Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Gladĭatoren“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 7 (1887), Seite 373375
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Gladĭatoren. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 7, Seite 373–375. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Glad%C4%ADatoren (Version vom 26.03.2023)

[373] Gladĭatoren (v. lat. gladĭus, „Schwert“), bei den Römern Bezeichnung der Fechter, welche in den Kampfspielen miteinander kämpften. Unter allen Spielen, welche der Schaulust des römischen Volkes dargeboten zu werden pflegten, standen in der Gunst aller Klassen die Kämpfe der G. (munera gladiatoria) obenan. Ihr Ursprung ist nicht sowohl in den athletischen Kämpfen der Griechen als vielmehr in den Leichenspielen der Etrusker zu suchen, welche an die Stelle der frühern, zum Andenken der Verstorbenen vollzogenen Menschenopfer getreten waren; auch wurden bei den Römern diese Kampfspiele zuerst nur bei Leichenbegängnissen (ad rogum) veranstaltet. Den ersten derartigen Fall in Rom erwähnt Valerius Maximus 264 v. Chr., wo Marcus und Decius Brutus zur Feier der Bestattung ihres Vaters einen Gladiatorenkampf auf dem Ochsenmarkt veranstalteten. Ebenso ließen 216 die Söhne des M. Ämilius Lepidus zu Ehren ihres verstorbenen Vaters 22 Paare G. kämpfen. Bei dem munus gladiatorium, welches Scipio zu Neukarthago in Spanien als Totenfeier seines in Spanien gefallenen Vaters und Oheims veranstaltete, kämpften nicht Sklaven, sondern freie Männer, die sich freiwillig dazu erboten hatten. Mit der Zeit verschwand diese Bedeutung der Spiele als Totenopfer vor dem Vergnügen, welches der Anblick der im Todeskampf ringenden Sklaven dem harten und freiheitsstolzen Volk gewährte, und man sah in den Kämpfen zugleich ein treffliches Mittel zur Erhaltung und Stählung des kriegerischen Sinnes, der gegen jede menschliche Regung dem Feind gegenüber abgehärtet werden mußte. Diese eigentliche Ausbildung des Instituts fällt in die letzten Zeiten der Republik. Jetzt wurden bei den verschiedenartigsten Gelegenheiten sowohl von Ädilen als von andern Magistratspersonen, besonders beim Antritt ihres Amtes, Gladiatorenspiele veranstaltet, auch eigne Amphitheater (s. d.) mit offener Arena zu diesem Zweck errichtet. Mit der Größe dieser Gebäude, die unter den Kaisern ungeheure Dimensionen annahmen, steigerte sich natürlich auch die Zahl der kämpfenden Paare. Die Menge der G., welche Julius Cäsar als Ädilis (65 v. Chr.) zu einem Munus zusammengebracht hatte, war so groß, daß seine Gegner einen Mißbrauch derselben zu politischen Zwecken befürchteten und durch ein Gesetz die Anzahl der aufzustellenden Paare beschränkten. Gleichwohl ließ Cäsar 320 Paare erscheinen. Von den einzelnen Kaisern wurden die Gladiatorenspiele bald beschränkt, bald bis zur Tollheit gesteigert. Augustus erlaubte den Prätoren nur zweimal im Jahr, Fechterspiele zu geben und zwar jedesmal von nicht mehr als 60 Paaren. An den von ihm selbst gegebenen Spielen haben nach seiner eignen Angabe im ganzen nicht weniger als 10,000 Mann gefochten. Sein Gebot geriet auch bald in Vergessenheit; Gordianus (gest. 238 n. Chr.) gab in dem Jahr, wo er die Ädilität verwaltete, zwölf Munera und ließ dabei nie weniger als 150, bisweilen 500 Gladiatorenpaare kämpfen. Auch von Trajan wird erzählt, daß er 123 Tage lang verschiedene Spiele aufführte, bei welchen 10,000 G. kämpften. Kaiser Commodus veranstaltete nicht nur zahlreiche und prachtvolle Spiele, sondern setzte auch seinen höchsten Ruhm darein, selbst ein tüchtiger Gladiator zu sein, der mehrere hundert Male als Kämpfer in der Arena erschien. Die Gladiatorenspiele hatten übrigens auch in andern Hauptstädten des römischen Reichs Eingang gefunden. So soll nach Josephus Herodes Agrippa bei der Einweihung eines Amphitheaters an einem Tag 700 G. vorgeführt haben; selbst in Athen und Korinth fanden die Spiele Beifall, und schließlich gab es in Italien oder in den Provinzen kaum eine bedeutende Stadt, die nicht ihr eignes Amphitheater und ihre Fechterspiele gehabt hätte. Die G. waren gewöhnlich Kriegsgefangene, die aus den zahlreichen Kriegen massenhaft nach Rom geschleppt wurden, und bei denen man das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden glaubte, wenn man sie in der Arena sich gegenseitig abschlachten ließ. Groß war auch die Zahl der Sklaven, welche zur Bestrafung zum Kampfe verurteilt wurden, nicht minder die der freien Leute, verzweifelter Existenzen, denen sonst kein Mittel zum Erwerb blieb. Denn die aus den Kämpfen siegreich hervorgehenden G. ernteten nicht nur hohen Ruhm und wurden in Gedichten und Bildern verherrlicht, sondern erhielten auch für ihr Auftreten hohen Lohn (auctoramentum), so daß sie den Rest ihres Lebens in Behaglichkeit verbringen konnten. Diese freien G. führten den Namen auctorati und mußten schwören, daß sie sich „mit Ruten hauen, mit Feuer brennen und mit Eisen töten lassen wollten“. Unter den Kaisern entstanden kaiserliche Schulen für die G. (ludi gladiatorii), deren man noch eine in Pompeji aufgefunden hat. Hier wurden sie in äußerst strengem Gewahrsam gehalten, Vergehen mit der größten Härte geahndet, auf ihr körperliches Wohlbefinden aber die eifrigste Sorgfalt verwandt. Unter der Leitung des Fechtlehrers (lanista) übten sich die G. in ihrer Kunst. Der Anfänger gebrauchte das Stockrapier (rudis), welches auch dem ausgedienten Gladiator (rudiarius) nach siegreichen Kämpfen zum Zeichen der völligen Befreiung vom Kampf gegeben wurde. Der Fortgeschrittenere benutzte metallene Waffen, welche abgestumpft, aber schwerer waren als die zum öffentlichen Kampf bestimmten. Hatte der Gladiator sein erstes Auftreten in der Arena glücklich bestanden, so erhielt er ein elfenbeinernes Täfelchen (tessera) mit dem Datum seines ersten Debüts und der Inschrift SP. oder SPECT. (d. h. spectatus, „erprobt“). Vgl. Ritschl, Die tesserae gladiatorum der Römer (Münch. 1864).

Hinsichtlich der Bewaffnung unterschied man verschiedene Arten von G. Die vollste kriegerische Rüstung trugen die sogen. Samnites, deren Bewaffnung [374] (zum Teil den Samnitern entlehnt, daher der Name) in einem länglichen Schild, einem starken Ärmel am rechten Arm, einer Schiene am linken Bein, einem

Fig. 2.
Gladiatoren­schwerter.

starken Leibgurt, einem Visierhelm mit Kamm (Fig. 1) und einem kurzen Schwert (Fig. 2) bestand. Die Retiarii („Netzkämpfer“), deren Hauptwaffe ein Fangnetz (rete) war, erschienen halb entblößt; als Schutz hatten sie nur einen breiten Leibgurt und einen Ärmel am linken Arm aus Metall oder Leder, der zum Ersatz des Schildes über die Schulter ein Stück in die Höhe stand. Außerdem trugen sie den Dreizack (fuscina) und Dolch. Ihre Kunst bestand darin, dem Gegner ihr Fangnetz über den Kopf zu werfen und ihn dann mit dem Dreizack zu durchbohren. Ihnen gegenüber stellte man gewöhnlich die Secutores („Verfolger“), benannt von der Verfolgung des fliehenden Feindes, die mit Helm, Schild und Schwert bewaffnet waren. Da große Gewandtheit dazu gehörte, dem

Fig. 1. Fig. 4.
Visierhelm. Myrmillo.
Fig. 3.
Secutor (mit übergeworfenem Netz). Retiarius. (Nach einem Mosaik.)

Gegner auszuweichen und ihm beizukommen, so wurden dazu die geübtesten Fechter genommen (Fig. 3). Außer ihnen wurden auch die nach gallischer Art mit Helm, Schild und Schwert bewaffneten Myrmillones (Fig. 4), benannt nach der ihren Helm zierenden Figur eines Fisches (mormylos), häufig den Retiariern entgegengestellt. Eine andre Gattung der G., wegen ihrer thrakischen Bewaffnung Thraces genannt, hatte den kleinen, meist runden Schild (parma) und einen kurzen Krummsäbel (sica). Ähnlich den Retiariern waren die Laquearii ausgerüstet, nur daß sie statt des Netzes eine Schlinge (laqueus) trugen. Oft genannt sind auch die Essedarii, welche nach Art der Britannier auf einem mit zwei Rossen bespannten Streitwagen (esseda) kämpften, während die Andabatae

Fig. 5.
Andabatä. (Relief von Pompeji.)

(Fig. 5) zu Pferde kämpften, indem sie in Visierhelmen ohne Augenlöcher, mit kleinem Rundschild und Speer (spiculum) bewaffnet, blind aufeinander losjagten. Erst spät kommen die Dimachaeri vor, die in jeder Hand ein kurzes Schwert führten. Noch sind einige Gladiatorenbezeichnungen nachzutragen, die sich auf die Zeit oder Gelegenheit des Auftretens der G. beziehen. Die Bustuarii kämpften ad bustum oder rogum, also bei Bestattungen; die Cubicularii ließ man bei Gastmählern zur Unterhaltung der Gäste kämpfen; die Meridiani waren ungeübte Verbrecher, welche zur Mittagszeit, wenn der größte Teil des Publikums sich entfernt hatte, zur Unterhaltung der Zurückbleibenden auftraten und ohne Schutzwaffen, nur mit dem Schwert bewaffnet, in ganzen Scharen (gregatim oder catervatim, daher auch Catervarii) sich gegenseitig zerfleischten. Den Gegensatz zu diesen Kämpfern in Masse bildeten die Ordinarii, welche nur paarweise und im regelmäßigen Gefecht auftraten. Die Postulatitii und Fiscales (auch Caesariani) waren kaiserliche, in jeder Hinsicht bewährte G., deren Auftreten vom Volk als eine Gunst erbeten wurde; sie erschienen gewöhnlich zum Schluß des Festes.

Der, welcher das Munus veranstaltete, hieß Editor muneris, auch Munerarius. Er machte den Tag der Spiele sowie das Programm derselben (libellus) schon längere Zeit vorher bekannt, und diese Libelli, die besonders die Zahl und die Namen der hervorragendsten G. aufführten, wurden sehr eifrig verbreitet; häufig ging man auch Wetten über den zu erwartenden Erfolg einzelner Kämpfer ein. Zum Beginn des Schauspiels zogen die G. in feierlichem Zug durch die Arena, den Kaiser vielleicht mit dem einmal erwähnten Ruf begrüßend: „Ave, Imperator, morituri te salutant“ („Heil dir, Imperator, die zum Tod Gehenden grüßen dich!“). Vom Lanista paarweise aufgestellt, eröffneten sie dann ein Scheingefecht (prolusio) mit stumpfen Waffen, oft nach dem Takte der Musik. Bald gab die Tuba das Zeichen zum ernsten Kampf, und mit scharfen Waffen drang man aufeinander ein. Die Pfeifen und Flöten übertönten das Gestöhne der Verwundeten und Sterbenden, die Zurückweichenden wurden mit Peitschen und glühenden Eisen in den Kampf getrieben. Hatte ein Kämpfender eine Wunde empfangen, so rief man: „Habet“. Aber trotz der Wunden wurde das Gefecht gewöhnlich fortgesetzt, bis einen der Kämpfer die Kräfte verließen. Dann ließ er seine Waffen sinken und rief durch Erhebung des Zeigefingers das Mitleid und die Gnade des Volkes an. Die Gewähr der Bitte (missio), später meist den Kaisern überlassen, wurde durch Schwenken von Tüchern, auch wohl durch das Aufheben eines [375] Fingers verliehen, während das Umwenden des Daumens den Todesstoß verlangte. Das Volk zeigte Teilnahme für den Tapfern, während es durch Furchtsamkeit in Wut gebracht wurde. Die gefallenen G. wurden mit Haken durch die Porta Libitina nach dem sogen. Spolarium geschleppt, wo auch diejenigen, in denen noch Leben war, völlig getötet wurden. Die Sieger erhielten zur Belohnung einen Palmzweig (palma gladiatoria), unter und seit Augustus auch Geldprämien. In Italien war namentlich Kampanien die Heimat der oben genannten Gladiatorenschulen, und die ungeheure Menge von Sklaven, die sich dort zu ihrer Ausbildung versammelten, brachte Rom durch ernstliche Aufstände wiederholt in Gefahr (vgl. Spartacus). In den Bürgerkriegen zwischen Otho und Vitellius dienten die G. auch im Heer und leisteten hier namentlich im Handgemenge ausgezeichnete Dienste. Das Christentum trat den Gladiatorenkämpfen zwar entgegen, war aber lange Zeit nicht im stande, die Vorliebe des Volkes dafür zu verdrängen; erst unter Honorius scheinen sie (404) ihr völliges Ende erreicht zu haben. Bildliche Darstellungen von Gladiatorenkämpfen sind nicht selten. Wichtig ist ein in Pompeji gefundenes großes Basrelief, welches die mannigfachen Situationen der Gladiatorenkämpfe darstellt. Auch auf einem zu Nennig (Regierungsbezirk Trier) gefundenen Mosaikfußboden sind Abbildungen von solchen Kampfszenen enthalten (hrsg. von v. Wilmowsky, Bonn 1865).