Friede im Hause und Revolution in der Glashütte

Textdaten
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Autor: Carus Sterne
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Titel: Friede im Hause und Revolution in der Glashütte
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 450-452
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Noch einmal das Hartglas
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Friede im Hause und Revolution in der Glashütte.

„Das Glas hat eigentlich nur einen einzigen Fehler,“ seufzte unser Freund, ein alter Junggesell, als wir an einem nachwinterlichen Märztage zu Dreien hinter der zwei Meter hohen Spiegelscheibe einer behaglich warmen Conditorei saßen und wohlgeschützt dem Unwetter und Schneetreiben auf der Straße zuschauen konnten, „den großen Fehler, daß es so spröde ist wie die jungen Mädchen, und diese Unart nicht einmal, wie diese doch zuweilen thun sollen, im Alter ablegt. Denkt Euch, gestern ist einer von meinen schönen, prächtigen, alten Humpen –“

„Den Weg alles Glases in den Müllkasten gewandert,“ ergänzte sein Nachbar, der Oberlehrer, als er sah, daß dem Liebhaber um sein schönstes Stück die Augen feucht wurden, „nun, Sie werden gehört haben, daß man diese Unart auch dem Glase künftig abgewöhnen wird und daß es mit den schönen Sprüchwörtern: ‚Glück und Glas‘ – ‚Wer in einem Glashause sitzt‘ und wie sie sonst noch heißen mögen, Matthäi am Letzten steht.“

„Ich habe es gelesen, glaube aber nicht daran,“ sagte der Liebhaber mißmuthig.

„Ich sehe keine Veranlassung zum Zweifel,“ erwiderte der Schulmeister, „und übrigens ist das durchaus keine neue, sondern eine ganz alte Entdeckung, die man bereits in den ersten Jahrzehnten unserer Zeitrechnuung gemacht hat. Plinius erzählt im vorletzten Buche seiner Naturgeschichte, daß zur Zeit des Kaisers Tiberius ein römischer Künstler erfunden habe, biegsames Glas zu machen, daß man aber seine Werkstätte zerstört habe, damit einem so fehlerfreien und vollkommenen Material gegenüber nicht Gold, Silber und Kupfer ihren Werth verlieren möchten. Petronius, der Vertraute Nero’s, berichtet, daß der Künstler mit einer aus feinem neuen Glase gefertigten Vase vor dem Kaiser (Tiberius) erschienen sei, um sie ihm als Geschenk zu bieten, und daß er sie in dem Augenblicke, wo dieser sie habe fassen wollen, auf den Estrich geworfen habe. Der Kaiser sei äußerst erschreckt zurückgetreten, als der Künstler die Vase aufgehoben und ihm gezeigt, daß sie nur eine kleine Beule davongetragen, welche er mit einem in seinen Gürtel mitgebrachten Hämmerchen sogleich wieder beseitigt habe. Der Künstler, fügt Petronius hinzu, glaubte den Olymp sich ihm öffnen zu sehen, als der Kaiser ihn frug, ob noch ein Anderer um das Geheimniß, solches Glas zu machen, wisse, aber als er dies verneinte, ließ er ihn enthaupten, unter dem Vorwande, daß eine solche Kunst schädlich sei, weil sie das Gold entwerthen würde. Der wahre Grund, meine ich, könnte wohl nur gewesen sein, daß Tiberius der Einzige sein wollte, welcher ein solches Gefäß besäße, nach Dio Cassius wäre es aber vielmehr Mißtrauen und Furcht gegen einen so geschickten Menschen gewesen, welche den Kaiser zu dieser schändlichen That veranlaßt hätten. Nach dieser dritten Lesart hätte der Kaiser den Künstler früher, als er einen gesunkenen Säulengang in Rom mit bewunderungswürdigem Geschick gehoben, reich beschenkt, aber aus Rom, wo er so erfindungsreiche Künstler nicht haben wollte, verbannt. Allein dieser, welcher den Beweggrund der Ungnade nicht recht eingesehen haben mußte, sei wieder vor dem Kaiser erschienen und habe ein vor seinen Augen am Boden zerschmettertes Glasgefäß mit den Händen wieder zusammengefügt, um durch diese Kunstfertigkeit die Huld des Tyrannen wieder zu gewinnen. Der Kaiser aber konnte hierin nur den Beweis finden, daß der Mann wirklich gefährlich sei, und ließ ihn tödten. Es scheint mir zweifellos, daß den Erzählungen eine Thatsache zu Grunde liegen muß.“

„Wenn die Sache sich so verhält,“ nahm unser Junggesell, das Wort, „so bin ich noch fester von der alten, wie von der neuen Erfindung überzeugt, denn in Glaskünsteleien waren die Alten uns in der That weit überlegen. Im Alterthume wurden aber solche Künsteleien auch bezahlt. Gewiß haben die Alten nicht so schöne Spiegelscheiben gemacht, wie die, hinter der wir hier sitzen, weil die Witterung im Süden weniger dazu nöthigte, aber man leistete in anderer Beziehung Staunenswürdiges, goß Glassäulen für Tempelhallen, und in dem berühmten Theater des Aedilen Scaurus war ein Stockwerk ganz aus Glas gebaut. Was meinen Sie dazu,“ wandte er sich an mich, „sollte man es nicht durch eine besondere chemische Mischung dahin bringen, Glas so elastisch und biegsam wie Glimmer und Marienglas zu machen?“

„Ich halte die Angaben für gar nicht so unglaublich,“ entgegnete ich, „denn am Ende beweisen ja doch die Schmuckfedern, Blumen, Quasten und Perrücken, welche man aus gesponnenem Glase anfertigt, wie sehr elastisch dieses Material sein kann.“

„Ganz recht,“ warf der Kunstfreund ein, „aber diese Glasfäden sind trotz ihrer Dünnheit keineswegs vollkommen elastisch und brechen sehr leicht, wenn man sie stark zusammenbiegt.“

„Gerade wie auch die Damascener Stahlklingen zuletzt brechen, während der gar nicht elastische Zinnstab zwar ‚schreit‘ wenn man ihn biegt, aber nicht bricht,“ erwiderte ich. Auch macht man jetzt Gespinnste aus Glasfäden, die vollkommen weich und nur zerreißbar, aber nicht zerbrechlich sind. Man erzeugt das Glasgespinnst, wie Sie wohl wissen werden, indem man ein Stäbchen von gefärbtem oder ungefärbtem Glase in einer Gebläselampe anschmilzt, die Spitze wie Siegellack zu einem Faden auszieht und diesen auf die Umfangsrinne eines großen Spinnrades bringt, welches so schnell, wie nur immer möglich, gedreht wird. Es spult sich dort ein endloser, so lange der Stab in der Flamme bleibt, beinahe niemals reißender Faden auf. Ein österreichischer Glaskünstler, Julius von Brunfaut, fand vor einer Reihe von Jahren, daß eine besondere Glassorte hierbei nicht den gewöhnlichen, starren, haarartigen Glasfaden gab, sondern ein unendlich feineres Gespinnst, welches, von dem Rande des Spinnrades entfernt, sich sofort auf etwa den fünften Theil seiner Länge zusammenkräuselt und mit der hohen Weichheit loser Seide den höchsten Atlasglanz verbindet, so daß aus dunkelgelbem Glase eine Wolle gewonnen werden kann, welche diejenige des goldenen Vließes Jason’s täuschender nachahmt, als es je die Phantasie eines Dichters sich in ihren Träumen ausgemalt hätte. Aus solchen Glasfäden, die den Spinnenfaden unendlich an Feinheit übertreffen, habe ich auf der Wiener Weltausstellung Gewebe gesehen, gegen welche die sogenannte „gesponnene Luft“ der Indier, d. h. ihre feinsten Shawls, als recht grobe irdische Fabrikate erschienen. Im Märchen wird von schimmernden Feenkleidern erzählt, die in einer Nußschale Platz hatten. J. von Brunfaut hat aus feiner Glaswolle Gewebe von einer ähnlichen ätherischen Feinheit fertigen lassen, z. B. Brautschleier von drittehalb Ellen im Geviert, die in einer wallnußgroßen Kapsel Platz haben und durch einfaches Anblasen in ihrem ganzen märchenhaften Schimmer entfaltet werden. Er hat aus diesem nicht nur elastischen, sondern geradezu weichen Material Garnituren, Stickereien, eine Art Astrachan und Plüsch, Stoffe von ebenso unvergänglicher wie unvergleichlicher Farbenpracht herstellen können. Warum sollte eine veränderte Glasmischung nicht auch zur Fabrikation biegsamer Geräthe dienen können?“

Als ich dies kaum ausgesprochen hatte, sahen wir einen fremden Herrn, der seit einigen Minuten am Nachbartische Platz genommen und unserem Gespräche zugehört hatte, in seine Tasche fassen und uns ein Uhrglas vor die Füße werfen, so daß es lebhaft klingend in die Höhe sprang, ohne indessen zu zerbrechen. Das Erstaunen des Kaiser Tiberius kann nicht viel größer gewesen sein als das unserige, obwohl es nicht der Sache galt, an die wir ja bereits glaubten, sondern dem unvermutheten Zusammentreffen.

„Sie sind gänzlich im Irrthum,“ sagte der Fremde, indem er das Schälchen noch einige Mal etliche Fuß hoch auf die Marmorplatte des Tisches niederfallen ließ und es mir dann reichte. „Sie sind gänzlich im Irrthum, wenn Sie glauben, daß die Festigkeit des Glases, welches, wie Sie sehen, äußerlich nicht von anderem Glase zu unterscheiden ist, von einer besonderen Mischung der Glasmasse herrühre; sie ist vielmehr durch eine nachträgliche Härtung hervorgerufen. Es ist übrigens kein französisches Hartglas, das Sie hier sehen, sondern Berliner Fabrikat.“ Auf unsere Bitte, Genaueres mitzutheilen schützte er indessen ein dem Erfinder gegebenes Versprechen zur Geheimhaltung der Sache vor, und überließ uns, nachdem er sein Getränk schnell genossen, unserer Ueberraschung. Unterstützt von meinen beiden Freunden, habe ich die inzwischen über das Hartglas in die Oeffentlichkeit gekommenen Nachrichten gesammelt, um sie dem Leser, wie folgt, im Zusammenhange darzubieten.

[451] Im Anschlusse an die Nachrichten der Alten über das unzerbrechliche Glas hat man bereits im alchemistischen Zeitalter Versuche angestellt, das Verfahren des Ermordeten wieder zu finden. Allein diese Bemühungen waren so erfolglos, daß man nach und nach zu der Meinung gelangte, jener Becher, der seinem Erfinder das Leben kostete, sei gar nicht aus Glas, sondern aus einem anderen Materiale gefertigt gewesen, wobei man namentlich an Chlorsilber – den weißen käseartigen, sehr lichtempfindlichen Niederschlag, welchen Salzwasser in Silberauflösungen hervorbringt – dachte, weil dasselbe geschmolzen eine glasige, hornartig biegsame Masse (Hornsilber) bildet.

Man kann sagen, daß das gewöhnliche Verfahren der Glasfabrikation eine frühere Entdeckung des nunmehr wieder aufgefundenen Verfahrens verhindern mußte. Wenn man irgend einen fertig geblasenen Glasgegenstand an der freien Luft abkühlen läßt, so erkalten die äußersten Oberflächenschichten des Glases, gegenüber den durch das schlechte Wärmeleitungsvermögen geschützten inneren, so schnell, daß eine gewisse Spannung zwischen ihnen entsteht, welche zur Folge hat, daß die geringste plötzliche Temperaturveränderung das Glas (wegen der ungleichen Ausdehnung oder Zusammenziehung seiner Schichten) zum Springen bringt. Ein schlecht gekühltes Glasgefäß kann springen, wenn es auf dem Tische steht und der Luftzug eines geöffneten Fensters auf dasselbe eindringt. Diese hochgradige Empfindlichkeit schlecht gekühlten Glases wird nun bekanntlich dadurch vermindert, daß man die fertigen Gegenstände glühend heiß in einen sogenannten Kühlofen bringt, der seinen Namen davon hat, daß die Luft in demselben nicht kühl ist, sondern außerordentlich heiß, damit die Oberfläche nicht so sehr viel schneller als die innere Glasmasse abgekühlt werde. Man hätte nun denken können, daß durch ein noch langsameres Abkühlen auch der Rest der Glassprödigkeit zu beseitigen sein möchte, und der berühmte Naturforscher Réaumur hat um’s Jahr 1727 dahingehende Versuche angestellt. Allein es zeigte sich, daß sehr langsam abgekühlte Glasmasse mit der Sprödigkeit auch die Durchsichtigkeit einbüßt, indem durch Ausscheidung unzähliger kleiner Krystallchen eine Art Milchglas (Réaumur’sches Porecellan) entsteht.

Der französische Ingenieur Alfred de la Bastie auf Schloß Richmond bei Pont d’Ain ging deshalb bei seinen in jüngster Zeit angestellten Versuchen, die Sprödigkeit des Glases zu besiegen, in umgekehrter Richtung auf sein Ziel los. Er erinnerte sich der höchst merkwürdigen Eigenschaften der sogenannten Glasthränen, welche in der Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts in Holland entdeckt wurden und damals so viel Aufsehen erregten, daß sie in England nach einem Prinzen, der sie als Reisemerkwürdigkeit mitbrachte, Prinz Rubertustropfen genannt wurden. Diejenigen unserer Leser, welche einmal eine Glashütte besucht haben, werden diese kleinen Wunder wohl aus eigener Anschauung kennen. Denn dort stellt sich den Besuchern in der Regel ein angehender Glasmacherjunge mit einem Topfe Wasser vor, in welches er von seinem Vater einige große Tropfen flüssiges Glas hineingießen läßt. Dieselben sinken wie leuchtende Sternschnuppen unter, indem sie einen langen Glasfaden hinter sich herziehen, und im finstern Winkel sieht man die äußerlich erstarrte Glasmasse noch eine Weile in rother Gluth unter dem Wasser fortleuchten, was eben beweist, wie sehr viel langsamer die geschützteren inneren Schichten erkalten. Wenn sie endlich kalt geworden sind, holt der trinkgeldlustige Kleine die langgeschwänzten Tropfen aus dem Wasser hervor und zeigt den Herrschaften, daß man auf den dicken Theil dieser birnenförmigen, in einen langen Stil verlängerten, mehr als schlecht gekühlten Glaskörper mit dem Hammer schlagen kann, ohne daß sie zerspringen. Dann werden die Besucher aufgefordert, den dünnen elastischen Glasfaden, in welchen sich die Thräne verjüngt, abzubrechen. Es giebt eine kleine Explosion, fast als wenn man einen Knallbonbon zerreißt, und der durchsichtige Glaskörper verwandelt sich in eine Staubwolke, deren Theilchen so gewaltsam auseinander geschleudert werden, daß eine wassergefüllte Weinflasche, in welche man den Tropfen hängt, während man außen die Schwanzspitze abbricht, dadurch gesprengt wird. Ganz ähnlich verhalten sich die sogenannten Bologneser Fläschchen, kleine, dickwandige Glaskölbchen, die in Folge einer ebenso plötzlichen Kühlung außen so hart werden, daß man darauf hämmern kann, während ein spitziges Steinchen, welches man durch die Mündung hineinfallen läßt, das Zerstäuben herbeiführt. Dieses explosionsartige Zerspringen sehr plötzlich gekühlter Gläser rührt allem Anscheine nach davon her, daß eine sehr elastische, gar nicht spröde äußere Schicht zwiebelschalenartig sich einschließende innere Schichten von sehr ungleicher Spannung gefangen hält, die dann die kleinste Gelegenheit, um frei zu werden, benützen, so daß das Zerfallen auch eintritt, wenn man den Schwanz, in welchem die Schichten am dichtesten sich folgen, bis zu der birnförmigen Verjüngung in Flußspathsäure auflöst. Uns interessirt hier vorzüglich nur die ausnehmende Härte der äußeren Schicht dieser Glasthränen und Bologneser Fläschchen, denn von ihr scheint der Entdecker des elastischen Glases bei seiner Erfindung ausgegangen zu sein.

Ein gleicher Weg war freilich nicht durchführbar. Wenn man gewöhnliches Hohlglas glühend heiß in kaltes Wasser taucht, so bedeckt es sich mit einem Netzwerk sehr feiner Sprünge, die durch Neuerwärmen unschädlich gemacht und durch Weiterblasen geöffnet werden können, um so das vorhin erwähnte Eisglas zu erzeugen, so genannt, weil die Oberfläche solcher Gefäße einer im Aufthauen begriffenen Schnee- oder Eismasse gleicht. Herr Alfred de la Bastie fiel nun auf die Idee, das glühende Glas nicht in einer ganz kalten, sondern in einer ziemlich heißen Flüssigkeit abzuschrecken, um so das Entstehen der Sprünge zu verhüten und doch eine plötzliche Verdichtung der so viel heißeren Glasoberfläche hervorzubringen. Er wendete deshalb geschmolzene, zwei- bis vierhundert Grad heiße Fettmassen (Paraffin, Harz, Wachs, Oel etc.) an und gelangte nach längeren Versuchen zu einem vollkommenen Erfolge. Er construirte besondere Doppelöfen, in deren einer Hälfte das fertige Glas von Neuem bis zum Weichwerden erhitzt werden kann, um, sobald dieses geschehen ist, auf einer schiefen Ebene sofort in das auf der andern Seite befindliche glühende Bad geschoben werden zu können, in welchem letzteren Drahtnetze und andere Vorrichtungen angebracht sind, um Beschädigungen beim Hineinsinken zu verhüten. Um Scheibenglas auf ähnliche Weise zu behandeln, waren natürlich besondere Vorrichtungen erforderlich. Nachdem das Glas in dieser Flüssigkeit plötzlich ein gut Theil abgekühlt ist, verliert es den Rest der Wärme langsam und ist hierdurch so hart geworden, daß es wirklich einiger Anstrengungen bedarf, um so behandelte Glasgegenstände zu zertrümmern. Solche Glasgefäße zerspringen nicht nur nicht, wenn man sie aus der Hand auf den Boden fallen läßt, sondern sie vertragen auch plötzlichen Temperaturwechsel sehr gut, so daß man sie ohne Bedenken in Küche und Laboratorium wie Blechgefäße benützen kann.

Natürlich bemühte sich der Erfinder alsbald, seine Erfindung durch Patente in den verschiedenen Ländern zu sichern, und in Bourg bildete sich im Herbste 1874 eine Actiengesellschaft, um das neue Verfahren im Großen auszubeuten. Als gegen Ende des vergangenen Jahres die ersten Nachrichten über die Erfindung zu uns drangen, frug der Verein der Glasindustriellen Deutschlands bei dem Erfinder an, ob er ihm gegen eine zu vereinbarende Abfindungssumme das genaue Verfahren mittheilen wolle. Wie der jüngere Dumas für die Erlaubniß zur Aufführung eines seiner Scandalstücke Elsaß-Lothringen verlagte, so soll de la Bastie die Summe von vierzig Millionen Franken verlangt haben, das heißt einen Franken Steuer auf jeden Kopf in Deutschland. Er hat sich damit auf die empfindlichste Weise geschädigt, denn der Verein brach seine Verhandlungen ab und erhielt wenige Wochen später, von dem Dresdener Ingenieur Pieper, das Recept zum „Vulcanglase“ für 300,000 Mark. Gleich auf die erste Nachricht hin und lange bevor an Ausfertigung der Patente gedacht werden konnte, war das Verfahren nämlich von einer Anzahl deutscher Glastechniker „nacherfunden“ worden, so, außer von dem Genannten, von F. M. Stahl in Berlin, R. Meusel in Geiersthal, Th. Lubisch und B. Niederer in Andreashütte bei Bunzlau und Andern.

Als die Achillesferse der französischen Erfindung erscheint die Anwendung sehr brennbarer Stoffe zur Härtung des im glühenden Zustande einzutauchenden Glases und die erforderliche Bauanlage, um den Gefahren dieser Arbeit zu begegnen. In der That soll die neu erbaute Fabrik des Herrn de la Bastie, Zeitungsnachrichten zufolge, schon bei den ersten im Großen angestellten Versuche niedergebrannt sein. Es ist kein Zweifel, [452] daß diese Schwierigkeiten durch andere Härtungsverfahren aus dem Wege zu räumen sein werden. Wir wissen nicht, ob man dabei bereits an die Anwendung leichtflüssiger Metallgemische, die man für alle Temperaturen zwischen achtzig und vierhundert Grad schmelzend erhalten kann, gedacht hat.

In dieser Beziehung scheinen die deutschen Fabrikanten dem Franzosen bereits völlig den Vorsprung abgewonnen zu haben. Namentlich soll sich das auf anderen Grundlagen beruhende Verfahren von Richard Mensel in Geiersthal bei Wallendorf in Thüringen durch seine Gefahrlosigkeit und die Leichtigkeit, mit der es ohne kostspielige Umbauten in jeder Glashütte auszuführen ist, auszeichnen. Derselbe hat unter anderen Dingen nach seinem Verfahren Flaschen von gewöhnlicher Wandstärke und aus dem gewöhnlichen Materiale hergestellt, die einen Druck von dreißig Atmosphären, mehr als das Doppelte, was eine gute Flasche sonst aushielt, ertrugen. Der Champagner, den das Springen so vieler Flaschen bei der Fabrikation am meisten vertheuert, hätte demnächst Aussicht, billiger zu werden. Von demselben Erfinder hergestellte Lampencylinder konnten, nachdem man sie durch Aufschrauben der Gasflamme glühend gemacht hatte, ohne Gefahr des Zerspringens mit nassen Tüchern berührt werden. Es scheint, daß dieses deutsche Verfahren, welches in Baiern bereits patentirt ist, die meiste Aussicht hat, im Großen ausgeführt zu werden, und der beste Beweis für seine Vorzüge dürfte dadurch geliefert worden sein, daß die société céramique zu Paris und andere französische Fabrikanten, nachdem sie sich von der praktischen Unausführbarkeit des la Bastie’schen Verfahrens überzeugt haben, mit unserem Landsmanne in Unterhandlungen getreten sind, und daß in Frankreich bereits deutsches Hartglas fabricirt wird. Mensel hat in Pantin bei Paris, in der Fabrik des Herrn Vidie, wie authentische Berichte aus Frankreich sich ausdrücken, Beweise geliefert, daß seiner Erfindung der Preis gebührt.

Prof. A. Bauer in Wien stellte durch Versuche fest, daß bei der Härtung die Dichtigkeit des Glases, welche zwischen 2,429 bis 2,438 schwankt, auf 2,460 bis 2,468 steigt, so daß also die Theilchen desselben, namentlich an der Oberfläche, einander mehr genähert sein müssen, wodurch die Härtezunahme bedingt sein mag. Diese Oberflächenschicht ist dabei so hart geworden, daß sie sich viel schwerer mit dem Diamanten ritzen läßt, als gewöhnliches Glas, was die Bearbeitung erschweren muß. Wird es schließlich mit Gewalt entzweigeschlagen, so zerfällt de la Bastie’s Glas, ähnlich den Glasthränen, in einen unfühlbaren Staub, so daß ein bombardirtes Glashaus in Wolken, aber nicht in Splitter verwandelt werden würde, und Fräulein Ungeschickt in der Küche kann diesem Stoffe gegenüber nicht mehr sagen, eine Caraffe sei entzweigegangen, sondern sie sei entzweigeduftet. Uebrigens sollen nicht alle Sorten des gehärteten Glases diese Eigenschaft des Verstäubens theilen, sondern zum Theil im gegebenen Falle zerbrechen wie anderes Glas.

Die Tragweite der Erfindung leuchtet ein, auch wenn die Anwendung des gehärteten Glases sich, theils der Erhöhung des Preises, theils der schwierigen Bearbeitung wegen, weder auf die billigsten noch auf die theuersten Gegenstände (gewöhnliche Bierflaschen etc. einerseits und geschliffene Waare andererseits) erstrecken sollte. Hagelsichere Glashäuser und Fensterscheiben, unverwüstliche Lampencylinder und Kochgeschirre, Tischgeräthe für Kinder und Erwachsene, Reiseflaschen und Gläser, Cassetten und Negativplatten für Photographen, Glasstereoskopen und Glasgemälde, Uhrgläser und Tischglocken, sowie hundert andere Dinge, die man sonst gar nicht aus Glas machte, werden nunmehr aus diesem Materiale gefertigt werden (z. B. Tafelgeschirr aus gehärtetem Milchglas statt Porcellan). Die Quelle gar manchen häuslichen Aergers wird verstopft sein, wenn die Dienstmädchen nicht mehr im heimlichen Bunde mit den Glaswaarenhändlern zu stehen scheinen werden, und so ist die neue Erfindung recht eigentlich eine Erfindung des Friedens.

Carus Sterne.