Feuerversicherung für die Frauenwelt

Textdaten
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Autor: Gustav Merz
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Titel: Feuerversicherung für die Frauenwelt
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aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 670–671
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Flammenhemmende Ausrüstung von Kleidung
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Feuerversicherung für die Frauenwelt.


Fast keine Woche vergeht, daß nicht irgend woher gemeldet würde: „Die leichte Flammbarkeit der modernen Damentoilette hat oder hätte beinahe schon wieder ein Menschenleben gekostet.“ Nicht nur Tänzerinnen von Beruf, sondern auch andere Frauen aller Stände sind in zahlreichen Fällen der Unvorsichtigkeit oder dem traurigen Zufall zum Opfer geworden, daß ihre dünnen baumwollenen Gewänder die Lampen an der Rampe streiften, oder von brennendem Petroleum oder Spiritus überströmt wurden, daß sie der Flamme des Kamins zu nahe kamen, oder daß ihnen der Wind einen Funken von der Cigarre des Begleiters zuführte. Während es der praktischen Chemie längst gelungen ist, Schutzmittel zu erfinden, durch welche auf einfache und sichere Weise den dünnen, äußerst leicht flammbaren baumwollenen Geweben ihre Leichtentzündlichkeit und ihre Fähigkeit, in Flammen auszubrechen und dann von selbst fortzubrennen, genommen werden kann, ist es bedauerlich, daß trotzdem der allergrößte Theil des Publicums, selbst im Angesicht jener betrübenden Verbrennungsfälle, immer noch keine Nachfrage nach diesen Mitteln hält und auch von Seite der Fabrikanten und Appreteure mit sehr seltenen Ausnahmen kein Angebot dieser Mittel oder der damit behandelten Gewebe geschieht.

Vielleicht gelingt es der „Gartenlaube“, endlich die allgemeine Anwendung, wenn nicht gar polizeiliche Anordnung (für die Theater) jener Schutzmittel in’s Leben zu rufen. Möchte kein Familienvater fortan dulden, daß seine Töchter andere als feuersichere Baumwollkleider tragen, und möchten alle für das allgemeine Wohl sich Interessirenden zur Verbreitung des hier Gesagten beitragen!

Gewebe aus einem absolut unverbrennlichen Stoff giebt es allerdings, sie werden aus einem langfasrigen, weißen, seidenglänzenden Minerale, dem Asbest, hergestellt; für die Praxis haben sie jedoch keine Bedeutung, wenn auch die Römer sie benutzt haben sollen, um bei der Verbrennung der Todten die Asche der letzteren zu sammeln. Wollene und seidene Gewebe haben überhaupt keine große Entzündlichkeit; sie brennen nach dem Anzünden entweder gar nicht oder nur sehr schwierig weiter, in jedem Falle glimmen sie nicht fort. Die so vielfach zu Oberkleidern verwendeten Baumwollstoffe dagegen zeigen im höchsten Grade die Eigenschaft, nach dem Anzünden oft äußerst rasch und unter Flamme fortzubrennen und auch fortzuglimmen. Längst und schon im Alterthum sind Versuche gemacht worden, leicht brennbare Stoffe wie Holz, Gewebe, Papier unverbrennlich zu machen; im Allgemeinen wurden die betreffenden Gegenstände mit mineralischen Stoffen z. B. Kalk, Alaun, Eisenvitriol, Borax etc. getränkt oder angestrichen, und in der That erfüllten diese Mittel ihren Zweck mehr oder minder gut. Besonders zu erwähnen ist in dieser Hinsicht das von Fuchs erfundene Wasserglas, eine chemische Verbindung von Kieselsäure und Kali oder Natron, welche dem gewöhnlichen Glase ähnlich sieht, aber die sonderbare Eigenschaft hat, sich gepulvert in kochendem Wasser zu einem Syrup aufzulösen, der, auf andere Gegenstände aufgestrichen, zu einer Glasur eintrocknet, welche sich in kaltem Wasser nicht auflöst und diese Gegenstände, wenn sie dünn wie Papier oder Gewebe sind, schwer verbrennlich macht. So werden Coulissen, Theatervorhänge etc. zweckmäßig durch einen Ueberzug von Wasserglas gegen Feuersgefahr bis zu einem gewissen Grade geschützt. Auf zur Kleidung bestimmten Geweben kann das Wasserglas nicht verwendet werden, dagegen giebt es eine Menge anderer Salze, welche die damit getränkten Baumwollstoffe zwar nicht völlig unverbrennlich – dies ist überhaupt nicht möglich – aber doch so schwer entzündlich und besonders schwer fortbrennlich machen, daß es einfach mit einem Brandloche abgeht, wenn ein unaufmerksamer Herr seine Cigarre auf dem Kleide seiner Nachbarin abstreicht, oder eine kunstbegeisterte Taglioni in’s Parquet hinabzuschweben im Begriffe ist und dabei den Lampen zu nahe kommt.

Zwei praktische Chemiker, Versmann und Oppenheim, haben vierzig verschiedene Salze in dieser Hinsicht geprüft, unter allen aber das schwefelsaure Ammoniumoxyd (schwefelsaures Ammoniak kurzweg genannt) als das empfehlenswertheste gefunden. Am englischen Hofe wird schon geraume Zeit das wolframsaure Natron zum Imprägniren der vor dem Feuer zu schützenden Wäsche benutzt; dieses Salz wird in England producirt und deshalb vorgezogen, weil es nicht nur seinen Zweck vorzüglich erfüllt, sondern weil die damit getränkten Zeuge keine Schwierigkeiten beim Plätten zeigen, während andere Salze mehr oder weniger ein Hängenbleiben des Bügeleisens verursachen. Dieses Salz ist jedoch viel zu theuer für die allgemeine Anwendung, wenigstens finde ich hierin den Grund, weshalb sich die Industrie desselben noch nicht bemächtigt hat. Auch das phosphorsaure Ammoniak ist ein völlig geeignetes Schutzmittel; nach meinen eigenen Versuchen werden dünne Jaconette etc., wenn man sie nach dem Stärken und Trocknen in eine Lösung von einem Theil dieses Salzes in zwölf Theilen Wasser taucht und gut ausringt, nach dem Trocknen so schwer verbrennlich, daß sie durchaus nicht zum Fortflammen und Fortglimmen zu bringen sind, und außerdem lassen sie sich nach dem Trocknen ganz gut plätten. Aber auch dieses Salz ist noch zu theuer und bietet doch nicht viel mehr Sicherheit, als das schwefelsaure Ammoniak, welches letztere mir allein berufen zu sein scheint, bestimmte Theile der Damentoilette vor dem Feuer zu schützen.

Das schwefelsaure Ammoniak wird heutzutage in großen Massen in den Steinkohlengasfabriken bei Gelegenheit der Reinigung des rohen Leuchtgases gewonnen, so daß es von chemischen Fabriken, z. B. von Henner und Comp. in Wyl (Kanton St. Gallen), in nicht ganz reinem Zustande mit 24/5 Gr. und in gereinigtem mit 32/5 Gr. pro Pfund angeboten werden kann. Für die allerdünnsten Stoffe, z. B. Musselin, Organdin, Mull, Linon, Tüll, Gaze, ferner für die weniger feinen Zeuge, wie Jaconett, Percal, Calico, Barège, ist eine kalte Lösung von einem Pfund dieses Satzes in zehn Pfund Wasser völlig zweckentsprechend, während für die noch gröberen Gewebe, wie Kattun, Nanking, Shirting, die Menge des Salzes im Verhältniß zum Wasser sogar etwas herabgesetzt werden kann. Neue, schon appretirte Gewebe werden in der genannten Lösung eingeweicht, dann so stark wie möglich, ohne daß das Gewebe beschädigt wird, ausgepreßt, zum Trocknen aufgehängt und, wenn sie noch nicht völlig trocken sind, geplättet. Ist das Gewebe noch naß, so bleibt in der That das Plätteisen oft darauf hängen, indem es stellenweise anklebt; ist aber der Stoff nur so feucht, wie er etwa aus einem Keller kommend sein würde, so läßt er sich ganz ohne Schwierigkeit glatt und steif plätten, und zwar besser, als wenn er am Ofen oder an der Sonne ganz trocken geworden wäre. Unter den farbigen Mull- und Gazesorten, welche auf Bällen und beim Theater getragen werden, kommen Farben vor, die bei unvorsichtiger Behandlung mit Wasser ausgehen, oder die wenigstens ihre Nüance ändern. Die Präparation solcher nicht waschächter Stoffe wird zwar hoffentlich bald den Consumenten erspart und gleich in der Fabrik bei der Appretur ausgeführt werden; solange sich aber dergleichen präparirte Stoffe noch nicht im Handel befinden, wird man sie selbst in die Cur nehmen müssen, und diese ist denn auch einfach genug.

[671] Stoffe, auf welchen die Farbe gleichsam nur aufgeklebt ist, dürfen nach dem Eintauchen nur ganz lose ausgedrückt werden, und sollte sich hierbei die Nüance ändern, so wird, wie man durch Probiren an einem Lappen desselben Zeuges leicht ersehen kann, durch Zusatz von einigen Tropfen Kleesäure-Lösung, oder, umgekehrt, von einigen Tropfen Salmiakgeist zur Imprägnationsflüssigkeit die Farbe in ihrer ursprünglichen Schönheit zurückkehren. Die Präparation waschbarer weißer, ächtfarbiger oder ächt gedruckter Jaconette etc. hat gar keine Schwierigkeiten; entweder giebt man das Appreturmittel, d. h. den Leim, das Gummi, den Stärkekleister, gleich der kalten Salzlösung bei, oder man steift zuvörderst, läßt trocknen und zieht den Stoff erst nachträglich durch die Salzlösung; in jedem Falle erfolgt zuletzt das Plätten auf die angegebene Weise. Jede einigermaßen geschickte Plätterin wird sehr bald völlige Sicherheit in der Ausführung dieser Proceduren erlangen, und ich kann höchstens noch empfehlen, daß man sich hierbei nicht des zum Plätten der Leinwandwäsche bestimmten Bügeleisens, sondern eines andern, womöglich recht schweren aus Messing bediene, da durch einen größeren Druck derselbe Zweck erreicht wird, welchen man sonst durch recht heißes Plätten erstrebt. Eine übermäßig hohe Temperatur kann nämlich mancher zarten Farbe und wohl auch der Haltbarkeit sehr dünner Stoffe schaden, und ist das Gewebe noch naß, so bewirkt ein zu heißes Plätteisen, besonders wenn es aus Eisen besteht, leicht bräunliche Flecke. Die leinene Leibwäsche feuersicher zu machen, wird wohl Niemand für nöthig halten.

Nach dem angegebenen Preis des schwefelsauren Ammoniaks genügt schon ein Ueberschlag, die Billigkeit des Verfahrens in das Licht zu stellen; zur näheren Berechnung kann ich aber mittheilen, daß hundert Quadratfuß preußisch von Mull ca. ein Loth, von Jaconett ca. zwei Loth, von Kattun ca. fünf Loth Salz erfordern, so daß die Präparationskosten eines Kleides nur einige Pfennige betragen. Zur Beruhigung vorsichtiger Hausfrauen sei noch erwähnt, daß das schwefelsaure Ammoniak für die Gesundheit völlig unschädlich ist, daß es das Waschen des getragenen Stoffes nicht beeinträchtigt, wenn es auch rathsam ist, die Kleider vor dem Waschen durch Einlegen in warmes Wasser von dem Salze zu befreien, und daß vor allen Dingen die Haltbarkeit des Stoffes durchaus nicht verringert wird. In jedem Falle aber möchte ich bitten, sich im Anfange von etwa mißlingenden Versuchen nicht gleich abschrecken zu lassen; und gewiß ist es besser, so lange man noch nicht Meister in der Behandlung ist, ein etwas rauhes oder nicht wie starre Seide steifes, aber feuersicheres Kleid zu tragen, als gelegentlich mit allem Glanze in Flammen zu stehen.

Nachdem so die Praxis dieses „Damenlebenschützers“ genügend erörtert worden, verlangt vielleicht manche wißbegierige Leserin von der Wissenschaft auch eine Erklärung seiner Wirksamkeit. Ich will mich kurz fassen. Hält man einen schmalen Streifen von Baumwollzeug mit einem Ende in die Kerzenflamme, so wird er dort zunächst zum Verkohlen gelangen, er wird braun, dann schwarz, es brechen brennbare Gase und Dämpfe heraus und es bildet sich ein Gerippe von lockerer Kohle; in demselben Momente aber werden diese Verkohlungsproducte auch schon auf ihre Entzündungstemperatur erhitzt und es entsteht da, wo die Gase brennen, die Flamme, während etwas später die Kohle verglimmt. Bei dieser Verbrennung aber wird eine so große Wärme entwickelt, daß die benachbarten Baumwolltheilchen so heiß werden, daß sie auch erst zur Verkohlung und dann zur Verbrennung gelangen, und da sich fortwährend am brennenden Theile die noch nicht brennenden benachbarten Theile entzünden, so schreitet die Verbrennung ungehindert vorwärts. War aber zwischen und in den Fasern der Baumwolle ein mineralischer unverbrennlicher Stoff, wie schwefelsaures Ammoniak, abgelagert, so hemmt dieser nach Entfernung der anzündenden Kerzenflamme das Fortbrennen in mehrfacher Weise. Zunächst entzieht er der Flamme des brennenden Stoffes so viel Wärme, daß die benachbarten Partien nicht genug mehr empfangen, um auch verkohlen und verbrennen zu können, und zwar nimmt das Salz viel Wärme auf, um selbst warm zu werden, dann aber noch viel mehr, um zu schmelzen und zu verdampfen. Das Letztere aber geschieht so langsam, daß die Flamme verlöscht ist, ehe sie weiter greifen konnte, und es bleibt nur noch die Kohle übrig, welche fortglimmen und dadurch von Neuem die Entflammung herbeiführen könnte. Ein aufmerksam angestellter Versuch mit einem Stück präparirten Gewebes zeigt aber, daß es der Kohle zwar unmittelbar nach dem Verlöschen der Flamme stellenweise gelingt, unter Glimmen zu verbrennen, allein die Temperaturentziehung durch das Salz ist so bedeutend und vor Allem ist es dem Sauerstoff der Luft so schwer gemacht, durch die dichte, geschmolzene Kruste von Asche hindurch zur Kohle zu gelangen, daß der Verbrennungsproceß immer mehr in’s Stocken geräth und schließlich nicht ein Fünkchen sich weiter verbreitet, als die anzündende Flamme eingewirkt hatte. So entsteht also nur eine locale Beschädigung des Gewebes, während ein selbstständiges Weitergreifen des Brandes völlig unmöglich ist.

Gustav Merz.