Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Blütenstand“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 3 (1886), Seite 7982
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Blütenstand. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 3, Seite 79–82. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Bl%C3%BCtenstand (Version vom 30.10.2022)

[79] Blütenstand (Inflorescentia), in der Botanik derjenige Teil des Stengels einer Pflanze, dessen Seitenachsen unmittelbar zu Blüten sich entwickeln oder auch erst an ihren Verzweigungen diese Bildung annehmen, mit der Beschränkung jedoch, daß an diesem Teil des Stengels und bez. an seinen weitern Verzweigungen keine eigentlichen Laubblätter mehr, sondern nur Hochblätter (s. Blatt, S. 1016) vorhanden sind. Durch dieses letztere Merkmal stellt sich der B. als ein von den übrigen Regionen der Pflanze schärfer geschiedenes Ganze dar, als die eigentliche Hochblattregion. Hiernach kann z. B. ein mit Zweigen versehener Stengel, welcher selbst und an seinen Zweigen mit grünen Laubblättern besetzt ist und an den Enden der Zweige mit einer oder mehreren Blüten abschließt, nicht als B. bezeichnet werden; es ist dann vielmehr jedes die Blüten tragende Ende der Zweige ein B. für sich. Die zum B. gehörigen Hochblätter treten meist in unvollkommenen Gestalten auf, indem sie in der Regel als ganze, ungestielte Blätter, bisweilen nur scheiden-

Fig. 1.
Lindenblüte mit flügel­artigem Vorblatt.
Fig. 2.
Colocasia antiquorum, mit Blütenscheide.

oder schuppenförmig erscheinen; manchmal sind sie jedoch blumenartig gefärbt. Diejenigen Blätter, in deren Achseln die Blüten stehen, die Deckblätter (bracteae), haben entweder eine längere Dauer, können sogar zur Fruchtzeit noch vorhanden sein, oder sie fallen frühzeitig ab; bisweilen schlagen sie ganz fehl, so daß die Blütenstiele nackt aus dem Stengel entspringen, wie bei den Kreuzblütlern. Außer den Deckblättern sind aber in vielen Fällen auch noch andre Hochblätter vorhanden, welche weder eine Blüte noch überhaupt ein Organ in ihrer Achsel erzeugen. Diese Vorblätter (bracteolae) sind auch hinsichtlich des Ortes, an welchem sie stehen, von den Deckblättern verschieden, indem sie entweder am Blütenstiel selbst unterhalb der Blüte sich finden, dieser also vorausgehen, oder auch am Grunde des ganzen Blütenstandes auftreten, diesem ebenso vorausgehend wie sonst der einzelnen Blüte. Einer Blüte oder einem B. können ein oder zwei Vorblätter sowie verschiedenartige Formen von Hochblättern vorangehen, und wir erhalten so eine Reihe verschiedener Bildungen, die mit besondern Namen belegt werden. Die an den Blütenstielen stehenden Vorblätter sind häufig kleine, schuppenartige, paarweise stehende Organe, wie bei den Nelken und Veilchen. Ein flügelartiges Vorblatt steht am Stiel des Blütenstandes bei der Linde (Fig. 1), ein großes, scheidenartiges Gebilde (Blütenscheide, spatha) bei der Narzisse, dem Lauch und bei vielen Aroideen, deren B. von einer großen, bisweilen blumenartig gefärbten Blütenscheide umgeben ist (Fig. 2). Wenn einer Blüte oder einem B. eine größere Anzahl sehr genäherter, nämlich quirlig oder spiralig geordneter Hochblätter vorausgeht, so spricht man im allgemeinen von einer Hülle (involucrum). Hierher gehören: das aus zahlreichen dachziegelartig sich deckenden, kleinen Blättern gebildete Involukrum der Kompositen und Dipsaceen (Fig. 3), das aus einem Quirl von Blättern bestehende Involukrum an der Basis des Kelchs bei den Malvaceen, desgleichen [80] die sogen. Becherhülle (cupula) in der Familie der Kupuliferen, welche hier die weiblichen Blüten einfaßt, als zerschlitzte, häutige Hülle bei der Haselnuß,

Fig. 3.
a Kompositenblüte, b Hülle, c einzelnes Hüllblatt.

als dicker, außen stachliger Becher bei der Rotbuche und als holzige Schüssel bei der Eiche austritt.

Der einfachste B., die Einzelblüte (flos solitarius), ist achselständig, indem sie aus den Achseln eines Laubblattes entspringt, wie beim Wintergrün (Vinca), oder endständig, indem sie den Stengel der Pflanze abschließt, wie bei der Tulpe. Dasjenige Stengelglied, welches unmittelbar die Blüte trägt, heißt Blütenstiel (pedunculus), und je nachdem derselbe deutlich entwickelt ist oder nicht, heißen die Blüten gestielte (flores pedunculati) oder sitzende (flores sessiles). Der eigentliche, aus mehreren Blüten bestehende B. läßt eine Reihe verschiedener Formen unterscheiden.

I. Einfache Blütenstände (inflorescentiae simplices) heißen alle diejenigen, bei welchen die aus der Hauptachse (Spindel, rhachis) entspringenden Seitenachsen mit einer Blüte abschließen. Diese unterscheidet man zunächst wieder in zwei Kategorien. Bei den einen ist die Zahl der Seitenachsen unbestimmt, die Hauptachse wird meist nicht von einer Blüte abgeschlossen und erscheint daher unbegrenzt

Fig. 4. Fig. 5. Fig. 6.
 Ähre.   Traube.  Zusammen­gesetzte Traube.

und den Nebenachsen ungleichwertig. Bei den andern dagegen ist die Zahl der Seitenachsen bestimmt, gewöhnlich zwei oder eine; die Hauptachse wird durch eine Blüte abgeschlossen, ist begrenzt und den Nebenachsen gleichwertig. Jene werden traubige oder botrytische (inflorescentiae botryoides), diese trugdoldige oder cymöse Blütenstände (inflorescentiae cymoides) genannt. Zu den erstern gehören folgende besondere Arten: 1) Bei der Ähre (spica) ist die Hauptachse verlängert, während die Seitenachsen in der Art unentwickelt sind, daß die Blüten sitzend erscheinen (Fig. 4). Die Ähre der Weiden, Birken und verwandten Gewächse mit meist schlaffer, oft hängender Spindel heißt Kätzchen (amentum), die mit dicker, fleischiger Spindel bei den Aroideen Kolben (spadix). 2) Bei der Traube (racemus) ist die Hauptachse verlängert, während die Blütenstiele auch deutlich entwickelt sind (Fig. 5 u. 6). 3) Bei dem Köpfchen (capitulum) ist die Hauptachse derart verkürzt, daß sämtliche sitzende Blüten gleichsam von Einem Punkt aus zu entspringen scheinen (Fig. 7). Das Köpfchen

Fig. 7. Fig. 8.
Köpfchen. Blütenkörbchen.
Fig. 9.
Schematischer Durchschnitt des Blütenkörbchens.

der Kompositen (Blütenkörbchen, calathium s. anthodium, Fig. 8) besteht aus einer verdickten, meist scheibenförmigen Spindel (Blütenlager, receptaculum s. clinanthium, Fig. 9), die auf ihrer Oberseite mit den zahlreichen kleinen Blüten besetzt ist, während sie an der Seite u. unterwärts das Involukrum (s. oben) trägt. Jede Blüte steht meistens hinter einem meist trockenhäutigen Deckblatt (Spreublatt, palea). Die den Rand einnehmenden Blüten sind mit langen, zungenförmigen Blumenkronen versehen (Strahlblüten), während alle übrigen Blüten kurze, regelmäßig röhrenförmige Korollen besitzen (Scheibenblüten). Der Blütenkuchen (coenanthium) stellt eine flach ausgebreitete, fleischige Achse dar, in deren Oberfläche zahlreiche kleine Blüten eingesenkt sind, wie bei Dorstenia, während bei der verwandten Feige die ausgebreitete Achse der Infloreszenz durch Einkrümmung ihrer Ränder zu einem hohlen, am Scheitel durchbohrten, birnförmigen Körper wird, der auf der Oberfläche seiner Innenwände mit den Blüten besetzt ist. Die gewöhnlich sogen. Frucht der Feige ist somit der ganze vergrößerte und saftig gewordene B., der die nußartigen, kleinen Früchtchen erst in seinem Innern birgt. 4) Bei der Dolde oder dem Schirm (umbella) ist die Hauptachse ebenfalls verkürzt, aber die Blütenstiele sind entwickelt und

Fig. 10. Fig. 11.
 Dolde.  Zusammen­gesetzte Dolde.

scheinen demnach von Einem Punkt aus zu entspringen (Fig. 10 u. 11). Dabei sind entweder die äußersten Blütenteile die längsten, so daß die Blüten in gleicher Höhe zu stehen kommen und die Dolde wirklich schirmförmig erscheint, oder die Blütenstiele [81] haben nahezu gleiche Länge, und die Dolde wird kugelig, wie bei Allium. Die zweite Kategorie der einfachen Infloreszenzen, die der cymösen, unterscheidet sich hauptsächlich dadurch von der ersten, daß die Zahl der Seitenachsen

Fig. 12.
Zweistrahlige Trugdolde oder Dichasium.

eine gesetzmäßige ist und letztere sich in der Regel in derselben Weise wie die Hauptachse weiter verzweigen. Dazu gehört 5) die zweistrahlige Trugdolde (Dichasium) mit zwei Seitenachsen. Sie tritt in voller Reinheit bei den Karyophylleen (Fig. 12) auf. Hier bringen die beiden unterhalb der Endblüte sich erhebenden Blütenstiele, die ebenfalls mit einer Blüte abschließen, unterhalb der letztern ebenfalls zwei gegenständige Zweige hervor, die gleichfalls mit einer Blüte endigen u. unter dieser zwei neue Stiele erzeugen u. s. f. (Fig. 13). Dabei ist bisweilen der eine von zwei gleichwertigen gegenständigen Zweigen minder entwickelt, fährt insbesondere in seiner Verzweigung minder weit fort als der andre, und es wird namentlich in den letzten Verzweigungen oft der eine ganz unterdrückt. An den

Fig. 13.
Schema des Dichasiums.

beiden zusammengehörigen Seitensprossen hat die Spirale (s. Blüte, S. 65) der Kelchblätter in der Regel eine entgegengesetzte Richtung; ist sie an einem Sproß linksläufig, so ist sie am andern rechtsläufig.

Fig. 14. Fig. 15.
Aufriß der Schraubel. Grundriß der Schraubel.

In diesem Fall sind die beiden Sprosse gegenwendig (antidrom), bei gleicher Richtung der Blattspiralen dagegen gleichwendig (homodrom). 6) Die Schraubel (bostryx, cyma helicoides s. monosticha) ist ein einseitig ausgebildetes Dichasium. Zur Erläuterung ihrer Entstehung vergleiche man die schematische Fig. 14 mit dem vollständig ausgebildeten Dichasium (Fig. 13). Die Hauptachse erzeugt unter ihrer Endblüte nur den einen der beiden Äste, dieser schließt wieder mit einer Blüte ab, entwickelt aber ebenfalls nur den einen seiner beiden Zweige u. s. f. Es entwickeln sich hierbei stets nur die gleichwendigen Seitensprosse, und es haben daher im Grundriß (Fig. 15) des Blütenstandes alle Spiralen dieselbe Richtung. Schraubeln finden sich besonders schön bei den Hypericum-Arten. Sehr gewöhnlich treten an den Schraubeln die aufeinander folgenden untern Stücke der Seitensprosse zu einer scheinbar einfachen Achse (Scheinachse, Sympodium) zusammen und drangen die blütentragenden Achsenteile zur Seite. Weichen die aufeinander folgenden Sprosse genau um 180° voneinander ab, so entsteht der Fächel (rhipidium), der z. B. bei Juncus maritimus vorkommt. Ein entgegengesetztes Verhältnis wie bei der Schraubel tritt ein 7) bei dem Wickel (cincinnus, cyma scorpioides s. disticha). Dieser ist ein einseitig ausgebildetes Dichasium, bei welchem allemal der antidrome Zweig zur Entwickelung kommt und daher die aufeinander folgenden Blütenstiele abwechselnd an der rechten und linken Seite des ältern entspringen,

Fig. 16. Fig. 17.
Aufriß des Wickels. Grundriß des Wickels.

so daß die Blüten in zwei Reihen zu liegen kommen (Fig. 16). In diesem Fall zeigen die aufeinander folgenden Blattspiralen abwechselnd eine entgegengesetzte Richtung (Fig. 17). Auch hier bildet sich eine Scheinachse aus den sich aneinander schließenden untern Stücken der Blütenstiele, welche in

Fig. 18.
Wickel.

den jüngern Teilen mehr oder weniger eingerollt ist. Allgemein verbreitet ist der Wickel in der Familie der Asperifoliaceen, z. B. beim Vergißmeinnicht (Fig. 18). Weichen hier die aufeinander folgenden Sprosse um 180° voneinander ab, so entsteht die Sichel (drepanium), ein B., der z. B. bei Juncus bufonius vorkommt. Wickel u. Schraubeln führen auch den gemeinsamen Namen einstrahlige Trugdolde oder Monochasium, weil bei ihnen stets nur die eine Seitenachse zur Entwickelung kommt. Kommen bei einem cymösen B. drei oder mehr Seitenachsen zur Ausbildung, wie es bei Arten von Sedum und Euphorbia der Fall ist, so nennt man einen solchen B. eine mehrstrahlige Trugdolde oder ein Pleiochasium.

II. Zusammengesetzte Blütenstände (inflorescentiae compositae) entstehen, wenn die aus der [82] Hauptachse hervorgehenden Auszweigungen des ersten Grades sich weiter verzweigen und zu neuen Infloreszenzen werden. Es verbinden sich dabei nicht bloß Blütenstände der gleichen Art, also Wickel mit Wickeln, Schraubeln mit Schraubeln, sondern auch ungleichartige, also Dolden mit Schraubeln, Ähren mit Wickeln etc. Die Kombinationen sind hier so mannigfach, daß es unmöglich ist, sie alle anzuführen. Eine besonders häufige Form des zusammengesetzten Blütenstandes ist die Rispe (panicula), bei welcher die untern Seitenachsen traubig verzweigt und länger, die obern dagegen unverzweigt und kürzer sind; überragen die untern Zweige die obern, so nennt man den B. eine Spirre (anthela).