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Autor: Rudolf von Gottschall
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Titel: Gefälschte Briefe
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 25–26, S. 784–792, 826–829
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[784]

Gefälschte Briefe.

Ein Bild aus deutscher Geschichte.
Von Rudolf von Gottschall.

In dem roten Zimmer, dicht beim weißen Saal des Berliner Schlosses waren die Mitglieder des Tabakskollegiums versammelt. König Friedrich Wilhelm I hatte die Sitzung verlassen, um bei der Königin das Abendessen einzunehmen. Das dauerte nicht lange – Schinken und Grünkohl, sein Lieblingsgericht, war rasch verspeist, und wenn die Königin Sophie Dorothea ihre hoffärtige Laune hatte, so flüchtete der König bald vor den Nadelstichen, mit denen dann die Hannoveranerin ihrem ehelichen Tyrannen zuzusetzen pflegte.

Im Tabakskollegium herrschte aber nicht die übliche Lustigkeit, wenn auch die große silberne Bierkanne, aus welcher das Bier mittels eines Hahns in die Krüge und Deckelbecher eingelassen wurde, heute wie immer ihre Schuldigkeit gethan hatte.

Der Generalleutnant von Grumbkow stand nachdenklich und musterte die blauen Teller, die auf hohem Gestell in holländischer Sauberkeit blinkten, dann sagte er zu seinem am Tische sitzenden Nachbar, dem Herrn von Blankensee:

„Der König ist heute sehr verstimmt, was mag vorgefallen sein?“

„Er ist’s schon seit mehreren Tagen,“ erwiderte dieser; „Kammerdiener Eversmann, den ich darüber befragte, natürlich mit dem nötigen Nachdruck, meint, er hätte einen sehr unangenehmen Brief erhalten, und dabei thue er so geheim, man könne nichts ausspionieren!“

„Ei, der Blitz, wenn schon Eversmann nichts weiß, dann ist’s ein Staatsgeheimnis, das keiner von uns herausgraben wird.“

„Ist auch nicht nötig, Blitzpeter,“ sagte mit rauher Stimme der riesige Obrist und Hofjägermeister von Haake, „man muß seine Nase nicht in alles stecken!“

„Wer aber vom Wetter abhängig ist,“ versetzte Buddenbrock, ein freundlicher Herr mit sanften Zügen, „der sieht doch nach, wo die Laubfrösche sitzen. Das ist sicher, der König ist in diesen Tagen sehr streng und verdrossen, und es ist nicht ratsam, ihm in den Weg zu kommen. Heute schon hat er in aller Frühe den verschlafenen Thorschreiber des Potsdamer Thors aus dem Bett geprügelt, weil dieser die Bauern vor dem Thore lange warten ließ. Wenn er so früh aufsteht, da hat er keine Ruhe, da ist’s nicht geheuer! Und später hat er, wie Eversmann erzählt, einen Juden auf der Straße durchgeprügelt, der vor ihm Reißaus genommen hatte, weil er gar so grimmig aussah. Der König setzte ihm nach, holte ihn ein, und als der Handelsmann erklärte, er habe sich vor dem König gefürchtet, erhielt er die Stockschläge und zu diesem Rezept zugleich die Gebrauchsanweisung: ,Lieben, lieben sollt ihr mich, nicht fürchten!‘ Uns hier in der Tabagie ist es ja leicht gemacht, ihn zu lieben. Doch draußen auf der Straße geht er umher wie ein brüllender Löwe und suchet, welchen er verschlinge.“

„Sie sprechen sich um den Kopf,“ sagte Derschau mit seiner lauten, soldatischen Kommandostimme. „Sie haben zuviel in der Bibel gelesen; dergleichen liebt der König nur, wenn er in die Kirche geht.“

Jetzt trat zu Grumbkow ein stattlicher Kriegsmann mit feurigem Blick und Wesen, zu dem die anderen mit einem gewissen Respekt aufsahen: es war der Feldmarschall Fürst Leopold von Dessau, der sich in den Franzosenkriegen reiche Lorbeeren geholt hatte, ein Held wie Prinz Eugen, mit dem er zusammen die großen Schlachten geschlagen, ein Heeresmeister wie kein zweiter, Erfinder des eisernen Ladestockes und des Gleichschritts der Kolonnen, doch nicht allzu beliebt in diesem Kreise.

Sein barscher, soldatischer Ton übertrumpfte noch die rauhe Kasernensprache eines Derschau und Haake, und außerdem konnten es ihm viele nicht verzeihen, daß er als Fürst eine Bürgerliche, eine Apothekerstochter, geheiratet hatte.

„Schwere Not,“ sagte der Dessauer zu Grumbkow, dem treuherzig dreinblickenden, schlauen Berater des Königs, „ich möchte nur wissen, wer meinem Vetter das Konzept verrückt hat! Vorgegangen ist da etwas; doch wenn man anklopft – er muckt gar nicht auf! Bin doch ein alter, lustiger Kamerad von ihm; haben manche tollen Streiche zusammen gemacht in früheren Tagen! Heut’ möcht’ ich ihn nicht daran erinnern; doch hab’ ich mir einen Spaß ausgedacht! Wenn der Gundling kommt, um aus den Zeitungen vorzulesen, da wollen wir dem einen Streich spielen, der die üble Laune des Königs verscheuchen soll – oder – er ist unheilbar!“

Laut schwirrten die Gespräche durch das Zimmer, doch als der König eintrat, verstummten sie. Das war sonst nicht der Brauch; im Gelärme und in dem Tabaksqualm fühlte sich der König wohl, wie ein Soldat im Pulverdampf und Kanonendonner der Schlacht. Das wußte seine Umgebung, und die Herren ließen sich vor ihm gehen! In der That beunruhigte das ungewohnte, ehrfurchtsvolle Schweigen den König und er warf, ehe er sich setzte, einen mißtrauischen Blick auf seine Tischgenossen.

König Friedrich Wilhelm I war damals dreißig Jahre alt; er hatte noch nicht die unförmige Dicke, wie in seinen letzten Lebensjahren; er war ein stämmiger Herr, sein Kopf steckte etwas in den Schultern, seine Züge zeigten oft einen raschen Farbenwechsel; vorherrschend war die dunkle Röte, das Zeichen eines zornigen Temperaments. Das Bambusrohr in seiner Hand war [786] die Zuchtrute des Herrn, die oft genug seinen Unterthanen den nötigen Respekt einprügelte, ohne Unterschied der Person, denn auch die Kammergerichtsräte wurden gelegentlich nicht damit verschont.

Als der König sich niedergesetzt und seine Thonpfeife ergriffen hatte, beeilte sich der Dessauer, der bisweilen aus der rauhen, soldatischen Hülle auch den glatten Hofmann hervorkehrte, den Tabak in der Pfeife des Königs mit einem Fidibus zu entzünden, wozu mit glühendem Torf gefüllte Pfannen dienten. Doch der König riß dem Feldmarschall unwillig den Fidibus aus der Hand, zündete sich selbst die Pfeife an und sagte mit feindlichem Spott:

„Rauch’ Er nur selbst, Dessauer!“

Fürst Leopold war nämlich kein Raucher, doch im Tabakskollegium wäre es ein Verbrechen gewesen, ohne eine Pfeife im Munde dazusitzen. Der Fürst mußte daher kalt rauchen, wie sein Schicksalsgenosse, der österreichische Gesandte von Seckendorf, der gegen das verwünschte Kraut den größten Abscheu hegte, aber als Diplomat es für geboten hielt, des Königs Gunst nicht zu verscherzen, und daher mit der Pfeife im Munde durch fortwährendes Blasen mit der Oberlippe sich den Anschein eines recht wohlgeübten Rauchers gab.

Die ablehnende Bewegung des Königs war Grumbkow nicht entgangen; als der Dessauer ihn fragend ansah, zuckte er mit den Achseln.

In der That, der König war verstimmt, aber nicht bloß das, er war verstimmt gegen sie, seine besten Freunde! Sie fanden keine Erklärung dafür. Das Rätsel war um so unlösbarer, als der König nicht zu den Geheimthuern gehörte, sondern das Herz auf der Zunge zu haben pflegte.

Der Kommandant von Berlin, Quirin de Forçade, aus einer französischen Emigrantenfamilie, wollte den Marquis de la Chétardie, einen Freund, der zum Besuche in Berlin war, in das Tabakskollegium einführen; doch die Stimmung des Königs war so ungünstig, daß er die Bitte kopfschüttelnd ablehnte. „Sie sagen drüben im Reich, ich sei ein Franzose – und ich kann die Kerls kaum ausstehen! Unser Ducksteiner Bier würde mir im Kruge sauer werden, wenn so einer sich hier eindrängte; er würde die Nase rümpfen, als käme er in eine Bauernschenke, wenn er sich auf einen von diesen harten, hölzernen Stühlen setzen müßte! Solch ein Monsieur ist an Polster gewöhnt!“

Die Generale und Obristen lachten herzhaft; es schien, als ob das Eis im Gemüt des Königs aufgetaut sei; doch dann saß er wieder stillbrütend da.

Fürst Leopold hatte seine Hoffnung auf Gundling gesetzt, den Hofgelehrten und Hofnarren, der soeben in die Würde eines Oberceremonienmeisters, eines vor längerer Zeit abgeschafften Postens, eingesetzt worden war. Gundling hatte vom König den Staatsanzug geschenkt erhalten, den sein Vorgänger beim Ordensfest getragen hatte. So erschien er in der Tabagie; ein roter, mit schwarzem Sammet ausgeschlagener Leibrock mit großen französischen Aufschlägen und goldenen Knopflöchern war das Hauptstück; die mächtige Staatsperücke mit herabhängenden langen Locken von weißen Ziegenhaaren, ein großer Hut mit weißen Straußenfedern, strohgelbe Beinkleider, rotseidene Strümpfe mit goldenen Zwickeln, und Schuhe mit roten Absätzen vollendeten die Garderobe.

Der Hofgelehrte mußte im Tabakskollegium in Gala erscheinen; saßen doch auch die Generale in Uniform und mit ihren breiten Ordensbändern am Tisch.

Unter dem Arm brachte Gundling einen Stoß von Zeitungen mit, die er dann vor sich auf dem Tische ausbreitete.

„Les Er, Gundling,“ sagte der König, „aber zuerst, was über Ihn selber gedruckt ist!“

Gundling ergriff ein holländisches Blatt; es enthielt einen Artikel, in welchem er als Hans Narr und Hofspaßmacher verspottet wurde. Der König wußte solche Artikel in die Blätter zu befördern, und es war ein großes Gaudium der Tabagie, wenn Gundling dieselben vorlas; doch dieser blieb ruhig und gleichgültig, Wie wenn er auf dem Katheder stände. So las er auch heute den Schmähartikel auf sich und übersetzte ihn dann ins Deutsche für alle die Hörer, welche der fremden Sprache nicht wie der König mächtig waren.

Ein Bravo, begleitet von Säbel- und Sporengeklirr, belohnte den Vortragenden dafür, daß er so selbstlos den anderen den Zerrspiegel vorhielt, in welchem sein eigenes Gesicht die tollsten Grimassen schnitt.

Auch der König schmunzelte und that ein paar behagliche Züge aus seiner Pfeife; dann aber versank er wieder in düsteres Sinnen, als Gundling eine Menge politischer Artikel vorlas und den Generalen erläuterte. Da zeigte der kleine geputzte Mann, der vielverspottete Hofnarr, eine geistige Ueberlegenheit, welche die Männer des Säbels widerwillig anerkennen mußten. Es herrschte damals in Europa eine Stickluft, schwül und niederdrückend, und keiner der versammelten Kriegsherren vermochte klar in die Zukunft zu sehen. Man hatte gegen die Schweden gekämpft; jetzt aber schien es, als würde Preußen mit ihnen und Rußland gemeinsame Sache machen. Da war die Mecklenburgische Frage: der Kampf des Adels gegen den Herzog Karl Leopold, bei welchem Kaiser und Reich und die andern deutschen Fürsten für den Adel, Preußen und Rußland für den Herzog Partei nahmen. Wie aber würde sich der neue Polenkönig, Kurfürst August von Sachsen, stellen, wenn Schweden und Preußen Hand in Hand gingen? Im Süden regte der spanische Minister Alberoni, die Ansprüche der Königin Elisabeth Farnese vertretend, Italien gegen Oesterreich auf, gleichwie er dem Prätendenten Jakob Stuart in England seine Unterstützung lieh.

In dieses Bild des zerrütteten Europa war ein kleineres eingefügt, dasjenige des bedrohten Preußens. Die Generale dachten nur darüber nach, wohin ihre Regimenter marschieren würden; doch die sorgenvolle Stirn des Königs zeigte, daß Gundlings Berichte großen Eindruck auf ihn machten. Der kleine Mann drängte sich nicht vor mit eigenen Meinungen, aber er wußte doch allem, was er las, eine bestimmte Färbung, eine deutliche Richtung zu geben, und es klang aus seinem Vortrag heraus: „Das Vaterland ist in Gefahr! Mögen die Minister und Generale zusehen, daß es keinen Schaden erleide!“

Fürst Leopold merkte, daß des Königs Stimmung durch dergleichen Zeitungsberichte nur noch mehr verdüstert werden müsse. Deshalb war er darauf bedacht, sie mit den starken Mtteln die er vorbereitet hatte, wieder aufzuheitern. Er verließ das Zimmer und kam bald darauf zurück mit einem fragwürdigen kleinen Geschöpf, das denselben roten Leibrock wie Gundling, dieselbe riesige Perücke mit den Ziegenlocken, denselben Hut mit den Straußenfedern trug. Ein wohlerzogener Affe gab sich Mühe, seinem Vorbilde Ehre zu machen.

Der Fürst stellte ihn als Gundlings Sohn vor und verlangte, daß der Vater ihn in Liebe umarme, ein Verlangen, welches durch den einstimmigen Zuruf der Tischgenossen unterstützt wurde. Gundling spielte nicht lange den Spröden, es würde ihm wenig genützt haben; er umarmte den neuen Gast der Tabagie und mußte es sich gefallen lassen, daß dem jüngeren Gundling neben dem Vater ein Platz auf einem Stuhle eingeräumt wurde.

Ein schallendes Gelächter der Tabagie belohnte diese Familienscene. Doch der König blieb ernsthaft. In Gedanken versunken, hüllte er sich in Rauchwolken ein.

Die Nachbarn fuhren fort, den Oberceremonienmeister und den verheißungsvollen Sprößling desselben zu necken.

„Wird auch zu hohen Ehren gelangen, der junge Gundling! Er hat das Talent von seinem Vater geerbt – sauf Er einmal, junger Bursch’! Der Alte versteht das auch. Trink’ Er den Papa untern Tisch.“

Da erhob sich plötzlich der König.

„Laßt das – bin mit Gundling zufrieden – hat gesunden Menschenverstand – und das ist viel wert; will ihn belohnen! Noch morgen soll er sein Diplom erhalten als Präsident der Berliner Akademie der Wissenschaften. Der Leibniz ist abgegangen – der dumme Kerl, der mit meiner seligen Mama zu meiner größten Langweile über hundert Dinge gesalbadert hat, von denen beide nichts wissen konnten! Gundling zerbricht sich und anderen nicht den Kopf über dergleichen – er wird seine Sache besser machen.*

Der König verließ das Zimmer – die Sitzung war aufgehoben. Alle schritten mißvergnügt zur Thüre hinaus. Nur Gundling und der Affe, den niemand mehr beachtete, blieben am Tische sitzen.


[787] Die Laune des Königs verbesserte sich in den nächsten Tagen nicht; er blieb mißmutig und mißtrauisch, besonders dem Dessauer und dem Grumbkow gegenüber, die ihm am nächsten standen. Wieder traf ein geheimes Schreiben ein, wie Eversmann mitteilte, und wieder waltete darüber das tiefste Geheimnis. Der Domprediger Jablonski, zugleich der Bischof der Reformierten in Böhmen und Ungarn, hatte es in geheimer Audienz überreicht, doch es war gewiß nicht geistlichen Inhalts. Seit Empfang dieses Briefes mischte sich in den Ernst des Königs unverhohlene Aufgeregtheit.

Am Tage darauf fuhr er mit dem General Forçade und zwei Pagen spazieren; zuerst in der Neustadt „Unter den Linden“; dann ließ er nach dem Weidendamm umlenken, stieg aus und ging allein in einen der benachbarten Gärten. Es war nicht die Zeit der Rosen und der Nachtigallen, auch ging der König nicht auf geheime Liebesabenteuer aus.

General von Forçade war nicht ohne Neugier; doch aus der Kutsche konnte er das Terrain nicht übersehen. Der Weg machte weiterhin eine Biegung und die Eingänge zu den Gärten waren dadurch verdeckt.

Der König fand sich zurecht, die Thüre war ihm genau bezeichnet worden. Er trat in den Garten, wo er den Domprediger Jablonski traf, der mit ehrfurchtsvoller Verbeugung ihn fragte, ob er den angemeldeten Fremden zu sprechen wünsche. Auf ein ärgerliches „Ja, was frägt Er denn?“ ging der Prediger nach dem benachbarten Pavillon und holte einen jungen Kavalier herbei, den der König soldatisch kurz begrüßte. Er wollte nicht neugierig scheinen, nicht den Anschein erwecken, als ob er irgend welches Gewicht lege auf diese Begegnung; darum beachtete er ihn zunächst nicht weiter, sondern wandte sich dem Domprediger zu.

„Hat Er meine Ordre erhalten?“

„Erhalten und pünktlich befolgt! Ich selbst habe ihn in meinem Wagen auf der nächsten Post abgeholt und insgeheim zur Nachtzeit in meine Wohnung gebracht.“

„Daß Er mir ihn dort wohl verwahrt und nicht etwa den Leuten zeigt! Ich werde über ihn befinden, wenn ich ihn gesprochen habe. Darauf hat Er weitere Ordre zu erwarten und zu respektieren. Und jetzt laß’ Er uns allein!“

Der Domprediger trat zurück und spazierte in den abgelegenen Gängen des Gartens auf und ab.

Jetzt faßte der König den jungen Mann ins Auge: dieser hatte etwas Sympathisches in seinem Wesen, angenehme Züge, feurige Augen, eine schlanke, biegsame Gestalt. Seine Stirn war wie von Gedanken herausgemeißelt, um seine Lippen spielte ein feines Lächeln.

„Wie heißt Er?“ fragte der König.

„Johann Michael von Clement.“

„Wie alt ist Er?“

„Neunundzwanzig Jahre.“

„Und wo geboren?“

„In Ungarn, in dem Flecken Neusohl.“

„Er hat mir Briefe zugeschickt, lebensgefährliche, halsbrecherische Briefe. Doch der Inhalt ist von äußerster Wichtigkeit. Wie kommt Er dazu, solche Dinge zu wissen?“

„Durch meine ganze bisherige Laufbahn, Sire.“

„Erzähl’ Er!“

„Ich begann meine diplomatische Thätigkeit im Kabinett des Fürsten Ragoczy von Siebenbürgen und war im Kriege gegen Oesterreich stets an seiner Seite. Als er, besiegt, die Amnestie verschmähte, folgte ich ihm nach Frankreich.“

„Zuviel Feuer! Doch in Seinem Land wächst ja der edle Tokayer. Was wurde dann aus Ihm?“

„Beim Frieden von Utrecht war ich der Abgesandte meines Fürsten, doch da endeten alle seine Hoffnungen. Auch die meinigen; ich hatte indes Glück, der österreichische Resident im Haag nahm sich meiner an und vermittelte meine straffreie Rückkehr nach dem Vaterlande, wo ich noch einiges Vermögen zu erwarten hatte. Er hatte mich brauchbar gefunden und empfahl mich dem Prinzen Eugen, den ich durch allerlei Schriftstücke von den Intriguen seiner Feinde unterrichten konnte: ich stieg in seiner Gunst, und er vertraute mir alle seine Geheimnisse an.“

„Kein Diplomat der Prinz,“ sagte der König, „der mußte dergleichen im Verschluß halten!“

„Ich weiß viel, sehr viel, Majestät, von allem, was zwischen den Höfen verhandelt wurde, und auch ich selbst wußte von Ragoczys Plänen viel zu erzählen. Mein Gönner war der Sekretär des Prinzen, Langedel, doch der gab ihm selbst bisweilen die Richtung und ich mußte im Einverständnis mit ihm handeln.“

„Große Generale,“ brummte der König, „doch sonst wie die Kinder! Lassen sich am Leitseil führen – pah, das sollte einer wagen hier in Berlin oder Potsdam!“

„Doch es gab in Wien verschiedene Hofparteien, dem Prinzen feindlich; sie hatten ein Auge auf mich geworfen, machten allerlei Versuche der Annäherung. Der Prinz erfuhr davon, und als mein Gönner, Langedel, gestorben war, verlor ich das ganze Vertrauen des Prinzen und wurde beiseite geschoben. Meine Rechtfertigungen, meine Bitten, nichts fand mehr Gehör! Darauf gewann ich das Vertrauen des Grafen Flemming, des kursächsischen Ministers, und meine Mitteilungen über die Wiener Verhältnisse und aus dem Kabinett des Prinzen setzten ihn in stand, bei seinem Könige die Rolle eines kundigen, tiefeingeweihten Diplomaten zu spielen.“

„Und warum ist Er nicht bei Flemming geblieben?“

„Majestät, mein Gewissen regte sich. Die Ehrerbietung vor Ihnen, Sire, der Abscheu vor dem Verbrechen, das in Dresden und Wien angezettelt wurde, mein Widerwille gegen die römische Religion, welche siegreich aus diesen Händeln hervorgehen mußte – alles das bestimmte mich, das einzige zu thun, was einem Ehrenmann unter solchen Umständen übrig blieb, und den schändlichen Plan zu verraten!“

Dem König schoß die Glut ins Gesicht.

„Man dachte daran, man wagte daran zu denken! Sind gekrönte Häupter nicht mehr ihres Lebens sicher vor solchen Kanaillen in den Kabinetten? Doch red’ Er, red’ Er!“

„Zuvor geruhen Majestät mir die huldvolle Zusicherung zu geben, daß mein Aufenthalt hier geheim bleiben, daß ich einzig und allein mit Ihnen zu thun haben werde und daß es mir freisteht, jederzeit wieder abzureisen, sobald es mir nötig dünkt.“

„Das hab’ ich Ihm schon schriftlich zugestanden – es bleibt dabei!“

„In Wien und Dresden betrachtet man mit Neid den Aufschwung der preußischen Königsmacht, welche unter Eurer Majestät glanzvoller Regierung durch die Siege über Schweden und das Bündnis mit Rußland an Ansehen so gewachsen ist. Man weiß sehr wohl, daß Sie es selbst sind, Sire, mit dem Preußen steht und fällt! Und deshalb richtet sich eine verräterische Politik mit verbrecherischen Anschlägen gegen Ihre Person.“

Der König erblaßte; er ging unruhig hin und her. Clement machte eine Pause, um ihn nicht in seinen unheimlichen Gedanken zu stören. Friedrich Wilhelm warf einen mißtrauischen Blick auf den Unterhändler. „Mord also?“ – Unwillkürlich trat er einen Schritt zurück.

Doch Clements Wesen hatte etwas freundlich Harmloses, sein Feuerauge einen sanften Glanz, und soweit sich ein zutraulicher Ton mit einer unterthänigen Haltung vertrug, wußte Clement ihn geschickt anzuschlagen. Der König blickte ihn beruhigter an; er wurde bestochen durch diese gewinnende Persönlichkeit, durch das Liebenswürdige und Ritterliche ihrer Erscheinung und die siegreiche Überredungskunst, mit der Clement ihm die bösen Pläne seiner Feinde auseinandersetzte.

„Nicht ans Leben will man Ihnen, Majestät; das würde doch die anderen Höfe zu sehr verstimmen.“

„Verstimmen – wenn man die Kugel im Leibe hat – das ist wohl Wiener Kanzleistil? Danke für die Bescherung!“

„Es sind die glatten diplomatischen Phrasen, die ich eben getreulich wiederhole, denn so spricht man in den Kabinetten. Man hat dort Pläne von der Umgegend von Berlin, von Wusterhausen, wo Euer Majestät oft sorglos ohne die nötige Schutzwache weilen, nur eine Meile von der sächsischen Grenze. Es ist die Absicht, Sie dort aufzuheben und in sicherem Gewahrsam festzuhalten, dann den Kronprinzen in Wien katholisch erziehen zu lassen und unter Vormundschaft des Kaisers auf den preußischen Thron zu setzen; man schwankt noch, ob man nicht dem Markgrafen von Schwedt Kurbrandenburg überlassen soll.“

„Schöne Dinge das! Sakramentsche Teufeleien! Man vergißt mein Heer, meine Generale!“

[788] „Die vornehmsten Generale und Minister, Sire, sind schon für den Anschlag gewonnen, besonders Grumbkow und der Fürst von Dessau, der ja seit langer Zeit ein intimer Freund des Prinzen Eugen ist!“

Der König sagte nichts; er versank in tiefes Schweigen; man sah es ihm an, daß es mächtig in ihm arbeitete; seine Brust hob sich, seine Nasenflügel zitterten; tiefe Falten durchfurchten seine Stirn. Dann schüttelte er wie mit einem Ruck alles von sich ab.

„Das ist unglaublich, das sind Märchen – wie darf ich mich dadurch verblüffen lassen? Lug und Trug ist alles!“

„Geruhen Euer Majestät nur diese Aktenstücke näher anzusehen. Es sind Briefe des Prinzen Eugen an Graf Flemming!“

Der König griff hastig danach. „Doch es ist heute schon zu dunkel hier draußen und in mir. Komm’ Er morgen wieder hierher um die gleiche Stunde – vorher will ich die Dokumente prüfen.“

„Schenken Sie mir Ihr volles Zutrauen – ich werde es zu verdienen wissen! Man wünscht für den Plan die Zustimmung der Seemächte; darum hat man mich beauftragt, nach dem Haag zu reisen; ich hoffe dort noch mehr thun zu können, um die Gewitterwolken zu zerteilen, die über Ihrem Haupte schweben. Sie erlauben mir gewiß, Sire, bald dorthin zu reisen.“

„So bald noch nicht; erst müssen wir im klaren sein!“

„Und dann bitt’ ich Eure Majestät um das tiefste Geheimnis!“

„Das versprech’ ich Ihm, Monsieur! Das paßt mir selbst! Ich werde alles prüfen, genau prüfen – sei Er versichert! Also – bis auf weiteres!“

Der König kehrte zu seinem Wagen zurück in einem Zustand tiefster Niedergeschlagenheit. Ein Landmann, dem die ganze Ernte verhagelt wurde, könnte nicht in ein trostloseres, dumpferes Brüten versenkt sein. General Forçade fragte anteilvoll, ob dem Könige etwas Widriges oder Unheilvolles begegnet sei. Doch dieser schüttelte bloß mit dem Kopfe. In der Nähe des Schlosses ließ er halten; er befahl den Insassen des Wagens, dem Kutscher und den Bedienten, bei ihrem Leben niemand mitzuteilen, daß er auf einige Zeit den Wagen verlassen habe; alle verneigten sich in tiefem Respekt.

Im Schlosse angekommen, begab sich der König in sein Kabinett, befahl aufs strengste, ihn nicht zu stören, und legte vor sich auf den Tisch die verhängnisvollen Briefe. Er griff danach – und, doch zog er wieder die Hand zurück, stand auf und ging mit unruhigen Schritten auf und ab. Dann blieb er vor dem Tische stehen. „Man muß zugreifen – in die Brennesseln hinein – wenn’s auch juckt und brennt!“

Vorsichtig griff er nach dem obenauf liegenden Briefe, wie man nach einem häßlichen Insekte greift, dem man giftige Eigenschaften zutraut.

Es war ein Brief des Prinzen Eugen an Clement. Der König kannte die Handschrift des Prinzen. Der Inhalt des Briefes bestätigte alle Aussagen des ungarischen Edelmannes. Es handelte sich in der That um einen Anschlag auf die Person des Königs; auf Grumbkow und den Fürsten von Dessau fielen verdächtigende Schatten. Dem König schoß das Blut ins Gesicht – er knöpfte sich den Rock auf – welch beklemmendes Gefühl! Seine besten Freunde! Und der berühmte Feldherr war solcher niedrigen Anschläge fähig! Erregt las er weiter: zwei Briefe des sächsischen Ministers Flemming an die Vertreter der Seemächte im Haag! Nun, der Kursachse war ein bitterböser Feind – dem konnte man eher dergleichen freundnachbarliche Liebesdienste zutrauen. Auch ließen die Briefe keinen Zweifel: man wollte mit den Seemächten gemeinsam handeln, wenn nur erst der preußische König beiseite geschafft wäre. Die Sache selbst sei nicht schwer! König August hatte ja schon früher einmal die Fürsten Jakob und Konstantin Sobieski auf der Jagd, einige Meilen von Breslau, gewaltsam entführen lassen! Nun kamen Briefe der kaiserlichen Kanzleien, Briefe untergeordneter Geister, aber sie alle waren eingeweiht in den verwegenen Plan! Und was durfte Preußen vom Kaiser in Wien erwarten? Hatte der Hof doch bei jedem Anlaß feindliche Gesinnung gezeigt, den Magdeburger Adel in Schutz genommen, als er sich heftig über die königlichen Lehnsverordnungen beschwerte. Ja, so empörend das alles war, so glaubwürdig war es! Die Welt war voll von Feinden, das aufstrebende Preußen war allen verhaßt, ein Eindringling in den Kreis der Großmächte, ein Staat von gestern, der das Morgen für sich haben wollte!

In so düstere Gedanken versenkte sich des Königs Gemüt. Der Schlaf floh ihn die ganze Nacht; oft stand er auf und trat ans Fenster. Es war eine rauhe Dezembernacht. Der Wind jagte die Wolken und schüttelte die Bäume; sie hatten ihm nichts mehr zu geben, kein fröhliches Rauschen, keine wehenden Blätter zum Spiel; nur die kahlen Reiser knackten und fielen herunter, nur die alte Eiche am Parkthor raschelte noch mit ihrem gebräunten Blätterwerk und ließ sich aus ihrer Krone ein paar welke Zierden ihrer längst aufgegebenen sommerlichen Pracht rauben.

Ein schwermütiges Wetter! – Da schlich das Mondlicht aus den Wolken hervor, um sich bald wieder dahinter zu verstecken, und die Baumschatten glitten gespenstisch über die Wiesen – waren es schleichende Raubgesellen? Das dunkle Gebüsch dort war voll von Hinterhalten wie die ganze Welt! Doch das sind nicht die schlimmsten, die dort hinten im Versteck lauern – nein, die anderen, die neben uns sitzen, die uns freundlich anlächeln, die treuen Waffenbrüder, die nichtswürdigen Halunken! Und hatte der König mit einem kräftigen Fluch so den Spuk verscheucht, dann legte er sich müde zur Ruhe; doch in seinen Träumen sah er, wie ihm der Dessauer den Degen in den Leib stieß, Grumbkow mit einem ermutigenden Lächeln ihm zurief: „Nur tiefer!“

Am nächsten Tage war der König in der übelsten Laune; er ließ niemand vor in sein Kabinett. Er konnte es kaum abwarten, bis der Abend herankam, die Stunde, für die er Clement in den Garten bestellt hatte. Was wollte er von ihm? Die schriftlichen Beweise lagen ja in seiner Hand! Doch es drängte ihn, darüber zu sprechen. Wem konnte er sonst sein Herz ausschütten? Doch nicht den Verrätern, die ihn umgaben? Und mit seinem Königswort hatte er Verschwiegenheit gelobt.

Diesmal dauerte die Begegnung noch länger als das erste Mal. So gläubig und abergläubisch der König auch war, so war er doch auch dem Fremden gegenüber voll Mißtrauen. Manche Zweifel tauchten in seiner Seele auf, und doch schämte er sich derselben wieder gegenüber einem Manne, der aus eignem Antrieb zu seiner Rettung aus verräterischen Schlingen gekommen war. Und wie glänzend widerlegte nicht Clement alle Bedenken, auch die unausgesprochenen, die er aus des Königs Mienen herauslas! Wie war er bewandert in der Politik des Tages, in allen Geheimnissen der Kabinette! Er schien sie zu erhaschen, ehe sie noch aus den Tintenfässern der Diplomaten herausgekrochen. War er allgegenwärtig in Europa? Er wußte, was Alberoni in Spanien wollte und der Prätendent in Schottland! Vollends die Wiener Politik, die Politik des heiligen römischen Reiches, verstand er zu des Königs besonderem Vergnügen wunderbar zu zergliedern! Und eine große Schadenfreude bereitete es diesem, als er erfuhr, wie der Prinz Eugen, der ihm selbst nach der Krone trachtete, dort an der Donau von erbitterten Feinden verfolgt wurde, die ihm sogar Ruten banden aus seinen Lorbeerreisern.

Clement bat den König jetzt wieder, nach dem Haag reisen zu dürfen, wie es dem Auftrag von Wien und Dresden entspräche. Wenn er nicht bald dort erschiene, so würde dies Befremden erregen bei den sächsischen und österreichischen Diplomaten, und das wäre noch zu früh für seinen Plan, den König zu retten; er müßte erst auch im Haag den Seemächten an den Puls fühlen!

„Weiß am besten, wie dies geht!“ sagte der König lächelnd. „Mein lieber Schwager, der König von England und Kurfürst von Hannover, haßt mich mehr als sein abgedanktes, treuloses Weib, das hinter Schloß und Riegel sitzt. Er, Monsieur, wird da nicht viel thun können zu meinen Gunsten; aber er wird sehen, daß die Schubjacks von Diplomaten sich überall gegen mich verschworen haben! Ehrliche Kerle können sie nicht brauchen in dem heutigen grundfaulen Europa!“

„Also, darf ich reisen?“

Der König zögerte.

„Nicht so rasch, ich brauch’ Ihn noch hier. Möcht’ mit Ihm plaudern, sonst erdrückt es mich! Nach einigen Tagen – ja! Werd’s überlegen!“

[790] Jablonski, der im Pavillon wartete, erschien auf einen Wink des Königs.

„Sorg’ Er aufs beste für Seinen Gast! Er bleibt noch einige Tage bei Ihm. Wenn er sich langweilt, mag er die Bibel lesen; das können wir alle brauchen, denn der Teufel streckt überall seine Krallen aus nach den Seelen!“

Der König fuhr diesmal in einer noch trüberen Stimmung als das letzte Mal in sein Schloß zurück. Das Stückchen blauer Himmel, das er noch in sich trug, verdunkelte sich immer mehr.

Die Hoffnung, es möchten Irrtümer, Mißverständnisse den Enthüllungen Clements zu Grunde liegen, auch der leise Zweifel, ob dieser die volle Wahrheit sage, schwanden immer mehr. Keiner hatte die ganze Weltlage so durchschaut wie dieser Fremde, keiner so einleuchtend den unheimlichen Zusammenhang der Vorgänge auf der Weltbühne ihm nachgewiesen.

Eversmann, der getreue Kammerdiener, erschrak aufs heftigste, als der König von ihm zwei Pistolen verlangte, die er unter sein Kopfkissen legen wollte – sonst könne er nicht ruhig schlafen! Zwei geladene Pistolen! Und doch schlief der König auch in dieser Nacht nicht. Oft stand er auf, trat wieder ans Fenster, blickte auf die Verstecke im Park, befühlte die Waffen.

Und wenn er dann einzuschlafen versuchte, so griff er danach zwischen Schlaf und Wachen, denn ihm war’s, als sähe er im Mondlicht Gestalten durch die Thür ins Zimmer huschen.

Am nächsten Tage aber begab sich das Unerhörte. Der König konnte sein Tabakskollegium nicht entbehren und doch wollte er nicht mit seinen Todfeinden zusammensitzen. Da wär’ er seines Mißmutes, seiner Erbitterung nicht Herr geworden! Und eine Maske vorzunehmen, das mochte sich für andere Leute passen, aber nicht für den König von Preußen! Als die Stunde schlug, wo die Tabakspfeifen im traulichen Kreise angezündet wurden, kam über ihn das Gefühl größter Vereinsamung. Schon einen Abend war das Kollegium ausgefallen; ihm war zu Mute, als ob ihm ein Glied amputiert worden wäre. Nachdenklich aus seiner Pfeife qualmend, schritt er in seinem Kabinett hin und her. Da kam er auf einen guten Gedanken: er brauchte ja nicht immer mit seinen alten Haudegen zusammenzusitzen, er konnte ja auch einmal ein behaglich Pfeifchen mit seinen guten Bürgern rauchen!

Er beriet sich mit Eversmann, wen man dazu einladen sollte. Die Liste wurde entworfen. Darauf standen einige Herren vom Rate der Stadt Berlin, der sonst unter dem neuen Steuerrat eine sehr gedrückte Stelle einnahm, einige Fabrikherren von Tuchmanufakturen, die Leiter des neueingerichteten Lagerhauses, ein früherer Minister, der Generalempfänger Kraut, ein Günstling des Königs, doch nicht zum Tabakskollegium gehörig, einige reiche Bürger – und auch Gundling durfte nicht fehlen, denn wie er, der König, den gelehrten Herrn aufziehen würde, das sollte auch den nicht hochgeborenen und nicht hochwohlgeborenen Herren von Berlin und Cölln Spaß machen! Pünktlich stellten sich die Gäste ein – die Lakaien machten große Augen, als sie dieser nicht hoffähigen Gesellschaft die Flügelthüren öffneten; es geschah mit ärgerlichen Mienen, als ob ihnen der Schmutz von der Straße ins Schloß gefegt worden wäre.

Doch nicht weniger erstaunte Gesichter machten die Gäste selbst, die sich in die Gebräuche der „Tabagie“ nicht finden konnten und nur zaghaft und ungeschickt ihren Fidibus und ihre Pfeifen anzündeten. Die Nähe des gefürchteten Königs machte auf sie einen beängstigenden Eindruck, und doch zwangen sie ihre Züge zu einem vergnügten Lächeln; sie wollten ihre Furcht nicht zeigen, sie dachten an die beherzigenswerte Lehre, die der König denen, die ihm auf der Straße ausweichen wollten, mit dem Stocke eingeprügelt hatte: „Lieben sollt ihr mich, nicht fürchten!“

Doch der König hatte sich geirrt, als er glaubte, er könne den Gundling diesen Gästen als ein leckeres Mahl servieren, an dem sie ihre helle Freude haben würden. Als dieser mit seiner Allongeperücke und in dem glänzenden Kostüm erschien, flößte er ihnen tiefen Respekt ein, und dieser Respekt wuchs, als er die neuesten Zeitungsnachrichten im Hinblick auf die Weltlage erläuterte. Sie vergaßen keinen Augenblick, daß sie einen der gelehrtesten Herren Preußens, den neuen Präsidenten der Akademie der Wissenschaften, vor sich hatten. Und als der König nach Art und Weise seiner Generale dem guten Gundling etwas am Zeug zu flicken suchte, da lachten sie wohl pflichtgemäß, weil sie den Gestrengen bei so guter Laune sahen; aber es war doch mehr ein gehorsames und verlegenes Lachen und ihrer Ehrerbietung vor Gundling that es kaum Eintrag. Der König merkte sogleich, daß diese Leute noch nicht reif seien für die Späße seiner täglichen schnauzbärtigen Genossen, und schlug bald einen anderen Tön an, der ein lebhaftes Echo erweckte; er sprach über seine Manufakturen, über die feinen und wohlfeilen Tuche, die jetzt erzeugt würden, über sein Verbot der ausländischen Baumwolle und die Kattunkleider, über das Verbot der Wollausfuhr, und da entwickelte sich ein lebhaftes, ernstes Gespräch, das den König von der Intelligenz seiner Unterthanen überzeugte. Sein landesväterliches Herz fühlte sich davon wohlthuend berührt; was er wollte, wurde verstanden und anerkannt.

Ihm wurde so behaglich zu Mute, daß er in dieser bürgerlichen Tabakswolke auf einige Zeit das Unwetter vergaß, das sich für ihn in der Welt draußen zusammenzog. Erst als er in sein Schlafgemach zurückgekehrt war und die auf dem Nachttisch liegenden Pistolen erblickte, da stieß er wieder einen Seufzer aus und dachte der kommenden schlaflosen Nacht.


Clement saß am Schreibtische des Dompredigers, welcher in der Regel gegen Abend zu Sitzungen mit seinen Amtsbrüdern ausging. Auf dem Tische und auf den Stühlen umher lag eine große Zahl von Aktenstücken und Briefen. Clement selbst aber konnte die Gänsefeder nicht rasch genug ins Tintenfaß tauchen, so eilig war er bei der Arbeit. Und er legte bald dieses bald jenes vollgeschriebene Blatt Papier beiseite, unter andern auch ein zierliches Blättchen, wie es in die Boudoirs der Damen zu flattern pflegt. Wer aber näher hingesehen und diese Schreiben geprüft hätte, der würde über die Unähnlichkeit der Schriftzüge auf den verschiedenen Blättern gestaunt haben – es waren fast so viele Handschriften wie Briefe! Das mußte eine wunderbare Gänsefeder sein, welche von der niedlichen Perlschrift bis zur breitspurigen Kanzlei- und Frakturschrift Buchstaben in jeder Größe und Gestalt aus dem Tintenfaß hervorzuholen wußte!

Clement schrieb Adressen mit ebenso voneinander abweichenden Handschriften und stempelte mit mehreren verschiedenen Petschaften.

Dann klingelte er. Sebaldus erschien, schwarz und geistlich von Kopf zu Fuß, Haus- und Kirchendiener zugleich, des Dompredigers Faktotum, von oft erprobter Treue, aber nicht unempfänglich für eine Vermehrung seiner Bezüge und eine Ergänzung seiner frommen Groschen mit fremdartigen Goldmünzen, deren aufgeprägte Souveraine sehr verschiedene Gesichter hatten; derartiges Gold, gut und echt, erhielt Sebaldus von dem Gast des Hauses, und zwar in reichem Maße. Er sollte ja dafür keine Unthat begehen, seinen Herrn weder berauben noch töten, nicht seine Kirche anzünden, nicht Landesverräter in der Krypta verbergen; er sollte nur ganz harmlose Dinge thun: die Briefe auf die Post besorgen, ohne daß sie jemand anders sah, auch selber nicht ihre Adressen lesen. Und harmlos war ja auch das andere, was er zu besorgen hatte, mußte er dabei auch ein Geheimnis wahren! Doch was ging es die Leute an, was Herr von Clement that? Seinen Brotherrn freilich, und – das war ein kleiner Stachel in seinem Gewissen – auch ihm mußt’ er’s verschweigen, daß er mit dem in seiner Hand befindlichen Schlüssel das kleine Gartenpförtchen öffnete, welches hinten auf einen schmalen, sich zwischen zwei Gartenmauern hinschlängelnden Weg führte, und daß er das Pförtchen offen ließ, bis Herr von Clement zurückgekehrt war! Das war immer nach einer Stunde und noch ehe der Domprediger von der Sitzung kam. Ein Geheimnis war das allerdings, aber ein ganz unschuldiges! Daß auch die anderen Hausbewohner nichts davon erfahren durften, war ganz in der Ordnung und gab Sebaldus ein besonderes Gefühl seiner Wichtigkeit. Wenn aber dennoch sein Gewissen ein wenig unruhig war – nun, für jedes Oeffnen des Thürchens erhielt er ein blankes Goldstück, und damit konnte er schon einige nicht allzu lebhafte Gewissensbisse besänftigen.

Heute machte Clement sehr sorgfältig Toilette – und Sebaldus bewunderte das ritterliche Aussehen des jungen Mannes, der mit seinem bräunlichen Teint und seinen Feueraugen etwas Zigeunerhaftes hatte, aber doch den Eindruck eines hochstehenden Kavaliers machte. Mit einem tiefen Bückling schloß er dem [791] ungarischen Edelmann das Gartenpförtchen auf und empfing dafür den goldenen Lohn. Clement fand sich zwischen den Gartenmauern, welche die Wege umgaben, leicht zurecht. Zuletzt verengte sich der eine Weg in einen schmalen Fußpfad, der sich mühsam zwischen dem Gemäuer dahinwand und an einem unscheinbaren Pförtchen endete. Clement öffnete es mit einem Schlüsselchen und trat in einen von blattlosem Strauchwerk dichtbewachsenen Garten – hohe Linden umstanden in einem Viereck einen Pavillon, aus dem ein schüchterner Lichtschein durch farbige Fenster fiel. Clement klopfte vorsichtig an eine Scheibe und nannte seinen Namen. Die Thür öffnete sich sogleich, und der Ungar stand einer Frauengestalt gegenüber von prächtiger Schönheit, mit jenen großen Augen, welche die Alten der Gemahlin des obersten der Götter zuschrieben, aber doch von einem Liebreiz in den Zügen, welcher mehr an die Göttin der Liebe und Schönheit erinnern mochte. Ihr Lächeln hatte etwas Bezauberndes und gewann alsbald die Herzen derjenigen, die ihre Hoheit und Majestät einzuschüchtern drohte. Den Zwang der Hoftoilette hatte sie hier abgelegt, der stolze Bau der Hoffrisur war zerstört, sie empfing den Eintretenden mit einem glühenden Kuß.

Es war die Hofdame und Vertraute der Königin, Frau von Blasspiel, und wenn sie einem Diplomaten hier eine Audienz erteilte, die mit den feierlichen Audienzen in Berlin und Potsdam nichts gemein hatte, so mochte sie dies damit rechtfertigen, daß dieser Diplomat ihr Geliebter war, mit dem sie in Dresden sonnige Tage verlebt hatte. Sie war eine Freundin des in Dresden allmächtigen Ministers, des Feldmarschalls Grafen Flemming, und dort hatte sie bei einem Besuch den jungen Ungarn kennen gelernt, der damals in Flemmings Kabinett eine wichtige Rolle spielte als einflußreicher Berater.

„Wie freu’ ich mich, dich hier zu sehen,“ sagte Charlotte von Blasspiel, „es ist so nüchtern an der Spree, weit schöner war’s an der Elbe!“

„Leider bin ich ein Gefangener,“ versetzte Clement, „ein Gefangener des Königs!“

„Pah,“ sagte Frau von Blasspiel, „das sind wir alle mehr oder weniger – und wenn’s nach ihm ginge, müßten wir alle uns von Gefangenenkost nähren.“

„Doch ich bin hier in geheimer diplomatischer Sendung.“

„Vom sächsischen Hof?“

„Ich bin ein Diplomat auf eigene Rechnung.“

„Auf eigne Rechnung?“ fragte die Hofdame erstaunt.

„Ja! Doch das kann ich dir offen sagen: noch immer bin ich der treue Diener des Siebenbürger Fürsten Ragoczy, den sie so schmählich seines Thrones entsetzt haben, und seines Freundes, eines politischen Genies von erstem Rang, des spanischen Ministers Alberoni.“

„Doch was geht des Fürsten Schicksal uns hier an der Spree an?“

„Sehr viel! Denn unsere Pläne können nur gelingen, wenn in Deutschland Zwietracht waltet und Oesterreich und Preußen aufs äußerste entfremdet werden.“

„Und deine Aufgabe in Berlin ist –?“

„Den Dessauer und den Grumbkow aus der Gunst des Königs zu verdrängen, sie zu stürzen!“

Jetzt leuchteten die Augen der Blasspiel auf in der Glut des Hasses. „O, da begegnen wir uns, mein Einziger! Wie herrlich, daß die garstige Politik uns nicht voneinander trennt, wie ich schon fürchtete; daß wir auch hier die gleichen Wege gehen!“ Und sie schloß den Ungarn mit feuriger Hingebung ans Herz. „Der Dessauer und der Grumbkow – das sind die erbitterten Feinde der Königin! Wir trauen ihnen nichts Gutes zu – der König ist in ihrer Gewalt wie das Heilige Grab in der Gewalt der Türken. Alle beugen sich vor ihnen, nur wir nicht! Wir tragen stolz unser Haupt – wir von der Königin! Weihe mich ein in deine Pläne, ich bin zu jeder Hilfe bereit!“

„So kann ich fest auf dich zählen, Charlotte?“ rief Clement voll Feuer. „Du bist meine Bundesgenossin? So lass’ mich denn gleich eine Bitte aussprechen!“

„Wir haben uns in sehr ernste Dinge verwickelt,“ versetzte Frau von Blasspiel zögernd, „was werden die ungeduldigen Amoretten dazu sagen?“

Ein glühender Kuß war die Antwort. „Charlotte – ich will, ich muß dies schöne Asyl der Grazien hier entweihen, wenn du es gestattest! Diese Marmorgötter und Göttinnen sollen auf stahlharte Männer herabsehen, denen zur Bewunderung für ihre Schönheit die Muße fehlt; diese lächelnden Schönen des Olymps auf den Wandgemälden sollen die unempfänglichen Herzen ihrer Gäste nicht rühren!“

„Wovon sprichst du?“

„Ich bitte dich, hier dies Heiligtum entweihen zu lassen durch eine Zusammenkunft politischer Männer, es sind meine Mitverschwornen. Sieh’ hier die Briefe – sie enthalten die Einladung auf morgen hierher für die jetzige Stunde. Laß sie an ihre Adressen besorgen durch einen verschwiegenen Boten!“

Charlotte nahm die Briefe in Empfang und las die Adressen. „Freiherr von Heidekamm – das ist wenigstens ein feiner Herr, der paßt in das Boudoir, und er hat Geld genug, um sich das Leben zu vergolden! Der weimarische Resident Lehmann – den hab’ ich in Dresden gesehen; das ist ein Mensch mit Aktenrunzeln und einem bösen Gewissen, er hat etwas Schleichendes in seinem Gang, und Sekretär Bube – der erscheint gewiß im Salon mit der Feder hinterm Ohr! Das ist keine Gesellschaft, die hierher paßt – könnt ihr nicht in einer dunkeln Gasse zusammenkommen?“

„Es geht nicht – zu groß ist die Gefahr, entdeckt zu werden!“

„Nun, so sei es! Ich werde die Briefe besorgen und die nötigen Anordnungen treffen! Du hast ja den Schlüssel zur hinteren Gartenthüre; du kommst zuerst und sie bleibt offen. Ist’s in den Briefen vorgesehen, daß sie dort eintreten?“

„Ja, ich habe ihnen die Thüre genau bezeichnet.“

„Und nun genug von Politik und Verschwörung – ich habe dich wieder, ich halte dich! Dein Auge flammt mir wieder sein Feuer in die Seele! Leben ist nur bei der Liebe, der Leidenschaft: solche kostbare Augenblicke wiegen lange Jahre auf!“

Es war ein Glück, daß der Domprediger Jablonski diesmal eine sehr lange Sitzung hatte mit seinen Amtsbrüdern, mit denen er über die Reformierten in Böhmen, deren Bischof er war, verhandelte; denn wäre er rechtzeitig nach Hause gekommen, so hätte er seinen Gast vermißt, welchen Sebaldus in tausend Aengsten erwartete. Clement kam sehr verspätet nach Hause; die von den Grazien umtanzte Uhr auf dem Kaminsims der schönen Frau war stillgestanden und hatte versäumt, mit ihrem Glockenschlag den Weckruf aus süßen Träumen ertönen zu lassen.

Am nächsten Tag erschienen die Verschwornen pünktlich im Pavillon; es war, als ob die gemalten und gemeißelten Götter diese nüchternen fremden Männer mit Staunen und einer gewissen Geringschätzung betrachteten – was suchten sie im Heiligtum der Liebe und Schönheit? Sie hingen an den Statuen der Göttinnen ihre Mäntel auf, alle Taschen derselben steckten voll von Papieren.

Das vornehmste Mitglied des Geheimbundes war Freiherr von Heidekamm, ein noch junger Mann mit verwüsteten Zügen, lauernden Augen, aber von hofmännischer Haltung. Er gehörte zu jenen verkommenen Adeligen, welche dem Staate die zweifelhaftesten Dienste leisten und sich auch dort noch verwenden lassen, wo die bürgerliche Moral sich sträubt. Er war ein Sohn des Schatzmeisters und Finanzrats Heidekamm, der von dem Großen Kurfürsten geadelt worden war. Der Finanzrat hatte seinem Sohn eine glänzende Erziehung gegeben und ihm ein großes Vermögen hinterlassen. Der Sohn war Kammerjunker des Großen Kurfürsten gewesen, hatte unter König Friedrich I verschiedene diplomatische Stellen bekleidet, aber dabei durch verschwenderischen Aufwand sein Vermögen eingebüßt. Sein früherer Hofmeister, der Minister Jlgen, wollte wenigstens einige Früchte seiner Erziehung ernten und verwendete den jungen Baron als Spion bei König Karl XII in Stralsund, wo er sich während eines Konseils unter dem Bette desselben versteckt hatte. Da indes der König nicht ausging, mußte der Lauscher auch die ganze Nacht in dieser unbequemen Lage verharren. Trotz der Verdienste, die er sich durch solche aufopfernde Thätigkeit um den Staat erworben hatte, strich ihm König Friedrich Wilhelm I, der an solchen Dienstleistungen keinen besonderen Geschmack fand, die Pension, die Friedrich I ihm ausgesetzt hatte – und da wurde Heidekamm ein Haupträdelsführer im Lager der mißvergnügten Beamten, deren Zahl sehr groß war, denn wo sich irgend Striche durch Gehälter und Pensionen anbringen ließen, da war der König rasch bei der Hand; kam diese Sparsamkeit doch dem Militär zu gute; für sein Heer scheute er keinen Aufwand. Zu diesen grollenden [792] und beiseite geschobenen Beamten gehörte auch der Sekretär Bube, dessen Gehalt verkürzt worden war, weil man sich in seinem Departement einschränken wollte, und der deshalb aus dem Staatsdienst ausgetreten war und eine Stelle als Sekretär bei dem General Grumbkow angenommen hatte. Doch dieser hochmütige und zornwütige Herr behandelte ihn so schlecht, daß er auch gegen diesen Gift und Galle im Herzen hegte.

Am nächsten stand dem ungarischen Abenteurer der weimarische Resident Lehmann, der mit ihm schon längere Zeit Hand in Hand ging und im Auftrage des sächsischen Ministers Flemming mit ihm schon mehrmals in Berlin zusammengetroffen war, wo beide ihre Erfahrungen ergänzten und ihre Pläne austauschten. Lehmann war ein feiner Kopf, reserviert, hinterhältig; er spielte sich durch würdevolles Benehmen auf den großen Staatsmann hinaus; aber diese Würde erlitt durch seine klapperdürre Gestalt und seine bisweilen schlenkrichten Manieren wiederum Einbuße.

Die drei Männer hatten aus ihren Kabinetten allerlei Aktenstücke entwendet, die sie nun mit wichtigen Briefschaften dem Ungarn zur Verfügung stellten, und zwar zu einem doppelten Zweck. Einmal wollte er mit seiner aufs höchste ausgebildeten Schreiberkunst die Handschriften der Staatsmänner kopieren, um sie nachahmen zu können, dann aber erfuhr er mancherlei, was er dem König mitteilen konnte. Die Bestätigung blieb in der Folge nicht aus – und der König gewann so eine hohe Meinung von der Allwissenheit seines Vertrauten! Es wurde viel beraten und geschrieben. Ein Tintenfaß fehlte zwar in dem Boudoir der schönen Dame; doch die anderen hatten Gänsefedern und kleine tragbare Behälter für den gefährlichen Saft mitgebracht, mit dem die Diplomaten damals das Staatsleben vergifteten. Heidekamm hatte das Unglück, sein Tintenfaß auf eine prächtige Figurenstickerei zu verschütten, so daß einige Engel wie mit höllischem Ruß angeschwärzt wurden.

„Ich würde der guten Dame,“ sagte er, „Schadenersatz leisten, wenn ich noch meine gestrichene Pension hätte. So mag sie denken, der Teufel habe hier sein Spiel getrieben, was ja in den Boudoirs unserer Damen oft genug der Fall ist.“

Clement hatte eine reiche Ernte in seiner Manteltasche, als die Genossen aufbrachen, er verabschiedete sich von ihnen. Es war jetzt seine feste Absicht, bald nach dem Haag abzureisen, und er gab ihnen seine dortige Adresse an.

In der That bestand er bei seiner nächsten Zusammenkunft mit dem König darauf, die Reise antreten zu dürfen; er setzte ihm mit seiner glänzenden Beredsamkeit auseinander, wie er dort für ihn wirken, wie er den Seemächten in die Karten sehen könne. Und wie groß die Gefahren waren, die jetzt den gekrönten Häuptern drohten, das mochte die Kunde von zwei Ereignissen dem König zeigen, die Clement tags vorher von Bube erfahren hatte, Nachrichten von Grumbkows Berichterstattern im Auslande, die der König noch nicht gehört hatte, die ihm erst mitgeteilt werden sollten, wenn sie so zurecht gekocht waren, wie es die Neigung und Laune des Fürsten, wie es das Bedürfnis des Augenblicks verlangte.

„Sire,“ sagte Clement, „eine Trauernachricht! König Karl XII von Schweden ist in den Laufgräben von Friedrichshall erschossen worden.“

Der König schwieg betroffen still.

„Wir stehen alle in Gottes Hand,“ sagte er dann, seinen Hut lüftend, als forderten Trommelwirbel zum Gebete auf. „Ein schöner Tod, von feindlichen Kugeln zu fallen.“

„Man fürchtet, Sire, daß es nicht feindliche Kugeln waren.“

„Nicht feindliche Kugeln?“

„Die Kugel eines Meuchelmörders aus den Reihen der Schweden selbst, die sich gegen den König verschworen hatten!“

„Und wer, wer sollte …?“

„Kavaliere aus der Nähe des Königs, seine intimsten Vertrauten, die ihm im Herzen grollten wegen seiner unersättlichen Kriegslust und weil er die Herrschaft nicht mit den Ständen teilen wollte.“

„Womit er nur recht hatte! Und deshalb ermordet?“

„Ja, Sire! So unglaublich es klingt, es ist die Wahrheit! Aber hören Majestät nur weiter, was aus Frankreich für Nachricht kommt! Der Herzog von Maine und die Herzogin sind verhaftet worden, weil sie sich der Person des Regenten bemächtigen wollten. Der spanische Gesandte, Graf Cellamare, war mit im Komplott, in seinem Hause tagten die Verschwörer.“

„So wühlt überall der Verrat?! Recht, recht! Man muß sich die Bösewichter beizeiten vom Hals schaffen! Meinetwegen – so geh’ Er nach dem Haag, wenn Er glaubt, mir dort am besten dienen zu können, doch halt Er mich auf dem Laufenden. Er wird mir fehlen – hab’ mich gewöhnt, mit Ihm zu plaudern – warum weiß Er alles eher als meine Generale und Staatsgelehrten? Warum erfahre ich alles zuletzt?“

„Die sitzen hoch zu Pferde, Sire! Ich aber liege auf der Erde und lausche, wenn sie zu dröhnen anfängt von den Rossehufen der nahenden Feinde.“

„Hör’ Er, ich bin Ihm Dank schuldig und rechne auf fernere Dienste. So werd’ ich Ihm sofort zehntausend Thaler anweisen lassen.“

„Ich danke, Sire! Ich lehne das Geschenk ehrfurchtsvoll ab. Wenn auch meine Güter in Ungarn noch nicht alle freigegeben sind –“

„Doch man sagte mir, daß Er Schulden hätte.“

„Ungeduldige Gläubiger lasse ich warten! Denn ich habe meine Ressourcen, Sire, und ich lasse mir nicht bezahlen, was ich um der guten Sache willen thue.“

Friedrich Wilhelm war nie überzeugter als in diesem Augenblick, daß er ein preisgegebenes Wild sei, auf welches aller Orten die Jäger lauerten – dieser Clement war ein durchaus uneigennütziger Mann, wie selten einer! Aber wenn er sich auch über den braven Kerl freute – um so größer war sein Zorn über die Verräter, vor denen er ihn gewarnt hatte. Er entließ ihn in Gnaden und war mit sich selbst einig, daß er ihn bald zurückrufen werde.

Schon am nächsten Morgen reiste Clement nach dem Haag ab.

[826] Von Tag zu Tag wurde der König verschlossener: jetzt, wo der einzige fehlte, gegen den er sich aussprechen konnte; seine Laune wurde immer unerträglicher. Grumbkow beugte sich knirschend unter den unverständlichen Zorn seines Herrn, aber Fürst Leopold von Dessau, der schon in seiner Jugend mit dem König auf kameradschaftlichem Fuße stand, ein Feuerkopf, den alles leicht erbitterte und verletzte, wollte sich diese offenbaren Zeichen des Mißtrauens und der Ungnade nicht länger gefallen lassen.

Eines Tags, als der König sich in sein Gemach zurückgezogen hatte, folgte ihm der Dessauer auf dem Fuße und trat unangemeldet und rücksichtslos ins Kabinett zu ihm. Der König sah sich allein mit ihm, dem er das Schlimmste zutraute, und griff nach seinem Degen; er war gefaßt darauf, sich gegen einen Mörder zur Wehr setzen zu müssen. Bei dieser Bewegung trat Leopold erschrocken zurück, riß seinen Degen von der Seite und warf ihn weit von sich weg.

„Das kostbare Leben Eurer Majestät zu bedrohen, bin ich weit entfernt; ich komme zu bitten, daß Sie es uns allen erhalten mögen! Ich sehe, daß ein geheimer Gram seit einiger Zeit Ihnen am Herzen nagt und daß auch ich mit anderen Augen als sonst angesehen werde. Woher kommt das? Ich fühle mich frei von jeder Schuld. Haben Sie aber einen Verdacht gegen mich, so unterwerfe ich mich willig jeder Untersuchung. Ja, ich entkleide mich meines Reichsfürstenstandes und will bloß als Unterthan behandelt werden; habe ich mich gegen Euer Majestät vergangen, so stehe mein Kopf dafür ein!“

Diese leidenschaftlichen Worte, der Ausdruck innerster Ueberzeugung, der Ausbruch eines warmen Gefühls versetzten den König in heftige Bewegung. Eine Zeitlang stand er schwankend und unschlüssig, innerlich kämpfend, nach Atem ringend; dann erwachte in ihm die alte Zuneigung zu dem Jugendfreund, er fiel ihm um den Hals, sah ihn starr an und fragte mißmutig: „Sprecht’, ist es denn wahr? Darf ich Euch trauen?“

„Das dürfen Euer Majestät,“ rief Leopold, indem er sich dem Könige zu Füßen warf, „mein Leben hab’ ich Ihrem Dienste geweiht, mein Blut will ich zum Zeugnis dafür hergeben!“

Der König hob ihn auf und schloß ihn noch einmal warm ans Herz. „Wohl denn, ich will Euch trauen! Hört mich an und sagt dann selbst, ob mir nicht genug Ursache zum Verdacht gegeben worden ist. Der Ungar, von Clement, bisher in den feindlichen Kabinetten von Wien und Dresden beschäftigt, doch jetzt ihnen untreu geworden aus Fürsorge für mein Wohl, für meine Person und Krone, hat mir Briefe gezeigt, in denen von allerlei Anschlägen wider mich die Rede ist. Darunter befinden sich Briefe des Prinzen Eugen, die Euch als Mitwisser nennen!“

„Schwerenot!“ rief der Dessauer, „das ist infam.“

„Man will mich gelegentlich mit Eurer guten Hilfe aufheben, den Kronprinzen auch, und diesen katholisch erziehen lassen!“

„Prinz Eugen von Savoyen,“ sagte der Dessauer, „mein alter Waffenfreund, mag dies oder jenes gegen uns auf dem Herzen haben; doch das wird er ausfechten in offenem Waffengange. Niemals würde er sich zu solchen Betrügereien und Hinterlisten hergeben, niemals kann er jene Briefe geschrieben haben. Und wie konnten Sie glauben, Majestät – pardon, doch das platzt so heraus! –, daß ein bewährter Feldherr wie ein Strauchdieb und Straßenräuber sich in den Hinterhalt legen würde?“

„Nun, dergleichen geht ja jetzt vor in Schweden und Frankreich,“ versetzte der König, „man muß ja alle Tage sich an den Kopf fühlen, ob er noch auf den Schultern sitzt!“

„Schwerenot,“ rief Leopold, der im Tabakskollegium gewohnt war, sein Lieblingswort auch dem König gegenüber nicht zu verschlucken, „dieser Clement muß ein abgefeimter Betrüger, ein vollkommener Schurke sein, daß er solche Dinge zu behaupten und falsche Zeugnisse zu schmieden wagt! Lassen Sie mich verhaften, Sire! Ich will so lange in Haft bleiben, bis der Elende, der mich so schmachvoll angeklagt hat, mir gegenüber steht. Man wird seiner doch habhaft werden können!“

„Er wird von selbst wiederkommen,“ meinte der König. „Dann mögt Ihr für seine Verhaftung sorgen!“

„Wir müssen seiner habhaft werden um jeden Preis!“ versetzte der Dessauer. „Legen Sie die Angelegenheit in meine Hand und unterstützen Sie mich durch ein Schreiben an den Betrüger!“

Der König fühlte sich in einer eigentümlichen Stimmung: erleichtert von der Beklommenheit, die ihn gepeinigt hatte, und doch wieder von leisen Zweifeln bewegt, indem er sich das Bild dieses Clement zurückrief, der ihm so vertrauenswürdig in seinem edlen offenen Wesen erschienen war und noch immer erschien. Doch der Würfel war einmal gefallen und der Dessauer erhielt freie Hand.

Der Domprediger Jablonski, als die unverdächtigste Persönlichkeit, mußte nach dem Haag reisen unter dem Vorwande, dort ein Werk über die reformierte Kirche veröffentlichen zu wollen. Er suchte Clement auf und teilte ihm mit, daß der König großes Verlangen habe, ihn wiederzusehen; er wünsche ihn dringend über Dinge zu sprechen, die sich schriftlich nicht erledigen ließen; nachher solle seiner Abreise nichts im Wege stehen. Nicht lange darauf kam der Major Dumontin, welcher als ein entschlossener Offizier dem Domprediger beigegeben worden war, zu Clement mit einem Briefe des Königs, in welchem dieser ihn einlud, sofort zurückzukommen, und wenn er sich nicht solange von seinen Geschäften in den Niederlanden trennen könne, wolle der König ihm bis Cleve entgegenreisen. Clement machte nicht die geringsten Schwierigkeiten und erschien wieder in Berlin.

Diesmal empfing ihn der König in seinem Kabinett, hinter einem Vorhang lauschte der Dessauer. Friedrich Wilhelm war wieder schwankend geworden – so bereitwillig, so ohne Zögern war der Ungar seiner Einladung gefolgt! Hätte er ein böses Gewissen, so wäre er doch draußen in voller Sicherheit geblieben! Und Clement benahm sich mit der größten Unbefangenheit und Treuherzigkeit!

„Es scheint doch nicht ganz richtig zu sein mit Seinen Angaben,“ sagte der König; „von einer Unternehmung des Wiener Hofes verlautet noch immer nichts!“

„Die Kabinette,“ versetzte Clement, „behalten ihre Trümpfe oft lange in der Hinterhand, das wissen Euer Majestät so gut wie ich. Doch ich habe Ihnen, Sire, ja die Urkunden vorgelegt!“

„Zeig’ Er mir sie noch einmal,“ sagte der König, „ich will sie noch einmal prüfen.“

„Ich habe die Schriften im Haag zurückgelassen bei einem Bekannten, den ich verpflichtete, sie niemand als mir auszuliefern; doch wenn Sie befehlen, werde ich sie selbst wieder herholen.“

Der König zögerte. „Die Wahrheit muß ans Licht kommen. So reis’ Er denn! Doch ich gebe Ihm einen Begleiter mit!“

Clement verbeugte sich und verließ das Kabinett des Königs.

Er war kaum hinaus, da trat Fürst Leopold zornglühend hinter dem Vorhang hervor. „Schwerenot! Majestät lassen den Halunken wieder entwischen! Halten Sie ihn fest, das sind Sie mir schuldig, Sire! Sie greifen doch sonst gehörig zu – warum diese Sammetpfötchen bei einem solchen Subjekt?“

„Nur Geduld, Vetter! Mißtrauen darf man ihm nicht zeigen, sonst ist unser Spiel verloren. Und ohne die Briefe können wir nichts anfangen. Gewiß – Ihr seid unschuldig! Aber warum sollte es nicht andere Verräter in meiner Umgebung geben? Aus den Fingern hat sich der Clement das alles gewiß nicht gesogen. Er hat einige falsche Angaben eingeschmuggelt; doch wenn wir die andern zusammenziehen, kann’s noch eine Summe zum Erschrecken geben!“

Leopold verließ den König betroffen und achselzuckend.

„Der Clement hat die schwarze Magie im Leibe,“ sagte er zu Grumbkow, „er hat den König verhext!“


Im Pavillon der Frau von Blasspiel strahlte eine Ampel, die einen farbigen Schein in den dämmernden Raum warf. Ungeduldig ging die Hofdame auf und ab – ihr Herz klopfte heftig [827] unter der leichten Hülle, die sie hier an Stelle des schweren Hofkleides trug. Sie lauschte, ob nicht irgend ein Schritt draußen auf dem knirschenden Kies vernehmbar werde.

Endlich kam Clement. Charlotte rief: „So hab’ ich dich wieder!“ und schloß ihn mit glühender Leidenschaft ans Herz.

„Wenn ich zurückgekehrt bin in die Höhle des Löwen,“ sagte Clement, „so trägt dein Zauber die Schuld – ich fange an, seine Tatzen zu spüren! Man hat ihn gegen mich aufgehetzt, doch ich habe glücklicherweise einen magnetischen Blick, der das Untier im Bann hält.“

„Und Eure Waffen sind indessen hier geschmiedet worden,“ versetzte die Hofdame, indem sie einen Schlüssel aus dem Busen nahm und einen Wandschrank öffnete, der unkenntlich in die Mauer eingefügt war, „dieser Stoß Papiere hier kommt von Heidekamm, dieser von Bube, dieser von Lehmann – allerlei Staatsgeheimnisse und genug Handschriften, um den Teufel an die Wand zu malen!“

Clement griff hastig nach den Papieren und begann, sie mit kundigem Blick zu durchfliegen. Aber die toten Buchstaben tanzten bald vor seinen Augen, jetzt wo die lebensvolle Schönheit an seiner Seite stand, in den junonischen Augen das Feuer der Leidenschaft.

„Ich habe für dich gekämpft,“ sagte sie, „denn es ging hier hart her in deiner Abwesenheit! Daß dieser Leopold von Dessau mit seiner bärbeißigen Offenherzigkeit ein gefährlicher Jntriguant ist, das weiß ich jetzt mit Bestimmtheit, denn ich kann selbst ein Liedlein davon singen. Kaum warst du fort, so erkrankte der König in Brandenburg, wo er gerade Truppenschau hielt; die Krankheit schien ernst und schwer zu sein; die Königin wurde hinberufen und ich war die einzige Dame, die sie als Begleiterin mitnahm. Sobald sie angekommen war, händigte er ihr ein versiegeltes Paket ein, in dem, wie er sagte, sein Testament enthalten sei, das sie zur Regentin aller seiner Länder ernenne; sie solle die Sache geheim halten, damit nicht diejenigen, die er von der Regentschaft ausgeschlossen habe, ihn beunruhigten, damit er in Frieden sterben könne. Doch Fürst Leopold und Grumbkow hatten Kunde davon erhalten und erschienen in Brandenburg – o, sie waren sehr liebenswürdig gegen mich und boten mir eine große Summe an, wenn ich die Königin bewegen würde, daß sie die hohen Herren in den Regentschaftsrat aufnähme; sie kannten meinen Einfluß auf die Königin und wollten ihn nützen, wenn sie mich auch haßten von Herzensgrund! Ich wies ihr Geld zurück, sagte ihnen einige Schmeicheleien, hinter denen sie wohl ein leises Hohngelächter bemerkt haben werden; ich machte der Königin Mitteilung und diese erzählte alles dem König. Als aber die edlen Genossen sich zum König drängen wollten, da empfing sie die Königin und bedeutete sie, der König sei jetzt nicht für sie zu sprechen und sähe es am liebsten, wenn sie Brandenburg sofort verließen – o, die Königin hat einen Stolz – vor dem werden sie alle klein! Der König, mit dem es sehr schlecht zu stehen schien, wandte sich inzwischen an einen Regimentsmedikus, der die Sache energisch angriff und ihn durch eine wahre Pferdekur wieder herstellte.“

„Nun, und die beiden Waffenbrüder?“

„Sind wieder ein Herz und eine Seele mit ihm. Dieser König ist ein Schwächling, ein schwankes Rohr, der sich als Tyrann drapiert, damit man das windelweiche Unterfutter nicht merkt.“

„So verzweifl’ ich noch nicht! Was ich in den Briefen festgehalten habe, das sind Aeußerungen des Prinzen Eugen und der andern, ich habe in Buchstaben dem flüchtigen Wort Dauer gegeben. Morgen früh muß ich fort – doch ich kenne die Furcht nicht! Wir sehen uns wieder – und jetzt bis zum Abschied keine Politik mehr, das ist ein unselig Handwerk – selig macht nur, was Herz zu Herzen zieht – die Liebe!“


Wochen vergingen – Clement besorgte im Haag seine diplomatischen Geschäfte. Major Dumontin, der ihn von Berlin herbegleitet hatte, ließ ihn gewähren, doch mahnte er zuletzt an die Rückkehr. Clement sträubte sich durchaus nicht, packte sorgfältig die beweiskräftigen Briefe und Akten zusammen, die er durch einige neue vermehrt hatte: Heidekamm, Lehmann und Bube hatten ihn ja mit Schreibmustern versehen, die er sorgfältig kopierte.

Nun trat er mit Major Dumontin die Rückreise an, leichten Sinnes, wie es schien, doch nicht ganz ohne Bedenken. Als sie in Cleve auf preußischem Boden angekommen waren, schien er sich eines andern zu besinnen, er erklärte dem Major, daß er noch einige Papiere im Haag vergessen habe und noch einmal dorthin zurückkehren müsse, um sie zu holen. Mochte dies wirklich der Fall oder nur ein Vorwand sein – der Major, welcher zwar den Befehl erhalten hatte, kein Mißtrauen zu zeigen, und im Haag danach verfahren war, glaubte jetzt, dieser Order nicht weiter Folge leisten zu müssen, er nahm eine strenge Miene an, verbot die Rückreise, und Clement, so gefügig er sich auch wieder zeigte, hatte doch jetzt das Gefühl, daß er wie ein Gefangener behandelt werde.

In Berlin angekommen, wurde er beim Minister von Marschall zu Tisch eingeladen; doch er war noch nicht beim Dessert angekommen, als der Minister sich erhob, Clement für verhaftet erklärte und ins Gefängnis abführen ließ. Während seiner Abwesenheit hatten Fürst Leopold und Grumbkow den König wieder ganz in ihre Gewalt bekommen; auch daß es stille war von all den Plänen und Anschlägen gegen ihn, daß auch kein leises verdächtiges Zeichen auf eine von Wien und Dresden aus gegen ihn gerichtete Verräterei hinwies, kam ihnen zu Hilfe.

Leopold verlangte die strengste Untersuchung, mit welcher der Generalauditeur von Katsch beauftragt wurde, einer der strengsten und gefürchtetsten, aber auch ungerechtesten Richter, welcher kein anderes Ziel kannte, als die Angeklagten schuldig zu finden, und unermüdlich darin war, ihnen eine Falle zu stellen. Er verhörte Clement noch am Tage seiner Verhaftung in der Hausvogtei in Spandau. Dem Verhör wohnte der König bei, und merkwürdigerweise schwand währenddessen sein Groll gegen den Angeklagten, der sich aufs gewandteste und freimütigste verteidigte und immer wieder auf die schriftlichen Urkunden hinwies, deren Unechtheit zu beweisen selbst ein so strenger Untersuchungsrichter wie Herr von Katsch nicht imstande war. Der König wollte schon befehlen, daß der Angeklagte wieder freigelassen werde; doch Herr von Katsch, der seine Opfer krampfhaft festhielt, setzte sich mit großer Entschiedenheit zur Wehr.

„Noch giebt es Mittel, Geständnisse zu erzwingen! Die Justiz ist noch nicht bankerott! Sire – erlauben Sie mir, beim nächsten Verhör diese starken Mittel anzuwenden!“

Der König gab mißvergnügt seine Zustimmung, und beim nächsten Verhör erschienen unholde Gesellen, die Henker mit ihren Marterinstrumenten, mit Peitsche und Daumenschrauben, mit der pommerschen Mütze und dem gespickten Hasen, und, wie’s Brauch war, übernahm es der oberste dieser Justizgehilfen, dem Jnkulpaten die Bedeutung jedes Marterwerkzeugs auseinanderzusetzen und seine Gebrauchsanweisung zu geben. Clement war mutig genug, dem Tode ins Auge zu sehen, aber schon vor dem Bilde dieser körperlichen Martern schreckten seine Nerven zurück; er warf sich dem Könige zu Füßen und bekannte, er habe die Briefe selbst geschrieben, das ganze Komplott sei seine Erfindung gewesen; er flehte den König an, ihn nicht den fremden Höfen auszuliefern.

Doch nicht einmal dieses eigne Geständnis überzeugte den König von Clements Schuld. Die Furcht vor der Folter konnte es erpreßt haben, und dann – warum sollte er sich vor den fremden Höfen fürchten, wenn er nicht die Geheimnisse derselben ausgeplaudert hätte? Und wenn er sie ausplauderte, war es nicht ein Dienst, den er dem Könige leistete? Und so kam immer wieder das Gefühl des Königs ins Schwanken, und leise Regungen zu Gunsten des Angeklagten verwirrten stets von neuem sein Urteil. So bei einem anderen Verhör, wo Clement bekannte, er habe alles nur gethan, um sich eine Summe Geldes zu verdienen, mit der er sich zurückziehen und ein ruhiges Leben beginnen wollte. Wußte der König nicht, daß er damals die angebotene Summe von 10 000 Thalern zurückgewiesen hatte? Und wenn er jetzt so gegen sich selbst zeugte und sich der Habsucht anklagte, war dies nicht eine offenbare Lüge?

Wieder erschienen im Verlaufe der Untersuchung die Henkersknechte, als es galt, durch ein Geständnis Clements seine Mitschuldigen zu erfahren. Doch dazu bedurfte es der Daumenschrauben nicht und nicht des gespickten Hasen – Clement zögerte [828] keinen Augenblick, den Herrn von Heidekamm, den Residenten Lehmann und den Sekretär Bube preiszugeben. Genossen im Unglück zu haben, ist ja eine stille Genugthuung. Doch diese Bereitwilligkeit des Delinquenten hatte zur Folge, daß über Berlin eine Schreckensherrschaft heraufbeschworen wurde.

Der König geriet in hochlodernden Zorn über die Untreue seiner Beamten; morsch und angefressen erschien ihm der ganze Staat, alle, die höchsten wie die geringsten, verdächtig. Heidekamm und Lehmann hatten Angaben gemacht, durch welche viele angesehene Würdenträger, Hofherren und Edelleute schwer beschuldigt wurden. Jetzt ging der König ans Werk, das ganze Nest auszuheben. Wie der Sturmwind, der an den Dächern und Fenstern rüttelt, fegte des Königs Zorn durch Berlin. Es war einer der unheimlichsten Tage, die Berlin je erlebte; der König ließ alle Thore schließen; selbst die Bauern, die in die Stadt gekommen waren, um ihr Getreide zu verkaufen, durften nicht wieder hinaus.

Patrouillen durchzogen bei Tag und Nacht die Straßen; einmal stellte sich der König selbst an die Spitze und leitete eine Haussuchung und Verhaftung. Personen, die bis vor kurzem noch an des Königs Tafel gespeist hatten, mußten nach Spandau wandern, wo die Kasematten sich überfüllten.

Ein Tag des Zorns! Nur wenn er mit durch die Straßen patrouillierte, konnte der König dem Ingrimm, der ihn zu ersticken drohte, Luft machen; jedes Opfer, das seine Soldaten packten, war ihm wie eine Herzenserleichterung.

Indessen wirkten auch die stillen, staatsrettenden Mächte mit besonderem Eifer: die Geheimräte des schwarzen Kabinetts, das unter Herrn von Katsch stand, waren in fieberhafter Thätigkeit; alle Briefe, die ins Ausland gingen, wurden erbrochen, so auch ein Brief der Frau von Blasspiel an den sächsischen Minister Flemming. Das war ein köstlicher Fund für den Dessauer; damit konnte er seine Feindin vernichten. Er verabredete mit Katsch, daß dieser den Brief dem Könige überbringen solle, während der Fürst zugegen war. Und so geschah’s! Der Brief mit den energischen Schriftzügen der schönen Dame hatte einen ebenso energischen Inhalt: sie beschwerte sich über das grausame und tyrannische Verfahren gegenüber Clement und beklagte das Geschick derjenigen, welche jetzt leben mußten, wo die Zeiten Neros und Caligulas zurückgekehrt seien. Der König fuhr auf wie von einer Natter gestochen.

„Ruft mir das Weib her, sogleich! Sie soll nicht erst Toilette machen, ich werde schon dafür sorgen, daß sie ordentlich angekleidet wird, wie die Gevatterinnen im Spinnhaus!“

Und Frau von Blasspiel erschien, stolz und hoheitsvoll wie immer, und sah mit verächtlichem Blick auf den Dessauer und Grumbkow.

„Habt Ihr das geschrieben?“ rief der König, indem er ihr den Brief an Flemming zeigte.

„Ja, Majestät!“

„Ich wundere mich, daß man in den Gemächern der Königin das Erröten verlernt hat!“

„Ich erröte nicht, die Wahrheit zu sagen. Ihr Verfahren gegen Clement, Majestät, ist grausam und despotisch, würdig der Ratgeber an Ihrer Seite. Fürchten Sie die Verräter, die Ihnen und dem Kronprinzen nach dem Leben trachten; man will Sie beide während der Vorstellung der Seiltänzergesellschaft, deren Leistungen so oft den künstlerischen Sinn Eurer Majestät entzückte, aus dem Wege räumen; im Theater und im Schloß soll gleichzeitig eine Feuersbrunst angelegt, der Markgraf von Schwedt auf den Thron gesetzt werden. Der Fürst Leopold behauptet, der Armee sicher zu sein.“

Der König erblaßte – wiederum das alte Märchen, und diese gefährliche Schlange umzüngelte ihn jetzt, nachdem er die andere kaum abgeschüttelt! Fürst Leopold ballte die Faust gegen das Weib, aller Galanterie vergessend. Doch Katsch trat vor mit strenger Miene: „Beweise, Beweise!“

„Für so schändliche Verleumdung!“ rief Grumbkow.

„Juristische Beweise verlange ich,“ sagte Katsch, „sonst sollen Sie Ihre Lügen eingestehen! Sie sind reif für die Folter, Madame!“

„Gewiß, Nero und Caligula hatten ihre Henkersknechte stets zur Hand!“

Da schoß das Blut dem Könige ins Gesicht – purpurrot, ein fast schreckhafter Anblick. Er erhob die Hand wie zum Schlag – langsam ließ er sie sinken.

Frau von Blasspiel wurde sogleich nach Spandau abgeführt.

Und doch war des Königs Glaube an Clements Schuld durch ihre Mitteilungen wiederum erschüttert worden. Er wollte um jeden Preis Klarheit haben. Er hatte schon früher ein Kabinettsschreiben an den Prinzen Eugen geschickt, in welchem er ihn von den Beschuldigungen unterrichtete, die gegen ihn vorgebracht worden waren. Zwar wurde erklärt, daß man denselben nicht glaube, doch schien dies mehr eine Höflichkeitswendung zu sein; der Ton des Schreibens war sehr herausfordernd. Auch an den König August von Sachsen-Polen war ein solches Schreiben ergangen und ihm bedeutet worden, daß er sich anderer Organe als der bisherigen bedienen müsse, wenn er mit dem König von Preußen verhandeln wolle. Jetzt schickte Friedrich Wilhelm seinen Adjutanten von Brock nach Dresden und Wien, um Klarheit in diese unselig verwirrte Angelegenheit zu bringen. An beiden Orten wurde die Anklage entschieden zurückgewiesen.

Prinz Eugen erklärte, er stehe an der Spitze des kaiserlichen Kriegsheeres, doch mit Banditen habe er nichts zu schaffen. Es sei wahr, Clement habe eine Zeitlang in seinen Diensten gestanden, aber er habe nie einen Brief an ihn geschrieben, die Handschrift sei gefälscht. Und ähnlich lautete der Dresdner Bescheid. Der König mußte begütigende Schreiben an beide Höfe richten, in denen allerdings wiederum auch nur zu seiner Entschuldigung die Wahrscheinlichkeit der ihm gemachten Mitteilungen hervorgehoben wurde.

Doch merkwürdigerweise war er selber noch immer nicht überzeugt: er verfiel bisweilen wieder in seine früheren Zweifel. Da griff der ungerechte Richter aufs neue zu seinem Gewaltmittel, der Folter, mit welcher er auch so galant gewesen war, die Frau von Blasspiel zu bedrohen: Clement sollte in Gegenwart des Königs dessen Handschrift kopieren, und wenn er dabei nicht seine ganze Kunst aufbot, so sollten die Henker ihm etwas zu Hilfe kommen. Doch Clement zögerte nicht, von seiner Geschicklichkeit eine glänzende Probe zu geben. Der König war aufs äußerste überrascht, als er die Handschrift Clements von der seinigen gar nicht zu unterscheiden vermochte. –

Die Untersuchung nahm ihren Fortgang. Das Gericht mußte den ungarischen Edelmann nach seinem eigenen Geständnis als Staatsverbrecher zum Tode verurteilen. Der König wollte ihn begnadigen; er sei ein Ausländer, nicht wie die anderen in seinen Diensten gewesen. Der Fürst Leopold und Grumbkow erklärten, daß der Kaiser von Oesterreich und der König von Polen mit Recht eine volle Satisfaktion verlangten, und so stand der König ab von seinem Vorhaben.

Doch eine unerklärliche Sympathie zog ihn immer wieder zu dem nunmehr verurteilten Verbrecher. Und so begab sich das merkwürdige Schauspiel, daß er alle Tage nach Spandau zu einem Plauderstündchen mit ihm fuhr und sich von ihm allerlei aus seinem bewegten Leben erzählen ließ. Clement, obschon dicht vor einem schmachvollen Tode stehend, hatte nichts von seiner bestrickenden Liebenswürdigkeit verloren und wie einem guten Kameraden teilte er dem König aus dem Schatze seiner Erinnerungen allerlei Wichtiges und Ergötzliches mit.

Der König war dankbar dafür und sagte ihm mit aufrichtigem Bedauern: „Könnte ich Euch retten, so machte ich Euch zum Geheimen Rat; so aber muß ich Euch rädern lassen!“

Doch er milderte das Urteil und ließ es beim Galgen bewenden. Lange schob er die Vollstreckung hinaus, als könnte noch irgend etwas dazwischen kommen, was dem Delinquenten Rettung brächte, doch er mußte dem Drängen seiner Umgebung nachgeben, und so wurde am 18. April 1720 das Urteil an Clement vollzogen.

Heidekamm wurde auf dem Neumarkt schimpflich des Adels entsetzt, Lehmann vor dem Spandauer Thore hingerichtet. Bube hatte sich im Gefängnis selbst ums Leben gebracht und die Blasspiel saß im Spinnhause. Clement wurde auf dem Armensünderkarren an das Spandauer Thor gefahren und unterwegs mit glühenden Zangen gezwickt, eine Verschärfung der Strafe, welche des Königs Gnade nicht beseitigt hatte. Doch kein Schrei des Schmerzes kam von seinen Lippen bei diesen zerfleischenden Brandwunden; er [829] hatte noch die Kraft, unter dem Galgen zum Volke zu sprechen, eine Vergünstigung, die ihm gewährt worden war. „Eine so harte Strafe,“ sagte er, „verdiene ich nicht; denn ich habe nur das gethan, was Minister und andere Staatsbeamte täglich ungestraft ausüben. Dennoch bin ich ein großer Sünder und habe Gott für mein Unglück zu danken; ich halte deshalb die sechzehn Monde, die ich im Gefängnis in Spandau zubrachte, für die schönste Zeit meines Lebens, da ich dort von so großen Irrungen zur rechten Erkenntnis zurückgeführt worden bin!“ –

Ueber allen diesen Vorgängen schwebt noch heute ein dichter Schleier; des Königs rätselhafte Zuneigung und sein ebenso rätselhaftes Schwanken läßt sich nur aus der ganzen Lage der Zeit und der Unklarheit der politischen Verhältnisse erklären. Clement, ein junger Mann von Kopf und feurigem Ehrgeiz, der in der Welt eine Rolle spielen wollte und schon sehr früh in viele Geheimnisse der Kabinette eingeweiht war, der die ganze Verworfenheit der damaligen Politik, welcher ein jedes Mittel zur Erreichung ihrer Zwecke recht war, kannte und teilte, hatte seine verräterischen Enthüllungen gewiß nicht ganz aus der Luft gegriffen, aber er hatte gelegentliche Aeußerungen der Gegner des preußischen Königs in nachgemachten Schriftstücken festgehalten und dunkle Absichten, welche in den Köpfen seiner nächsten Umgebung spukten, zu verraten gesucht. Und wenn er mit einer ruchlosen Doppelzüngigkeit in Wien und Dresden gegen Preußen hetzte, während er in Preußen wiederum durch halb erdichtete Enthüllungen die Feindseligkeit gegen Sachsen und Oesterreich schürte, so that er dies nicht bloß aus Großmannssucht und Freude an diplomatischen Verwicklungen, deren Fäden er in der Hand hielt. Er stand im Dienste einer weitschauenden Politik seines ersten Brotherrn, des Fürsten Ragoczy, und des spanischen Ministers Alberoni, und wünschte Oesterreich in Zwiespalt zu setzen mit Preußen, wenn es ging, diese ganz zu entzweien, damit die Pläne jener beiden in Italien desto ungestörter zum Siege geführt würden.