Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Gauß“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 6 (1887), Seite 957958
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Gauß. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 6, Seite 957–958. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Gau%C3%9F (Version vom 18.12.2021)

[957] Gauß, Johann Karl Friedrich, Mathematiker, geb. 30. April 1777 zu Braunschweig, besuchte bis 1795 das Collegium Carolinum in seiner Vaterstadt, studierte bis 1798 in Göttingen und hielt sich dann in Helmstedt auf, um den Unterricht des durch seine Untersuchungen über die Differentialgleichungen bekannten Analytikers J. F. Pfaff zu benutzen. Schon 1801 erschienen seine „Disquisitiones arithmeticae“, worin er die erste zusammenfassende und mit vielen neuen Entdeckungen bereicherte Darstellung der sogen. Zahlentheorie lieferte; besonders mag auf die darin vorkommende erste Formulierung des Begriffs kongruenter Zahlen und auf den vielfachen Gebrauch der Determinanten hingewiesen werden. Kurz vorher hatte er als Inauguraldissertation bereits eine kritische Übersicht über die vermeintlichen Beweise des Satzes gegeben, daß jede algebraische Gleichung eine Wurzel von der Form habe (s. Gleichung), und selbst einen wirklichen Beweis erbracht. Auf demselben Gebiet wie die „Disquisitiones“ bewegen sich seine Untersuchungen über die biquadratischen Reste („Göttinger Kommentarien“, Bd. 6). 1807 wurde G. Professor der Mathematik und Direktor der Sternwarte zu Göttingen. Als zu Beginn dieses Jahrhunderts die Planetenentdeckungen neue Methoden zur Berechnung dieser Himmelskörper, die man nur kurze Zeit zu beobachten vermochte, nötig machten, unterzog sich G. der Erfindung solcher Verfahrungsweisen; als die Frucht dieser Bemühungen ist sein fundamentales Werk „Theoria motus corporum coelestium, in sectionibus conicis solem ambientium“ (Hamb. 1809; deutsch v. Haase, Hannov. 1865) zu betrachten. Hierdurch auf die Astronomie hingewiesen, lieferte er in v. Zachs „Monatlicher Korrespondenz“ und Bodes „Jahrbuch“ eine große Anzahl von astronomischen Arbeiten. Diesem Zweck dienten auch die von ihm entworfenen Summen- und Differenzlogarithmen, von denen er 1812 Kunde gab. Ferner führte ihn die Sternkunde auch auf die Wahrscheinlichkeitsrechnung; in der Abhandlung „Theoria combinationis observationum erroribus minimis obnoxiae“ entwickelte er seine berühmte „Methode der kleinsten Quadrate“. Seine chronologischen Forschungen fanden ihren Abschluß in seiner für den Praktiker höchst bequemen Formel zur Schnellberechnung des christlichen und jüdischen Osterfestes, für welche Professor L. Feldt in Braunsberg den Beweis nachgeliefert hat. G.’ Teilnahme an der hannöverschen Landesvermessung veranlaßte ihn auch zu geodätischen Arbeiten. In den „Untersuchungen über Gegenstände der höhern Geodäsie“ („Göttinger Abhandlungen“ [958] 1847 u. 1848) behandelte er besonders die kürzesten Linien auf Oberflächen und schuf den Begriff des Krümmungsmaßes (s. d.) für Flächen. In Schumachers „Astronomischen Nachrichten“ (1825) gab er eine für die Theorie der Kartenprojektion höchst wichtige Lösung der Aufgabe: eine Fläche auf eine andre so zu projizieren, daß Abbildung und Original einander in den kleinsten Teilen ähnlich sind. Die praktische Geometrie ward von ihm durch Einführung eines neuen Instruments, des Heliotrops (s. d.), bereichert. Besonders bewunderungswert sind aber G.’ Leistungen in der Physik, hauptsächlich in deren mathematischem Teil. In den „Dioptrischen Untersuchungen“ („Götting. Abhandlgn.“ 1843) wußte er dem schwierigen Kapitel vom Durchgang der Lichtstrahlen durch ein Linsensystem mittels Einführung neuer Begriffe (Hauptpunkte etc.) eine neue, anschauliche Seite abzugewinnen. Den mechanischen Prinzipien fügte er das neue vom kleinsten Zwang hinzu (Crelles „Journal“, Bd. 4), und für die gesamte mathematische Physik schuf er den jetzt so überaus wichtig gewordenen Begriff der Potenzialfunktion (s. d.). Besonders hierauf gestützt, gab er eine neue Grundlage für die Lehre vom Erdmagnetismus, dessen Studium er durch sinnreiche neue Instrumente unterstützte; auch war er der erste, welcher (in Gemeinschaft mit seinem Freund und Mitarbeiter Wilhelm Weber [s. d.]) einen elektromagnetischen (Nadel-) Telegraphen konstruierte. G. starb 23. Febr. 1855 in Göttingen. Seine Werke wurden von der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen gesammelt herausgegeben (Götting. 1863–71, 7 Bde.). 1880 wurde ihm eine Bronzestatue von Schaper in Braunschweig errichtet. Vgl. Sartorius v. Waltershausen, G. zum Gedächtnis (2. Aufl., Leipz. 1877); Winnecke, G., ein Umriß seines Lebens und Wirkens (Braunschw. 1877); Hänselmann, K. F. G. Zwölf Kapitel aus seinem Leben (Leipz. 1878). Eine gute Einsicht in seine wissenschaftliche Denkweise gibt sein Briefwechsel mit dem Altonaer Astronomen Schumacher (hrsg. von Peters, Altona 1860–62, 4 Bde.), derjenige mit A. v. Humboldt (hrsg. von Bruhns, Leipz. 1877) und mit Bessel (das. 1880).