Henochbuch (slavisch oder Zweiter Henoch)

Textdaten
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Titel: Henochbuch
Untertitel: slavisch
aus: Altjüdisches Schrifttum außerhalb der Bibel (S. 452–473)
Herausgeber: Paul Rießler
Auflage:
Entstehungsdatum: 1. Jahrhundert
Erscheinungsdatum: 1928
Verlag: Dr. B. Filser
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Erscheinungsort: Augsburg
Übersetzer: Paul Rießler
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: ULB Düsseldorf und Commons
Kurzbeschreibung:
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Indexseite
[452]
30. Henochbuch (slavisch) oder Zweiter Henoch
Das Buch der Geheimnisse Gottes. Die Offenbarungen Gottes


1. Kapitel: Henochs Traum
1
Als ich 365 Jahre alt geworden war,
2
war ich an einem Tag des zweiten Monats allein zu Hause.
3
Ich war in großer Kümmernis und weinte;

dann schlief ich ein.

4
Da erschienen mir zwei sehr große Männer,

wie ich nie auf Erden gesehen.

5
Ihr Antlitz leuchtete wie die Sonne,

ihre Augen wie brennende Fackeln;
aus ihrem Munde sprühte Feuer;
ihre Kleidung und ihr Gesang waren herrlich,
ihre Arme wie goldene Flügel.
Sie standen zu Häupten meines Bettes
und riefen mich mit Namen.

6
Ich erwachte vom Schlaf

und stand von meinem Lager auf;

7
dann verneigte ich mich vor ihnen,

mein Antlitz bleich vor Schrecken.

8
Da sprachen die zwei Männer zu mir:

Sei getrost, Henoch!
Fürchte dich nicht!
Der ewige Herr hat uns zu dir gesandt.
Du sollst mit uns heute in den Himmel gehen.

9
Gib deinen Söhnen und deinem Gesinde Anweisung

für das, was sie in deinem Haus tun sollen!
Keiner aber soll dich suchen,
bis der Herr dich ihnen wieder zuführt!

10
Auf dies hin ging ich hinaus,

rief meine Söhne Metusalem und Regim
und berichtete ihnen alles,
was die zwei Männer zu mir gesprochen hatten.

[453]
2. Kapitel: Henochs Mahnreden
1
Meine Kinder!

Ich weiß nicht, wohin ich gehe
oder was mir zustößt.

2
Meine Kinder!

Weichet nicht von Gott!
Wandelt vor dem Angesicht des Herrn!
Bewahret seine Satzungen!
Betet nicht falsche Götter an,
Götter, die weder Himmel noch Erde geschaffen
und die vergänglich sind!

3
Behütet eure Herzen

treu in der Furcht des Herrn!

4
Suchet mich nicht,

bis mich der Herr zu euch zurückbringt!

3. Kapitel: Henochs Himmelreise
1
Nachdem ich so zu meinen Söhnen gesprochen,

riefen mich die zwei Männer,
setzten mich auf ihre Flügel,
trugen mich in den ersten Himmel empor
und setzten mich hier ab.

4. Kapitel: Anblick der Gestirne
1
Dann brachten sie mich vor das Antlitz des Alten,

des Regenten der Sternreihen
und er zeigte mir all ihre Läufe und Gänge jedjährlich;
er zeigte mir auch zweihundert Engel
und ein sehr großes Meer,
größer als das Meer der Erde,
und Engel flogen mit ihren Flügeln.

5. Kapitel: Anblick der Wolken
1
Er zeigte mir auch die Kammer der Wolken,

von wo sie aufsteigen und ausgehen,
ebenso alle Kammern des Schnees und Eises
und die schrecklichen Engel, die die Kammern bewachen.

6. Kapitel: Anblick der Tauquellen
1
Er zeigte mir auch die Kammern des Taues,

der Ölivenöl gleicht.
Auch diese Kammern wurden von Engeln bewacht,
deren Gewänder den Blumen auf Erden gleichen.

[454]
7. Kapitel: Reise in den zweiten Himmel
1
Da ergriffen mich die beiden Männer

und führten mich in den zweiten Himmel.
Hier zeigten sie mir Gefangene,
die für das maßlose Gericht aufbewahrt sind.

2
Ich sah die Verdammten weinen;

da fragte ich die zwei Männer bei mir:
Weshalb werden diese gepeinigt?

3
Die Männer sagten mir:

Dies sind die vom Herrn Abgefallenen;
sie hörten nicht auf des Herrn Stimme,
sondern folgten ihrem Eigenwillen.

4
Mich jammerte ihrer recht.

Da fielen die Engel vor mir nieder
und sprachen zu mir:
Mann Gottes!
Bet für uns zu Gott!

5
Ich sagte zu ihnen:

Wer bin ich, ein sterblicher Mensch,
daß ich für Engel beten sollte?
Wer weiß, wohin ich gehe
oder was mir zustößt
oder wer für mich betet!

8. Kapitel: Reise in den dritten Himmel
1
Da nahmen mich die beiden,

trugen mich in den dritten Himmel
und setzten mich hier mitten im Paradiese ab,
an einem wunderschönen Ort.

2
Jeder Baum blühte lieblich;

jede Frucht reifte,
alle Arten von Speise in überströmender Fülle
mit allen Wohlgerüchen.
Vier Ströme flossen sanft dahin,
und jegliches Gewächs ist gut zur Nahrung.

3
Und der Baum des Lebens war dort,

wo Gott ruht, wenn er ins Paradies geht,
und dieser Baum hat einen wundervollen Duft.

5
Der andere Baum daneben, ein Ölbaum,

spendete beständig Öl.

7
Dort ist kein unfruchtbarer Baum;

jeder Baum ist gesegnet.
Und die Engel, die das Paradies bewachen,
sind hellglänzend
und dienen dem Herrn alle Tage,
indem sie unaufhörlich und süß singen.
Ich sprach:
Wie lieblich ist dieser Ort!

[455]
9. Kapitel: Wohnsitz der Gerechten
1
Die zwei Männer sagten zu mir:

Henoch! Dieser Ort ist für die Gerechten bereitet,
die in ihrem Leben Ungemach erdulden
und gekränkt werden
und die ihre Augen von Ungerechtigkeit abwenden
und gerechtes Gericht üben;
sie geben Brot den Hungernden
und bekleiden die Nackten,
bedecken sie mit Gewändern
und richten die Gefallenen auf
und helfen den Gekränkten;
sie wandeln vor Gottes Angesicht
und dienen ihm allein.
Für solche ist dieser Ort bereitet
zum ewigen Erbbesitz.


10. Kapitel: Die Hölle
1
Da nahmen mich die beiden

und trugen mich in des Himmels Norden.
Dort zeigten sie mir einen fürchterlichen Ort.

2
Dort war Finsternis und Nebel,

keinerlei Licht,
nur Feuer und Flammen.
Und Finsternis senkt sich auf jenen Ort.
Dort gibt es nur Frost, Eis und Kerker.
Und grausame, mitleidlose Engel tragen Waffen
und peinigen unbarmherzig.

4
Ich sprach:

Wie fürchterlich ist dieser Ort!
Da sagten die beiden zu mir:
Henoch! Dieser Ort ist für die Unehrlichen bereitet,
die auf Erden Gottloses tun.
Sie treiben Zauberei und Beschwörung
und rühmen sich ihrer Werke.

5
Sie stehlen heimlich Menschenseelen,

lösen ein bindendes Joch,
werden reich durch Gewalttat von fremdem Gut.
Sie, die sättigen könnten,
töten die Darbenden durch Hunger;
sie, die Nackte bekleiden könnten,
ziehen sie vollends ganz aus.

6
Sie erkannten nicht ihren Schöpfer,

sondern beteten eitle Götter an.
Für alle diese ist dieser Ort bereitet
zum ewigen Erbbesitz.

[456]
11. Kapitel: Reise in den vierten Himmel
1
Da nahmen mich die beiden von dort weg

und trugen mich in den vierten Himmel.
Sie zeigten mir alle Läufe und Gänge
und alle Lichtstrahlen der Sonne und des Mondes,
ihre Maße und ihre Gänge,
und so erfuhr ich ihre Gänge.

2
Die Sonne hat siebenmal mehr Licht als der Mond;

ihre Kreise befahren sie auf Wagen,
worauf jedes davon fährt, wie der Wind weht.
Bei ihrem Fortgehen und Wiederkehren
haben sie keine Ruhe bei Tag und Nacht.

3
Vier große Sterne gehen stets rechts vom Sonnenwagen

und vier stets links.

4
Und Engel gehen dem Sonnenwagen voraus.


12. Kapitel: Im vierten Himmel
1
Fliegende Geister, jeder mit zwölf Flügel.
2
Zwölf Flügel hat jeder Engel,

der den Wagen führt;
sie tragen Tau und Hitze,
wenn der Herr ihnen befiehlt,

4
auf die Erde mit den Sonnenstrahlen hinabzusteigen.


13. Kapitel: Der Osten
1
Da nahmen mich die beiden in den Osten des Himmels

und zeigten mir die Tore,
die die Sonne durchschreitet in den jeweiligen Jahreszeiten,
nach Ablauf eines jeden Monats
nach der Verkürzung
und nach der Verlängerung der Tage und Nächte.

2
Sechs große Tore;

ihre Größe konnte ich nicht ermessen.
Durch sie geht die Sonne auf
und zieht in den Westen.

3
Durch die ersten Tore geht sie 42 Tage aus,

durch die zweiten 35 Tage,
durch die vierten 35 Tage,
durch die fünften 35 Tage,
durch die sechsten…

4
Die Jahre enden mit der Wiederholung der Jahreszeiten.


14. Kapitel: Der Westen
1
Dann trugen mich die beiden zum Westen des Himmels;

sie zeigten mir sechs Tore,
die nach Osten zu offen standen.

[457]
2
Durch diese geht die Sonne unter,

wenn sie die Osttore durchschritten hat,
in gleich viel Tagen.
Wenn sie durch die westlichen Tore schreitet,
dann nehmen vier Engel die Krone
und bringen sie dem Herrn.

3
Und die Sonne wendet ihren Wagen

und zieht ohne Licht weiter;
dann setzen sie ihr die Krone wieder in den Osttoren auf.


15. Kapitel
3
Die beiden Engel zeigten mir diese Unordnung der Tore,

durch die sie aus- und eingeht.
Diese Tore schuf der Herr
zur Zeitbestimmung und Zählung nach Sonnenjahren.


16. Kapitel: Die Mondphasen
1
Sie zeigten mir auch die Ordnung des Mondes,

alle seine Läufe,
und die beiden Männer gaben mir Bescheid
über all seine Umläufe
und seine Tore,
zwölf ewige Tore nach Osten,
durch die der Mond zu den üblichen Zeiten eintritt,

2
ebenso die westlichen Tore nach dem Umlauf,

nach der Zahl der Osttore.

3
Er tritt auch in die Westtore ein

und vollendet das Jahr.

5
Er tritt aber in das Jahr mit 354 Tagen,

und deshalb heißt er „der am Himmel Unbeteiligte“.

6
Die Jahre werden nämlich nach der Zahl seiner Tage berechnet,

weil sich sonst die Jahreszeiten ändern würden.

7
Sind die Westtore abgemacht,

dann geht er mit seinem Licht wieder zu den Osttoren.
So dreht sich sein Kreislauf wie der Himmel,
und sein Wagen, worauf der Wind in seinem Laufe steigt,
und fliegende Geister ziehen seinen Wagen,
sechs Flügel hat jeder Engel.


17. Kapitel: Engelsgesang

<poem>

1
Inmitten des Himmels sah ich bewaffnete Scharen,

die dem Herrn mit Pauken und Zymbeln fortwährend Lob sangen. Ich ergötzte mich daran.

[458]
18. Kapitel: Der fünfte Himmel
1
Da nahmen mich die Männer in den fünften Himmel;

dort sah ich viele Scharen, Wächter;
ihr Aussehen glich dem der Menschen;
sie waren größer als die größten Riesen.


19. Kapitel: Der sechste Himmel
1
Da führten mich die beiden Männer von dort weg

und brachten mich in den sechsten Himmel.
Dort sah ich sieben Chöre leuchtender herrlicher Engel;
ihr Antlitz glänzte wie die Sonne;
sie unterscheiden sich weder durch ihr Antlitz
noch durch ihre Größe und Gewandung.

2
Diese sorgen für die Ordnung in der Welt

und den Gang der Sterne, der Sonne und des Mondes.

3
Engel, Engel, diese himmlischen Engel

bringen das ganze himmlische Leben in Einklang;
sie sorgen für die Gebote, Lehren und Wohlklang
und Gesang und jeden Lobpreis.

4
Die einen Engel herrschen über die Zeiten und Jahre,

die andern über die Flüsse und Meere,
wieder andere über die Frucht, das Gras und jedes Gewächs,
und andere sorgen für das Leben aller Menschen
und schreiben vor dem Angesicht des Herrn auf.

6
In ihrer Mitte sind sieben Phönixe,

sieben Cherubim
und sieben Sechsflügelige;
sie singen und jubilieren miteinander;
ihr Gesang ist unbeschreiblich,
und der Herr ergötzt sich an seinem Schemel.


20. Kapitel: Der siebte Himmel

<poem>

1
Da nahmen mich die beiden von dort hinweg

und brachten mich in den siebten Himmel. Dort sah ich ein großes Licht und alle feurigen Scharen der körperlosen Erzengel und den leuchtenden Ort der Ophannim. Da ward ich ängstlich und begann zu zittern.

2
Da stellten mich die beiden mitten unter jene

und sagten zu mir: Henoch! Sei getrost! Fürchte dich nicht!

3
Sie zeigten mir von ferne den Herrn,

der auf seinem Throne saß und alle himmlischen Scharen, wie sie in Chören auf die Stufen traten

[459]

und sich vor dem Herrn niederwarfen.

4
Dann gingen sie wieder weg

und begaben sich an ihre Plätze
in Freude und Jubel und unermeßlichem Lichte.


21. Kapitel: Henoch erscheint vor Gott
1
Aber die Glorreichen, die ihm dienten,

verließen ihn nicht, weder bei Tag, noch bei Nacht;
sie standen vor dem Herrn vollzugsbreit.
Auch alle Scharen der Cherubim und Seraphim
blieben bei ihm um seinen Thron,
und die Sechsflügeligen bedeckten seinen Thron
und sangen vor dem Angesicht des Herrn.

2
Nachdem ich alles gesehen,

verließen mich die beiden Männer,
und fortan sah ich sie nicht mehr.
Sie ließen mich allein am Ende des Himmels;
da fürchtete ich mich und fiel auf mein Angesicht.

3
Da sandte der Herr einen von seinen Glorreichen zu mir, Gabriel.

Er sprach zu mir:
Sei getrost, Henoch!
Fürchte nicht die Heerscharen!
Folg mir
und bleib vor dem Herrn in Ewigkeit stehen!

4
Ich sprach zu ihm:

Wehe mir, mein Herr!
Meine Seele hat mich aus Schrecken verlassen.
Ruf mir die zwei Männer,
die mich an diesen Ort führten.
Ihnen vertraue ich,
und mit ihnen will ich vor den Herrn treten.

5
Da riß mich Gabriel weg,

gleich einem vom Sturme weggerissenen Laub,
und stellte mich vor den Herrn.


22. Kapitel: Henochs himmlische Gewandung

<poem>

4
Da fiel ich nieder,

konnte aber den Herrn, Gott, nicht sehen. Ich betete aber den Herrn an.

8
Und der Herr Gott sprach zu Michael:

Nimm Henoch und entkleide ihn der irdischen Gewänder! Salb ihn mit süßem Öl und kleid ihn in die Gewänder der Glorie!

9
Und Michael entkleidete mich meiner Gewänder

und salbte mich mit süßem Öl. Und dieses Öl war mehr, als strahlend Licht;

[460]

seine Salbung glich süßem Tau;
sein Duft glich der Myrrhe
und sein Glanz den Sonnenstrahlen.

10
Als ich mich beschaute,

war ich wie einer der Glorreichen
ohne Unterschied.
Furcht und Zittern fielen von mir ab.

4
Und der Herr rief mich mit seinem eigenen Mund

und sagte:
Henoch! Sei getrost!
Fürchte dich nicht!
Bleib vor mir in Ewigkeit stehen!

6
Und des Herrn Oberführer Michael führte mich vor Gottes Angesicht.

Der Herr aber prüfte seine Diener
und sprach zu ihnen:
Lasset Henoch vor mir bis in Ewigkeit stehen!

7
Da beteten die Glorreichen den Herrn an und sprachen:

Lasset ihn hintreten!

11
Da rief der Herr den Bretil, einen seiner Erzengel,

ihn, der weise ist und alle Werke des Herrn aufschreibt.

12
Und der Herr sprach zu Bretil:

Nimm die Bücher aus den Behältern!
Gib Henoch eine Feder
und diktiere ihm die Bücher an!
Da brachte mir Bretil eilends die Bücher,
die nach Myrrhen dufteten,
und gab mir seine Feder.


23. Kapitel: Henochs schriftliche Aufzeichnungen
1
Und er beschrieb mir

alle Dinge im Himmel, auf Erden und im Meer,
die Läufe und Orte aller Elemente,
die Jahreszeiten,
der Tage Läufe und Änderungen,

2
die Gebote und die Lehren.
3
Und Bretil sprach zu mir dreißig Tage und Nächte;

seine Lippen redeten unaufhörlich.

6
Auch ich schrieb, ohne auszurufen, den ganzen Inhalt nieder.

Als ich fertig war,
hatte ich 360 Bücher geschrieben.


24. Kapitel: Henochs Offenbarung

<poem>

1
Da rief mich der Herr

und stellte mich zu seiner Linken, nahe zu Gabriel hin. Ich betete den Herrn an.

2
Er sprach zu mir:
[461]

Henoch! Du hast alle Dinge geschaut,
die stehenden und die gehenden
und durch mich vollendeten;
ich zeige sie dir, bevor sie eine Form annehmen.
Ich rief alle Dinge aus dem Nichtsein ins Dasein,
aus dem Unsichtbaren ins Sichtbare.

3
Meinen Engeln offenbarte ich nicht meine Geheimnisse,

noch sagte ich ihnen die Geheimnisse,
noch ihre Grenzen,
noch meine unendlichen und unbegreiflichen Schöpfungspläne.

4
Ich offenbarte das Licht;

ich fuhr mitten durch das Licht;
gleich einem der Unsichtbaren,
gleich der Sonne auf ihrer Bahn von Ost nach West.

5
Ich faßte den Plan zu Schöpfungen

und zur Erschaffung der sichtbaren Schöpfung.


25. Kapitel: Himmlische Geheimnisse
1
Ich gebot, daß im Untersten der sehr große Idoil hervorgehe,

der im Leib einen sehr großen Stein hat.

2
Ich sprach zu ihm:

Birst auseinander, Idoil!
Es werde aus dir das Sichtbare geboren!

3
Da barst er auseinander.

Und ein großer Stein kam aus ihm;
daraus kam alle Kreatur, die ich erschaffen wollte,
und ich sah, daß es gut war.

4
Ich stellte für mich einen Thron hin

und setzte mich darauf.
Ich sprach zu dem Licht:
Steig höher hinauf!
Mach dich selber fest
und werde eine Grundlage für das Höchste!

5
Deshalb gibt es nichts Höheres als das Licht;

ich sah es, auf meinen Thron gelehnt.


26. Kapitel: Die Grundlage der Schöpfung
1
Ich rief im Untersten ein zweites Mal

und sagte, es solle aus dem Unsichtbaren
ein sichtbares festes Ding kommen.
Da kam Aruchas hervor,
fest, schwer und ganz schwarz.

3
Ich sah, daß es passend war.

Ich sprach zu ihm:
Geh hinab und mach dich selber fest!
So ward eine Grundfeste für das Unterste.
Und unter der Finsternis gibt es nichts mehr.

[462]
27. Kapitel: Die Schöpfung
1
Einiges umhüllte ich mit Licht,

machte es dicht

2
und breitete über die Finsternis eine Wasserstraße.


28. Kapitel: Die Schöpfung
1
Ich machte große Felsen fest
2
und gebot den unergründlichen Wogen,

trockenes Land zu machen,

3
und in die Flüsse sammelte ich die Gewässer
4
und so flossen sie ins tiefe Meer

und hier band ich sie mit einem Joch zusammen
und gab der Erde und dem Meer eine ewige Grenze,
die vom Wasser nicht durchbrochen wird.
Dann machte ich die Feste
und legte das Wasser darüber.


29. Kapitel: Die Sonne
1
Für alle himmlischen Heerscharen bildete ich die Sonne

aus dem großen Licht
und setzte sie an den Himmel,
daß sie auf der Erde scheine.

3
Aus dem Gestein schnitt ich ein großes Feuer,

und aus dem Gestein schuf ich die unsichtbaren Scharen,
und alle Scharen der Sterne,
der Cherubim, Seraphim und Ophannim
hieb ich aus dem Feuer.


30. Kapitel: Die Erde und das Meer
1
Der Erde gebot ich, hervorzubringen

alle Arten von Bäumen und hohen Hügeln,
alle Sorten von Gras und Sämereien,
bevor ich lebende Wesen schuf
und Nahrung für sie bereitete.

7
Dem Meer befahl ich, seine Fische hervorzubringen,

alle Arten von Gewürm, das auf Erden kriecht,
Wild und Haustiere
und alle gefiederten Vögel.

8
Als ich alles vollendet,

befahl ich meiner Weisheit,
den Mann zu erschaffen.


33. Kapitel: Henochs Auftrag
3
Henoch! Ich habe dir alles gesagt,

und du hast alles auf Erden gesehen,
und alles hast du in diese Bücher geschrieben.

[463]

Ich habe die Erschaffung von all dem ersonnen;
ich schuf vom Höchsten bis zum Niedrigsten.

4
Kein Ratgeber war dabei.

Ich bin ewig
und nicht mit Händen geschaffen.
Mein Gedanke ist mein Berater,
und mein Wort ist Tat,
und meine Augen schauen auf alles.
Wenn ich auf alles blicke,
dann bleibt es;
wende ich mich ab
dann vergeht alles.

5
Nimm dich zusammen, Henoch,

und erkenne den, der mit dir spricht!
Nimm die Bücher, die du geschrieben!

6
Ich gebe dir die Engel Semiel und Rasuel

und den, der dich zu mir gebracht.
Geh auf die Erde hinab
und sag deinen Söhnen
alles, was ich dir erzählte,
und alles, was du gesehen
vom untersten Himmel bis zu meinem Thron!

7
Alle Heerscharen habe ich geschaffen;

niemand widersteht mir und ist mir nicht untertan.
Alles ist meiner Alleinherrschaft unterworfen
und dient meiner Herrschaft.

8
Gib ihnen die Bücher mit deiner Handschrift
10
und die Kinder sollen sie den Kindern geben,

die Verwandten den Verwandten,
das Geschlecht dem Geschlecht!
Henoch! Sei der Mittler meines Heerführers Michael!
und die deiner Väter Adam und Seth werden nicht vernichtet
bis zum Ende der Zeiten.
So habe ich es meinen Engeln Orioch und Marioch befohlen.
Ich ließ ein Blatt auf die Erde fallen
und hieß es für alle Zeiten aufbewahren,

12
ebenso die Handschrift deiner Väter,

daß sie nicht in der Sintflut untergehe,
die ich über dein Geschlecht bringen werde.


34. Kapitel: Gerichtsdrohung
1
Ich kenne ja der Menschen Bosheit;

sie wollen nicht das Joch tragen,
das ich ihnen auferlegte,
noch den Samen säen,
den ich ihnen schenkte.

[464]

Sie warfen mein Joch ab
und wollen ein anderes nehmen
und säen leeren Samen
und beten eitle Götter an.
Sie werfen meine Einzigkeit.

2
Und die ganze Erde wird beben

durch Ungerechtigkeit, Unbilden,
Unzucht und Götzendienst.

3
Dann bringe auch ich eine Flut über die Erde,

und die Erde wird in einem großen Chaos zusammenschrumpfen.


35. Kapitel: Noe
1
Ich lasse einen Gerechten samt seinem ganzen Hause übrig;

er wird nach meinem Willen tun.
Aus seinem Stamm ersteht ein anderes Geschlecht,
groß und unersättlich.

2
Dann wird der Führer dieses Geschlechtes

die Bücher deiner Handschrift offenbaren
und die deiner Väter.
Durch ihn werden die Wächter der Erde
sie gläubigen Männern zeigen,

3
und sie werden davon jenem Geschlecht erzählen

und es wird hernach mehr als früher verherrlicht werden.


36. Kapitel: Henochs Wegnahme angekündigt
1
Ich gebe dir, Henoch, jetzt eine Frist von dreißig Tagen,

um dein Haus zu bestellen.
Sag deinen Söhnen alles, was dein Herz erfüllt!
Sie sollen es lesen und sich merken,
daß es keinen Gott gibt, außer mir.

2
Nach dreißig Tagen sende ich meine Engel zu dir,

und sie holen dich von der Erde
und von deinen Söhnen,
wie es mein Wille ist.


37. Kapitel: Henochs Engel
1
Da rief der Herr einen der Engel,

den Obersten des Tartarus,
und ließ ihn zu mir treten.
Dieser Engel sah aus wie Schnee,
und seine Hände waren wie Eis,
und er kühlte mein Antlitz ab;
denn ich konnte die große Hitze nicht ertragen
und nicht den Schrecken.
Und der Herr sprach also zu mir.

[465]
39. Kapitel: Henochs Abschiedsrede
1
Ich bin heute zu euch auf des Herrn Befehl gesandt,

euch alles zu sagen,
was ist und was wird bis zum Tage des Gerichtes.

2
Jetzt, meine Kinder, belehre ich euch nicht mit meinem Mund,

sondern mit dem Mund des Herrn.

7
Ihr hörtet meine Worte aus meinem Mund;

ich aber hörte des Herren Worte;
sie glichen einem gewaltigen Donner
mit fortwährendem Wolkenbruch.

6
Ich sah des Herrn Gewandung

ohne Maß, unvergleichlich, endlos.

8
Jetzt höret meine Worte!

Wie furchtbar und gefährlich ist es,
vor einen irdischen König zu treten.
Es ist fürchterlich und gefährlich,
weil des Königs Wille Tod und Leben
oder große Hitze bedeutet.


40. Kapitel: Henochs Wissen
1
Meine Kinder!

Ich weiß alles aus des Herrn Mund.
Das andere sahen meine Augen
von Anfang bis zu Ende,
auch die Plätze der Wolken,
der regenbringenden und der donnernden.

9
Man zeigte mir die Engel,

die sie und ihre Schlüssel verwahren.

10
Ich sah die Kammern des Schnees und des Eises

und den Aufgang, wodurch sie gemessen aufsteigen.

9
Sie werden mit einer Kette emporgehoben

und mit einer Kette niedergelassen,

10
damit sie nicht durch Heftigkeit die Wolken zerreißen

und was auf Erden ist, vernichten,
Luft und Frost.
Ich schaute eine Zeitlang zu,
wie die Schlüsselbewahrer die Wolken anfüllen
und wie die Kammern doch nicht erschöpft werden.

11
Ich sah der Winde Lager,

wie ihre Schlüsselbewahrer Wagschalen und Maßgefäße bringen.
Dann legen sie die Winde zuerst in die Wagschalen
und dann in Maße,
hernach lassen sie sie aus den Maßgefäßen auf die ganze Erde,
damit sie nicht durch heftiges Stürmen die Erde schwanken machen.

2
Von dort ward ich zum Gerichtsort geführt;

da sah ich die Hölle offen, die Gefangenen
und ein Gericht ohne Ende.

[466]
41. Kapitel: Furcht vor der Hölle
1
Bei diesem Anblick seufzte ich und weinte

über das Verderben der Gottlosen.
Ich sprach in meinem Herzen:

2
Selig ist, wer nicht geboren

oder geboren, nicht gesündigt hat vor Gott,
damit er nicht an diesen Ort komme
und dies Joch nicht trage.


42. Kapitel: Die Hölle
1
Ich sah die Schlüsselbewahrer der Hölle

den Toren gegenüber wie große Schlangen stehen.
Ihr Antlitz glich erloschenen Lampen
und ihre Augen verdunkelten Flammen,
und ihre Zähne waren bis zu ihrer Brust entblößt.

2
Ich sprach vor ihnen:

Ich hätte besser euch nicht gesehen.
Möge keiner meines Stammes zu euch kommen!

3
Ich sah dort auch einen gesegneten Ort

und lauter gesegnete Geschöpfe;
sie alle lebten dort in Freude
und in unermeßlicher Fröhlichkeit im ewigen Leben.

6
Dann sprach ich:

Meine Kinder!
Auch jetzt sage ich zu euch:
Selig ist, wer Gott fürchtet
und ihm dient.
Ihr, meine Kinder, lernet,
dein Herrn Gaben zu bringen,
damit ihr euch des Lebens erfreuet!

7
Selig ist, wer gerecht richtet
9
und Waisen und Witwen,

überhaupt jedem Unterdrückten hilft,

8
wer Nackte bekleidet

und Hungrigen Brot gibt.

10
Selig ist, wer von dem verkehrten Wege läßt

und auf dem geraden Pfade wandelt.

11
Selig ist, wer den Samen der Gerechtigkeit ausstreut;

denn er erntet siebenfältig.

12
Selig ist, in dem die Wahrheit ist,

so daß er mit dem Nächsten Wahres spricht.

13
Selig ist, in dessen Mund Erbarmen und Sanftmut.
14
Selig ist, der des Herrn Werke versteht

und den Herrn Gott verherrlicht.


44. Kapitel: Gottesfurcht das Höchste
1
Meine Kinder!

Alles, was auf Erden geschehen und ausgedacht werden kann,

[467]

habe ich vom Herrn Gott aufgeschrieben.
Winter und Sommer,
alles habe ich zusammengefaßt.
Den Jahren rechnete ich die Stunden aus,
und die Stunden maß ich alle
und schrieb sie auf
und zeigte alle Unterschiede auf.

2
Ein Jahr ist beachtenswerter als das andere,

ein Tag mehr als der andere
eine Stunde mehr als die andere.
Ähnlich ist ein Mann gerechter als der andere;
der eine wegen des großen Wohlstandes,
der andere wegen Gutherzigkeit,
ein anderer wegen Verstandes und Klugheit
und Schweigsamkeit der Zunge und des Mundes.

3
Niemand ist ja größer, als wer Gott fürchtet.

Solche werden in Ewigkeit herrlich sein.


44. Kapitel: Der Mensch Gottes eigenes Geschöpf
1
Der Herr schuf mit eigenen Händen einen Menschen

und machte seinem eigenen Antlitz ihn ähnlich.
Der Herr Gott schuf alle großen und kleinen Dinge.
Wer des Menschen Antlitz verachtet,
verachtet das Antlitz des Herrn.

2
Des Herrn Zorn und ein groß Gericht dem,

der einem Menschen ins Angesicht speit!

4
Selig ist, wer sein Herz auf einen solchen Menschen richtet,

so daß er dem Gerichteten hilft
und den zerbrochenen aufnimmt.


45. Kapitel: Opfer ein Prüfstein für den Menschen
2
Wer die Lichter vor dem Herrn mehrt,

dem mehrt der Herr seine Vorratskammern.

3
Der Herr Gott braucht weder Brot, noch Lichter,

noch Speise, noch Vieh;
er prüft damit nur das Menschenherz.


49. Kapitel: Vorausbestimmtes Gericht

Ich schwöre euch, meine Kinder:
Bevor es Menschen gab,
ward schon die Gerichtsstätte hergerichtet,
ein Maß und eine Wage,
womit der Mensch geprüft wird.
Sie stehen dort schon bereit.

[468]
50. Kapitel: Geduld und Friedfertigkeit
1
Ich lege eines jeden Werk in einer Schrift nieder.
2
Verbringt nun, meine Kinder, eure Tage

in Geduld und Sanftmut,
damit ihr die künftige endlose Welt erbet!

3
Jeden Schlag,

jede Wunde,
Hitze und böses Wort,
das euch trifft,
ertraget um des Herrn Gottes willen!

4
Könnt ihr auch Vergeltung üben,

so vergeltet doch nicht dem Nächsten!
Denn sonst vergilt euch der Herr
und ist am großen Gerichtstag der Rächer.

5
Verlieret Gold und Silber um des Bruders willen!

Dann erhaltet ihr am Gerichtstag einen unerschöpflichen Schatz.


51. Kapitel: Almosen und Tempelbesuch
1
Reichet eure Hände der Waise und der Witwe!

Helfet nach eurem Vermögen dem Armen!

3
Dann findet ihr am Gerichtstag euren Lohn.
4
Morgens, mittags und abends, und zwar bei Tag ist es gut,

ins Gotteshaus zu gehen
und den Schöpfer des Alls zu preisen.


52. Kapitel: Seligpreisung und Verfluchung
1
Selig, wer seinen Mund öffnet

zum Lohe des Herrn!

2
Verflucht, wer seinen Mund öffnet

zur Schmähung seines Nächsten!

5
Selig, wer alle Werke des Herrn preist!
6
Verflucht, wer ein Geschöpf des Herrn verächtlich macht!
7
Selig, wer auf seiner Hände Arbeit schaut!
8
Verflucht, wer darauf schaut, die Arbeiten anderer zu vernichten!
9
Selig, wer die Grundlagen seiner Väter wahrt!
10
Verflucht, wer die Befehle und Bestimmungen seiner Väter verzerrt!
11
Selig, wer in Frieden wandelt!
12
Verflucht, wer den Frieden stört!
13
Selig, wer von Frieden spricht und Frieden hat!
15
All dies wird in die Wagschalen gelegt

und in Bücher geschrieben auf den großen Gerichtstag.

16
Jetzt, meine Kinder!

Bewahret eure Herzen vor aller Unaufrichtigkeit,
damit ihr des Lichtes Wagschale in Ewigkeit erbet!

[469]
53. Kapitel: Gottes Allwissenheit
1
Saget nicht, meine Kinder:

Unser Vater ist bei Gott
und bittet uns von unsern Sünden los!

2
Ihr sehet,

daß ich alle Werke eines jeden aufschreibe.

3
Niemand kann meine Handschrift entstellen;

denn der Herr sieht alles.

4
Jetzt, meine Kinder!

Merket alle Worte aus eures Vaters Mund,


54. Kapitel: Empfehlung der Henochbücher
1
damit sie euch zu einem Friedenserbe werden!

und die Bücher, die er euch von Gott gab,
verberget sie nicht!
Sprechet davon zu allen, die es wünschen,
daß sie dadurch des Herrn Werke kennen lernen!


55. Kapitel: Henoch kündet sein Ende an
1
Meine Kinder!

Der Tag meines Endes hat sich genaht;
die Engel kommen vom Herrn Gott
und drängen zur festbestimmten Zeit;
sie stehen bei mir.

2
Ich gehe morgen in den obersten Himmel

in mein ewiges Erbteil.

3
Deshalb gebiete ich euch, Kinder:

Tut nur das dem Herrn Wohlgefällige!


56. Kapitel: Henochs Sehnsucht nach Himmelspeise
1
Metusalem antwortete seinem Vater Henoch:

Welche Speise ist dir, Vater, angenehm?
Wir bereiten sie dir,
daß du unsere Häuser und deine Söhne segnest
und deinen ganzen Haushalt
und so dein Volk verherrlichest.
Dann magst du hernach hinweggehen.

2
Da sprach Henoch zu seinem Sohn:

Hör, mein Kind!
Von jenem Tag an, wo mich der Herr mit seinem Glorienöl salbte,
kam keine Speise mehr in mich.
Mich verlangt’s nicht nach irdischer Speise.

[470]
57. Kapitel: Henochs letzter Segen
1
Ruf deine Brüder und all unser Hausgesinde

und die Ältesten des Volkes herbei!
Ich will mit ihnen sprechen
und dann weggehen.

2
Metusalem rief eilends seine Brüder Regim, Rim, Azuchan und Chermion

und die Ältesten des Volkes
und führte sie alle vor seinen Vater Henoch.
Da segnete er sie
und sprach zu ihnen:


58. Kapitel: Henochs Abschiedsrede
1
Höret, Kinder!

In unseres Vaters Adam Tagen
kam der Herr Gott herab
und besuchte alle seine Geschöpfe,
die er selbst gemacht hatte.

2
Und der Herr Gott berief alle Tiere der Erde,

alles Wild, alle Vierfüßler,
alle Kriechtiere auf Erden und alle Vögel
und führte sie unserm Vater Adam vor.
Und dieser benannte alles, was sich auf Erden regte.

3
Und Gott unterwarf dem Adam alles Seiende.

Sodann machte er sie alle unvernünftig,
so daß sie dem Menschen untertan und gehorsam waren;
denn der Herr schuf den Menschen zu einem Herrscher über all seinen Besitz.

4
Deshalb wird von allen Lebewesen nur des Menschen Seele gerichtet.
5
Für die Tierseelen gibt es in der großen Welt

nur Einen Ort und Eine Hürde.

6
Keine einzige Tierseele, die der Herr schuf,

wird bis zum großen Gericht eingesperrt;
doch alle diese Seelen verklagen den Menschen.


59. Kapitel: Klage der Tiere
1
Wer sie schlecht weidet,

frevelt an seiner eigenen Seele,

2
Wer aber ein Opfer von reinen Tieren darbringt,

heilt seine eigene,
ebenso wer ein Opfer von reinen Vögeln darbringt.


60. Kapitel: Warnung vor Ärgernis
1
Wer eine Menschenseele schädigt,

schädigt seine eigenen Seele,
und dafür gibt es keine Heilung in Ewigkeit.

3
Wer einen Menschen auf krumme Wege führt,

dessen Gericht wird in Ewigkeit nicht erschöpft sein.

[471]
61. Kapitel: Empfehlung der Rechtlichkeit
1
Meine Kinder!

Enthaltet euch jetzt selbst von allem Unrechten, das der Herr haßt,
noch mehr aber von jeder lebenden Seele!
Was ein Mensch für sich selbst vom Herrn erfleht,
das soll er auch jedem Lebewesen tun.
Er hat viele Wohnungen hergerichtet,
recht gute Häuser
und recht schlimme ohne Zahl.

2
Selig, wer in die guten Häuser gelangt!


62. Kapitel: Vergebungsopfer
1
Selig, wer in seiner Geduld eine Gabe vor den Herrn bringt!

Er findet ja Vergebung seiner Sünden.

2
Bestimmt er für seine Gabe an den Herrn eine Zeit

und hält er sie ein,
dann empfängt er Reue zur Vergebung.
Bestimmt er aber eine Zeit
und tritt er von seinem Wort zurück,
dann empfängt er nur Reue.


63. Kapitel: Nächstenliebe
1
Bekleidet er den Nackten

und gibt dem Hungrigen Brot,
dann findet er Vergebung.

2
Murrt aber sein Herz,

dann vernichtet er sein Almosen.

3
Ist er aber satt und hochmütig,

dann verliert er all seine guten Werke
und findet keine Vergebung;
denn jeder Hochmütige ist dem Herrn verhaßt.


64. Kapitel: Henochs Verabschiedung
1
So sprach Henoch zu seinen Söhnen und den Fürsten des Volkes.

Da hörte alles Volk und alle seine Nächsten,
wie der Herr Gott den Henoch rief.
Sie berieten sich zusammen und sprachen:
Kommt! Laßt uns Henoch küssen!

2
So kamen sie bis zu 4000 Mann

und gelangten zu Achuzans Platz,
wo Henoch mit seinen Söhnen war.

3
Da küßten die Ältesten des Volkes den Henoch

und sprachen:
Gesegnet bist du vom Herrn, dem ewigen Herrscher.

4
Segne jetzt dein Volk

und verherrliche uns vor dem Angesicht des Herrn!

[472]

Denn der Herr hat dich erwählt
und dich zum Erlöser unserer Sünden gemacht.
Und Henochs sprach zu allem Volk:


65. Kapitel: Der Mensch und das Endgericht
1
Höret, meine Kinder!

Bevor die ganze Schöpfung Gestalt angenommen,
bestimmte der Herr das Alter der geschaffenen Dinge.
Dann schuf er alle sichtbaren und unsichtbaren Geschöpfe.

2
Dann schuf er den Menschen zu seinem eigenen Bild,

gab ihm Augen zum Sehen,
Ohren zum Hören,
das Herz zum Denken
und die Vernunft zum Überlegen.

3
Dann löste der Herr die Zeit um des Menschen willen auf

und zerteilte sie in Jahreszeiten, Jahre, Monate und Stunden.

4
Der Mensch sollte den Wechsel und dar Ende der Jahreszeiten beherzigen,

den Anfang und das Ende der Jahre, Tage und Stunden,
damit er seines Todes achte.

6
Wenn aber die vom Herrn gemachte Schöpfung endet

und jeder Mensch zum großen Gericht des Herrn kommt,

7
dann vergehen die Jahreszeiten.

Fortan gibt es keine Jahre, Monate und Tage mehr;
auch Stunden gibt es fortan nicht mehr,
noch kann man damit rechnen.

8
Es beginnt das eine endlose Weltalter.

Und alle Gerechten werden in dem großen Weltalter vereinigt
und Weltalter und Weltalter der Gerechten werden vereinigt,
und sie werden ewig und unverweslich.

9
Fortan gibt es keine Mühsal mehr bei ihnen,

noch Krankheit noch Leid noch Angst noch Not
noch Nacht noch Finsternis,
sondern nur ein großes, endloses, unzerstörbares Licht.

10
Und das große Paradies wird ihnen Obdach und ewige Wohnung sein.

Sie erdulden nicht mehr die irdischen Ungerechtigkeiten.
Der Herr sendet ein großes Verderben auf die Erde,
und der ganze Bestand der Erde geht zugrund.

11
Ich weiß ja,

daß sie in Verwirrung endet
und zugrunde geht.
Nur mein Bruder wird an jenem Tag bewahrt,
ebenso sein Stamm und die Sonne.


66. Kapitel: Warnung vor Ungerechtigkeit
1
Meine Kinder

Hütet eure Seelen vor jeder Ungerechtigkeit!
Der Herr haßt sie.

[473]
67. Kapitel: Henochs Himmelfahrt
1
So sprach Henoch zu dem Volk;

da sandte im Herr Dunkel auf die Erde,
und es ward eine Finsternis.
Sie hüllte alle Männer bei Henoch ein.

2
Da nahmen die Engel eilends Henoch

und trugen ihn in den obersten Himmel.
Und Er nahm ihn auf
und stellte ihn vor sein Angesicht in Ewigkeit.
Dann wich die Finsternis von der Erde
und es ward Licht.

3
Und alles Volk sah,

wußte aber nicht, wie Henoch hinweggenommen ward,
und pries Gott.
Sie gingen heim,
sie, die solches gesehen hatten.
Ehre sei unserm Gott in Ewigkeit! Amen.


Erläuterungen

[1297]
30. Zum slavischen Henoch

Das slavische, auf griechisches Original zurückgehende Henochbuch ist ein selbständiges Werk, das sich nur in einzelnen Abschnitten mit dem äthiopischen Henochbuch oder 1 Henoch berührt. Es liegt in zwei Rezensionen, einer längern A und einer kürzern B, vor; sie gehen auf Eine Urschrift zurück. Da B trotz seiner Kürze alles Wesentliche enthält, verdient es den Vorzug. Im ersten Teil erzählt Henoch seine Himmelsreisen. Im zweiten empfängt er Offenbarungen über die Schöpfungen und die Menschheitsgeschichte bis auf seine Zeit. Der dritte Teil enthält Henochs Lehr- und Mahnreden. Vermutlich entstand das Werk in Ägypten, jedenfalls vor der Tempelzerstörung 70 n. Chr. Weder sie noch der Messias werden darin erwähnt. Die Betonung der Werke der Barmherzigkeit weist auf Essenerkreise hin. Später wurde es christlich überarbeitet. (Abhandl. d. K. Gesellsch. d. Wiss. zu Göttingen Phil. hist. Kl. N. F. 13, 1897. N. Bonwetsch, Das slavische Henochbuch 1896, 1 ff. R. H. Charles Apocr. and Pseudep. II 1913, 425 ff).

  • B 1: 5 s. Dan 10, 6 Ez 1, 13 Apok 1, 14. 16; 19, 12.
  • 4: 1 Zweihundert ist in 1 Henoch 6, 5 die Zahl der abgefallenen Engel.
  • 5: 1 Die Schneekammern auch in Iob 38, 22, 1 Henoch 60, 17.
  • 7: 1 Die Gefangenen sind die gefallenen Engel 3 Der Eigenwille wird hier verurteilt. 4 ebenso 1 Henoch 13, 4. „Mann Gottes“ s. Dt 33, 1.
  • 8: 1 Das Paradies ist hier im dritten Himmel wie in 2 Kor 12, 2. 4. 3 Der Lebensbaum ist der jüd. Apokalypse eigen.
  • 9: 1 s. Mt 25, 34.
  • 10: 1 Der Gedanke des Übels im Himmel findet sich auch Iob 1, 7 f Eph 6, 12 Apok 12, 7 ff. 3 Strafengel.
  • 18: 1 Sophoniasapokal. hat das gleiche. „Wächter“ s. 1 Henoch 6–16; 19; 86; bei Hesiod u. a. bezeichnen die Wächter die Seelen der Verstorbenen. 6 Die Sechsflügeligen sind die Seraphim.
  • 20: 1 Ophannim (s. 1 Henoch 61, 10) aus Ez 10, 12.
  • 22: 11 A Pravnil.
  • 25: 1 A Adoil geht vielleicht auf ägyptische Mythologie zurück.
  • 26: Aruchas (A Archas) hängt wohl mit schachor „schwarz“ zusammen.
  • 28: 4 s. Iob 36, 10 Ps 104, 9; Jer 5, 22 Spr 8, 29.
  • 33: 11 Orioch = Arioch Gen 14, 1 Dan 2, 14.
  • 42: 1 Schlüssel s. Apok. 9, 1; 20, 1
  • 45: 3 s. Ps 40, 6; 51, 16 Mich 6, 6 ff Sir 35, 1 ff.
  • 51: 4 Der Tempel in Jerusalem. Die drei Gebetszeiten, 3., 6., 9. Stunde, auch in Apg 2, 15; 3, 1; 10, 9.
  • 52: 1 Die Seligkeiten sind meist Sirach entlehnt.
  • 58: 3 Die Tiere waren nach Jub 3, 28 Jos. Ant. I 1, 4 zuerst sprachbegabt und gewissermaßen vernünftig. 6 „verklagen“ wegen [1298] schlechter Behandlung.
  • 61: 1 nach 59, 5 A vielleicht Bestialitätssünde gemeint „viele Wohnungen“ s. Joh 14, 2.