Mein Buceros „Hermann“

Textdaten
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Autor: Paul Reichard
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Titel: Mein Buceros „Hermann“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 19, S. 316–317
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Mein Buceros „Hermann“.

Von Paul Reichard.

Hermann war ein hochwohlgeborener Vogel. Das Licht der Welt erblickte er auf der Höhe des Tafelberges Mlumbe, 150 Kilometer westlich vom Tanganjika-See, er war also ein echter Centralafrikaner. Von seinem Geburtsorte aus hatte er weite Aussicht ins Land. Ringsum Höhenzüge, von unübersehbaren, lichten Wäldern bedeckt, aus der Ferne blitzte das breite Band des mächtigen Luapula herüber, eines der Hauptquellflüsse des Kongo.

Hermanns Eltern waren biedere Nashornvögel, der Nasutusart angehörend. Der Gewohnheit ihrer Sippe gemäß brütet das Weibchen in Klausur. Das Pärchen sucht sich mit vielem Geschick ein möglichst hochgelegenes und nur schwer bemerkbares Baumloch aus, dessen Höhle mit wenigen Grashalmen und Federn ausgepolstert wird. In dies kunstlose Nest legt das Weibchen 4 bis 5 weiße Eier, nicht ganz so groß wie Taubeneier. Hat sich dieser Akt vollzogen, so mauert das Männchen seine Gattin derart ein, daß das Nestloch bis auf eine höchstens thalergroße eirunde Oeffnung geschlossen ist, aus der das Weibchen gerade noch den Schnabel, nicht aber den Kopf herausstecken kann. Als Baumaterial verwendet das Männchen einen fetten grauen Thon, der, mit grobkörnigem Sand gemischt, durch Verarbeitung mit Speichel äußerst hart zusammenbackt. Dieses sonderbare Vorgehen des Männchens darf man aber nicht etwa für orientalische Eifersuchtsanwandlungen nehmen, es geschieht zum Schutz des brütenden Weibchens und der Nachkommenschaft.

Bei der sehr versteckten Anlage solcher Nester gelingt es nur außerordentlich selten, ihrer ansichtig zu werden. Während meines über fünfjährigen Umherstreifens in Afrika glückte es meinen Leuten nur dreimal, Bucerosnester aufzustöbern.

Dem Männchen liegt die Fütterung des Weibchens, später die der ganzen Familie, wie aus obigem hervorgeht, ganz allein ob. Wahrlich keine kleine Arbeit bei dem ungeheuern Appetit dieser Vögel! Glücklicherweise ist der Buceros ein „Omnivore“, ein „Allesfresser“, der sowohl Früchte wie Insekten nimmt, auch ebensowenig junge Vögel und Mäuse verschmäht. Am meisten liebt er Heuschrecken aller Arten, und an diesen ist in Afrika bekanntlich kein Mangel, selbst wenn die Wanderheuschrecken nicht gerathen sein sollten.

Die Bebrütung der Eier dürfte die Zeit von vier Wochen kaum überschreiten. Die Klausur verläßt die Familie aber erst, wenn alle Jungen flügge geworden sind. Das Ehepaar unterstützt sich dann beim Entfernen des festen Verschlusses, dessen Oeffnung mit Schnabelhieben so weit vergrößert wird, daß die Vögel hinausschlüpfen können. Das Weibchen benutzt seine Gefangenschaft gleichzeitig zur Mauser und erhält somit als Belohnung für seine Aufopferung ein neues Kleid. Die jungen Vögel sind bei der Enge des Nestes genöthigt, den langen Schwanz nach oben zu halten. Für die ersten Tage der Freiheit behalten sie diese Gewohnheit bei, was ihnen bei ihrer an sich schon grotesken Gestalt ein geradezu komisches Aussehen giebt.

Hermann gelangte in meinen Besitz, als wir, Dr. Böhm und ich, auf unserem Marsche nach Katanga im Kongoquellgebiet den Tanganjika überschritten und bei dem oben genannten Mlumbeberg Ende September 1883 ein Lager bezogen hatten.

In höchst trauriger Verfassung, an den Beinen festgebunden, mit herunterbaumelndem Kopf, über einen Gewehrlauf gehängt, wurde der arme Vogel mit drei Geschwistern von dem Rug-Ruga (Wanjomuesikrieger) Manamläla ins Lager geschleppt. Wenn ich der Vögel nicht zufällig ansichtig geworden wäre, so hätte man auch Hermann, ebenso wie seine Geschwister, verspeist. Daß ich gerade ihn unter vieren auswählte, hatte er dem Umstand zu verdanken, daß er der einzige war, dem der gefühllose Wilde die Beine nicht gebrochen hatte. Hermann war vom Regen durchnäßt und vor Kälte fast erstarrt. Ich trocknete ihn über einem Lagerfeuer, und nachdem ich ihm der Vorsicht halber die Schwungfedern des einen Flügels beschnitten hatte, blieb er, ruhig und behaglich dreinschauend, einige Stunden auf meinem Feldbett im Zelte, in ein Taschentuch eingewickelt, sitzen.

Hermann war von schmächtiger Gestalt wie alle seine Verwandten und trug auch das unscheinbare, graumelierte Kleid derselben. Von der Schwanz- bis zur Schnabelspitze maß er ungefähr 40 Centimeter. Hockte er irgendwo nieder, so ließ er den Schwanz senkrecht herunterhängen, zog die Flügel gleich Schultern hoch hinauf und legte den Kopf dazwischen, so daß der große Schnabel weit über die aufgeblähten Brustfedern hinausragte. Aeußerst komisch sah Hermann aber aus, wenn er schlief. Dann stießen die Flügelenden über dem tief eingezogenen Kopfe zusammen und von diesem war nichts als der hintere Theil und die Spitze des Schnabels zu sehen – eine wirklich drollige Stellung!

An Hermanns Gestalt fiel am meisten der rabenartige Schnabel auf, der trotz seiner unverhältnißmäßigen Größe federleicht war. Im Alter bildet sich noch ein Hornaufsatz auf dem oberen Grat. Wenn Hermann seinen Schnabel aufsperrte, so öffnete sich ein weiter Schlund, in dessen Hintergrund eine winzige spitze und verkümmerte Zunge lag. Dennoch zeigte Hermann seine Geschmacksempfindung, und zwar in der Spitze des Schnabels.

Das merkwürdigste an Hermann waren entschieden seine Augen, schwarz mit hellgelblicher Iris. Sie schauten klug wie die eines Menschen in die Welt, und Hermann war klug, sehr klug sogar!

Wenn er vergnügt war oder sonst Veranlassung hatte, die Umgebung auf sein Dasein aufmerksam zu machen, dann schrie er laut und vernehmlich: „Dili, dili, dili!“ Er hatte aber sonst noch eine Menge Laute zu seiner Verfügung, leises Stöhnen, Krächzen, Knurren, und da ein Mensch alle diese Töne leicht nachahmen kann, so lernten Hermann und ich uns sehr bald in der Kakähsprache verständigen. „Kakäh“ nennen die Neger den Vogel in merkwürdig falscher Auffassung seines Schreies.

Ich lernte also geradezu Hermanns Sprache und konnte ihn in seinem sonderbaren Vogelidiom rufen, locken, warnen, ihm schmeicheln oder mein Mißfallen ausdrücken, ihn zum Fressen auffordern oder ihn veranlassen, einen schon gefaßten Bissen wieder fallen zu lassen, ja ihn sogar zu hellem Kampfeszorn aufreizen.

Wie Hermann zu seinem europäischen Namen kam? – Durch einen Zufall. Dr. Böhm rief nämlich beim Anblick des Negerjungen, welcher für unsere sehr hungrigen Magen gerade das Essen auftrug, erfreut: „Bist Du es, Hermann, mein Rabe?“ In demselben Augenblick erschien unser Vogel auf der Bildfläche, und so gaben wir ihm diesen Namen. Ohne weiteres rechneten wir ihn dabei dem männlichen Geschlecht zu, obgleich man bei dieser Art von Vögeln weder dem Gefieder, noch der Schnabelbildung nach unterscheiden kann, welchem er angehört.

Hermann war schon nach kaum einstündigem Aufenthalt in der ihm doch ganz fremden Umgebung so zahm, daß er, ohne Scheu auf den dargereichten Finger hüpfend, die ihm angebotenen Heuschrecken gierig und unter lautem Geschrei zu sich nahm, eine Gewohnheit, welche er in hungrigem Zustand auch während seines ganzen leider nur sehr kurzen Lebens beibehielt.

Offen gestanden war ich anfangs über seine schnelle Anpassung etwas verstimmt und meinte, diese seiner Gemüthslosigkeit zuschreiben zu müssen. Dann aber sagte ich mir, daß Hermann gewissermaßen noch Säugling sei, und im jugendlichen Alter vergessen sogar die Menschen sehr schnell, besonders wenn sie, wie Hermann, sehr hungrig sind.

Hermann nahm fortan an allen unsere Mahlzeiten theil, während deren er, auf der Tischplatte hockend, fein säuberlich mit mir aus einem Teller speiste. Meist benahm er sich dabei anständig und erlaubte sich selten, die Speisen umherzuschleudern. Er wußte recht gut, daß dies seine sofortige Ausschließung zur Folge hatte.

Eine andere Unart aber konnte ich ihm nicht abgewöhnen. Das drastische Mittel, welches man in solchen Fällen bei jungen Hunden anzuwenden pflegt, war begreiflicherweise bei Hermann nicht zu gebrauchen, schon wegen des Mangels einer Nase.

Da wir auf steter Wanderschaft begriffen waren, so ließ ich einen leichten, bienenkorbförmigen Käfig aus Ruthen und Bast für Hermann anfertigen, in welchem er während des Marsches hockte, getragen von meinem kleinen Zeltdiener Kipanja. Hermann hatte eine entschiedene Abneigung gegen dieses Gefängniß und betrat es vor dem Abmarsch nur unter mißmuthigem Krächzen. Im Lager dagegen genoß er unumschränkte Freiheit.

So lange ich anwesend war, saß er auf der Lehne meines Stuhles oder auf meiner Schulter und unterhielt sich dann oft [317] lange mit mir in leisen, rauh und abgestoßen klingenden Lauten seines Idioms. Von Zeit zu Zeit pflegte er zutraulich seinen Kopf an meine Wange zu schmiegen oder er spielte mit meinem Bart. Dann und wann faßte er auch leise und vorsichtig mein Ohrläppchen mit seiner Schnabelspitze.

Hermann war reinlich und putzte viel und eifrig sein lockeres Gefieder. Auch liebte er es, im Sonnenbrande in glühendem Sand zu baden.

Wenn ich ihm den Finger hinhielt, so hüpfte er jedesmal darauf und sah mich dabei zutraulich mit seitwärts geneigtem Kopfe klug an. Auch ließ er sich ganz ruhig greifen.

Im Verhältniß zu seiner Größe entwickelte er einen ungeheuren Appetit. Da ihm aber unsere eigene Kost, allein verabreicht, auf die Dauer entschieden nicht zusagte, so mußte ich die Einrichtung treffen, daß zwei meiner Negerjungen sofort bei der Ankunft im Lager je zwei lange Strohhalme voll aufgespießter Heuschrecken zu liefern hatten. Die Jungen brachten dies immer in wenigen Minuten fertig, da sie die überall sehr zahlreichen Geschöpfe schnell mittels kleiner Reisigruthen einfingen.

Diese beiden Jungen galten bald in der Karawane allgemein und allen Ernstes als die „Sklaven“ Hermanns. Sie rangierten mit der Zeit sogar beim Appell officiell als solche. Ich ließ den Scherz schließlich als Ernst gelten, nachdem ich bemerkt hatte, wie dies allen Negern außerordentlich imponierte.

Hermann schläft.

Manchmal kam mir Hermann recht chinesisch vor, wenn er z. B. junge, noch blinde Ratten verschlang, für die er eine ganz besondere Vorliebe hatte, Ebenso für ganz junge, noch nackte Vögel. Gewandt fing er die ihm zugeworfene Nahrung auf und verstand es bei Heuschrecken, sehr geschickt, allein den Schnabel gebrauchend, deren Beine zu entfernen, ehe er den Bissen in die Luft warf und mit dem Schnabel auffing. Wasser hat Hermann übrigens, wie alle diese Vögel, sein ganzes Leben hindurch nie getrunken. Die in der Nahrung enthaltene Feuchtigkeit genügte ihm vollständig.

Der Vogel galt bald im Lager allgemein als Respektsperson. Allmählich wurde er sogar von einem Sagenkreis umwoben, und auf Tagereisen voraus erzählten sich Eingeborene die unglaublichsten Märchen von ihm. Er sollte deutsch sprechen können, der Karawane als Spion vorausfliegen und sogar die Zukunft prophezeien!

Sobald ich mich anschickte, das Lager zu verlassen begab sich der Vogel sofort zu dem Zelte der Karawanenhauptleute, da er das Alleinsein nicht liebte, um mich dann bei meiner Rückkehr mit lautem Freudengeschrei zu begrüßen.

Bei aller Liebenswürdigkeit bildete sich Hermann im Gefühl seiner Wichtigkeit nach und nach doch zu einem kleinen Tyrannen aus und machte dies besonders geltend, wenn man ihn beim Spielen mit Baumwollstoffen störte, wofür er eine merkwürdige Leidenschaft hatte. Wenn derartige Stoffe, welche bekanntlich in Afrika als Tauschwaren gelten, zu irgend einem Zweck in Stücke zertheilt, auf einem Haufen in unregelmäßigen Falten am Boden lagen, so hüpfte er sofort hinzu, um Besitz davon zu ergreifen, damit zu spielen und darin zu baden. Wehe demjenigen, außer mir, der es wagte, ihn dabei zu stören! Hermann gerieth dann in helle Wuth. In seinen Zornesausbrüchen war er sehr komisch, besonders Frauen und Kindern gegenüber. Er schien dieselben überhaupt höchst widerwärtig zu finden. Sobald er deren ansichtig wurde, stürzte er sich ihnen mit unbeschreiblicher Wuth entgegen und gab seiner Feindseligkeit den lebhaftesten Ausdruck durch Sträuben der Federn, Flügelklatschen und Schnabelhiebe, so daß er die unschuldigen Geschöpfe jedesmal in die Flucht trieb, da man nicht wagte, sich seiner zu erwehren. Die kleinen Kinder der Karawane hatten denn auch vor dem winzigen Knirps eine heillose Angst. Sogar Dr. Böhm mußte ihm einmal das Feld räumen, als er seinen Zorn dadurch gereizt hatte, daß er ihn durch eine zufällige Handbewegung vom Stuhl herunterstieß. Die bis dahin ungetrübte Freundschaft zwischen beiden hatte fortan einen nicht wieder gut zu machenden Riß.

Hermann in Wuth.

Hermann überstand ganz gut alle Fährnisse der Reise, und deren waren sehr zahlreiche. Nach meines armen Freundes Böhm Tod war er mein einziger Zeltgenosse und vergalt meine Zuneigung reichlich durch sein liebenswürdiges, drolliges und anhängliches Wesen. Ungefähr zwei Jahre mochte er so mit mir Freud’ und Leid getheilt haben, als sich der unerbittliche Tod auch diese kleine Beute holte. Aus Katanga über den Tanganjika allein zurückkehrend, hielt ich mich auf der Rückreise einige Wochen in der damals noch belgischen Station Karema auf. Eines Tages bemerkte ich, wie Hermann, der wie viele Vögel gerne mit glänzenden Gegenständen spielte, eine Aquarellfarbentube im Schnabel hielt. Ein Schnabelhieb mochte dabei die dünne Zinnfolie durchbohrt haben, und nun drang die giftig grüne Farbe, welche den Inhalt ausmachte, wurmartig aus der Oeffnung. Der Vogel hielt dies wohl für ein Insekt, und im Nu war die Farbe verschlungen, ehe ich es hindern konnte. Alle Versuche, den Vogel zum Brechen zu bringen, waren erfolglos. Bald ließ das arme Thier die Flügel hängen, nahm keine Nahrung mehr zu sich, saß traurig auf meiner Schulter und schmiegte sich wie Hilfe suchend ängstlich an mein Gesicht.

In der Nacht des folgenden Tages ging’s zu Ende mit Hermann. Todesmatt hüpfte er zum letzten Mal auf meinen Finger, mich unendlich traurig anblickend faßte er nochmals wie zum Abschied mein Ohrläppchen und starb.

Ich konnte eine Thräne nicht unterdrücken, die über die wettergebräunten Wangen in meinen Bart niederrann.