Kapitel III Lichtenstein von Wilhelm Hauff
Dritter Teil, Kapitel IV
Kapitel V
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[333]

IV.


 „O Burg, von Geistern tapfrer Ahnen,
 Die thatenfreudig hier gelebt,
 Und wackrer Fürsten Ruhm umschwebt,
 O, deren Bild mit frommem Mahnen
 Sich in des Nahen Bilder webt.“
 Ph. Conz.[1]


Das alte Schloß zu Stuttgart hatte damals, als es Georg von Sturmfeder am Morgen nach des Herzogs Einzug beschaute, nicht ganz die Gestalt, wie es noch in unsern Tagen zu sehen ist, denn dieses Gebäude wurde erst von Ulerichs Sohn, Herzog Christoph, aufgeführt. Das Schloß der alten Herzoge von Württemberg stand übrigens an derselben Stelle und war in Plan und Ausführung nicht sehr verschieden von Christophs Werk, nur daß es zum größten Teil aus Holz gebaut war. Es war umgeben von breiten und tiefen Graben, über welche gegen Mitternacht eine Brücke in die Stadt führte. Ein großer, schöner Vorplatz diente in früheren Zeiten dem fröhlichen Hofe Ulerichs zum Tummelplatz für ritterliche Spiele, und mancher Reiter wurde von des Herzogs eigener gewaltiger Hand in den Sand geworfen. Die Zeichen dieses ritterlichen Sinnes sprachen sich auch in andern Teilen des Gebäudes aus. Die Halle im unteren Teil des Schlosses war hoch und gewölbt wie eine Kirche, daß die Ritter in dieser „Tyrnitz“[2] bei Regentagen fechten und Speere werfen und sogar die ungeheuren Lanzen ungehindert darin handhaben [334] konnten. Von der Größe dieser fürstlichen Halle zeugt die Aussage der Chronisten, daß man bei feierlichen Gelegenheiten dort oft zwei- bis dreihundert Tische gedeckt habe. Von da führte eine steinerne Treppe aufwärts so breit, daß zwei Reiter nebeneinander hinaufreiten konnten. Dieser großartigen Einrichtung des Schlosses entsprach die Pracht der Zimmer, der Glanz des Rittersaales und die reichen, breiten Galerien, die zum Tanz und Spiele eingerichtet waren.

Georg maß mit staunendem Auge diese verschwenderische Pracht der Hofburg. Er verglich den kleinen Sitz seiner Ahnen mit diesen Hallen, diesen Höfen, diesen Sälen, wie klein und gering kam es ihm vor! Er erinnerte sich der Sage von der glänzenden Hofhaltung Ulerichs, von seiner prachtvollen Hochzeit, wo er in diesem Schloß siebentausend Gäste aus allen Teilen des Deutschen Reiches speiste und tränkte, wo in dem hohen Gewölbe der Tyrnitz und in dem weiten Schloßhofe einen ganzen Monat lang Ritterspiel’ und Gelage gehalten wurden, und wenn der Abend einbrach, hundert Grafen, Ritter und Edelleute mit Hunderten der schönsten Damen in jenen Sälen und Galerien tanzten! Er blickte hinab in den herrlichen Schloßgarten, das Paradies genannt. Seine Phantasie bevölkerte diese Lustgehege und Gänge mit jenem fröhlichen Gewimmel des fröhlichen Hofes mit den Heldengestalten der Ritter, mit den festlich geputzten Fräulein, mit allem Jubel und Sang, der einst hier erscholl. Aber wie öde und leer deuchten ihm diese Mauern und Gärten, wenn er die Gegenwart mit den Bildern seiner Phantasie verglich. Die Gäste der Hochzeit, der glänzende, lustige Hof ist verschwunden, sprach er zu sich, die fürstliche Gemahlin ist entflohen, der glänzende Frauenkreis, der sie einst umgab, hat sich zerstreut, die Ritter und Grafen, die einst hier schmausten und ein reiches Leben voll Spiel und Tanz verlebten, sind von dem Fürsten abgefallen, die zarten Sprossen seiner Ehe sind in fernen Landen – er selbst sitzt einsam in dieser herrlichen Burg, brütet Rache an seinen Feinden und weiß nicht, wie lange er nur in dem Hause seiner Väter bleiben wird; ob nicht aufs neue seine Feinde noch mächtiger heranziehen, ob er nicht noch unglücklicher wird als je zuvor.

[335] Vergebens strebte der Jüngling, diese trüben Gedanken, welche der Widerspruch der Pracht seiner Umgebungen mit dem Unglück des Herzogs in ihm erweckt hatten, zu unterdrücken. Vergebens rief er das Bild jenes holden Wesens herauf, das er jetzt bald auf ewig sein nennen durfte; vergebens malte er sich sein häusliches Glück an ihrer Seite mit den lockendsten, reizendsten Farben aus, jene trüben Bilder kehrten immer wieder. Sei es, daß jener Mann durch die Erhabenheit, die er im Unglück gezeigt hatte, einen so großen Raum in der Brust des Jünglings gewonnen hatte, sei es, daß ihn[WS 1] die Natur in einzelnen Augenblicken mit einem unwillkürlichen Gefühl der Ahnung begabte, er blieb sinnend und ernst und es war ihm, als sei der Herzog nichts weniger als glücklich, als müsse er ihn vor irgend einem drohenden Unglück warnen.

„So überaus ernst, junger Herr?“ fragte eine heisere Stimme hinter ihm und weckte ihn aus seinen Gedanken. „Ich dächte doch, Georg von Sturmfeder hätte alle Ursache, heiter und guter Dinge zu sein!“

Der junge Mann wandte sich verwundert um und schaute herab – auf den Kanzler Ambrosius Volland. War ihm dieser Mann schon gestern durch seine widrige Freundlichkeit, durch sein katerhaftes, schleichendes Wesen unangenehm aufgefallen, so war dies heute noch mehr der Fall, da der Kanzler durch überladenen Putz seine Mißgestalt noch mehr herausgehoben hatte. Sein dunkelgelbes verwittertes Antlitz, mit dem ewigen stehenden Lächeln, die grünen Äuglein unter den langen, grauen Wimpern, die roten, entzündeten Ränder der Augenlider, der dünne Katzenbart stachen grell ab gegen ein rotes Barett von Samt und gegen einen Mantel von hellgelber Seide, der über den Höcker des kleinen Mannes hinabfloß. Unter diesem trug er einen grasgrünen Anzug, rosenrot ausgeschlitzt, und rosenrote Kniebänder mit ungeheuren Maschen. Sein Kopf stak in den Schultern, und das rote Barett stieß hinten sogleich auf den Höcker auf. Der Scharfrichter von Stuttgart pflegte daher zu sagen, unter allen Menschen, die er kenne, sei niemand schwerer zu köpfen als der Kanzler Ambrosius Volland.

[336] Dieser Mann war es, der an Georg von Sturmfeder mit süßem Lächeln hinaufsah und, da ihn dieser noch immer anstarrte, zu sprechen fortfuhr: „Ihr kennet mich vielleicht nicht, wertgeschätzter junger Freund, ich bin aber Ambrosius Volland, Seiner Durchlaucht Kanzler. Ich komme, um Euch einen guten Morgen zu wünschen.“

„Ich danke Euch, Herr Kanzler; viele Ehre für mich, wenn Ihr Euch deswegen herbemühtet.“

„Ehre, wem Ehre gebühret! Ihr seid ja der Ausbund und die Krone unserer jungen Ritterschaft! Ja! wer meinem Herrn so treu beigestanden ist in aller Not und Fährlichkeit, der hat Anspruch auf meinen innigsten Dank und meine absonderliche Verehrung!“

„Ihr hättet das wohlfeiler haben können, wenn Ihr mitgezogen wäret nach Mömpelgard“, erwiderte Georg, den die Lobsprüche dieses Mannes beleidigten. „Treue muß man nie loben, eher Untreue schelten.“

Einen Augenblick blitzte ein Strahl des Zornes aus den grünen Augen des Kanzlers, aber er faßte sich schnell wieder zur alten Freundlichkeit. „Jawohl, das mein’ ich auch! Was mich betrifft, so lag ich am Zipperlein hart darnieder und konnte also nicht wohl nach Mömpelgard reisen; werde aber jetzt mit meinem kleinen Licht, das mir der Himmel verliehen, dem Herrn desto thätlicher zur Hand gehen.“

Er hielt einen Augenblick inne und schien Antwort zu erwarten; aber der Jüngling schwieg und maß ihn nur hin und wieder mit einem Blick, den er nicht recht ertragen konnte. „Nun, Euch wird die Freude erst recht angehen. Der Herzog hält erstaunlich viel auf Euch! Natürlich, Ihr verdient es auch im höchsten Grad, und der Herzog hat seinen Liebling gut gewählt. Wollet doch erlauben, daß Ambrosius Volland Euch auch eine kleine Erkenntlichkeit zeige. Seid Ihr Freund von schönen Waffen? Kommet in meine Behausung auf dem Markt, wählet Euch aus meiner Armatur, was Euch beliebt. Vielleicht dienen Euch schöne Bücher, habe einen ganzen Kasten voll; wählet Euch aus, was Ihr wollet, wie es unter Freunden gebräuchlich. Esset auch [337] zuweilen bei mir zu Mittag, meine Base, ein feines Kind von siebzehn Jahren, hält mir Haus; sehet ihr nur, hi, hi, hi – sehet ihr nur nicht zu tief in die Augen.“

„Seid ohne Sorgen, bin schon versehen.“

„So? ei das ist recht christlich gedacht; das muß ich loben; man trifft solchen wackern Sinn nicht immer unter unserer heutigen Jugend. Ich sagte es ja gleich; der Sturmfeder, das ist ein Ausbund von Tugenden. Nun, was ich noch sagen wollte, wir sind bis jetzt so zusammen die einzigen von des Herzogs Hofstaat, stehen wir zusammen, so werden nur Leute aufgenommen, die wir wollen. Verstehet mich schon, hi, hi, eine Hand wäscht die andere. Darüber läßt sich noch sprechen; Ihr beehret mich doch zuweilen mit einem Besuche?“

„Wenn es meine Zeit erlauben wird, Herr Kanzler.“

„Würde mich gerne noch länger bei Euch aufhalten, denn in Eurer Gegenwart ist mir ganz wohl ums Herz; muß aber jetzt zum Herrn. Er will heute früh Gericht halten über die zwei Gefangenen, die gestern nacht das Volk aufwiegeln wollten. Wird was geben, der Beltle ist schon bestellt.“

„Der Beltle?“ fragte Georg, „wer ist er?“

„Das ist der Scharfrichter, wertgeschätzter, junger Freund.“

„Ich bitte Euch! Der Herzog wird doch nicht den ersten Tag seiner neuen Regierung mit Blut beflecken wollen!“

Der Kanzler lächelte greulich und antwortete: „Was das wieder Eurem fürtrefflichen Herzen Ehre macht; aber zum Blutrichter taugt Ihr nicht. Man muß ein Exempel statuieren. Der eine“, fuhr er mit zarter Stimme fort, „der eine wird geköpft, weil er von Adel ist, der andere wird gehängt. Behüt’ Euch Gott, Lieber!“

So sprach der Kanzler Ambrosius Volland und ging mit leisen Schritten die Galerie entlang den Gemächern des Herzogs zu. Georg sah ihm mit düsteren Blicken nach. Er hatte gehört, daß dieser Mann früher durch seine Klugheit, vielleicht auch durch unerlaubte Künste großen Einfluß auf Ulerich gewonnen hatte; er hatte den Herzog selbst oft mit großer Achtung von der Staatsklugheit dieses Mannes sprechen gehört; aber er wußte nicht [338] warum, er fürchtete für den Herzog, wenn er sich dem Kanzler vertraue, er glaubte Tücke und Falschheit in seinen Augen gelesen zu haben.

Er sah gerade den Höcker und den wehenden gelben Mantel um die Ecke schweben, als eine Stimme neben ihm flüsterte: „Trauet dem Gelben nicht!“ Es war der Pfeifer von Hardt, der sich unbemerkt an seine Seite gestellt hatte.

„Wie? bist du es, Hans?“ rief Georg und bot ihm freundlich die Hand. „Kommst du ins Schloß, uns zu besuchen? Das ist schön von dir, bist mir wahrhaftig lieber als der mit dem Höcker; aber was wolltest du mit dem Gelben, dem ich nicht trauen solle?“

„Das ist eben der mit dem Höcker, der Kanzler, der ist ein falscher Mann; ich habe auch den Herzog verwarnt, er soll nicht alles thun, was er ihm rät, aber er wurde zornig und – es mag wahr sein, was er sagte.“

„Was sagte er denn? Hast du ihn heute schon gesprochen?“

„Ich kam, um mich zu verabschieden, denn ich gehe wieder heim nach Hardt zu Weib und Kind; der Herr war erst gerührt und erinnerte sich an die Tage seiner Flucht und sagte, ich soll mir eine Gnade ausbitten. Ich aber habe keine verdient, denn was ich gethan, ist eine alte Schuld, die ich abgetragen. Da sagte ich, weil ich nichts anders wußte, er soll mich meinen Fuchs frei schießen lassen und nicht strafen als Jagdfrevel. Des lachte er und sprach: das könne ich thun, das sei aber keine Gnade; ich solle weiter bitten. Da faßte ich ein Herz und antwortete: ‚Nun, so bitt’ ich, Ihr möget dem schlauen Kanzler nicht allzuviel trauen und folgen. Denn ich meine, wenn ich ihn sehe, er meint es falsch –‘“

„So geht es mir gerade auch“, rief Georg, „es ist, als wolle er mir die Seele ausspionieren mit den grünen Augen, und ich wette, er meint es falsch; aber was gab dir der Herzog zur Antwort?“

„‚Das verstehst du nicht‘, sagte er und wurde böse; ‚in Klüften und Höhlen magst du wohl bewandert sein, aber im Regiment kennt der Kanzler die Schliche besser als du.‘ Kann sein, [339] ich habe unrecht, und es soll mir lieb sein um den Herzog! Nun lebet wohl, Junker! Gott sei mit Euch; Amen.“

„Und wolltest du also gehen; wolltest nicht noch zu meiner Hochzeit bleiben? Ich erwarte den Vater und das Fräulein heute. Bleibe noch ein paar Tage; du warst so oft der Liebesbote und darfst uns nicht fehlen!“

„Was soll so ein geringer Mann, wie ich, bei der Hochzeit eines Ritters? Zwar könnte ich mich hinaufsetzen zu den Spielleuten und auch eines aufspielen zum Ehrentanz, aber das thun andere so gut als ich, und mein Haus verlangt nach mir.“

„Nun, so lebe wohl; grüße mir dein Weib und Bärbele, dein schmuckes Töchterlein, und besuche uns fleißig auf Lichtenstein; Gott sei mit dir.“

Dem Jüngling hing eine Thräne im Auge, als er dem Bauer die Hand zum Abschied bot, denn er hatte in ihm einen kräftigen, biedern Mann, einen treuen Diener seines Fürsten, einen mutigen Genossen in Gefahren und einen heitern Gesellen im Unglück erkannt. Wohl schwebte ihm noch manche Frage über das geheimnisvolle Walten dieses Mannes, über seine wunderbare Anhänglichkeit an den Herzog auf den Lippen, aber er unterdrückte sie, überwältigt von jener unerklärlichen Macht, von jener natürlichen Größe und Würde, welche den Pfeifer von Hardt auch im unscheinbaren Gewand des Bauers umgab.

„Noch eins!“ rief Hans, als er eben nach dem letzten Händedruck des Junkers scheiden wollte, „wisset Ihr auch, daß Euer ehemaliger Gastfreund und zukünftiger Vetter, Herr von Kraft, hier ist?“

„Der Ratsschreiber? Wie sollt’ der hieher kommen? Er ist ja bündisch!“

„Er ist hier, und nicht gerade im anmutigsten Klosett, denn er sitzt gefangen. Gestern abend, als das Volk zusammenlief wegen des Herzogs, soll er für den Bund öffentlich gesprochen haben.“

„Gott im Himmel! das war Dieterich Kraft, der Ratsschreiber. Da muß ich schnell zum Herzog, er richtet schon über ihn, und der Kanzler will ihn köpfen lassen! Gehab’ dich wohl!“

[340] Mit diesen Worten eilte der Jüngling den Korridor entlang zu den Gemächern des Herzogs. Er war in Mömpelgard zu allen Tageszeiten zum Herzog gegangen, daher machten ihm auch jetzt die Thürhüter ehrerbietig Platz. Er trat hastig in das Gemach; der Herzog sah ihn verwundert und etwas unwillig an, der Kanzler aber hatte das ewige süße Lächeln wie eine Larve vorgehängt.

„Guten Morgen, Sturmfeder!“ rief der Herzog, der in einem grünen, goldgestickten Kleide, den grünen Jagdhut auf dem Kopf, am Tisch saß, „hast du gut geschlafen in meinem Schlosse? Was führt dich schon so früh zu uns? Wir sind beschäftigt.“

Die Augen des jungen Mannes hatten indessen unruhig im Zimmer umhergestreift und den Schreiber des Ulmer Rats in einer Ecke gefunden. Er war blaß wie der Tod, sein sonst so zierliches Haar hing in Verwirrung herab, und ein rosenfarbenes Mäntelein, das er über ein schwarzes Kleid trug, war in Fetzen zerrissen. Er warf einen rührenden Blick auf den Junker Georg und sah dann auf zum Himmel, als wollte er sagen: „Mit mir ist’s aus!“ Neben ihm standen noch einige Männer und auch ein langer, hagerer Mann, den er schon gesehen zu haben sich erinnerte. Die Gefangenen wurden von Petrus, dem tapfern Magdeburger und dem Kasperl aus Wien bewacht. Sie standen mit ausgespreizten Beinen, die Hellebarden auf den[WS 2] Boden gestemmt, kerzengerade auf ihrem Posten.

„Ich sag’, wir haben zu thun“, fuhr der Herzog fort; „was schaust du nur immer nach dem rosenfarbenen Menschenkind; das ist ein verstockter Sünder; das Schwert wird schon für ihn gewetzt.“

„Euer Durchlaucht erlauben mir nur ein Wort“, entgegnete Georg. „Ich kenne jenen Mann und wollte mich mit Hab’ und Gut für ihn verbürgen, daß er ein friedlicher Mann ist und gewiß kein Verbrecher, der den Tod verdiente.“

„Bei Sankt Hubertus, das ist kühn! Die Natur hat sich geändert. Mein Kanzler, der treffliche Jurist, hat sich aufgeputzt wie ein junger Krieger, und mein junger Krieger dort will den Advokaten machen! Was sagt Ihr dazu, Ambrosius Volland?“

[341] „Hi, hi! ich habe Euer Durchlaucht durch meine Person Spaß machen wollen; weiß aus früherer Zeit, daß Ihr einen kleinen Scherz liebet; nun, der liebe, gute Sturmfeder will die Lustbarkeit vermehren und den Juristen spielen. Hi, hi, hi! wird ihm aber nichts helfen, dem Rosenfarbenen. Majestätsverbrechen! wird halt doch geköpft, der im Mäntelein.“

„Herr Kanzler!“ rief der Jüngling vor Unmut glühend. „Der Herr Herzog wird mir bezeugen können, daß ich mich nie zum Schalksnarren hergegeben habe. Diese Rolle mache ich andern nicht streitig. Und mit Menschenleben spiele und scherze ich nie! Es ist mein wahrer Ernst; ich verbürge mich mit meinem Leben für gegenwärtigen Edlen von Kraft, Ratsschreiber in Ulm. Ich hoffe, meine Bürgschaft kann angenommen werden.“

„Wie?“ sagte Ulerich, „das ist wohl der zierliche Herr, dein Gastfreund, von dem du mir so oft erzähltest? Thut mir leid um ihn, aber er wurde in einem Aufruhr unter sehr gefährlichen Umständen gefangen!“

„Freilich!“ krächzte Ambrosius, „ein crimen laesae majestatis!

„Erlaubet, Herr! ich habe die Rechte lange genug studiert, um zu wissen, daß hier durchaus nicht von einem solchen Verbrechen die Rede sein kann. Gestern nacht waren die Bundesräte und der Statthalter noch hier; folglich war Stuttgart noch in Gewalt des Bundes, und der Ratsschreiber, der durchaus kein Unterthan Seiner Durchlaucht ist, hat nicht anders gehandelt als jeder bündische Soldat, der auf Befehl seines Oberen gegen uns zu Felde zog.“

„Ei, die Jugend, die Jugend! wie Ihr alles überhaspelt, junger, sehr wertgeschätzter Freund! Sobald der Herzog die Stadt aufgefordert hatte und den animam possidendi hatte, war auch alles, was in den Mauern sich befand, sein. Folglich wer eine Verschwörung gegen ihn anzettelte, ist ein Majestätsverbrecher. Besagter Herr von Kraft aber hat schrecklich gefährliche Reden an das Volk gehalten.“

„Nicht möglich; es wäre ganz gegen seine Art und Weise! Herr Herzog! das kann nicht sein!“

[342] „Georg!“ sagte dieser ernst, „wir haben lange Geduld gehabt, dich anzuhören. Es hilft deinem Freunde doch nichts. Hier liegt das Protokoll; der Kanzler hat, ehe ich kam, ein Zeugenverhör angestellt, worin alles sonnenklar bewiesen ist. Wir müssen ein Exempel statuieren! Wir müssen unsere Feinde recht ins Herz hinein verwunden, der Kanzler hat ganz recht; darum kann ich keine Gnade geben.“

„So erlaubt mir nur noch eine Frage an ihn und die Zeugen, nur ein paar Worte.“

„Ist gegen alle Form Rechtens“, fiel der Kanzler ein; „ich muß dagegen protestieren, Lieber; es ist ein Eingriff in mein Amt.“

„Laß ihn, Ambrosius; mag er meinetwegen noch ein paar Fragen an den armen Sünder thun, er ist doch verloren.“

„Dieterich von Kraft“, fragte Georg, „wie kommt Ihr hieher?“

Der arme Ratsschreiber, den der Tod schon an der Kehle gefaßt hatte, verdrehte die Augen, und seine Zähne schlugen aneinander; endlich konnte er einige Worte herausstoßen: „Bin hieher geschickt worden vom Rat, wurde Schreiber beim Statthalter –“

„Wie kamet Ihr gestern nacht zu den Bürgern von Stuttgart?“

„Der Statthalter befahl mir abends, wenn etwa die Bürger sich aufrührerisch zeigten, sie anzureden und zu ihrer Pflicht und Eid zu verweisen.“

„Ihr sehet, er kam also auf höheren Befehl dorthin; wer nahm Euch gefangen?“ fuhr Georg zu fragen fort.

„Der Mann, der neben Euch steht.“

„Ihr habt diesen Herrn gefangen? also müßt Ihr auch gehört haben, was er sprach? Was sagte er denn?“

„Ja, was wird er gesagt haben“, antwortete der Bürger, „er hat keine sechs Worte gesprochen, so warf ihn der Bürgermeister Hartmann von der Bank herunter; ich weiß noch, er hat gesagt: ‚Aber bedenket, ihr Leute, was wird der durchlauchtigste Bundesrat dazu sagen!‘ Das war alles, da nahm ihn der Hartmann beim Kragen und warf ihn herunter. Aber dort der Doktor Calmus, der hielt eine längere Rede.“

Der Herzog lachte, daß das Gemach dröhnte und sah bald Georg, bald den Kanzler an, der ganz bleich und verstört sich umsonst [343] bemühte, sein Lächeln beizubehalten. „Das war also die gefährliche Rede, das Majestätsverbrechen? Was wird der Bundesrat dazu sagen! Armer Kraft! wegen dieses kraftvollen Sprüchleins verfielst du beinahe dem Scharfrichter. Nun, das haben selbst unsere Freunde oft gesagt: ‚Was werden die Herren sagen, wenn sie hören, der Herzog ist im Land.‘ Deswegen soll er nicht bestraft werden. Was sagst du dazu, Sturmfeder!“

„Ich weiß nicht, was Ihr für Gründe habt, Herr Kanzler“, sagte der Jüngling, indem sein Auge noch immer von Unmut strahlte, „die Sachen so auf die Spitze zu stellen und dem Herrn Herzog zu Maßregeln zu raten, die ihn überall – ja, ich sage es, die ihn überall als einen Tyrannen ausschreien müssen. Wenn es nur Diensteifer ist, so habt Ihr diesmal schlecht gedient.“

Der Kanzler schwieg und warf nur einen grimmigen, stechenden Blick aus den grünen Äuglein auf den jungen Mann. Der Herzog aber stund auf und sprach: „Laß mir mein Kanzlerlein gehen, diesmal freilich war er zu strenge. Da – nimm deinen rosenroten Freund mit dir; gib ihm zu trinken auf die Todesangst, und dann mag er laufen, wohin er will. Und du Hund von einem Doktor, der du zu schlecht zu einem Hundedoktor bist, für dich ist ein württembergischer Galgen noch zu gut. Gehängt wirst du doch noch einmal, ich will mir die Mühe nicht geben. Langer Peter! nimm diesen Burschen, binde ihn rückwärts auf einen Esel und führe ihn durch die Stadt; und dann soll man ihn nach Eßlingen führen – zu den hochweisen Räten, wo er und sein Tier hingehört. Fort mit ihm.“

Die Züge des Doktor Kahlmäuser, in welchen schon der Tod gesessen war, heiterten sich auf; er holte freier Atem und verbeugte sich tief. Peter, Kasperle und der Magdeburger fielen mit grimmiger Freude über ihn her, luden ihn auf ihre breiten Schultern und trugen ihn weg.

Der Ratsschreiber von Ulm vergoß Thränen der Rührung und Freude; er wollte dem Herzog den Mantel küssen, doch dieser wandte sich ab und winkte Georg, den Gerührten zu entfernen.


  1. Zweite Strophe des Gedichtes: „Die Burg“. (Gedichte. Neue Sammlung. 1824.)
  2. Tyrnitz oder Dürnitz (vielleicht aus dem russ. gornitza), d. h. Stube, geheiztes Gemach, Speisezimmer, Badestube, Frauengemach, Dörrstube.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ihm
  2. Vorlage: dem
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