Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Stereoskōp“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 15 (1889), Seite 299300
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Stereoskōp. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 15, Seite 299–300. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Stereosk%C5%8Dp (Version vom 10.03.2023)

[299] Stereoskōp (griech.), optisches Instrument, welches dazu dient, zwei ebene Bilder desselben Gegenstandes derart zu kombinieren, daß der Beschauer den Eindruck eines körperlichen Gegenstandes erhält. Beim Betrachten naher Gegenstände bietet das Sehen mit zwei Augen ein wesentliches Mittel zur richtigen Schätzung der Entfernungen. Mit dem rechten Auge sehen wir einen nahen Gegenstand auf einen andern Punkt des Hintergrundes projiziert als mit dem linken, und dieser Unterschied wird um so bedeutender, je näher der Gegenstand rückt. Richten wir beide Augen auf einen nicht allzu weit entfernten Punkt, so machen die beiden Augenachsen einen Winkel (Gesichtswinkel) miteinander, der um so kleiner wird, je weiter sich der Gegenstand entfernt. Die Größe dieses Winkels gibt uns daher ein Maß für die Entfernung der Gegenstände. Wir unterscheiden also beim Sehen mit zwei Augen deutlich, welche Punkte mehr vortreten, und welche mehr zurückliegen. Dazu kommt noch, daß wir nahe Gegenstände mit dem rechten Auge etwas mehr von der einen, mit dem linken Auge etwas mehr von der andern Seite sehen, und daß gerade die Kombination dieser etwas ungleichen Bilder zu einem Totaleindruck wesentlich dazu beiträgt, die flächenhafte Anschauung des einzelnen Auges zu einer körperlichen, einer plastischen zu erheben. Eine auf einer Fläche ausgeführte Zeichnung oder ein Gemälde kann immer nur die Anschauung eines einzelnen Auges wiedergeben; bietet

Fig. 1. Wheatstones Spiegel­stereoskop.

man aber jedem Auge das passend gezeichnete Bild eines Gegenstandes dar, so werden sich beide Bilder zu einem einzigen Totaleindruck vereinigen. Wheatstone erreichte diese Vereinigung durch sein Spiegelstereoskop (Figur 1). Dasselbe besteht aus zwei rechtwinkelig gegeneinander geneigten Spiegeln ab u. ac, deren Ebenen vertikal stehen. Der Beobachter schaut mit dem linken Auge l in den linken, mit dem rechten Auge r in den rechten Spiegel. Seitlich von den Spiegeln sind zwei vorschiebbare Brettchen angebracht, welche die umgekehrten perspektivischen Zeichnungen d und e eines Objekts aufnehmen. Durch die Spiegel werden nun die von entsprechenden Punkten der beiden Zeichnungen ausgehenden Strahlen so reflektiert, daß sie von einem einzigen hinter den Spiegeln gelegenen Punkt m zu kommen scheinen. Jedes Auge sieht also das ihm zugehörige Bild an demselben Orte des Raums, und der Beobachter erhält daher den Eindruck, als ob sich daselbst der Gegenstand körperlich befände. Brewster hat die Spiegel dieses Instruments durch linsenartig gebogene Prismen ersetzt, und diese Stereoskope (Fig. 2) sind jetzt allgemein im Gebrauch. Eine Sammellinse von etwa 18 cm Brennweite ist durchschnitten; die beiden Hälften A und B sind, mit ihren scharfen Kanten gegeneinander gerichtet, in einem Gestell befestigt, und am Boden desselben wird das

Fig. 2. Brewsters Linsenstereoskop.

Blatt, welches die beiden Zeichnungen aa′ und bb′ (gewöhnlich photographische Bilder) enthält, eingeschoben. Durch die Anwendung der Linsenstücke ist es zunächst möglich, die Bilder dem Auge näher zu bringen; dann aber wirken sie auch wie Prismen, indem die Linsenhälfte vor dem rechten Auge das Bild etwas nach dem linken schiebt, während das Bild der mit dem linken Auge betrachteten Zeichnung etwas nach rechts gerückt erscheint. Auf diese Weise wird das vollständige Zusammenfallen der beiden Bilder bei CC′ hervorgebracht. Wenn man durch eine zwischen den Bildern befindliche senkrechte Scheidewand dafür sorgt, daß jedes Auge nur das ihm zugehörige, nicht aber das für das andre bestimmte Bild sieht, so ist eine besondere Vorrichtung, um die Bilder zur Deckung zu bringen, gar nicht nötig (S. von Frick). Im S. von Steinhauser mit konkaven Halblinsen muß das für das rechte Auge bestimmte Bild links, das für das linke bestimmte rechts liegen; die Bilder des Brewsterschen Stereoskops würden darin mit verkehrtem Relief erscheinen. Die Bedeutung der Stereoskope, welche durch die Photographie eine so wesentliche Förderung gefunden haben, ist bekannt; man benutzt sie außer zur Unterhaltung auch zur Veranschaulichung trigonometrischer und stereometrischer Lehrsätze und zum Studium der Gesetze des binokularen Sehens. Dove demonstrierte mit Hilfe des Stereoskops die Entstehung des Glanzes. Ist nämlich die Fläche einer Zeichnung blau und die entsprechende der andern gelb angestrichen, so sieht man sie, wenn man sie im S. durch ein violettes Glas betrachtet, metallisch glänzend. Weiß und Schwarz führen zu einem noch lebhaftern Bilde der Art. Auch zur Unterscheidung echter Wertpapiere von unechten hat Dove das S. benutzt. Betrachtet man nämlich die zu vergleichenden Papiere mit dem Instrument, so werden sofort die kleinsten Unterschiede bemerkbar. Die einzelnen Zeichen, die nicht genau mit dem Original übereinstimmen, decken sich nicht und befinden sich anscheinend in verschiedenen Ebenen. Es wurde schon erwähnt, daß der Gesichtswinkel sehr klein wird, wenn wir beide Augen auf einen weit entfernten Punkt richten. Darum vermindern sich die Vorteile des Sehens mit zwei Augen in dem Maß, als die zu beschauenden Gegenstände weiter weg liegen, und verschwinden bereits völlig beim Betrachten einer landschaftlichen Ferne. Die Augen liegen zu nahe, als daß sich einem jeden derselben ein merklich verschiedenes Bild darstellen könnte. Helmholtz hat deshalb das Telestereoskop konstruiert, welches dem Beschauer zwei sich deckende Bilder einer Landschaft darbietet, gleich als ob das eine Auge von dem andern mehrere Fuß abstände. Das Instrument besteht aus vier Planspiegeln, welche senkrecht in einem hölzernen Kasten und unter 45° gegen die längsten Kanten desselben geneigt befestigt sind. Das von dem fernen Objekt kommende Licht fällt auf die zwei äußern großen Spiegel, wird von diesen rechtwinkelig auf die beiden [300] innern reflektiert und gelangt, nachdem es auch von den kleinen innern Spiegeln rechtwinkelig reflektiert wurde, in die Augen des Beobachters. Jedes Auge erblickt in den kleinen Spiegeln das von den großen Spiegeln reflektierte Bild der Landschaft in einer solchen perspektivischen Projektion, wie sie von den beiden großen Spiegeln aus erscheint. Will man das Bild vergrößern, so kann man die Lichtstrahlen, ehe sie in die Augen gelangen, auch noch durch kleine Fernrohre gehen lassen. Wie man mikroskopische Bilder körperhaft erscheinen lassen kann, ist unter Mikroskop, S. 602, angegeben worden. Vgl. Brewster, The stereoscope (Lond. 1856); Ruete, Das S. (2. Aufl., Leipz. 1867); Steinhauser, Über die geometrische Konstruktion der Stereoskopbilder (Graz 1870).