Jargon „Lampenfieber“ heißt, an irgend welche Wiedergeburt dramatischer Dichtungen geht, der mag, wenn er’s kann, meinetwegen vortrefflich recitiren, jeden Gedanken des Autors klar machen, aber lebendige Gestalten wird er nicht hervorzaubern, Charakteren wird er nicht ihre ursprüngliche Selbstständigkeit durch inspirirte Sonderung verleihen, Leidenschaften wird er weder schildern noch erregen, wenn er mit stählernen Nerven „an’s Geschäft“ geht, wenn er so gesunden Körpers dabei ist, daß er fieberfrei bleibt. Auf ihn wird man A. W. Schlegel’s Ausspruch anwenden können:

„So gelingt uns, wie man Kuchen backt,
Diese löblich-nützliche Verrichtung.“ –

Jedweder Vertrag eines großen Drama’s muß ein Stück Leben kosten, soll’s wahrhaftig lebendig geworden sein. Dafür gewährt das Gefühl, der Besseren Theilnahme erworben und verdient zu haben, beglückenden Ersatz. Desto niederbeugender ist die Nachwirkung, wenn es fehlschlägt.

Letztere sollte mir diesmal erspart bleiben, denn der sehnlichst Erwartete, hoffend Gefürchtete kam nicht. Bestellt wurde die Absage, als wäre sie aus momentaner Entschließung, durch Unpäßlichkeit veranlaßt, hervorgegangen. Ich hegte die Ansicht, und hege sie noch, daß es von vornherein beschlossene Sache, daß Frau von G. im Geheimniß gewesen sei. Man hatte Michael’s dringendes Gesuch nicht unfreundlich zurückweisen, man hatte mir, der’s überbrachte, kein entschiedenes Nein zu hören geben wollen, man hatte diesen Ausweg erfunden.

Nun lösten sich die Zungen. Es erhob sich laut das allerliebste gesellschaftliche Geschnatter, welches „Conversation“ genannt wird, in allen Tonarten, Tempi, sammt dazu gehörigen Dolces und Fortissimos, es schnatterte so, vom vorhergegangenen Respect der Erwartung befreit, ungebunden fort, bis ich mit meinem feierlichen, im sonorsten Bariton verkündigten „Struensee, Trauerspiel in fünf Acten von Michael Beer“ dazwischen fahrend das Signal zum Stillschweigen gab.

Zwei heiße Stunden! Wie jedesmal, wo der eigentliche innere Antrieb erloschen ist und ein gewisser Zwang an seine Stelle tritt, geschah meinerseits des Guten zuviel. Ich suchte durch Kraftaufwand zu ersetzen, was mir an inniger Wärme fehlte. Wer hätte mir diese mittheilen sollen? Die Weimaraner kannten mich als Vorleser hinreichend, um mich war’s ihnen an diesem Abende wahrlich nicht, um das Stück fast eben so wenig. Ihn hatten sie sehen, hatten beobachten wollen, was für ein Gesicht Er machen würde zu meinen Anstrengungen, ob er mit weit geöffneten Götteraugen menschlich Theil nehmen, ob er, süß-sauer lächelnd, die ihm ohnehin „durch Vermischung schlichter Recitation mit theatralischen Auswüchsen“ verdächtige Neuerung verneinend abweisen werde.

Das fiel nun weg. Und waren Struensee und ich gerade nicht mit gefallen, so hatten wir doch auch nicht besonders gefallen. Beim Souper drehten sich die Gespräche weniger um den eigentlichen Kern dieser Zusammenkunft, als um alle möglichen übrigen Dinge und Personen auf Erden. Ich glaub’s wohl, die Gäste konnten lachen! Sie begaben sich gutgenährt nach Hause, freuten sich auf’s warme Nachtlager, sagten am nächsten Morgen einer zum andern:

„Der Holtei hat gestern nicht gar schön gelesen.“

„Soll denn das Stück hier aufgeführt werden?“

„Ach nein, ich denke nicht.“

Und damit war’s überstanden.

Ich Aermster jedoch that, obgleich leer im Magen, weil ich vor Verdruß nichts zu mir genommen, die Nacht hindurch kein Auge zu, grübelte nur, wie ich einen Brief drehen und wenden könne, der den Verfasser des Struensee glauben mache, daß Goethe, wenn er sich’s auch nicht mit vorlesen ließ, nichts desto weniger umständlichen Rapport über das Stück verlangt habe und das Manuscript zurückbehalte, um es selbst zu lesen!

Beides war keine Lüge. Beides war mir versprochen worden. Aber war seine Gegenwart zur Vorlesung nicht auch versprochen gewesen? Ach Du mein Gott, was für spitzfindige Episteln hat Unsereiner, doch schon im Leben schreiben müssen!

2. Bei Frau von Heygendorf.

Die Sängerin und Schauspielerin Caroline Jagemann, die nachmals hochgefeierte Frau von Heygendorf, war, nach den ersten Liebesanträgen, die Karl August, da er noch Herzog war, ihr gemacht hatte, aus Weimar entflohen. Ein vertrauter Abgesandter wurde ihr nachgeschickt, wie man glaubt, mit der Instruction, des Landesherrn für sie erwachte Leidenschaft in feurigsten Farben darzustellen. Dieser Liebesbote soll noch über die ihm gegebene Freiheit, er soll so weit gegangen sein, dem schönen Flüchtling anzudrohen: längeres Widerstreben werde zu tragischem Ausgange führen, und nur das ersehnte Jawort könne dem Ländchen seinen allverehrten Regenten erhalten. Darauf habe nun Caroline endlich eingewilligt und von diesem Augenblick selbst die Rückkehr beschleunigt, damit ihr „der Entschluß nicht wieder leid werde“.

So ist mir von glaubwürdigen Zeitgenossen erzählt worden. Was daran wahr gewesen, mag wohl Niemand mehr recht gewußt haben. Auch hatte das Verhältniß jenen romanhaften Zauber längst abgestreift. Der Großherzog war ein alter Herr, Frau von Heygendorf (diesen Namen trug sie in der Stadt, auf den Brettern ist sie Madame Jagemann geblieben!) war eine alternde Dame geworden; glühende Leidenschaft hatte sich zu dauernder Freundschaft abgekühlt, was für edelmüthige Beständigkeit von der einen, für kluges Verhalten von der anderen Seite zeugt. Zugestanden, Frau von Heygendorf war die erklärte Geliebte des Fürsten; daß sie aber als solche die Achtung und Zuneigung der Bewohnerschaft, sogar das Wohlwollen der sie tolerirenden Großherzogin lange Jahre hindurch zu bewahren gewußt, das, wie gesagt, zeugt für kluges Verhalten und zugleich für gute Eigenschaften des Gemüthes. Ihr Einfluß auf Karl August ist bis zu dessen Tode derselbe geblieben.

Ich glaube nicht, wenigstens hab’ ich nie darüber klagen hören, daß sie in Regierungsangelegenheiten diesen Einfluß gemißbraucht habe. Von Theaterangelegenheiten läßt sich leider nicht dasselbe rühmen, denn in diese griff sie nicht nur gelegentlich hinein, sondern führte recht entschieden das Regiment. Auf gewisse Weise mag sie das, wenn auch verstecktermaßen, schon gethan haben, als Goethe noch an der Spitze dieser Kunstverwaltung stand; wie ja jene vielbeschriebene siegreiche Protection beweist, welche sie dem Hunde des Aubry de Montdidier und dessen Pflegeeltern und Erziehern, Herrn und Madame Brandt, angedeihen ließ, womit sie gegen ihren dem Titel nach Vorgesetzten den Sieg davon trug und ihn von der Direction verscheuchte. Späterhin war es ihr gelungen, einen Freund, den ihr fürstlicher Gönner großmüthig neben sich duldete, einen nicht unbegabten Sänger, zum Oberdirector des Hoftheaters zu befördern. Und nun hielt sie die Leitung nach beiden Gewalten hin fest, war die Regentin zweier Regenten, von denen der eine, neben seinem kleinen Weltreiche, auch jenes noch kleinere Reich, welches die Welt bedeuten will, zu regieren berechtigt war, sobald er sich, von ihr veranlaßt, darum zu bekümmern Lust zeigte, während der andere Jenem und ihr unterwürfig bleiben und sich eben auch mit der Titulatur des Amtes begnügen mußte.

Mir ist das, wenn schon nicht durch einen Hund, doch durch ein anderes Hausthier klar gemacht worden. Ich hatte ein dazumal in Paris mit großem Succeß gegebenes Scribe’sches Baudeville „la chatte metamorphosée en femme“ nach meiner Art verdeutscht, mit hübschen Melodieen nach meiner Wahl ausgestattet und las es, frischbacken wie’s aus dem Ofen kam, als „verwandelte Katze“ der Frau von Heygendorf vor. Ich befand mich damals im dritten Stadium der Flegeljahre, welches bei mir unerlaubt lange gedauert hat; war naiv kindisch, dummehrlich, mit offenen Augen blind … sonst hätt’ ich wahrnehmen müssen, daß der übertrieben lebhafte Beifall, den meine schwache Arbeit erregte, weniger dem Autor, als dem Wunsche der Spenderin galt, in eigenster wohlbeleibter Person das schlanke, gewandte Kätzchen darzustellen. Davon aber merkte ich nichts, sackte den reichlichen Applaus freudig ein, gelobte Abschriften von Buch und Partitur möglichst rasch aus Berlin einzusenden und [91] begab mich von Frau von H. geraden Weges zu – Auguste Satorius, die, höchst unzufrieden mit ihrer „untergeordneten Stellung“ (sie war nebenbei gesagt nirgends zufrieden), in der That nur spärlich mit dankbaren Rollen bedacht, voll wahren Heißhungers auf besagte Katze sich stürzte. Wir wurden einig, daß ich in meinem Begleitschreiben an die Direction diese Partie, dem Autorrechte gemäß, für sie, für Augusten bestimmen sollte. (Das ist denn seiner Zeit geschehen und hat die natürliche Folge gehabt, welche ein lebensklügerer Mensch voraussehen mußte. Man schickte mir das Stück umgehend zurück und erklärte es für unbrauchbar; dasselbe Stück, vom welchem die incognito regierende Donna assolutissima sich mehr denn entzückt gezeigt.)

Im Augenblicke befinde ich mich aber noch in Weimar, stehe noch in vollster Gunst, welche sich soweit erstreckt, daß Madame Jagemann dem „talentvollen Schriftsteller“ ihre Maria Stuart vorzuspielen sich entschließt.

Nicht ohne frommen Schauder habe ich das Programm[WS 1] in der Hand gehalten, worauf die Namen Graff, Heide, Oels – Namen aus glorreicher Schiller-Goethe-Epoche – verzeichnet standen. Madame Jagemann gehörte ja ebenfalls noch dazu. Und nicht minder gehörte zu jenen meinen lieben langen Flegeljahren die aufrichtig-kindliche Pietät, der sich willig fügende Respect für überkommene Autoritäten. Ich hatte mich ernstlich bemüht zu vergessen, was ich vor Jahren in Berlin vernommen über ein Gastspiel der Jagemann auf dem königlichen Hoftheater. Sie war, so hieß es in Berlin, ausgestattet mit den gewichtigsten Empfehlungen, eingetroffen, demgemäß gebührend empfangen, und die Thüren zum Musentempel waren ihr weit geöffnet worden. Zur ersten Auftrittsrolle hatte sie „Preciosa“ erwählt; eine Partie, worin sich, neben der recitirenden Schauspielerin, auch die Sängerin, die Tänzerin zu zeigen Gelegenheit findet. P. A. Wolff schrieb diese Rolle für die in Blüthe der Jugend und Schönheit prangende Stich, und C. M. von Weber nahm bei Composition des Liedes: „Einsam bin ich nicht alleine“ Rücksicht auf deren Stimmlage. Welchen beispiellosen Erfolg die Stich gehabet, konnte in Weimar nicht unbekannt geblieben sein. Doch Madame Jagemann mag wohl das Berliner Publicum nach ihrem Weimarischen gemessen und sich eingebildet haben, vor ersterem eben so zu triumphiren, wie vor letzterem. Das wäre nun ein verzeihlicher Irrthum, weil er ein menschlich-eitler und, was noch mehr sagen will, weil er ein echt-weiblicher gewesen und weil das Schooßkind eines vielgeliebten Regenten, berauscht vom Beifall einer kleinen Residenz, Berlin leicht mit Weimar verwechseln kann, besonders wenn ihm der Berliner Skepticismus unbekannt geblieben. Daß aber eine Künstlerin von Urtheil, Bildung und Geschmack sich durch kindische Eitelkeit so völlig verblenden ließ, als Preciosa zwischen Weber’s himmlische Musik eine italienische Bravour-Arie mit Coloraturen (irr’ ich nicht aus der „diebischen Elster“) einzulegen: dafür giebt es weder Entschuldigung, noch Verzeihung! Das Berliner Parterre hatte denn auch dergleichen nicht vorwalten lassen, nicht einmal mildernde Umstände angenommen, hatte sein Verdict unnachsichtig kund gegeben und zwar mit dem so gesprochenen wie geschriebenen Wortspiele: „Die Jagemann jage man!“

Dieser Erinnerung suchte ich mich gewaltsam zu entschlagen, da ich hin ging, Maria Stuart zu sehen. Gewiß, ich brachte den besten Willen mit, wollte bewundern, anbeten wenn irgend möglich. Aber ach, es war unmöglich. Wo ich künstlerisch-natürlichen Vortrag, klar, sinnig, verständig, wo ich vor Allem meisterhafte Behandlung des Verses in rhythmischer und dennoch freier Bewegung, als Erbschaft aus Goethischer Zeit, erwarten zu dürfen glaubte, klang nur eine pathetische, hohle und, was das Schlimmste war, kalte Declamation entgegen, die nicht einmal durch ruckweise dazwischen auflodernde feurige Leidenschaftlichkeit[WS 2], wie etwa bei französischen Tragöden, belebt wurde. Mir erschien Alles äußerlich, keine Spur von innerer Seele. Ich saß erstarrt. Gern hätt’ ich meinen Nachbarn, deren einer Eckermann, leise Bekenntnisse mißmuthiger Enttäuschung abgelegt, doch an diese Erleichterung durfte ich nicht denken, denn „der Herr“ überwachte aus seiner kleinen Seiten-, nicht aus der mittleren Hofloge, jede Miene, jede Bewegung des Fremden. Und dieser zeigte sich feig genug, „Bravo!“ zu rufen und in die Hände zu klatschen, wenn die schottische Königin daraufhin loslegte.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Progamm
  2. Vorlage: Ledenschaftlichkeit