Textdaten
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Autor: Julius Walter
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Titel: Karlsbad im Schnee
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 82–84
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Karlsbad im Schnee.
Ein Wintermärchen aus dem Böhmerwald.

Die Badenymphe hat längst ihre glänzende Toilette abgelegt und das bequeme Hauskleid angezogen. Und sie sieht darin ganz putzig und reizend aus, wie sie, die Hände müde in den Schooß gelegt, sinnenden Blickes der kaum verflossenen Zeit nachträumt, dem Gesumme und Gekicher in allen lebenden Sprachen, den rauschenden Festen, dem Frou-Frou der schönsten Frauen, dem süßen Geflüster unter dem verschwiegenen grünen Dache der großen Kastanienbäume, den Unterleib-Elegien melancholischer Hämorrhoidarier und nierensteinreicher polnischer Juden, begleitet von fröhlich lockender Labitzkischer Musik.

Seit Monden liegt Karlsbad unter weißer Decke – still und selbstbeschaulich. Trotz der Bahn rauscht der große Strom des Lebens weit von hier ab; kaum daß eine leichte Welle das Thal bespült. Der Winter herrscht mit rauher Hand. Schnee auf allen Höhen; Schnee in allen Straßen. Der eingeschneite tannenduftige Christbaumwald steht wie verzuckert da oben; über ihm blaut der Himmel mit blendend weißen Wolken; die niedlichen Häuschen der sich amphitheatralisch aufbauenden Stadt sehen verwundert aus ihren grünen Jalousienaugen drein; die Teyl schlingt sich wie ein weißglänzendes Atlasband durch die winterliche Landschaft. Sie ist fest zugefroren; auf ihrem Rücken schwingt sich die Jugend in fröhlichem Reigen, aber gegen den Markt zu wird das Eis immer dünner, und plötzlich durchbrechen es heiße Fluthen, die zischend, brodelnd und dampfend hoch hinaufsteigen.

Aber der Sprudel macht setzt sein altes Kunststück vor einem Parterre von Köchinnen, die muthwillig den alten Herrn an seinem weißen Barte zupfen und ihn zur häuslichen Arbeit zwingen, um die Hühner, Gänse und Enten zu entfedern.

Die Quellen ergießen sich rastlos, aber die Brunnen-Colonnaden sind geschlossen. Die meisten Hôtels, die Restaurants feiern. Die Aerzte haben ihre Winterquartiere bezogen, die Mitglieder der Labitzkischen Kapelle sich in alle Windesrichtungen zerstreut. Die Hausthore, die Verkaufsläden sind gesperrt. Das Curhaus feiert, nur in einem matt erleuchteten Eckzimmer servirt der „Brezelbub“; die Brunnen- und Cafémädchen machen große Toilette; die Fremdenführer fahren jetzt Sand und Ziegel zu den Bauten, und Mancher, der in der Saison mit der Sammelbüchse herumging, hängt jetzt die Flinte auf die Schulter, steigt den Wald hinauf, aus dem jeden Augenblick in die idyllische Ruhe des Thales ein Schuß hinabrollt, welchen das Echo der Berge vertausendfältigt.

Die „alte Wiese“, der Tummelplatz der Gesellschaft in der Saison, ist jetzt am verödetsten. Die Kastanienbäume ringen ihre dürren Arme über die nun geschlossenen Boutiken; die Kaffeehäuser sind leer. Der „Elephant“ sieht mürrisch drein wie ein alter maroder Menagerie-Geselle, der vor einem Pfennig-Publicum seine Künste machen soll; die Veranda des Hammerschmied’schen Etablissements ist mit Brettern verschlagen, und nur der weit ausschauende Name „Salle de Saxe“ zeugt von verschwundener Pracht. Die Fremdenzimmer sind geschlossen, die Kaufläden im Erdgeschoß rasch zu Wohnungen umgewandelt worden. Zwischen den wohlverschlossenen Doppelfenstern hängen süße Trauben; auf dem grünen Moose unten liegen weich gebettet die rothwangigen Aepfel; ein hübsches Kind blättert in der „Gartenlaube“, während die Mutter sich den Tisch am Kachelofen zurecht gerückt und in das Studium ihres Einnahmebuches vertieft hat; sie knüpft an die Namen der Miether biographisch-finanzielle Commentare von weittragender Bedeutung für das Erträgniß des Hauses. Die Linnen werden ausgebessert, zerrissene Vorhänge kunstgerecht vernäht. Man arbeitet und schwatzt, glossirt die Fremden, bespricht den letzten Ball und die Toiletten für den nächsten. Aber das Sehnen manch schönen Kindes flattert über die Berge hinüber, und wenn es den Leinlaken jetzt kunstgerecht stopft, gedenkt es dessen, der darauf mit dem lieben blonden Haupt geruht, der mit ihm so süß gesprochen – rasch zerdrückt es dann die heiße Thräne [83] im Auge, springt auf, wirft die Kapuze um und huscht eilig zur Post. – Und wieder kein Brief!

„Und die Marie wird von Tag zu Tag blässer, und im Frühjahr muß sie 'Franzensbader Eisenquelle' trinken,“ sagen Mutter und Muhmen.

Die Anwesenheit so vieler Fremden aus den höchsten und gebildetsten Ständen, aus fremden Landen, die romantische Beleuchtung, die sie durch die fremde Sprache und galante Lebensweise gewinnen, üben einen poetischen Reiz auf das empfängliche Mädchengemüth. Was Wunder, daß man in Karlsbad hineinfährt, wie in eine Lebenschronik: bleiche Novellen schleichen, tragisch angehauchte Balladen schlottern, heiße Romanzen eilen hinter den jüngsten Mädchen und den Matronen einher.

Am Markplatz geht es noch am lebhaftesten zu. Hier ist das Postamt, die altberühmte hundertjährige Apotheke Becher's und das Capitol. Karl der Vierte, der „Gründer Karlsbads“, steht, aus rohem Sandstein gemeißelt, da und reibt sich den Theil, mit dem man gemeinhin dem Photographen nicht sitzt, an dem städtischen Rathhaus. Hier thront der Bürgermeister, der Erfinder der draconischen Curtaxe, die auch Nicht-Curgäste einschließt. Die Sitzungen dieses Senats gehören zu den beliebtesten, leider durch Raummangel beschränkten Volksbelustigungen. Schade, daß sie der Stadt so theuer zu stehen kommen, denn es schlägt in ihnen eine viel kräftigere, humoristischere Volksblutader als in dem „Ziogel-Bürgermeister und Sandauer Dosenstück“, welches, von einem Einheimischen gedichtet, in dem renommirtesten Dilettantentheater Cassastück wurde. Dieses Dilettantentheater führt den poetischen Namen „Flohburg“, weil es während der Saison zur Aufbewahrung der polnischen Juden dient. Das städtische Theater ist im Winter meist geschlossen, da man den Stadtverordneten-Sitzungen nicht Concurrenz machen will.

Ich wandle durch die Mühlbad-, Kreuz- und Egerstraße; hier wird ein neues Haus gebaut, da ein altes ausgeflickt, dort ein drittes Stockwerk aufgesetzt und eine Remise in ein lohnenderes Etablissement umgewandelt. Man arbeitet rasch und mit Hast, denn nur bis zur Eröffnung der Saison – am 1. Mai – darf gebaut werden. Da heißt es: sich sputen, hurtig zur Hand sein, den ersten Sonnenstrahl erwischen und den letzten noch ausnutzen, den Gulden nicht sparen und mit den Arbeitern fein säuberlich umgehen. Nur die städtischen Bauten schreiten bedächtig im behäbigen Bürgerwehrtrab vorwärts, und die Mühlbadcolonnade, obgleich sie im Kegelbahnstile angelegt ist, wird doch den berühmtesten gothischen Bauwerken, den Domen, gleichen – gleich diesen wird sie niemals ausgebaut sein.

Ein Freund begleitet mich in den Wald hinaus. Anfangs haben wir noch Pfad, bald aber ist der Weg von Laub, Schnee, Tannenzapfen und Geröll bedeckt. Hier und da sind die breiten Fußstapfen eines Holzschlägers sichtbar. Einsamkeit und Stille herrscht; nur ein Hase huscht vorüber; ein Eichkätzchen klettert behend den Baum hinauf. Ueberall Frieden – eine Sabbathruhe der Natur. Das Thier, verwundet, flüchtet in's tiefste Waldesdunkel und klagt sein Leid den alten Bäumen – und auch der Mensch, mit der Wunde im Herzen und dem Grame in der Seele steigt er hinauf und findet im Walde Trost, Ruhe und Erleichterung. Denn der Wald ist die grüne Kirche, die der Schöpfer da oben aufgebaut hat. Durch die Aeste bricht goldiger Schein, und als ewige Ampel ist die Sonne da oben aufgehängt. Erhebender als Orgelklang tönt der Blätter Rauschen, und Baumpredigt erhebt mehr als des Pfaffen Litanei. Der würzige Harzgeruch duftet andächtiger als der Weihrauch, und der beste Betschemel ist uns der von weichem Moossammet überkleidete Fels.

Die alten Tannen erzählen sich jetzt ihre Erlebnisse; sie plaudern wundersame Dinge und lächeln über das windige Treiben der kleinen Leute, die in ihrem Schatten gewandelt. Sie flüstern von Liebesschwüren, die hier heiß aufgelodert und so rasch verglüht sind, von Seufzern, die hier geschluchzt und so rasch verklungen sind, von Eiden und großen Worten, die hier für die Ewigkeit gesprochen und dann so rasch gebrochen wurden. Und eine alte Eiche, die in ihrer Brust ein Muttergottesbildchen trägt, weiß noch von den alten Schöppengerichten zu erzählen, und lächelt in den weißen Bart hinein über dermaligen Karlsbader Senat.

Ein gewaltiger Stein, der sich abgelöst, legt sich über den Weg, und aus seiner Schneehülle glänzt es goldig heraus. Als ich ihn überschreiten will, was seh ich? – Verse! veritable gereimte Verse „von Einem, der hoffnungslos hierher kam und geheilt heimzog“, und der sich darob verpflichtet fand, Jenen, die nach ihm kommen, das grüne Banner der Hoffnung aufzustecken, in Jamben Kunde zu geben von den Quellen, die er trank, und den Offenbarungen, die er hatte, oder in Trochäen zu warnen vor des rohen Obstes leicht gefährlichem Genusse und des Sprudelsatzes lösender Macht. Und so werden selbst Commerzienräthe zu Poeten und treiben mit dem Metrum Spott. Er aber, der hier Gesetztafeln für das Leben gab und seine Fastenpredigt in Stein grub, er sitzt wieder daheim, der unverbesserliche Alte, schwärmerisch blickt er auf den Citronentropfen im zuckenden Austerleibe, wie der verliebte Jüngling auf die Thauthränen im Blumenauge, und die Rechte, die noch kürzlich krampfhaft den Sprudelbecher umfaßte, füllt jetzt toastend das Champagnerglas.

Immer höher hinan. Da öffnet sich der Weg zum Hirschensprung. Wer Alles ist diesen Weg vor mir schon gewandelt! Was für Gestalten tauchen da nicht auf, blicken aus dem Busche und treten hinter den Tannen hervor! Auf den Arm des Oesterreicher Herzogs Ferdinand stützt sich seine holde Gattin, die blonde Welserin; an diesem Felsen ruht August der Starke zu den Füßen der schönen Aurora; Gellert, der 1763 auf seinem famosen Schimmel hergeritten kam, den ihm Prinz Heinrich von Preußen schenkte, schreitet fürbaß an der Seite seines unzertrennlichen Sprudel-Zechkumpans, des kleinen hageren Laudon; Schiller reitet nach Frauenart auf seinem Esel, die kurze Tabakspfeife im Munde, den Berg hinan – zu seiner Seite schreitet sein junges Weib; Theodor Körner dichtet hier seine schönsten und namhaftesten Schwertlieder, umrankt mit seiner Poesie die hohen Buchen, um bald darauf bei Gadebusch sein junges Leben auszuhauchen; Goethe, Karlsbads treuester Stammgast, wandelt mit der Fürstin Pankrazin, mit Schiller, Tiedge und dessen edler Freundin Frau von der Recke, während des Congresses als Staatsminister mit all den hohen Herren und geriebenen Diplomaten; Bettina klagt ihn hier im Schatten dieser Buchen bitter an, wie sehr er sie vernachlässige, und läßt in der grünen Waldeinsamkeit ihre Thränen fließen, und er selbst, als siebenundsiebzigjähriger Greis fühlt er noch einmal die Liebe an sein nie alterndes Herz pochen und bietet in verschwiegener Waldeinsamkeit seine Hand einem siebzehnjährigen rosigen Kinde an; der alte Blücher macht hier seine Verdauungspromenade, nachdem er unter kernigen Flüchen, daß „ihm, dem Todfeind aller Wasser, solch dumme Geschichte passiren muß“, ein halb Dutzend Becher Neubrunn getrunken hat.

Während des Congresses wandeln da Fürst Metternich, Winzingerode und Hardenberg und berathen, wie die Welt wieder einzurichten sei; der geistreich-witzige Prince de Ligne führt die Prinzessin Biron hinan und wirft ein köstliches Bonmot der hinter ihm am Arme Schwarzenberg's schreitenden Herzogin von Sagan zu, deren rosige Finger manch zarten diplomatischen Faden weiter spinnen, während Gentz sich Appetit holt für die leckere Tafel des Fürsten Esterhazy und mit Grafen Bernstorff und Adam Müller sich inspirirt für die Abfassung der Artikel, betreffend die „Maßregeln gegen die Presse“; Chateaubriand geleitet die Herzogin von Angoulême, zu deren Besuche er von Teplitz (wo Karl der Zehnte die Bäder gebraucht) herübergekommen ist, und schneidet seinen Namen und ein großes Kreuz mit mächtiger Hand in die alte Linde, welche das steinerne Kreuz am Hirschensprung überschattet. Die reizende Comtesse O..., deren Geliebter mit seinem Blute die Schlachtfelder Polens färbte und jetzt in den Eisgefilden Sibiriens friert, erkauft hier in den heißen Armen des allmächtigen Günstlings, des russischen Fürsten M., seine Rückkehr, um dann, sobald er Kenntniß von dem Geschäfte hat, mit ihren eigenen seidenen, blonden Zöpfen von dem Geretteten erwürgt zu werden. Und jetzt bricht hinter dem Baume ein stämmiger Geselle mit energischen Zügen im Zwilchkittel hervor; ein verwitterter mächtiger Calabreser stülpt sich auf sein Haupt; er führt in der Rechten einen Knittel, in der Linken Gervinus' „Einleitung zur Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts“ – das ist Herr von Bismarck Anno 1865 in Karlsbad.

Doch steigen wir in's Thal hinab. Es ist Sonntag. Die Feuer am häuslichen Herde sind bereits erloschen; der Mittagstisch ist vorüber, die Straße bis zur Wiese hinauf belebt. [84] Die Väter schreiten steif und gravitätisch an der Seite ihrer herausgeputzten besseren Ehehälften einher, die Meerschaumpfeife im Munde, das große spanische Rohr in der Hand; daneben, dazwischen und vorüber das junge Volk; die jungen Mädchen, deren Kleid noch nicht das Pflaster streift, aber doch nur den feinen Knöchel sehen läßt, sperren die Gasse; sie kichern laut, moquiren sich über den Lehrer, flüstern sich prickelnde Schulnovellen zu und parodiren die älteren Schwestern, welche im vertraulichen Flüstern zu Zweien oder schmachtend am Arme des Galans einherziehen. Und heute giebt es gar viel zu erzählen, viel zu bekennen, viel zu bereuen. Die Gesichter sehen auch etwas übernächtig drein, denn gestern war großer Ball. Und was für ein Ball! Als ich den großen Saal des Curhauses betrat, rieb ich mir verwundert die Augen. Ist's Traum, ist's Wirklichkeit? Wieder flammten die Kerzen; wieder rauschten die verlockenden, berückenden Walzerrhythmen; wieder hüpften die kosenden Polkatöne, aber diesmal lustiger, strammer, pulsirender, frischer, als während der Saison, wo aus curgemäßen Gründen alle Töne gedämpft sind; wieder sah ich diese Toiletten, die im Sommer Furore gemacht, von dem schilfgrünen Kleide, welches die Nixengestalt der blonden Fee aus England umfloß, bis zum Feigenblatt der Wiener Gräfin, aber jetzt von rothbackigen, lebenslustigen, festbusigen Mädchengestalten getragen; denn Alles, was im Sommer Aufsehen macht, der kühnste Mantelwurf, die bizarrste Robe, die buntfarbigste Mantille, das längste Schleppkleid, das koketteste Hütchen und die wild romantische und grotesk-komische Frisur, all dies findet im Karlsbader Winter seine Doppelgänger und Copieen. Sie stehen freilich zum Original, wie der Bürstenabzug zum fertigen Druck, wie die Negative zum eigentlichen Bild, aber „sie sind“. Man macht gar außerordentliche Toilette. Und just die, welche während des Sommers die arbeitsamsten, die bescheidensten, die entsagendsten sind: die Brunnenmädchen, welche schon um sechs Uhr Morgens dem polnischen Juden mit den fettglänzenden Locken und der Marquise mit dem eleganten Rock den genesungsbrauenden Trank schöpfen, die Kaffeeheben, die diversen Fanny's, Anna's, Marie's, welche die „Verkehrten“, „Rechten“ credenzen und mit Grazie ihre sechs Kreuzer „Trinkgeld“ einstreichen: sie sind jetzt Allen voran. Man weiß wahrlich nicht, was mehr zu bewundern ist, wie sparsam diese Mädchen oder wie billig diese theuren Toiletten sind.

Sobald aber die ersten warmen Strahlen in's Thal fallen, findet der lange Winterfeiertag sein Ende. Die Tage werden länger, die Bierabende kürzer. Die Winterquartiere werden abgebrochen, die Parterre-Wohnungen geräumt und wieder zu Verkaufsläden herausstaffirt; mit Kind und Kegel schachtelt man sich in die letzten Räumlichkeiten ein. Die Wege werden wieder urbar gemacht, die Ruhebänke und die in Form von Tonnen freundlich winkenden Einsiedeleien in den Wäldern gepflanzt. Die Kastanienbäume der alten Wiese werden reglementsmäßig beschnitten, der Christus am Kreuzberge frisch lackirt; der heilige Nepomuk erhält ein neues Gewand, und unter den Eseln und Brunnenmädchen wird fürchterliche Musterung gehalten; die Colonnaden werden in Stand gesetzt, die städtischen Spritzen „behördlich geprüft“.

Da ist jetzt ein fortwährendes Hämmern, Sägen, Feilen, Rasseln, Hobeln; zwischen durch tönen süße Rossinische Musik, Straußische Walzerrhythmen und Wagner'sche Keulenschläge aus dem großen Saale des Curhauses, wo jetzt Labitzki von früh bis spät seine Mannschaft einexercirt. An die Bauten wird die letzte Feile gelegt; die verschiedenen Raphaels, Michel Angelos und Corregios pinseln und tünchen in ihren Ateliers auf offener Straße hier ein Haus, dort eine Schildertafel, und wie von den Küsten Spaniens der Duft der Orange dem Landenden schon von Weitem entgegenweht, so begrüßt jetzt der Firnißgestank den Ankommenden bereits am Bahnhofe. Die Badewirthe ziehen jetzt die Herrenröcke aus, und manch stolzer Senator, der in den Herbsttagen seinem Clärchen versprach, im Frühling „spanisch zu kommen“, drischt jetzt eigenhändig mit dem Rohre aus dem Lande der Hesperiden seine verstaubten Möbel aus. Die Hôtel-Omnibuse werden aus der Remise geholt; der Doctorenwagen wird frisch lackirt; die für die Saison bestimmten Beamten der Post und des Telegraphen treffen ein. Die Aerzte sind bereits wieder vollzählig; die Placate, welche freundlich melden: hier ist Wohnung zu vermiethen, bedecken in allen nur erdenklichen Formaten, in allen Farben und in allen Sprachen die Stadt. Der häusliche Krieg wird beigelegt angesichts des gemeinsamen patriotischen Kampfes gegen den Fremden; das Heirathen, Sterben und Schuldenzahlen wird auf den Herbst verschoben. Der Gemeinderath giebt heute seine letzte große Vorstellung, denn morgen ist der erste Mai, die feierliche Eröffnung der Saison.

Aus dem Aschenbrödel ist wieder die festgeschmückte Schöne geworden. Die Bade-Nymphe erscheint in glänzender Festtoilette; die Bauten sind eingestellt, die Hämmerschläge verstummt; die Forellen plätschern in den Speisekarten; es grünt und blüht, und die Stadt leuchtet vor Nettigkeit.

Es ist der erste Mai, der große Tag der Brunnenweihe, der Eröffnung der Saison. Diese Feier ist aber eine mehr innerliche als äußere und nur wenig prunkhaft. Während einst die attischen Brunnen mit Veilchen umrahmt wurden, holde Jungfrauen duftige Kränze in die eurymenische Quelle in Thessalien warfen, Petrarca von den Frauen Kölns zu erzählen weiß, wie sie blumenumgürtet zum Rheine ziehen, in Sicilien Nymphenfeste mit bacchischen Tänzen aufgeführt wurden: beschränkt sich die Brunnenweihe der Karlsbader Quellen, gleich der aller übrigen böhmischen, auf die schwarzbefrackte Anwesenheit der jüngsten noch ungeweihten Quellenpriester – die alten haben es, Gott sei Dank! nicht mehr nöthig – unter Vortragung des hochwürdigen Bürgermeisters und Hinzutritt einiger reizenden Brunnenmädchen, welche aus „curgemäßen Rücksichten“ in den böhmischen Badeorten von Matronen dargestellt werden.

Ist die Quelle mit dem saisonmäßigen grünen Gemüse bekränzt und sind die feierlichen Worte gesprochen, so erdröhnen die Salven der Bürgerwehr; die Glocken läuten – die Saison ist eröffnet, das heißt, Jeder, ohne Unterschied des Alters, der Nationalität und der Confession muß von jetzt an die Curtaxe zahlen.

Julius Walter.