Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Dünen“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 5 (1886), Seite 214215
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Dünen. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 5, Seite 214–215. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:D%C3%BCnen (Version vom 09.02.2023)

[214] Dünen, durch den Wind aufgehäufte Hügel von Flugsand im Binnenland (Sahara, Ägyptische Wüste, Banat, in kleinem Maßstab auch Norddeutsche Tiefebene), besonders aber (Seestrandsdünen) an flachen sandigen Küsten der Meere (preußische und russische Ostseeküste, auf den Inseln Ösel und Dagö; an der Nordsee im W. von Holstein, Schleswig und Jütland, auf Sylt, Föhr, Helgoland, Norderney, Borkum; an der Westküste von Frankreich, in der Bretagne, namentlich in den Landes, in Ägypten, an der Westküste Afrikas, der Südküste Australiens, in Florida etc.). Die Hügel sind meist 10–15 m, in vielen Fällen 30–40, in einzelnen 100, ja 180 m hoch, gegen das Meer oder gegen die Richtung des herrschenden Windes in unverritztem Zustand flacher (5–15° geneigt), gegen die Landseite steiler abfallend (im Mittel 30°). Der unter einem sehr stumpfen Winkel die Küste treffende, von der Strandoberfläche unter gleich stumpfem Winkel reflektierte Seewind treibt den von der Ebbe trocken gelegten Sand vor sich her und hebt ihn in die Höhe, bis bei schwächer werdendem Sturm die Sandkörner durch ihr eignes Gewicht sinken und sich im natürlichen Böschungswinkel absetzen,

Schema der Dünenbildung.

ein Prozeß, welchen die beigegebene Abbildung genugsam erläutern wird. Bei recht typischer Entwickelung kann man drei Dünenreihen unterscheiden: die Vordüne, welche das vom Meer geförderte Material zunächst empfängt; die hinter dieser liegende hohe Düne, welche den Flugsand später aufnimmt und sich infolgedessen allmählich erhöht; endlich die Innendüne, niedrigeres, hinter der hohen Düne liegendes Gehügel, welches sich aus jenen Sandmassen bildet, die vom Wind entweder durch unverbaute Klüfte durch-, oder über den nackten Grat der hohen Düne hinübergeführt werden. Die aufgehäuften D. zeigen, solange sie unbewachsen sind., keine Beständigkeit; Wind und Regen nagen an ihnen, Abbruch der Küste und Hereinbrechen von Sturmfluten untergraben ihren Fuß und erzeugen steile Abstürze, auch gegen die See zu. Wo das Meer infolge ununterbrochener, durch den künstlichen Strandbau geförderter oder erzwungener Anhegerung (Aufschwemmung) im Zurückweichen begriffen ist, werden seewärts immer neue D. gebildet. Aber auch landeinwärts sind die D., wenn ihnen nicht durch Menschenhand Einhalt geboten wird, in beständigem Vorrücken begriffen, indem der Wind den Sand auf der Strandseite empor- und über den Grat der D. hinwegtreibt. Die Schnelligkeit dieser Wanderung ist ganz und gar von lokalen Verhältnissen abhängig, an vielen Orten aber so bedeutend, daß sie den hinter den D. liegenden Ortschaften höchst verderblich wird. Auf Sylt schreiten die D. jährlich 4,4 m von W. nach O. vor, auf der Frischen Nehrung hat man ein jährliches Fortschreiten von 3,75–5,6 m beobachtet, und bei St.-Paul de Léon in der französischen Bretagne haben die D. seit 1666 bei einem jährlichen Vordringen von mehr als [215]m (Reclus gibt sogar 20–25 m an) den ganzen Küstenstrich mit einem Sandmeer bedeckt, aus welchem nur noch Spuren einiger Kirchtürme hervorragen. So auch die bedeutendsten D. Europas, die auf der Kurischen Nehrung. Dieselben besitzen eine durchschnittliche Kammhöhe von 37–47 m und erreichen an manchen Stellen nahezu 63 m Höhe, sie wandern von der See zum Haff und haben schon 2/33/4 dieses Wegs vollendet; sechs Dörfer sind bereits vollständig von diesen D. begraben, und das ehemalige Kirchdorf Kunzen kommt jetzt auf der Seeseite der darüber hingeschrittenen Düne wieder zum Vorschein. Die Schnelligkeit dieser Wanderung beträgt etwa 5,5 m im Jahr, und man nimmt an, daß in wenig mehr als 200, spätestens aber in 500 Jahren das Haff von den D. ausgefüllt und mit der Nehrung und dem Memeldelta nivelliert sein wird.

Nicht minder sind solche fortschreitende Versandungen aus dem Binnenland bekannt. Der Sand der Sahara, der Libyschen Wüste, der Gobiwüste hat allmählich viel kultiviertes Land überdeckt, die östlichen Ufer des Kaspischen Meers unterliegen ebenfalls und zwar von O., der Landseite, her der Versandung, und in der Banater Sandwüste wandert eine 6,5 m hohe Düne jährlich etwa 4 m von W. nach O.

Im Gegensatz zu dieser das Kulturland verwüstenden Thätigkeit der D. können dieselben aber auch von großem Nutzen sein, insofern die meisten flachen Küstenländer Europas ihr Dasein fast nur diesen natürlichen Wällen verdanken, welche das dahinterliegende flache, oft sogar unter dem Meeresspiegel gelegene Land vor dem Einbruch der Fluten schützen. Meist findet sich hinter der Dünenzone eine Reihe von Sümpfen, Mooren, Teichen und Seen, gebildet durch Ansammlung von süßem Wasser, welches bisweilen durch Kanäle und natürliche Durchbrüche mit dem Meer in Verbindung steht (Zuidersee, Haarlemer Meer etc.). In den kleinern dieser Dünenseen findet sich eine kräftige Vegetation von Sumpf- und Moospflanzen und eine fortschreitende Torfbildung, die aber von Zeit zu Zeit durch den Einbruch der Düne und deren Zerstörung abgeschlossen wird. Die den See ausfüllenden Sandmassen bedecken das Torflager, und unter ihrer Last entsteht ein Torf (Martorf), der etwa viermal schwerer als gewöhnlicher Torf, deutlich geschichtet, schieferig und bisweilen kaum von Braunkohle zu unterscheiden ist. Das Innere des Dünenstrichs selbst erscheint ungemein öde und eintönig, die kärgliche Vegetation hat fast nur Strandgräser (Arundo arenaria und baltica, Elymus arenarius, Triticum junceum, Carex arenaria etc.) aufzuweisen, und auch die Fauna ist sehr arm. Um den Abbruch der Küsten durch Wellenschlag und Strömung zu verhindern, die Ausbreitung des Flugsandes ins Land herein aufzuhalten, dem Seewind Objekte entgegenzustellen, welche seine verderbliche Gewalt schon beim Eingang in das Land zu mäßigen im stande sind, und um die Versandung der Häfen zu verhüten, ergreift man gewisse Kulturmaßregeln, welche als Stranddünenbau zusammengefaßt werden. Man begünstigt die Bildung einer Vordüne und einer hohen Düne und sucht mittels dieser Schutzdünen den aus dem Meer beständig angewehten Sand aufzufangen und festzuhalten. Die Kultur dieser D. hat nicht auf den Geldertrag ihres Bodens zu sehen, sondern ist lediglich als eine Maßregel der Kulturpolizei zu betrachten, während man allerdings von den hinter ihnen liegenden Binnendünen auch einen finanziellen Ertrag zu erhalten strebt. Der Seedünenbau ist hauptsächlich in Deutschland, Flandern und Holland ausgebildet worden und beginnt mit der Anlage einer Vordüne, welche etwa 40 m von der Strandlinie entfernt in möglichst gerader Linie verläuft. Man errichtet, wo die Düne laufen soll, zwei parallele, 1,5 m hohe Reisigzäune in etwa 2 m Entfernung voneinander und bepflanzt die während eines Sommers angewehte Düne mit Arundo und Elymus arenarius, welche alsbald einen Rasen bilden. Die hohe Düne hat den Seewind aufzuhalten und durch Baum- und Strauchanpflanzung zu mäßigen; von den dort gedeihenden Dünenkiefern (an der Ostsee), Lycium barbarum und dem Sanddorn ist aber niemals ein Ertrag zu erwarten, und auch die Forderungen der modernen Forstwirtschaft sind an diese Anpflanzungen nicht zu stellen. Auf Norderney sind beachtenswerte Versuche mit Pinus maritima gemacht worden. Die Kultur der Binnendünen, welche die Festlegung des Sandes (zum Teil, um das Wandern der D. zu verhüten) bezweckt, fällt größtenteils mit der Kultur des Flugsandes überhaupt zusammen und wird in verschiedener Weise ausgeführt (s. Flugsand). Vgl. Forchhammer, Geognostische Studien am Meeresufer (im „Neuen Jahrbuch für Mineralogie und Geognosie“ 1841); Hartig, Über Bildung und Befestigung der D. (Berl. 1830); Krause, Der Dünenbau an den Ostseeküsten Westpreußens (das. 1850); Hagen, Handbuch der Wasserbaukunst (3. Teil: „Das Meer“, das. 1864); Graf Baudissin, Bericht über die D. der Insel Sylt (Flensb. 1865); Berendt, Geologie des Kurischen Haffs (Königsb. 1869); Wessely, Der europäische Flugsand und seine Kultur (Wien 1873); Czerny, Wirkung der Winde auf die Gestaltung der Erde („Petermanns Monatshefte“ 1876); Keller, Gestaltung der Sandwüsten („Zeitschrift für Bauwesen“ 1881). Vorzügliche, auch photographisch vervielfältigte Studienzeichnungen von Dünenlandschaften lieferte Dreesen.