Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Tȳros“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 15 (1889), Seite 960
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Tȳros. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 15, Seite 960. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:T%C8%B3ros (Version vom 15.04.2023)

[960] Tȳros (hebr. Sor, „Felsen“), eine der berühmtesten Städte des Altertums, nebst Sidon die wichtigste und reichste See- und Handelsstadt Phönikiens, 200 Stadien (38 km) von Sidon, lag teils auf dem Festland, teils auf zwei kleinen, flachen, aber felsigen Inseln und war weniger bedeutend, bis im 10. Jahrh. v. Chr. König Hiram, der Freund Davids und Salomos, die beiden Inseln durch Aufschüttung vereinigte und erweiterte, zwei Häfen anlegte und die Stadt mit hohen Mauern umgab. Die Doppelinsel, 1600 Schritt von der Festlandküste entfernt, hatte nur 22 Stadien (5300 Schritt) im Umfang, weshalb man genötigt war, die Häuser sehr hoch (5–6 Stockwerke) zu bauen. Auf ihr befand sich ein uralter Tempel des Melkart, der von den Kolonien jährlich mit Geschenken beschickt wurde. T. überflügelte bald Sidon, beherrschte den Handel und die Kolonisation im westlichen Mittelmeer (von hier ging 846 v. Chr. die Gründung Karthagos aus) und brachte die ganze südliche Küste bis zum Berg Karmel unter seine Gewalt. Die assyrischen Könige Salmanassar und Sargon belagerten T. fünf Jahre lang, 725–720, vergeblich, und Nebukadnezar konnte es erst 573 nach 13jähriger Belagerung erobern. Als Alexander nach dem Sieg bei Issos 333 Phönikien betrat, verweigerte T. dem Sieger den Einzug, wurde von diesem belagert, aber erst nach siebenmonatlicher schwerer Anstrengung der Flotte und Landarmee, welch letztere auf einem vom Festland aus geführten Erddamm vorging, erobert (332). Dieser Damm hat sich allmählich durch Anspülung zu jenem Isthmus verbreitert, welcher die Insel heute mit dem Festland verbindet. Die Stadt hatte dann noch einmal eine 14monatliche Belagerung durch Antigonos auszuhalten. Unter der römischen Herrschaft behielt sie ihre Freiheit und eigne Verfassung, blühte durch Handel und Industrie (Metallwaren, Weberei und Purpurfärberei) und ward vom Kaiser Severus zur römischen Kolonie erhoben. In den Kreuzzügen galt sie für einen festen Platz, der von den Kreuzfahrern bis 1191 standhaft behauptet wurde. Friedrich Barbarossa wurde 1190 dort begraben. Unter der türkischen Regierung kam T. herab; verheerende Erdbeben hatten das Versinken ganzer Stadtteile unter den Meeresspiegel zur Folge. Das heutige Sur erfüllt kaum ein Dritteil der ehemaligen Insel und ist ein Ort von einigen hundert elenden Häusern mit ca. 5000 Einw. (zur Hälfte Mohammedaner, zur Hälfte Christen, wenige Juden). Der Hafen ist versandet. Das interessanteste Gebäude ist die aus dem 12. Jahrh. stammende Kreuzfahrerkirche.