Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Komödĭe“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 9 (1887), Seite 991993
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Komödĭe. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 9, Seite 991–993. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Kom%C3%B6d%C4%ADe (Version vom 21.05.2024)

[991] Komödĭe (griech.), s. v. w. komisches Drama oder dramatische Darstellung des Komischen (s. d.), d. h. der Thorheit und ihrer (für den Thoren unschädlichen) Folgen (Lustspiel). Die K. steht durch den Umstand, daß das Dargestellte ein Komisches, der Tragödie (s. d.), durch den Umstand, daß die Folgen der Thorheit für den Thoren nur unschädlich, keineswegs positiv vorteilhaft sind, der Posse (s. d.) gegenüber. Doch wird, weil der Vorteil in der Regel erträumt, der Gewinn des Thoren ein scheinbarer ist, auch die letztere meist als K. bezeichnet. Als Untergattung des Dramas (s. d.) gilt von der K. alles, was von diesem als solchem gilt. Als komisches Drama entlehnt die K. ihre Gesetze und Einteilung vom Komischen. Da nun die Thorheit am stärksten wirkt, wenn sie vorher als Klugheit gegolten hat, so geht das vornehmste Streben der K. dahin, den Thoren als klug, den Klugen als thöricht so lange erscheinen zu lassen, bis das Luftschloß der Thorheit in sich selbst zusammenbricht („Der entlarvte Poltron“, „Die K. der Irrungen“, „Der eingebildete Kranke“ etc.). Die Einteilung der K. erfolgt nach den Gattungen des Komischen in die niedere, welche das Grob-, und die höhere K., welche das Feinkomische darstellt. Jene umfaßt die Burleske (als deren Repräsentant Hanswurst oder Arlecchino mit der züchtigenden Pritsche) und die Humoreske (als deren Repräsentant der sich selbst humoristisch bespiegelnde Eulenspiegel erscheint), diese das satirische und humoristische Lustspiel. Als Drama betrachtet, läßt sich der Form nach die Charakterkomödie, bei welcher die komischen Charaktere, und die Intrigenkomödie, bei welcher die komischen Situationen die Hauptrolle spielen, dem Stoff nach die ideale, der Phantasiewelt, und die reale, der wirklichen Welt, entweder der Vergangenheit (historische K.) oder der Gegenwart (Konversationsstück), entlehnte K. unterscheiden.

Die Anfänge der K. fallen mit jenen des Dramas zusammen. Chinesen und Inder haben Komödien aufzuweisen; letztere kennen ein höheres und niederes Lustspiel. Das einzige uns erhaltene Originaldrama der peruanischen Einwohner aus der Inkazeit schließt neben den ernsten auch komische Szenen ein. Kunstgerechte K. findet sich zuerst bei den Griechen. Bei den Dionysosfesten waren fröhliche Umzüge (kōmoi) üblich, aus deren Liedern (ōdai) Aristoteles den Ursprung der K. herleitet. Dieselbe entwickelte sich unter den Doriern und in Athen. Ihrer derben und anzüglichen Späße wegen waren vor allen dorischen Völkerschaften die Megarer bekannt. Durch Susarion und Mäson wurde die K. aus Megaris nach Attika verpflanzt, wo sie sich als attische K. entwickelte. Gleichfalls von Megara her eingeführt, entstand die sizilische K., als deren Schöpfer Epicharmos (540 v. Chr.) zu betrachten ist. In Athen gewann die K. erst eine Kunstgestalt, nachdem die Tragödie ihre Ausbildung erhalten hatte. Nach Aristoteles galt als ihr Schöpfer Krates (um 460), der zuerst seine Süjets künstlerisch durchführte und einen eigentlichen Dialog zu stande brachte. Unter der Herrschaft der Demokratie übte daselbst die K. die „politische Zensur“. Kratinos, Aristophanes und Eupolis galten als deren vorzüglichste Dichter. Zwischen dem erstern und dem letztern hielt Aristophanes (444–388) die Mitte, indem er „die Herbe des Kratinos mit der Süßigkeit des Eupolis mischte“. Dieser „ungezogene Liebling der Grazien“, in der Politik und Religion sich auf die konservative Seite stellend, überschüttete die Fortschrittsmänner und Aufklärer seiner Zeit mit wahrhaft vernichtender Salzlauge des Witzes. In dieser alten attischen K. sehen wir in der edlen Form der Tragödie den häßlichen, unsaubern Geist der Zeit sich bewegen. Noch bestanden die alten Formen, in denen das öffentliche Wesen während der Blütezeit von Hellas zur Erscheinung gekommen war; aber der Geist, der sie gebildet und gestaltet hatte, war gewichen, und so stellte sich die K., indem sie äußerlich die Tragödie kopierte, charakteristisch als treues Spiegelbild der griechischen Wirklichkeit dar. Die Metra des Dialogs, namentlich der iambische Trimeter, waren in der K. leichter gebaut; der anapästische Tetrameter, der sogen. Aristophanische Vers und der katalektische iambische Tetrameter gehörten ihr eigentümlich. Chorgesänge waren in der K. wie in der Tragödie üblich. Das bei jener gebräuchliche Kostüm entsprach mehr der Tracht des gemeinen Lebens; doch zeichnete phantastische Kleidung den Chor aus, wenn er, wie bei Aristophanes, in der Rolle der Wolken, Wespen, Vögel u. dgl. auftrat. Der den hohen Kothurn der Tragödie vertretende niedrige Soccus und die komische Maske, die in der alten K. wirkliche Personen karikierte, später aber die Charakterrolle, gewöhnlich stark übertrieben, darstellte, waren Eigentümlichkeiten der K. Als die hervorstechendste unter letztern erscheint die Parabase, eine Einschaltung in das Stück, mittels welcher, die Handlung unterbrechend, der Dichter durch den Chor zu den Zuschauern redete. Sie bestand aus melischen, vom Gesamtchor oder von Halbchören gesungenen, und monologischen, vom Chorführer (Chorēgos) gesprochenen, Teilen; während die Parabase vorgetragen wurde, pflegte der Chor einen von seinem gewöhnlichen Standort entfernten Platz einzunehmen. Den Tanz des Chors durfte kein Athener nüchtern und unmaskiert tanzen, ohne sich in den Ruf der größten Frechheit zu bringen. Als die Demokratie nach der Übergabe Athens an Lysandros gestürzt wurde, trat eine strenge Zensur gegen die Komödiendichter ein, und nach Wiedereinführung der Volksherrschaft durch Thrasybulos war der Geist witzigen Übermuts bereits so zahm geworden, daß die vorige Keckheit sich nicht wieder einstellen wollte. (Vgl. Zielinski, Die Gliederung der altattischen K., Leipz. 1885.) Die K., die man von da an als die mittlere attische bezeichnet, verlor ihren politischen [992] Charakter und übte nur noch Zensur in Bezug auf ästhetische und moralische Dinge, wobei die kunstvollern orchestrischen Chorgesänge und die Parabasen wegfielen. Koryphäen der neuen Gattung waren Antiphanes (seit 386) und Alexis (seit 384), von denen der letztgenannte nicht weniger als 245, der erstere gar 260 Stücke verfaßt haben soll. Ihnen boten Homer und die Tragiker den Hauptwitzstoff; der rationalistische Spott übte sich an den einst heilig gehaltenen Poesien. Von der Schlacht bei Chäroneia (338) datiert die sogen. neue attische K., welche Tragödie und K. zugleich ersetzen mußte. Nun gab an Stelle des Religiösen und Politischen das Familienleben den Stoff zur dramatischen Dichtung her. Die Formen blieben die der alten Tragödie und K.; nur daß statt des Chors in die Zwischenakte Gesänge und Lieder eingeschoben wurden, die zu dem Dargestellten in loser Beziehung standen. Als Meister der neuen K. wurden Menandros aus Athen (gest. 290) und Philemon aus Syrakus gepriesen. Fast gleichzeitig entstand als besondere Abart der K. in Unteritalien (in dem dorischen Tarent) die Hilarotragödie oder Tragikomödie, in welcher die lustigen Personen der neuern K. in den ernsten Götter- und Heldenkreis eingeführt und damit die Mythen selbst travestiert erschienen. Während der alexandrinischen Zeit artete die neuere K. mehr u. mehr in die Posse aus.

Die K. der Römer war Nachahmung der griechischen. In Rom belustigte sich die Jugend bei öffentlichen Festen mit komischen Parodien der etruskischen Tänze, in ländlichem Kostüm, in zottigem Gewand, blumenbekränzt, mit struppigem Haupthaar. Als (um 240) durch Livius Andronicus das ernste griechische Drama nach Italien verpflanzt war, wurden den Tragödien heitere Nachspiele (Exodien) angefügt, an deren Stelle die Atellane (s. d.), die oskische Posse, trat, eine Art von extemporiertem Maskenlustspiel, in welchem, wie in der heutigen italienischen Commedia dell’ arte, die stereotypen komischen Personen in der Rolle der Väter und der Bedienten sich überall wiederholten. Da die Szenen regelmäßig auf das Land und in kleine Provinzialstädte verlegt wurden, so bildete diese Gattung den Gegensatz zur sogen. Fabula togata, die in Rom selbst spielte, und zur Fabula palliata, die hinsichtlich des Süjets, der Sitten und des Kostüms sowie in der Szene griechisch war. Am genialsten wurde die letztere behandelt von Plautus, der das burleske Charakterstück mit dem in Athen heimischen feinern Intrigenlustspiel zu einem originellen römischen Volksdrama zu verschmelzen verstand. Dem Plautus in Bezug auf Formvollendung überlegen war Terentius. Seine Komödien sind Erzeugnisse einer wahrhaft kunstgerechten Poesie, in sprachlicher Beziehung der Ausdruck der vollendeten römischen Urbanität und dem Stoff nach sämtlich dem Kreis des häuslichen Lebens entnommen. Die Auflösung der Handlung, gewöhnlich in einer Heirat bestehend, pflegt dem unordentlichen Leben eines Sohns das Ziel zu setzen und ihm den erbitterten Vater zu versöhnen; bisweilen wird der Knoten durch Wiedererkennungen zwischen Eltern, Kindern und Geschwistern gelöst. Die Charaktere sind meist stereotype: strenge und sparsame oder allzu gelinde und schwache Väter; herrschsüchtige oder liebevolle, zärtliche Mütter; leichtsinnige, verschwenderische Söhne; eitle, schlaue und habsüchtige Mädchen, entweder schon völlig verderbt oder edlern Gefühlen noch zugänglich; rohe, aber verschmitzte Sklaven, welche dem jungen Herrn bei seinen Liebeshändeln behilflich sind, ihm Geld verschaffen und den Alten betrügen helfen; der Schmeichler und Schmarotzer, der für eine gute Mahlzeit alles thut und sich alles gefallen läßt; der bramarbasierende Soldat, der hinter prahlerischer Aufschneiderei seine Feigheit zu verbergen trachtet; die Kupplerin und der Sklavenhändler, welche die Leidenschaften der jungen Leute schlau ausbeuten. In der römische Stoffe und römische Sitten behandelnden Fabula togata galt Afranius als Meister, dessen Blütezeit um 100 v. Chr. fiel, von dem jedoch nur Fragmente und etwa 14 Titel von Stücken erhalten sind. Als die fortschreitende Bildung sich in Rom nicht mehr mit den derben Späßen der oskischen Masken vertrug, schuf Laberius (gest. 43 v. Chr.) eine eigne, die letzte Gestalt des römischen Lustspiels, den Mimus, in welchem die frühere Fabula togata und die Atellane zusammenschmolzen, dramatische Genrebilder aus dem römischen und italischen Leben, die hauptsächlich durch treue Darstellung des wirklichen Lebens und seiner heitern Seiten, weniger dagegen durch kunstvolle Anlage und spannende Verwickelungen zu wirken suchten. Letztere erhielten sich nach dem Aussterben der klassischen Kultur durch das ganze Mittelalter hindurch und gingen in Italien in die Commedia dell’ arte, die Stegreifkomödie mit stehenden Figuren, in den übrigen christlichen Ländern in die sogen. Mummereien und Fastnachtsschwänke über.

Eine regelmäßige K. begründete in Frankreich zuerst Molière, der „Vater der französischen K.“ als unübertroffener Meister des Charakterlustspiels, ja als der eigentliche Schöpfer dieser Gattung, während in Spanien (durch Lope und dessen Nachfolger, unter denen Moreto der ausgezeichnetste ist) das Intrigenlustspiel ausgebildet wurde. Letzteres wurde durch Beaumarchais und seine Nachahmer, unter welchen Scribe, der Erfinder des historischen Lustspiels, der fruchtbarste war, in Frankreich, das Charakterlustspiel dagegen durch den „italienischen Molière“, Goldoni, in Italien eingebürgert. Die einheimische K., die Commedia dell’ arte mit den Masken des Pantalone, Arlecchino, Scaramuzzo und der Colombina, wurde daselbst der sogen. Commedia erudita, in welcher sich unter andern Machiavelli hervorthat, entgegengesetzt und durch Carlo Gozzi als Märchenlustspiel erneuert. In England zeichnete sich Shakespeare vorzüglich im phantastischen, nach ihm vornehmlich Sheridan im Molière nachgeahmten Charakterlustspiel aus. In Dänemark thaten sich Holberg und Öhlenschläger als Komödiendichter, ersterer namentlich im possenhaften Genre, hervor. In Deutschland, wo die K. aus dem Fastnachtsspiel und Karnevalsschwank entsprang, stehen Hans Sachs und Andreas Gryphius in der Burleske obenan, während Lessing der Schöpfer und Kotzebue, der deutsche Scribe, der fruchtbarste Förderer des deutschen Lustspiels wurden. Ersterer hat als Charakterkomödiendichter in H. v. Kleist, dieser als Meister der Intrigenkomödie und des Konversationsstücks in Bauernfeld, Benedix, Holtei, Schall, Feldmann, Töpfer u. a. Nachfolger gefunden. Die phantastisch-satirische Märchenkomödie ist von Tieck, die Aristophanische K. von Platen, Prutz, Hamerling u. a. als Buchdrama gepflegt worden. Das moderne Sitten- und Standesbild haben besonders G. Freytag, A. Wilbrandt, E. Wichert, A. L’Arronge, H. Bürger (Lubliner), P. Lindau u. a., das historische Lustspiel Gutzkow, H. Schaufert u. a. kultiviert. Über die Humoreske und possenhafte K., als deren geist- und gemütvollste Repräsentanten Raimunds hochpoetische Zauber- und Feen-, als deren populärste Nestroys [993] und Kalisch’ Wiener und Berliner Volkspossen anzusehen sind, s. Posse. Vgl. Bohtz, Über das Komische und die K. (Götting. 1844); Gottschall, Poetik (5. Aufl., Bresl. 1883), sowie die Werke über Ästhetik von Vischer, Carriere, Zimmermann u. a.