Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Attika“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 2 (1885), Seite 3031
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Attika. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 2, Seite 30–31. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Attika (Version vom 27.04.2023)

[30] Attika (griech.), undurchbrochener, gegliederter Aufsatz über dem Hauptgesims eines Gebäudes, welcher zur Verdeckung des Daches, zur Aufnahme von Statuen, Reliefs oder Inschriften dient. Die Gliederung der A. besteht meist in einer leichten Pilasterstellung mit zierlichem Gesims. Zwischen den Pilastern befinden sich oft vertiefte Felder. Sobald ein solcher Aufsatz durchbrochen wird, entsteht eine Brüstung, ein Geländer. Die A. findet sich vorzugsweise am römischen Triumphbogen angewendet (s. Tafel „Baukunst VI“, Fig. 7). In der Regel gibt man ihr nicht über ein Drittel der Höhe des von ihr gekrönten Geschosses.

Attika, eine der acht Landschaften von Mittelgriechenland oder dem eigentlichen Hellas mit der Stadt Athen (s. die Karten „Altgriechenland“ u. „Umgebung von Athen“), grenzte im N. an Böotien, im W. an Megaris, im S. an den Saronischen Meerbusen, im O. an das Ägeische Meer und umfaßte einen Flächeninhalt von nahezu 2200 qkm (40 QM.). Die Zahl der Einwohner betrug in der blühendsten Zeit ca. 540,000 (darunter 400,000 Sklaven). Das Land bildet eine nach S. in das Meer auslaufende Halbinsel, die mit weit ausgedehntem Küstengestade (daher A., „Küstenland“) an das von W. nach O. laufende Gebirge Kithäron (jetzt Elateas, 1410 m) sich anschließt. Mit diesem hängt, gegen S. ziehend, das attisch-megarische Grenzgebirge (jetzt Patera, im Altertum wahrscheinlich Ikarion genannt, 1092 m), welches zuletzt nahe der Küste sich in zwei Hörnern ähnlichen Spitzen (Kerata) erhebt, zusammen; im O. reiht sich der Parnes (jetzt Ozea, 1413 m) an den Kithäron an. Dieses Gebirge, an Höhe und Ausdehnung das größte in A., war im Altertum dicht bewaldet und reich mit Wild, darunter Wildschweinen und Bären, besetzt; auf einem seiner Gipfel stand eine Erzstatue des Zeus. Von ihm aus zieht sich ein felsiger Höhenzug, der Ägaleos, nach SW., dessen höchste Erhebung, der Insel Salamis gegenüber, 468 m beträgt (jetzt Skarmanga). Einzelne seiner Teile führten die Namen Korydallos und Pökilon. Er scheidet die athenische Ebene (Pedias) von der eleusinischen. Südöstlich vom Parnes liegt der Brilettos (auch Pentelikon genannt, 1110 m), der die Pedias (jetzt Mendeli) im NO. abschließt, durch seine unerschöpflichen Marmorbrüche eine Quelle des Glanzes und Reichtums für Athen. Ein 4 km breites Thal trennt den Brilettos von dem durch seinen Honig berühmten Hymettos (jetzt Trelo-Vuni, 1027 m). Abgesondert von diesen Hügelreihen erheben sich nordöstlich von Athen frei aus der Ebene zwei Berge, der Lykabettos im S. und der Anchesmos. Die Südspitze von A. endlich wird gebildet durch das Laurische Gebirge, das in die Vorgebirge Astypaläa und Sunion (jetzt Kap Kolonnäs) ausläuft. Zu beiden Seiten, besonders aber gegen W., breiten sich mehrere Ebenen aus, in denen die Bergbäche zu Flüßchen sich vereinigen. Am bedeutendsten ist die erwähnte Pedias („Blachfeld“), die getreide- und ölreiche Ebene zwischen dem Hymettos und Korydallos, in welcher Athen liegt, vom Kephisos und Ilissos spärlich bewässert. Eine andre dehnt sich im NW. zwischen dem Parnes und den „Hörnern“ aus: das Gefilde von Eleusis oder die Thriasische Ebene, ebenso kornreich und wohlangebaut wie die vorher genannte und bewässert durch den eleusinischen Kephisos (jetzt Sarantapotamos), welcher auf dem Kithäron entspringt. Beide Ebenen bildeten die eigentliche Akte (Küstenstrich), der man die Paralia oder die Südostküste und die Diakria im bergigen Norden des Landes entgegensetzte. Die Paralia wird von dem Flüßchen Erasinos durchströmt, das auf dem Hymettos entspringt und sich unweit Brauron ins Meer ergießt; zur Diakria gehört die kleine hochberühmte Ebene von Marathon, nordöstlich von Athen.

Attikas Boden besteht aus Kalkgebirge und ist leicht, etwas dürr und steinig. Dazu kommt Wassermangel, um das Land für den Ackerbau ziemlich ungeeignet zu machen. Der Hymettos und der Pentelikon lieferten den trefflichsten Marmor, auch Serpentin; [31] beim Vorgebirge Kolias, unweit Phaleron, grub man die feinste Töpfererde. Ein zu architektonischem Gebrauch vorzüglich geeigneter Kalkstein von blauer Farbe brach bei Eleusis; den größten Schatz aber barg das neuerdings oft genannte Lauriongebirge (s. d.) in seinen Silber- und Bleigruben, deren alte Schlacken gegenwärtig mit großem Gewinn von neuem verschmolzen werden. Die Bewohner Attikas zeichneten sich durch schlankere Gestalt, feinere Sinne und größere Beweglichkeit vor andern Stämmen Griechenlands aus. Die Bodenkultur ward mit größter Sorgfalt und Kunst gepflegt; doch konnte das kleine Land die unverhältnismäßig starke Bevölkerung (17,000 Menschen auf 1 QM.) nur mit Beihilfe einer Einfuhr von fast 1 Mill. Medimnen (à 51,5 Lit.) ernähren. Von besonderer Vortrefflichkeit waren Attikas Baumfrüchte, namentlich die Oliven und Feigen. Der attische Wein war nicht vorzüglich, desto köstlicher der Honig vom Hymettos. Das Tierreich lieferte besonders Wolle und Käse. Die Zucht von Ziegen und Schafen war im Hochland bedeutend; Pferde wurden in A. wenig, Esel und Maultiere in großer Anzahl gehalten. Reichen Gewinn gewährte die Fischerei entlang der buchtigen Küste des Landes. Unter dem Geflügel werden Rebhühner und Frankoline gerühmt. Eber- und Bärenjagden wurden auf dem Parnes abgehalten, und auf die Erlegung eines Wolfs war noch in den Solonischen Gesetzen ein Preis von 5 Drachmen gesetzt. Die tiefen Buchten und Ankerplätze weckten frühzeitig die Bewohner Attikas und der nahen Inseln zu Schiffahrt und Handel; der Hafen des Piräeus, der Athens Handelsschiffe wie seine starke Seemacht barg, war einer der belebtesten Seeplätze der Alten Welt. Auch die Industrie Attikas war ansehnlich, namentlich in Wollenstoffen, kunstreich bemalten Thongefäßen und Metallwaren, obschon die Gewerbe nur von armen Bürgern, fremden Ansässigen (Metöken) und Sklaven betrieben wurden.

Das alte A. zerfiel in Demen, d. h. Gemeinden mit abgesonderten Gebieten. Ihre Zahl war wechselnd und betrug in römischer Zeit über 170; von etwa 160 sind uns die Namen erhalten. Meist entsprachen den Demen zusammengebaute Dorfschaften, doch nicht immer, da einzelne Demen im Gebirge über große Räume sich ausbreiteten (vgl. Athen, Geschichte). Jeder Bürger war zugleich Mitglied eines Demos und in dessen Listen eingetragen, obgleich es nicht nötig war, in dem Demos, zu dem man gehörte, zu wohnen. Mehrere Demen, die nicht durchweg räumlich zusammenlagen, bildeten eine Phyle (Stamm), deren es anfänglich 4, seit Kleisthenes (um 510) bis 307 v. Chr. 10, später 12, zuletzt 13 gab. Die ältern 10 Phylen sind: Erechtheis, Ägeis, Pandionis, Leontis, Akamantis, Öneis, Kekropis, Hippothoontis, Äantis und Antiochis. Zu diesen kamen später die 2 Phylen Antigonis und Demetrias (nachher Ptolemais und Attalis genannt), endlich als 13. Phyle Hadrianis, welche die Inseln Attikas umfaßte. Hauptstadt war Athen. Nennenswerte andre Städte waren: Eleusis, Rhamnus mit dem Tempel der Nemesis, das schlachtenberühmte Marathon, Alopeke, der Geburtsort des Sokrates. Von den Inseln an Attikas Küste sind die bedeutendsten: Salamis, dem Piräeus gegenüber, die Patroklosinsel (jetzt Gaidaronisi), an der Südspitze, Belbina (jetzt Hagios Georgios), am Eingang des Saronischen Meerbusens, und Helena (jetzt Makronisi), an der Südostküste.

Die ältere Geschichte von A. s. unter Athen. Im heutigen Königreich Griechenland bildet A. mit Böotien einen Nomos, welcher auf 6426 qkm (nach neuerer Berechnung 6306 qkm = 116 QM.) (1879) 185,364 (1870 erst 136,804) Einw. zählt. Das Land ist gegenwärtig weniger fruchtbar als im Altertum, teils wegen Mangels guter Bebauung, teils wegen der Zerstörung der Wälder, infolge deren dem Boden die nötige Feuchtigkeit fehlt und die kleinen Flüsse noch weniger Wasser enthalten als ehemals. Dazu kommt, daß bei den Landbauern in A. die landwirtschaftlichen Verbesserungen und Erfindungen der Neuzeit trotz der Ackerbauschule bei Athen noch wenig Eingang gefunden haben. Das Klima aber ist noch heute gemäßigt und gesund, und die Oliven, Feigen und der Honig Attikas sind noch so vorzüglich wie ehedem. Vgl. Bursian, Geographie von Griechenland, Bd. 1 (Leipz. 1862); die von der Association littéraire Parnasse herausgegebene „Description physique d’Attique“ (Athen 1884 ff.); Curtius, Erläuternder Text der sieben Karten zur Topographie von Athen (Gotha 1868); Curtius u. Kaupert, Karten von A. (aufgenommen von Offizieren des preußischen Generalstabs, Berl. 1881 ff.).