Oberlandesgericht Nürnberg - Dienstanweisung

Textdaten
Autor: Oberlandesgericht Nürnberg
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Titel: Dienstanweisung
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aus: GRUR (E-Text)
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Entstehungsdatum: 27. März 2001
Erscheinungsdatum: 2001
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Quelle: GRUR-RR 2001, Heft 10, S. 225-228 (E-Text)
Kurzbeschreibung: Entscheidung zur Schöpfungshöhe eines medizinischen Werks
Warnung siehe Anmerkung
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OLG Nürnberg, Urteil vom 27. 3. 2001 - 3 U 3760/00 (Dienstanweisung)

Zum Sachverhalt:

Die Parteien streiten um urheberrechtliche Ansprüche.

Der Kl. ist Mitverfasser einer „Dienstanweisung zur Durchführung von Injektionen, Infusionen und Blutentnahmen durch das Krankenpflegepersonal“. Als Verfasser haben weiter mitgewirkt die Herren Prof. Dr. … und Dr. …. Diese haben dem Kl. ihre Einwilligung zur Geltendmachung der Klageansprüche erteilt und ihn zur Prozessführung im eigenen Namen ermächtigt. Sie haben ferner ihre Ansprüche gegen die Bekl. an den Kl. abgetreten. Die Dienstanweisung erschien zunächst im April 1989 im Verlag der Bekl. zu 1. Nachdem der Kl. den mit der Bekl. zu 1 geschlossenen Herausgebervertrag gekündigt hatte, kam es zu einer rechtlichen Auseinandersetzung, die mit einem Vergleich beendet wurde. Die Bekl. zu 1 verpflichtet sich dort u.a., vom Kl. geschaffene Aufklärungsbögen und sonstige Verlagsobjekte mit Ablauf des 31. 12. 1996 nicht mehr zu verwenden. Im November 1996 ließ sie die im Tenor des Ersturteils wiedergegebene „Dienstanweisung zur Durchführung von Injektionen, Infusionen und Blutentnahmen durch das Krankenpflegepersonal“ drucken und brachte sie in Verkehr. In ihr ist der Bekl. zu 2, der zugleich Geschäftsführer der Bekl. zu 1 ist, als Herausgeber und der Bekl. zu 3 als Autor benannt.

Der Kl. hält die von der Bekl. zu 1 vertriebene Dienstanweisung als ein Plagiat des von ihm und seinen Mitverfassern geschaffenen Werkes. Er hat zur Begründung im ersten Rechtszug vorgetragen, ihre Dienstanweisung sei urheberrechtlich geschützt. In ihrer Gliederung, Gedankenführung und Sprachgestaltung weise sie eine hinreichende Individualität und Gestaltungshöhe auf, so dass von einer eigenpersönlichen geistigen Sprachschöpfung gesprochen werden müsse. Die Schutzgrenze sei bei Sprachwerken grundsätzlich niedrig anzusetzen; auch die „kleine Münze“ sei geschützt. Die von der Bekl. zu 1 im November 1996 in Verkehr gebrachte Dienstanweisung sei eine in der Gliederung, der Gedankenfolge, im Gedankeninhalt und in der Formulierung teils wortgleiche, andernteils durch eine geringfügige Umstellung der Sätze nahezu identische Übernahme des vom Kl. und seinen Miturhebern geschaffenen Sprachwerks, so dass sie nicht mehr als freie Benutzung des kl. Werkes angesehen werden könne.

Der Kl. hat deshalb folgende Anträge gestellt:

I. Die Bekl. zu 1 bis 3 werden unter Androhung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 500000 DM oder an den Bekl. zu 2 und 3 zu vollziehender Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, bei mehrfacher Verhängung bis zu zwei Jahren, Ordnungshaft auch für den Fall der Uneinbringlichkeit des Ordnungsgeldes verurteilt, es zu unterlassen, eine „Dienstanweisung zur Durchführung von Injektionen, Infusionen und Blutentnahme durch das Krankenpflegepersonal“ des nachfolgenden Inhalts

• Welche Maßnahmen umfasst die Anordnung und wie soll sie erteilt werden?

1.1.

Die Anordnung von Injektionen, Infusionen und Blutentnahmen ist Aufgabe des Arztes. Er trägt die alleinige Verantwortung für seine Anordnung.

1.2.

Der Arzt kann die Durchführung dieser Maßnahmen, soweit sie nicht wegen besonderer Umstände (z.B. Kontrastmittelinjektionen oder vergleichbar schwierige oder gefährliche Eingriffe wie Punktionen) ärztliche Kenntnisse und Erfahrungen erfordern, jedoch durch eine schriftliche oder eine spezielle Anordnung im jeweiligen Einzelfall auf dazu allgemein oder speziell ermächtigte, nicht ärztliche Mitarbeiter übertragen.

Bezeichnet der Arzt die jeweilige Person, die für die Krankenpflege zuständig ist namentlich, so darf diese die Durchführung nicht auf andere Pflegepersonen weiterübertragen.

Die Übertragung der Durchführung von Injektionen und Infusionen setzt in der Regel eine schriftlich fixierte Anordnung des Arztes voraus, in der nicht nur das Medikament und seine Dosis sowie die Art und der Zeitpunkt der Applikation, sondern auch der Name des Patienten zu verzeichnen sind.

Die ermächtigte Person trägt dann die Verantwortung dafür, dass sie die für die Durchführung geltenden Sorgfaltsmaßregeln und die ihr erteilten schriftlichen Anweisungen beachtet. Die allgemeine Überwachungs- und Beaufsichtigungspflicht des Arztes gegenüber dem Pflegepersonal bleibt damit jedoch unberührt. Unzulässig ist allerdings die Weiterübertragung der vom Arzt angewiesenen Maßnahmen von der ermächtigten auf nicht ermächtigte Pflegeperson.

1.3.

Muss in dringenden Fällen die Anordnung lediglich mündlich oder fernmündlich erteilt werden, so ist sie von der Pflegeperson, die den Auftrag entgegen genommen hat, schriftlich festzuhalten, dem Arzt zur Kontrolle vorzulesen, abzuzeichnen und dem Arzt oder seinem beauftragten Stellvertreter unverzüglich zur Gegenzeichnung vorzulegen.

1.4.

Die Bluttransfusion stellt bekanntlich eine ärztliche Maßnahme dar, die nicht auf das Pflegepersonal delegiert werden darf. Dies schließt jedoch nicht aus, dass der Arzt eine Pflegeperson zur Mitwirkung bei der technischen Durchführung solcher Maßnahmen heranziehen OLG Nürnberg: Urheberrechtsschutzfähigkeit von Gebrauchszwecken dienenden Werken [226] und ihr die Überwachung einer laufenden Bluttransfusion übertragen kann.

• Muss der Patient einwilligen?

Die Durchführung der in Ziff. 1 bezeichneten Maßnahmen erfordern in jedem Einzelfalle die Einwilligung des Patienten. Sie wird in der Regel stillschweigend - dadurch erteilt, dass der Patient einer für ihn erkennbaren Maßnahme nicht widerspricht.

Verweigert der Patient jedoch seine Einwilligung oder widerruft er dieselbe, so muss die Durchführung unterbleiben. Der Arzt ist in einem solchen Fall unverzüglich zu unterrichten.

• Verhalten bei Komplikationen

Auf mögliche Nebenwirkungen und Gefahren, die mit der Verabreichung eines bestimmten Medikamentes verbunden sein können, muss der Arzt bei seiner Anordnung das von ihm beauftragte Pflegepersonal hinweisen.

Ergeben sich für dieses wegen der Durchführung Zweifel oder Bedenken, so z.B. wegen einer Verschlechterung des Zustandes des Patienten zwischen der Anordnung und ihrer Durchführung, so ist unverzüglich eine weitere ärztliche Weisung einzuholen.

Ergeben sich während oder nach der Durchführung Komplikationen, so ist der Arzt unverzüglich zu unterrichten.

• Voraussetzungen zur allgemeinen Ermächtigung

Im Rahmen ärztlicher Anordnung sind Krankenschwestern, Krankenpfleger sowie Hebammen und Entbindungspfleger nur dann befugt, Injektionen, Infusionen und Blutentnahmen aus der Vene durchzuführen, soweit eine Delegation der ärztlichen Verpflichtung gemäß Ziff 1.2. zulässig ist.

Voraussetzung hierfür ist:

• Die Anerkennung als Fachschwester oder Fachpfleger für Intensivmedizin:

• die notwendige Erfahrung der ermächtigten Person auf Grund einer entsprechenden Ausbildung;

• eine laufende Überwachung und Belehrung durch den Arzt:

• der Nachweis über Kenntnisse und Erfahrungen der Spritzen- und Infusionstechnik durch den sogenannten „Spritzenschein“.

• Spezielle Ermächtigung

5.1.

Krankenschwestern, Krankenpfleger sowie Hebammen und Entbindungspfleger ohne eine solche formell anerkannte Weiterbildung sind nur dann befugt, die unter Ziff. 4 genannten Maßnahmen durchzuführen, wenn Sie hierfür eine besondere schriftliche Ermächtigung des leitenden Abteilungsarztes erhalten haben.

5.2.

Subkutane Injektionen dürfen Krankenpflegehelferinnen und Krankenpflegehelfer nur dann im Rahmen ärztlicher Anordnungen durchführen, sofern sie dazu vom leitenden Arzt eine schriftliche Ermächtigung erhalten haben.

5.3.

Subkutane und intramuskuläre Injektionen sowie Blutentnahmen aus der Vene dürfen Krankenpflegeschülerinnen und -schüler, Hebammenschülerinnen und Entbindungspflegeschüler nur zum Zweck ihrer Ausbildung und unter unmittelbarer Aufsicht und Anleitung eines Arztes (in Ausnahmefällen auch unter Anleitung einer damit beauftragten Pflegeperson, die selbst zur Durchführung dieser Maßnahmen ermächtigt ist), durchführen.

• Verhaltensregeln in Notfällen

In Notfällen, in denen kein Arzt erreichbar ist, hat jede Person, die zur Pflege beauftragt ist, die beste Hilfe zu leisten, zu der sie nach ihren persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten im Stande ist.

Demnach bleibt die Verpflichtung zur Hilfeleistung durch diese allgemeinen Weisungen unberührt.

Spezielle Bestimmungen über Injektionen in Fällen, in denen ein Arzt nicht rechtzeitig zugezogen werden kann, enthält die Dienstordnung für die Hebamme.

• Geltungsbereich und Bekanntgabe der Dienstanweisung

Die nach Ziff. 5.1. und 5.2. erteilten speziellen Ermächtigungen gelten für den Tätigkeitsbereich in allen Abteilungen* oder in der

…-Abteilung* des Krankenhauses. Diese Dienstanweisung ist allen im Aufgabenbereich der Abteilung des Krankenhauses tätigen und allen neu eintretenden Ärzten und Pflegekräften gegen Unterschrift auszuhändigen.

• Bitte Abteilung bezeichnen bzw. Nichtzutreffendes streichen!

Unterschrift des leitenden Arztes

Unterschrift der leitenden Pflegekraft

• Datum und Unterschriften

Ich bestätige hiermit, diese Dienstanweisung zur Kenntnisnahme und zur Beachtung erhalten zu haben:

Datum

Unterschrift des Arztes/der Krankenschwester/des Krankenpflegers/der Hebamme/des Entbindungspflegers

zu vervielfältigen und/oder zu verbreiten.

II. Die Bekl. zu 1 wird verurteilt, die in ihrem Besitz oder Eigentum befindlichen Exemplare der im Klageantrag I. wiedergegebenen „Dienstanweisung zur Durchführung von Injektionen, Infusionen und Blutentnahme durch das Krankenpflegepersonal“ zum Zwecke der Vernichtung an einen vom Kläger zu beauftragenden Gerichtsvollzieher herauszugeben.

III. Die Bekl. zu 1 und 2 werden verurteilt, dem Kl. eine vollständige, nach Kalendervierteljahren geordnete Auskunft darüber zu erteilen, wie viele Exemplare der in Ziffer 1 bezeichneten „Dienstanweisung zur Durchführung von Injektionen, Infusionen und Blutentnahme durch das Krankenpflegepersonal“ seit November 1996 vervielfältigt und verbreitet worden sind unter Angabe

-

der Stückzahlen der hergestellten und der vertriebenen Exemplare dieser Dienstanweisung, -

der Stückpreise, -

der daraus erzielten Umsätze und -

des aus der Verbreitung gezogenen Gewinns unter Darstellung sämtlicher Kostenfaktoren sowie ferner -

unter Angaben der Namen und Anschriften sämtlicher Abnehmer.

IV. Es wird festgestellt, dass die Bekl. zu 1 bis 3 als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kl. allen Schaden zu ersetzen, der diesem und/oder seinen Co-Autoren Prof. Dr. … und Dr. … durch die in Ziffer I. bezeichneten Handlungen seit November 1996 entstanden ist und noch entstehen wird.

Die Bekl. haben Klageabweisung beantragt.

Sie haben die Meinung vertreten, dass der vom Kläger und seinen Mitautoren geschaffenen Dienstanweisung kein urheberrechtlicher Schutz zukomme.

Das LG Nürnberg-Fürth hat der Klage in vollem Umfange stattgegeben. Aus den Gründen:

Die Berufung der Bekl. gegen das Endurteil des LG Nürnberg-Fürth vom 20. 9. 2000 ist mit der Maßgabe, dass Schadensersatz und Auskunft gegenüber der aus dem Kl. und seinen beiden Miturhebern bestehenden Miturhebergemeinschaft zu leisten sind, zurückgewiesen worden.

Das Erstgericht hat mit Recht ausgeführt, dass die Bekl. durch die Herausgabe ihrer Dienstanweisung der Anlage 5 schuldhaft in das Urheberrecht an dem kl. Werk eingreifen.

1. Der Kl. ist gem. § 8 II 3 UrhG befugt und aktivlegitimiert, im eigenen Namen Ansprüche wegen Verletzung des gemeinsamen Urheberrechts geltend zu machen. Auf dem als Anlage K 1 vorliegenden Exemplar des kl. Werkes sind er und die Herren … und … als Verfasser genannt. Sie gelten deshalb gem. § 10 UrhG als Miturheber (BGH, GRUR 1994, 39 = CR 1993, 754 - Buchhaltungsprogramm). Dem Kl. steht somit gem. § 8 II 3 UrhG Einzelklagebefugnis wegen Verletzung des gemeinsamen Urheberrechts zu, wobei im Falle der Ansprüche auf Zahlung von Schadensersatz und auf Auskunft die Klage auf Leistung an alle Miturheber zu richten ist. Dem hat der Kl. durch die modifizierte Antragsfassung in der letzten mündlichen Verhandlung entsprochen. Gegen die Zulassung der geänderten Antragsstellung bestehen gemäß § 264 Nr. 3 ZPO keine Bedenken (vgl. BGH, NJW 1958, 99). Falls man sie als Klageänderung auffassen wollte, ist sie jedenfalls gem. § 263 ZPO als sachdienlich zuzulassen. Eine Reduzierung des Klagezieles, das Auswirkungen auf die Kostenentscheidung hätte, ist damit nicht verbunden.

2. Das von dem Kl. und seinen beiden Mitautoren geschaffene Werk ist eine persönliche, geistige Schöpfung i.S. von § 2 II UrhG und damit nach dem Urheberrechtsgesetz geschützt.

a) Entgegen der Ansicht der Bekl. sind an wissenschaftliche Werke der hier vorliegenden Art, die einem Gebrauchszweck dienen, keine besonderen Anforderungen an den Grad der Individualität zu stellen, so dass auch hier die so genannte „kleine Münze“ des Urheberrechts Schutz findet. Die in einzelnen Entscheidungen (z.B. BGH, GRUR 1985, 1041 - Inkassoprogramm; GRUR 1993, 36 - Bedienungsanweisung) vertretene anderslautende Auffassung steht nicht mit den Vorgaben des europäischen Gesetzgebers im Einklang und bietet keine hinreichende Begründung, warum eine Ungleichbehandlung von Sprachwerken belehrenden Inhalts gegenüber den anderen in § 2 I UrhG aufgezählten Werken, den [227] Bearbeitungen und Sammelwerken gerechtfertigt ist (s. Schricker/Loewenheim, UrheberR, 2. Aufl., § 2 UrhG Rdnrn. 35ff.; Fromm/Nordemann, UrheberR, 8. Aufl., § 2 UrhG Rdnr. 44; Haberstumpf, Hdb. d. UrheberR, 2. Aufl., Rdnrn. 101ff.). Die rechtssystematischen Gründe, die dazu führen, dass ausnahmsweise bei den Werken der angewandten Kunst gem. § 2 I Nr. 4 UrhG eine besondere Gestaltungshöhe zu fordern ist (vgl. BGH, GRUR 1995, 582 - Silberdistel) greifen hier nicht ein, weil es an einem gesetzlichen Unterbau fehlt, der den Schutz der kleinen Münze bei Sprachwerken übernehmen könnte.

Der europäische Gesetzgeber hat in den Richtlinien über den Rechtsschutz von Computerprogrammen (GRUR Int 1991, 545), zur Harmonisierung der Schutzdauer (GRUR Int 1994, 141) und über den rechtlichen Schutz von Datenbanken (GRUR Int 1996, 806) für Computerprogramme, Lichtbildwerke und Datenbankwerke die Schutzvoraussetzungen jeweils gleichlautend dahingehend festgelegt, dass diese Werke urheberrechtlich zu schützen sind, wenn sie das Ergebnis der eigenen geistigen Schöpfung ihres Urhebers sind; zur Bestimmung ihrer Schutzfähigkeit sind keine anderen Kriterien, insbesondere keine qualitativen oder ästhetischen, anzuwenden. Damit ist es nach europäischem Recht für diese Werke nicht zulässig, besondere qualitative Kriterien wie eine bestimmte Gestaltungshöhe zu fordern, so dass hier der Schutz der kleinen Münze vorgeschrieben ist (vgl. Schricker/Loewenheim, § 2 UrhG Rdnr. 38; Haberstumpf, Rdnr. 100). Aus dieser jeweils gleichlautenden Definition der Voraussetzungen zum Erwerb des Urheberrechts bei ganz verschiedenen Werkarten kann geschlossen werden, dass der europäische Gesetzgeber von einem einheitlichen Schutzstandard ausgeht, der auch für andere Werkarten gelten soll, sofern nicht Besonderheiten vorliegen, die ausnahmsweise eine differenzierte Beurteilung rechtfertigen. Solche Besonderheiten sind aber für Sprachwerke belehrenden Inhalts, die Gebrauchszwecken dienen, im Verhältnis beispielsweise zu anderen Sprachwerken, zu Darstellungen wissenschaftlicher oder technischer Art, bei denen die Rechtsprechung ausdrücklich stets nur ein geringes Maß an Individualität ausreichen lässt (zuletzt BGH, GRUR 1998, 917 - Stadtplanwerk), Computerprogrammen (§ 69a III UrhG), Datenbankwerken und ähnlichen nicht erkennbar.

b) Die demnach erforderliche und ausreichende einfache Individualität ist beim kl. Werk gegeben. Es handelt sich um ein Werk belehrenden Charakters, bei dem der Schutzgegenstand in der Form und Art der Sammlung, Einteilung und Anordnung des dargebotenen Stoffs, aber auch in der Vielheit der verarbeiteten Gedanken, ihren Beziehungen zueinander und in der Art der Darstellung, bildlich „im Gewebe des Werkes“ liegt (BGH, GRUR 1991, 449 CR 1991, 85 - Betriebssystem;Schricker/Loewenheim, § 2 UrhG Rdnrn. 63ff.). Individualität fehlt, wenn dem Urheber dieser geistige Gehalt seines Werkes durch den Gegenstand der Darstellung, durch die verwendete Fachterminologie oder durch sonstige Übungen so vorgegeben war, dass kein Raum für eigene Entscheidungen verblieb. Davon kann hier nicht ausgegangen werden.

Die Durchsicht der kl. Dienstanweisung zeigt, dass zur Schaffung des Werkes zunächst Auswahlentscheidungen hinsichtlich der für eine Dienstanweisung zur Durchführung von Injektionen, Infusionen und Blutentnahmen durch das Krankenpflegepersonal maßgeblichen und nützlichen Informationen getroffen werden mussten. Es war erforderlich, die rechtlichen Regeln zur Zulässigkeit der Übertragung solcher Leistungen an das Pflegepersonal durch den verantwortlichen Arzt unter Auswertung des Arztrechts und der einschlägigen Rechtsprechung zu erarbeiten. Weitere Entscheidungen waren nötig, um festzulegen, mit welchem Nachdruck und Intensität die einzelnen Hinweise dargestellt werden. Auch die Gliederung und Reihenfolge der jeweiligen Hinweise erforderten eigene Entscheidungen. Dass diese Entscheidungen, die zur konkreten Gestaltung der kl. Dienstanweisung geführt haben, auf Grund der Natur der Sache vollständig vorgegeben waren, ist nicht ersichtlich.

Die Bekl. berufen sich vergeblich darauf, dass das kl. Werk im Zeitpunkt seiner Entstehung durch die Stellungnahmen der Deutschen Krankenhausgesellschaft vom 11. 3. 1980 und der Bundesärztekammer vom 16. 2. 1974 bereits vorweggenommen war. Es trifft zwar zu, dass insbesondere die Stellungnahme der Deutschen Krankenhausgesellschaft vom 11. 3. 1980 mehr oder weniger detaillierte Ausführungen über die Verantwortlichkeit bei der Anordnung und Durchführung von Injektionen, Infusionen und Blutentnahmen sowie darüber enthält, unter welchen Bedingungen diese Maßnahmen dem Krankenpflegepersonal übertragen werden dürfen. Diese Regeln wurden aber in dem kl. Formular in einer eigenen Gliederung knapp und besonders übersichtlich zusammengestellt. Es bezieht anders als die Stellungnahme der Deutschen Krankenhausgesellschaft auch die Tätigkeit von Hebammen und Hebammenschülern mit ein und differenziert zwischen Krankenhauspersonal, das allgemein zur Durchführung der genannten Maßnahmen als ermächtigt gilt, und dem Personal, das eine spezielle schriftliche Ermächtigung benötigt. Es enthält ferner detaillierte Regelungen, nach denen Krankenpflegehelferinnen/-helfern, Krankenpflegeschülerinnen/-schülern, Hebammenschülerinnen/Entbindungspflegeschülern die Durchführung von Injektionen und/oder Blutentnahmen überlassen werden kann. Gegenüber der Stellungnahme der Deutschen Krankenhausgesellschaft zeichnet sich das kl. Werk durch seine logische Gliederung und seine besondere Übersichtlichkeit aus, die vor allem auch durch die jeweiligen Überschriften hervorgerufen wird. Diese Abweichungen schließen aus, das kl. Formular als eine bloß mechanische, nicht individuelle Wiedergabe oder Fortschreibung der Ausführungen in der fraglichen Stellungnahme der Deutschen Krankenhausgesellschaft anzusehen.

Erst Recht gilt dies im Hinblick auf die Stellungnahme der Bundesärztekammer vom 16. 2. 1974. Die dort gemachten Ausführungen sind viel zu allgemein, um sie ohne schöpferische Tätigkeit unmittelbar in ein Formular der hier vorliegenden Art umsetzen zu können.

3. Durch die Herausgabe und Verbreitung ihrer Dienstanweisung laut Anlage K5 verletzen die Bekl. schuldhaft das Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht der Kl. und seiner beiden Miturheber und sind daher gem. § 97 I i.V. mit §§ 16 , 17 UrhG zur Unterlassung und zur Leistung von Schadensersatz verpflichtet.

a) Der Vergleich der beiden gegenüberstehenden Werke zeigt, dass die Bekl. die Grenze zur zulässigen freien Benutzung gem. § 24 UrhG nicht erreicht haben. Freie Benutzung eines geschützten Werkes liegt vor, wenn die aus dem fremden Werk übernommenen individuellen Züge gegenüber der Eigenart des neuen Werkes verblassen, so dass das ältere Werk nur als Anregung für eigenes Werkschaffen erscheint (Schricker/Löwenheim, § 24 UrhG Rdnr. 10 m.w.Nachw.). Dies trifft hier nicht zu, auch wenn man dem kl. Werk einen nur geringen Schutzumfang zubilligt, weil es in mannigfacher Hinsicht durch die Stellungnahme der deutschen Krankenhausgesellschaft zum 11. 3. 1980 vorweggenommen worden war und deshalb kein allzu hohes Maß an Individualität zum Ausdruck bringt.

Das Formular der Bekl. ist in der gleichen Weise wie das kl. Werk gegliedert. Die Überschriften sind zwar im Wortlaut nicht identisch, bringen aber jeweils genau dasselbe zum Ausdruck. Was den jeweiligen Text angeht, finden sich in weiten Passagen wörtliche Übereinstimmungen. Im Übrigen ist er bloß umformuliert, ohne dass sich an dem Sinn etwas ändert. Erkennbare Unterschiede ergeben sich lediglich bei der jeweiligen Ziffer 4, bei der in dem Formular der Bekl. die Voraussetzungen zur allgemeinen Ermächtigung etwas detaillierter [228] gefasst sind. Diese Änderungen allein reichen jedoch keineswegs aus, um die Annahme zu rechtfertigen, die Bekl. hätten ein neues selbstständiges Werk geschaffen, dessen Eigentümlichkeit die individuellen Züge des kl. Werkes, das im Übrigen unverändert übernommen wurde, in den Hintergrund treten lässt.

b) Hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs haften die Bekl. zu 1 - 3 jeweils als Handlungsstörer, hinsichtlich des Schadensersatzanspruchs sind die Bekl. zu 2 und 3 Mittäter. Am Verschulden der Bekl. zu 2 und 3 besteht kein Zweifel. Die festgestellten Übereinstimmungen zwingen zu dem Schluss, dass das kl. Werk, das ja vorher im Verlag der Bekl. zu 1 herausgegeben worden war, bei der Formulierung der angegriffenen Dienstanweisung als Vorlage gedient hat. Die Bekl. zu 2 und 3 mussten davon ausgehen, dass das kl. Werk urheberrechtlichen Schutz genießt und dessen Übernahme fremdes Urheberrecht verletzt. Für das Verschulden ihres Geschäftsführers, des Bekl. zu 2 haftet die Bekl. zu 1 gem. § 31 BGB.

4. Der Anspruch gegen die Bekl. zu 1 auf Herausgabe von rechtswidrig hergestellten Exemplaren, die sich in ihrem Besitz oder Eigentum befinden, an einen Gerichtsvollzieher zum Zweck der Vernichtung gründet sich auf § 98 I UrhG.

5. Zur Vorbereitung und Bezifferung des gegebenen Schadensersatzanspruchs sind die Bekl. zu 1 und 2 nach Treu und Glauben verpflichtet, über den Umfang der Verletzungshandlungen Auskunft zu geben, unter Angabe der für die Berechnung des Schadens nach einer der drei möglichen Methoden benötigten Informationen. Dies schließt Angaben zur Berechnung des Verletzergewinnes ein. Die Verpflichtung zur Angabe des Namens und der Anschriften sämtlicher Abnehmer folgt aus § 101a UrhG.


Anmerkungen (Wikisource )

Warnung: Die in den Urteilstext integrierte Dienstanweisung wird dadurch nicht gemäß § 5 Abs. 1 UrhG gemeinfrei. Sie darf nicht aus dem Urteilstext entnommen und gesondert verwertet werden.