Für Mütter (Die Gartenlaube 1875/44)

Textdaten
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Autor: Dr. –a.–
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Titel: Für Mütter
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aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 748
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[748] Für Mütter. Wird denn der gesunde Menschenverstand niemals so viel Spielraum gewinnen, daß wir lernen, unsern Körper zu hoch zu schätzen, um ihn gedankenlos zum Werkzeug einer elenden Speculation, eines thörichten Aberglaubens herzugeben?

Die Kenntniß der Gewinnung des Opiums ist ziemlich weit verbreitet, weniger genügend bekannt scheint leider die Thatsache, daß unsere deutschen Mohnköpfe annähernd dieselben Bestandtheile wie ihre türkischen Brüder enthalten. Der in den unreifen Samenkolben des Gartenmohnes befindliche Milchsaft wird im Orient durch Einschnitte zum Ausfließen gebracht und kommt getrocknet als Opiumkuchen in den Handel. Das Opium, bekanntlich kein einfacher Körper, besteht aus mehreren freilich sehr nahe verwandten Stoffen (Alcaloïde genannt), welche fast die gleiche Wirkung, aber in verschiedener Potenz besitzen. Das wichtigste und stärkste unter ihnen ist das Morphium. Dieses birgt zwar unser Gartenmohn nur in sehr geringer Menge, doch sind von den anderen verwandten Stoffen noch so viele in ihm enthalten, daß eine stark betäubende Wirkung durch seinen Genuß hervorgebracht wird.

In sehr vielen Gegenden herrscht nun, vorzüglich unter den niederen Ständen, die beklagenswerthe und nicht genug zu verdammende Unsitte, aus reifem oder unreifem Mohne mittelst Syrup ein Tränkchen entweder selbst zurecht zu brauen oder es für schweres Geld aus Schäfers- und Sibyllenhand zu entnehmen, um es kleinen unruhigen Kindern als Schlafmittel zu verabreichen. Während der Arzt nur in den seltensten Fällen sich entschließt, dem Kinde, und vor Allem dem Säuglinge, ein Opiat zu verordnen, da er die äußerst große Empfindlichkeit des kindlichen Organismus für dieses Medicament kennt, giebt der Laie in einer solchen Abkochung eine gar nicht zu bestimmende Dosis. Die Ursache des Schreiens kann natürlich nicht entfernt werden; das Kind wird durch den Gebrauch nur betäubt und eingeschläfert. Meistens beruht der Grund des kindlichen Unwillens auf Verdauungsstörungen, weil besonders die künstlich aufgefütterten Kinder auf diese Weise ihren Kehlkopf mißbrauchen, doch können auch andere Zustände dieses für die Umgebung so erregende Concert verursachen, deren Heilung allein der jedesmalige Fall bestimmt. Da das arme Kind nach der Ausscheidung des Mohnsaftes wieder schreit, bekommt es immer öfter, aber auch immer mehr von dem Wundertränkchen. Seine Nervenerregbarkeit wird dadurch täglich mehr herabgestimmt; waren schon vorher die Verdauungsorgane angegriffen, so kommen sie jetzt noch schneller herunter; die verdauenden Säfte, in geringerer Quantität abgeändert, können die Nahrungsstoffe nicht genügend zersetzen; zuletzt – fast nur noch ein Gerippe – stirbt das Kind an chronischer Opiumvergiftung als Opfer der Unwissenheit.
Dr. – a –