Franz Joseph Werfer
Versuch einer medizinischen Topographie der Stadt Gmünd
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abgeschmackter und grundloser ist die Furcht vieler schon im voraus wegen der etwa erst sich nachziehenden Schwächung des Körpers oder andern für die Gesundheit nachtheiligen Folgen; im Gegentheil hat das Selbststillen nicht nur allein auf den Säugling, sondern auch auf die Mutter den heilsamsten Einfluß, und Erfahrung und Wissenschaft geben die Ueberzeugung, daß diejenigen Mütter, welche ihre Kinder selbst stillen, nicht allein gesünder, sondern auch länger leben, und ob sie gleich weniger Kinder erzeugen, so gebähren sie mehrere und gesündere, und die Bevölkerung gewinnt in doppelter Hinsicht. Freylich wenn Mütter ihre Leidenschaften nicht zu bezähmen wissen und suchen, wenn nur Zorn und Aerger statt Liebe und Sanftmuth ihr Herz befassen, so thun sie wohl besser daran, sich lieber des Selbststillens ganz zu enthalten, als für gesunde Milch nur Giftstoff in den Leib und die Seele des Säuglings zu verpflanzen, und recht frühe so schon die physische und moralische Natur desselben zu verderben, und den oft unaustilgbaren Grund zu so manchen frühern oder spätern physischen und moralischen Uebeln und Krankheiten zu legen und zu festigen. Säugammen zu halten ist nicht gebräuchlich, sondern man nährt solche eigentlich mutterlose Kinder mit Wasser, Kuhmilch, und viele auch gleich Anfangs mit Kaffee aus Gersten und dergl. und mit Mehlbrey, bis sie eine festere Nahrung geniesen und ertragen können, und gewöhnlich sieht man solche voll und stark gebohrne Kinder bald nach der Geburt mager und schwächlich werden, und spät erst beym Genuß nahrhafterer Speisen, wenn sie es soweit bringen, wieder an Fleisch und Stärke zunehmen.

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Häufig dagegen und beliebt ist die Gewohnheit unter vielen, zumal wohlhabenden, oder auch manchmal nur vornehm thun wollenden Frauen, bey jeder natürlichen Geburt einen Accoucheur[1] zum Beystand und zur Hülfe zu nehmen. Ich achtete solche künstliche Hülfe in solchen natürlichen Fällen immer als eine rechte überflüssige Hülfe, und konnte diese Gewohnheit nie empfehlend finden, besonders da man, wie es mancher Accoucheur im löblichen Gebrauch hat, gleich mit unzeitigen Wendungen und Zangenanlegen beyhanden ist, wenn es, des Wartens bald überdrüßig, nicht schnell genug vor sich gehen will; oder wenn die Frauen selbst, wie oft, den längern Anstrengungen und Schmerzen dadurch überhoben zu seyn wünschen, bey welcher leichten Gelegenheit mann denn auch leicht seine Kunst zeigen kann und mag. Um so erfreulicher war es mir daher, diese meine Meinung und Rüge in Dr. B. L. Faust’s guten Rath an Frauen über das Gebähren etc.[2] öffentlich ausgesprochen zu vernehmen; und in der That (bemerkt dabey Hufeland sehr wahr und schön), war es einmal Zeit, daß ein Mann mit diesem Sinn und dieser Wärme auftrat, um das einfachste und zugleich größte Naturgeschäft, was unter den kultivirten Nationen zu sehr in Künsteley auszuarten anfängt, zur Natur zurückzuführen, den heiligsten Augenblick des Menschenleben für Entweihung zu schützen, ihm seine Würde, Stille und Heiligkeit zu bewahren, und dabey die so oft verletzte Gesundheit, Weiblichkeit und Keuschheit des Geschlechts in Schutz zu nehmen. Wenn wir bedenken, wie einfach und leicht dieses Geschäft bey Römern und Griechen war, und noch jetzt


Anmerkungen (Wikisource)

  1. frz., Geburtshelfer
  2. Bernhard Christoph Faust (1755–1842): Guter Rath an Frauen über das Gebähren; nebst Beschreibung und Abbildung des Geburtsbettes und der Wiege für Säuglinge. Hannover, Gebr. Hahn, 1811. 8°