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Am Sonntage Okuli.

Evang. Luc. 11, 14–28.
14. Und Er trieb einen Teufel aus, der war stumm. Und es geschah, da der Teufel ausfuhr, da redete der Stumme. Und das Volk verwunderte sich. 15. Etliche aber unter ihnen sprachen: Er treibt die Teufel aus durch Beelzebub, den Obersten der Teufel. 16. Die andern aber versuchten Ihn und begehreten ein Zeichen von Ihm vom Himmel. 17. Er aber vernahm ihre Gedanken und sprach zu ihnen: Ein jeglich Reich, so es mit ihm selbst uneins wird, das wird wüste, und ein Haus fällt über das andere. 13. Ist denn der Satanas auch mit ihm selbst uneins, wie will sein Reich bestehen? Dieweil ihr sagt, Ich treibe die Teufel aus durch Beelzebub. 19. So aber Ich die Teufel durch Beelzebub austreibe, durch wen treiben sie eure Kinder aus? Darum werden sie eure Richter sein. 20. So Ich aber durch Gottes Finger die Teufel austreibe, so kommt je das Reich Gottes zu euch. 21. Wenn ein starker Gewappneter seinen Palast bewahret, so bleibt das Seine mit Frieden. 22. Wenn aber ein Stärkerer über ihn kommt, und überwindet ihn, so nimmt er ihm seinen Harnisch, darauf er sich verließ, und theilt den Raub aus. 23. Wer nicht mit Mir ist, der ist wider Mich; und wer nicht mit Mir sammelt, der zerstreuet. 24. Wenn der unsaubere Geist von dem Menschen ausfähret, so durchwandelt er dürre Stätten, suchet Ruhe, und findet ihrer nicht. So spricht er: Ich will wieder umkehren in mein Haus, daraus ich gegangen bin. 25. Und wenn er kommt, so findet ers mit Besemen gekehret und geschmücket. 26. Dann gehet er hin und nimmt sieben Geister zu sich, die ärger sind denn er selbst; und wenn sie hinein kommen, wohnen sie da, und wird hernach mit demselbigen| Menschen ärger, denn vorhin. 27. Und es begab sich, da Er solches redete, erhob ein Weib im Volk die Stimme und sprach zu Ihm: Selig ist der Leib, der Dich getragen hat, und die Brüste, die Du gesogen hast. 28. Er aber sprach: Ja, selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren.

 AUch dieses Evangelium erzählt uns ein Wunder JEsu und zwar, so viel wir sehen können, ein nicht geringeres, als wir in andern Evangelien finden. Ein Mensch, welcher durch Beseßenheit der Sprache beraubt war, wurde von dem HErrn seiner Plage ledig gemacht. Dieß Wunder wird jedoch von dem heiligen Lucas ganz kurz und offenbar zunächst nur um dessen willen erzählt, was sich an dasselbe anschloß. Das Wunder fand nemlich eine ungleiche Aufnahme, theils eine mehr oder minder ungünstige, theils eine günstige. Die ungünstige Aufnahme zeigte sich alsbald in den Reden des Volkes. Einige wagten es, geradezu die Behauptung aufzustellen, der HErr selber bediene sich zur Austreibung der Teufel des Obersten der Teufel, des Beelzebub; andere schwankten in ihrer Meinung hin und her und wollten es erst noch auf ein Zeichen vom Himmel ankommen laßen, ehe sie die himmlische Sendung und göttliche Kraft JEsu anerkenneten. Daß übrigens das Wunder doch auch eine günstigere Aufnahme fand, ist aus der Stimme jenes Weibes zu erkennen, welches die Jungfrau Maria um ihrer Mutterschaft willen seligpries. Von dieser gedoppelten Aufnahme des Wunders JEsu handelt unser Text hauptsächlich, und davon handle denn auch diese Predigt.


 Was die ungünstige Aufnahme des Wunders JEsu anlangt, so haben wir zu ihr auch jene unentschiedenen, schwankenden Gedanken derjenigen gerechnet, die erst noch auf Wunder und Zeichen vom Himmel warten wollten, ehe sie dem HErrn beistimmten. Diese Menschen waren nicht mit JEsu, darum waren sie schon wider Ihn; sie sammelten nicht mit Ihm, darum halfen sie schon zerstreuen, − und es trifft sie deshalb der gerechte, scharfe Tadel des HErrn. Indes werden sie doch mit wenigen Worten abgefertigt und die ganze Gewalt, der volle Nachdruck der Rede JEsu kehrt sich im Grunde nur gegen diejenigen, welche die lästerlichen Reden wagten: „Er treibt die Teufel aus durch Beelzebub.“ Darum laßen auch wir die schwankenden, zweifelnden Worte des ersten Haufens fahren und verweilen betrachtend bei der erwähnten Lästerung und deren Widerlegung. Die Worte „Er treibt die Teufel aus durch Beelzebub“ können helfen, den Beweis zu liefern, daß die Behauptung, die Sonntagsevangelien der Fastenzeit erzählten von den Leiden JEsu während Seines Amtslebens, nicht völlig aus der Luft gegriffen ist. Denn es ist in der That für ein nicht geringes Leiden des HErrn zu achten, daß Ihm Seine großen und vielen Wohlthaten mit Lästerreden und Hohn bezahlt wurden. Doch wollen wir nicht grade diesen Umstand hervorheben, sondern einen andern. Die Evangelien des ersten, zweiten und dritten Sonntags in der Fasten haben nemlich das miteinander gemein, daß sie von Ueberwindung des Teufels handeln. Der heutige Text thut es besonders unumwunden. Darum wollen wir uns in unserer heutigen Betrachtung auch vorzugsweise an diesen Umstand halten und die Antwort betrachten, welche unser HErr Seinen Feinden auf ihre Lästerung gibt. Aus dieser Antwort können wir nicht allein abnehmen, wie groß die Macht, Liebe und Weisheit JEsu ist, sondern auch was wir vom Satan und seinem Reiche zu denken haben, und wie gründlich boshaft die Einwendung und Lästerung der Feinde JEsu, wie ungünstig also die Aufnahme Seiner Wunder bei ihnen war.

 Wenn der HErr von gleicher Gesinnung mit denen gewesen wäre, welche sich heut zu Tage gerne den Namen der Vernünftigen und Aufgeklärten anstatt des wahreren und passenderen Namens der Ungläubigen beilegen; so würde Er Seinen Feinden eine Antwort gegeben haben, welche viel einfacher und kürzer ihren Einwurf vernichtet hätte, als es nun wirklich der Fall ist. Er würde ihnen geradezu gesagt haben: „Ihr abergläubigen Juden, wie kann Ich den Stummen durch den Obersten der Teufel geheilt haben, da es keinen Teufel und keinen Obersten der Teufel gibt. Die Rede vom Beseßensein ist ein Mährchen; die Stummheit kam nicht vom Teufel, und die Heilung kam auch nicht von ihm.“ Wäre das nicht eine kurze und gute Antwort gewesen, ganz nach eurem Sinne, ihr dünkelhaften Leute, die ihr Macht habt zu versichern,| es sei nichts mit dem bösen Geisterreiche? Würde nicht unser HErr und Heiland JEsus Christus erst durch eine solche Antwort recht euer HErr JEsus geworden sein? Was antwortet ihr? Antwortet, was euch beliebt; aber das müßt ihr doch immer zugeben, daß Christus die Antwort nicht gegeben hat, sondern eine andere, völlig entgegengesetzte, eine solche, die Er unmöglich hätte geben können, wenn Er gedacht hätte wie ihr, welche selbst dann nicht möglich gewesen wäre, wenn Er Sich schlau in die Ansichten der Juden gefügt und, um sie für Sich zu gewinnen, die Lehre vom Satan noch eine Weile hätte stehen laßen wollen. Hätte Er Sich wirklich nur jüdischen Meinungen anbequemt, so hätte Er gewis nicht die Warnung vor dem siebenfach wiederkehrenden Teufel hinzugefügt, da sie unverlangt, unveranlaßt und unnöthig gewesen wäre. Aber weit entfernt, den Satan und sein Reich zu leugnen, gibt uns unser HErr in Seinen Worten fast eben so viele Beweise dafür, wie ganz und gar es mit der Lehre vom Satan und deßen Besitzungen und seinem ganzen Reiche seine volle Richtigkeit hat.

 Der HErr sagt erstens, es sei unmöglich, daß Er die Teufel durch Beelzebub austreibe, weil sonst des Satans Reich in sich selbst uneins und deshalb seinem Verfall und Sturz nahe sein müßte, da man doch wiße, was für ein einiger, zusammenhaltender Wille bei allem Haße, den sie untereinander haben, die Teufel zu einem Mittelpunkt und bösen Ziele treibe. Er sagt zweitens, die Juden selbst könnten Ihm um so weniger eine Verbindung mit Beelzebub zur Austreibung von Teufeln beimessen, weil sonst derselbe Vorwurf in vervielfachtem Gewichte auf das Haupt ihrer Kinder fallen würde. Denn unter diesen trieben manche ohne Wunder, auf andere, erklärliche Weise Teufel aus; da aber jeden Falls zwischen ihnen und dem Satan leichter ein Zusammenhang und Zusammenhalt angenommen werden konnte, als zwischen diesem und dem heiligen JEsus, so mußten ihre Teufelsaustreibungen in dem Maße verdächtiger werden, in welchem JEsu Heilungen verdächtigt waren. Recht erwogen, waren die zwei angeführten Gegengründe JEsu vollkommen hinreichend, die Verkehrtheit der jüdischen Anschuldigung und Lästerung bloß zu legen. Der HErr verwies sie aber doch auch noch drittens darauf, daß sie sich mit dergleichen haltlosen Einwendungen muthwilliger Weise selbst die Augen verblendeten, das kommende Reich Gottes und den Sieg des Heilandes ja nicht zu sehen. Denn jeden Falls wären Seine Teufelsaustreibungen durch Gottes Finger geschehen; mit ihnen selber wäre das Reich Gottes nahe gekommen, und auch sie bewiesen, daß Er der Stärkere wäre, der dem Starken in den Palast fallen und seinen Raub austheilen könnte. Solches sagte Christus unmittelbar zur Abwehr gegen die Lästerung Seiner Feinde. Dann aber wendete Er Sich vor allem Volke zu dem Geheilten und warnte ihn vor Sicherheit. Unsaubere Geister, welche einmal in Menschen gewesen und von ihnen ausgetrieben seien, hielten sich an wüsten Orten auf, voll Sehnsucht nach der verlaßenen Herberge und Behausung. Sie könnten sich nicht enthalten, auf Rückkehr zu denken; fänden sie dann den Menschen, aus welchem sie verjagt worden, sicher und ohne Hut, so nähmen sie sieben ärgere Geister zu sich, kämen wieder, bemächtigten sich des vorigen Aufenthaltes aufs neue, und dann sei das Letzte ärger denn das Erste. − Ueberlegt man diese Reden, so ergeben sich ganz offenbar folgende Sätze, welche ich euch absichtlich recht kurz und abgegränzt und, wie ich hoffe, behältlich genug und dem biblischen Worte getreu vortragen will:

Es gibt ein böses Geisterreich.
Die bösen Geister suchen ihre Ruhe im Menschen und glauben durch Besitzungen einige Erleichterung für ihre Qual zu finden.
Im Reiche des Teufels ist Zusammenhang, Plan und eine gewisse Einigkeit aller Bestrebungen. Alle teuflischen Besitzungen sind in den Plan miteingerechnet und werden eben deshalb von Teufeln nicht aufgehoben. Kein Teufel vertreibt den andern.
Die Teufel können mit und ohne Wunder ausgetrieben werden, denn JEsus vertreibt sie wunderbarlich, die Kinder der Juden ohne Wunder.
Ausgetriebene Teufel irren in Wüsteneien.
Sie suchen Rückkehr und tragen ein Verlangen darnach, den Menschen zu überfallen, aus dem sie weichen mußten.
Durch ihre Besitzungen suchen sie Ruhe für sich, für die Menschen aber Plage und Qual, sonst würden sie nicht in versiebenfachter Zahl wiederkehren.
Jede Besitzung ist etwas Arges, sonst würde nicht| von einem ärgeren Uebel bei der Rückkehr der Teufel die Rede sein. Ist das Letzte ärger als das Erste, so muß das Erste schon arg gewesen sein.
Christus erbarmte Sich der Menschen und ein Hauptzweck Seiner Erscheinung auf Erden war, die Menschen von den Besitzungen und Plagen des Teufels zu befreien.
Christus hat nicht bloß einzelne Teufel ausgetrieben, sondern auch den Obersten der Teufel in seinem höllischen Palast angegriffen, ihm seine Rüstung ausgezogen und bei Seiner Höllenfahrt einen Triumph aus ihm gemacht.

 Bedenkt man nun diese Sätze und dazu, wie sicher sie aus den Worten Christi fließen, so gehört doch viel dazu, sich in der vorgefaßten Meinung, daß kein Teufel und kein böses Geisterreich sei, daß es also auch keine Wirkungen und Besitzungen des Teufels geben könne, treu zu bleiben. Wie kann man sich denn hierin treu bleiben, ohne dem HErrn zu widersprechen? Wie kann man Ihm widersprechen, ohne sich über Ihn zu stellen, ohne Ihn zu lästern? ohne Ihn Lügen zu strafen, ohne Ihn also zu einem Bösewicht zu machen und damit der Sünde theilhaft zu werden, welche sich nach dem heutigen Evangelium die Feinde Christi aufluden? Was macht man da aus dem Heiland, was aus sich selbst! Wie schnöde beraubt man sich alles Heils und aller Hoffnung! Was bleibt einem vom Christentum übrig, wenn man Christum auch nur in einem Stücke betrüglich fand? In der That, nichts, gar nichts, − und man sollte dann doch wenigstens Muth genug haben, zu gestehen, wie völlig alles Heiles baar, wie ganz verarmt man in religiösen Dingen ist, wie das Herz durch den Unglauben alle Hoffnung und Aussicht verloren hat. Aber freilich, eben weil man so gar elend und arm geworden ist, hat man auch zur Offenheit den Muth nicht mehr, oder man findet es der Mühe nicht mehr werth, offen zu sein, oder, denn auch ein solcher Betrug kann das Herz umnebeln, man hält es für eine Art von Barmherzigkeit, andere nicht durch ein Bekenntnis eigener Leerheit in dem Wahne zu stören, der sie glücklich macht. Jedenfalls wird man so zum Heuchler, zum übertünchten Grabe voll Moders, unwahr gegen andere, ein Bestreiter göttlicher, wahrhaftiger Worte, ein Feind des HErrn, unsittlich und verwerflich durch und durch.

 Wie viel beßer ist es da, sich vor JEsu zu neigen, sich von Ihm lehren und warnen zu laßen, sich selber Lügen zu strafen, statt des HErrn Wort in Zweifel zu ziehen. Es gibt nach des HErrn Wort ein böses Geisterreich, so wollen wir ihm entfliehen. Es gibt Anfechtungen und Besitzungen des Satans, so wollen wir doch wachen und beten, daß wir nicht gefangen, noch überfallen werden. Noch sind die Werke des Teufels nicht so zerstört, daß er nicht Erlaubnis hätte, wie er einst einen Hiob versuchte und plagte, auch einen Apostel Paulus mit Fäusten zu schlagen: deshalb sei es uns heiliger Ernst, uns Christo zu ergeben und täglich unsern Taufbund zu erneuen, in welchem wir bereits an der Schwelle des Lebens dem Satan entsagten. Die Gewisheit, daß wir unsichtbare Feinde haben, die nach unsren Seelen stehen, treibe uns, die Waffenrüstung dankbar anzuziehen, die wir Ephes. 6. lesen, und in den Kampf zu gehen. Die Gewisheit, daß der HErr den Sieg gewonnen und nun in unsrem Kampfe bei uns ist, mache uns freudig und zuversichtlich, daß der HErr wie Seinen Kampf, so auch Seinen Sieg in uns wiederholen werde. Wir kennen die Feinde, wir kennen ihre List, drum seien wir vorsichtig und eifrig, und weil uns die Glorie des Sieges und Triumphes bekannt ist, so seien wir geduldig und langmüthig im Streit bis ans Ende. So grauenhaft unser Kampf, so herrlich der Sieg. Dem jagen wir nach. Nichts halte uns auf, nichts werde geduldet, was uns hindern könnte, wohl zu kämpfen. Ist irgend eine Leidenschaft oder Trägheit in uns, die dem Satan die Pforte der Seele, des Leibes oder Geistes öffnen könnte, so wollen wir uns nicht schonen, sondern dem Unglück und bösen Stündlein zuvorkommen, ausreuten wollen wir in der Macht des HErrn so böses Unkraut. Und sehen wir irgend einen unserer Mitgenoßen im Kampf und Leben vom Satan übermocht, seis daß die Seele vom Blendwerk seines Reiches umnebelt, seis daß der Leib dahingegeben wäre in des Satans Plagen: da laßt uns vor ungläubiger Umgebung uns nicht schämen, das Beste zu thun, was gethan werden kann, sondern laßt uns zusammenstehen und helfen, d. i. beten ohne Unterlaß, bis uns der HErr ansieht und durch Erhörung uns und dem Leidenden, ja dadurch der Welt und dem Teufel kund thut, daß Er lebt und regiert in Ewigkeit und daß die Frist und Wartezeit, die bis zum jüngsten Tag vergeht, und die Stille, die Er, der ewige König und| Richter beobachtet, kein Beweis ist, daß Ihm des Satans Werke wohlgefallen und daß Er sie ewiglich auf dem Acker Seiner Welt wolle walten und wuchern laßen.

 Zu diesen Reden sind wir durch JEsu Worte und durch das Benehmen veranlaßt worden, womit Er denen begegnete, die Sein Wunder am Stummen so ungünstig aufnahmen, daß sie alles verkehrten, JEsum aus einem Besieger des Satans zu einem von ihm Besiegten, den Satan aus dem Besiegten zum Sieger JEsu machten. Scheiden wir von Menschen dieser Art und wenden uns zu beßeren! Gehen wir aber auch eher nicht von ihnen, als bis wir an die eigene Brust geschlagen und uns die Frage beantwortet haben: Hast du selbst, o Seele, die du in mir wohnest, niemals Gott und Sein Thun angezweifelt, das Gute mit dem argwöhnischen, das Böse mit vertrauendem Auge angesehen? Wenn Gottes Wort in deine Tiefen drang, wenn du unruhig wurdest, wenn du merktest, daß es mit dir nicht stand, wie es sollte, hast du da nicht den HErrn gelästert und Seinen Geist betrübt, hast du da nicht Den geprüft, der dein Herz und deine Nieren prüfte, und Ihn gefragt, von wannen Er sei und aus welcher Macht Er dir deine Abgründe enthülle und dich unzufrieden mache? Und umgekehrt, wenn du dein und deines Inwendigen vergaßest, Hoffnung und gute Meinung von dir selbst faßtest, zufrieden mit dir wurdest, den Heuchler und Schmeichler in und außer dir rechtfertigtest, des ewigen Gerichtes nicht mehr achtetest, weltlich wurdest: jauchztest du da vielleicht auf, prüftest nicht, gabest dich hin und hieltest die Stunde, da du träumend am Abgrund wandeltest, für eine Stunde, die dir der HErr gemacht, die Er dir wenigstens gegönnt hätte, statt daß du schreckenvoll hättest auffahren und schnell entfliehen sollen darum, daß des Teufels Fallstrick über dir rauschte? Prüfe dich, rath ich dir; schlag an deine Brust, und laß mich hoffen, daß du gedemüthigt mit mir weiter gehst in der Betrachtung dieses Textes. −

 Als der HErr Seine majestätischen Reden beendigt hatte, fanden sich im Volkshaufen, der Ihn umgab, Leute, in denen der mächtige und gute Eindruck, welchen das Wunder gemacht hatte, durch Seine Worte noch verstärkt worden war. Man kann sichs denken, denn schon das Lesen der unaussprechlich großartigen Worte JEsu zieht auf die Kniee nieder. Ein Weib, das so ergriffen wurde, war ihrer nicht mächtig; voll inbrünstiger Verehrung und Anbetung rief sie aus: „Selig ist der Leib, der Dich getragen, und die Brüste, die Du gesogen hast!“ Wer rechtfertigt das Weib nicht, wer spricht nicht Amen zu ihrer Rede? Wer freut sich ihrer Worte nicht? Wer will ihre Anbetung antasten? Aus dem tiefsten Innern eines weiblichen Gemüthes, schön und schicklich im höhern Styl, vollkommen wahr hat sie gesprochen. Sie sei gesegnet für ihre heilige Lobpreisung, und wer sich in die Umstände versetzen kann, in den Augenblick, da des HErrn göttliches Wort verstummte, da die Feinde und Pharisäer für ihre Lästerung innerlich, wie äußerlich bestraft waren, der wird im Andenken solcher Feinde, welche den HErrn zum Satansknechte machten, jeden Falls gerne das herrliche Gegentheil, die Seligpreisung des Weibes wiederholen und sprechen: „Nein, Du hast nichts mit Satan und seinem Reich zu schaffen, Du bist heilig und barmherzig und gnädig! Selig ist der Leib, der Dich getragen und die Brüste, die Du gesogen hast!“ − Gab doch auch der HErr selbst dem Weibe nicht Unrecht, sondern wies nur denen, die mit Ihm in keiner leiblichen Verwandtschaft standen, einen Weg, der auch sie, wie Seine Mutter, selig machen konnte, einen Weg, der im Zusammenhang mit den vorausgehenden Reden desto paßlicher war. „Ja, sagte Er, selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren.“ Das Wunder und die Vertheidigung JEsu hatten die rechte Wirkung auf das Weib gehabt. Sie ist ganz Auge, ganz Ohr für Ihn geworden, und nun hört sie ihren Himmelsweg mit wenigen Worten beschrieben. An der Handleitung des Wunders ist sie zu dem HErrn gekommen; nun liegt alles für ihre Seligkeit daran, daß sie Seine Worte höre und bewahre.

 Wir haben uns die Freiheit genommen, weniger die ungünstige Aufnahme des Wunders JEsu, als Seine heilige Entgegnung ins Auge zu faßen, weil sie ja, wenn schon in der Geschichte das Gelegentliche, doch für uns die Hauptsache war. So wollen wir uns nun seine zweite Freiheit nehmen und abermals nicht die günstige Aufnahme des Wunders, sondern die dadurch veranlaßten Worte JEsu betrachten. Das laßt uns thun; dann gehen wir fröhlich in unsere Hütten und freuen uns JEsu, und daß wir Seine Jünger sind.

 Das Weib ist durch das geschaute Wunder eine| gläubige Hörerin JEsu geworden; das Wunder hat an ihr seinen Dienst gethan und seinen Zweck erreicht. Eben so hat auch jetzt noch bei denen, welche JEsu Wunder nicht sahen, sondern sie nur hören und betrachten, die rechte Wunderwirkung stattgehabt, wenn sie fortan auf alle Worte des großen Wunderthäters horchen. Seine Wunderthaten sollen so Zuschauer, wie Leser und Hörer zu Seinem Worte vorbereiten, und Sein Wort erzählt uns dann wieder von Thaten, und zwar von solchen, vor denen der Glanz aller einzelnen Wunder erbleicht, von Thaten, welche den allergrößten, z. B. der Schöpfung zur Seite treten, von der Versöhnung, von der Erlösung, von der Heiligung der Menschheit. Wenn von diesen Sein Wort erklingt, da heißt es dann: „Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren!“ Denn das Wort bringt uns alsdann nicht bloß eine Kunde von dem, was Gott in Christo JEsu für uns gethan, sondern es theilt uns zugleich alle Frucht und Seligkeit der für uns vollbrachten Werke Gottes mit; es ist für uns, so oft es sich hören läßt, ein Brunnen lebendigen Waßers, von welchem wir rein und satt werden fürs ewige Leben. Ach, meine lieben Brüder, was liegt doch alles für uns arme Menschenkinder in den Worten: „Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren!“ Und wie ganz anders klingen sie, als die bekannte irrige Behauptung: „Selig sind, die Gott vorausbestimmt hat zum ewigen Leben!“ Gegen dieß kalte schaurige Wort, wie ganz anders, wie lieblich und heilsam klingt die Stimme des guten Hirten, von der wir sagen! Er ruft Seine Schafe zu Seinem Gehorsam und macht von den süßen Geschäften des Hörens und Bewahrens Seiner Worte Himmel und Seligkeit abhängig. Hören − bewahren, was Er sagt: sind das Bedingungen der Seligkeit? Kann man sie füglich so nennen? Ist auch jemand, der es zur Bedingung des Almosens, um welches gebeten wird, machen möchte, daß man es nehme und bewahre? Versteht sich das nicht von selbst? Wie preiset also der HErr Seine Gnade und Erbarmung gegen uns, indem Er uns die Worte sagt: „Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren!?“ Es ist ja grade so viel, als ob Er spräche: Selig will Ich euch machen − und wenn ihrs werden wollet, so höret und bewahret nur Meine Worte; denn durch das gehörte und bewahrte Wort Meines Mundes mache Ich selig. Ergreift im Wort Meine Hand und allen ihren Reichtum; tretet, indem ihr das Wort aufnehmet, auf den leichten, von Mir gebahnten Weg zum ewigen Leben!

 Faßet doch aber, meine Freunde, ja recht die Worte Hören und Bewahren! Das Hören des äußern Ohres ohne Theilnahme des innern macht nicht selig, eben so wenig als das Hören des äußern unter Haß und Abneigung des innern. Nicht der Leib allein soll hören, sondern Leib und Seele, damit sie, wie sie zusammen geschaffen sind, auch zusammen selig werden. Aufmerksames, überlegendes, eingehendes Hören − das ist das Erste. Beifall kommt dem, der vorurtheilsfrei höret und die Regungen des natürlichen Bösen, das sich in ihm wider das Wort auflehnt, nicht achtet, wie von selbst. Aus treuem, fleißigem Hören erwächst unvermerkt eine Lust zu Gottes Wort und aus dieser Lust Liebe und Muth, Kraft und Geduld zu allem Guten.

 Freilich aber darf dabei das zweite Wörtlein „Bewahren“ nicht aus der Acht gelaßen werden. Was wäre auch ein Hören ohne Bewahren, ein Lernen ohne Gedächtnis, ein Sammeln ohne Gebrauch, ein frischer Quell, von dem man nicht tränke? Zum Segen, zum rechten vollen Segen des Hörens kann ohne Bewahren niemand kommen. Höre, höre aufmerksam, überlegend, eingehend, treu und fleißig; aber bewahre das Gehörte. Bewahre es, indem du es vor Gottes Angesicht, in deinem Kämmerlein wiederholst, es immer wieder erneuest, darüber betest, in der Schrift forschest, ob es sich auch also hält, − dich selber prüfest, ob du dich darnach hältst, dich strafest, wenn es nicht so ist, dich ermunterst und in Gott erweckst, daß es fortan beßer werde. Das alles gehört zum Bewahren und darauf kommt es an, wenn das Böse in uns überwunden, wenn die Kraft des göttlichen Wortes, die es zum Siege verleiht, erkannt und empfangen werden soll, wenn man den listigen Anläufen des Teufels mit heiler Seele entrinnen will. Was wird dir dein Hören helfen ohne Bewahren? Weißt du nicht, in welch einer Welt du lebst, daß der Satan wider deine Seele streitet? Schon das Hören sucht er zu verhindern, und wann ist er geschäftiger gegen die Menschen, als wenn sie dem HErrn ein empfängliches Ohr zukehren? Und wie kommt er erst empor mit viel tausend Künsten, wenn er merkt, daß Gottes Wort seine Dienste thut, daß die Seligkeit dem Hörer immer näher kommt, weil sich seine Seele ernstlich mit dem gehörten Worte beschäftigt,| aus dem Hören ein Bewahren, aus dem Bewahren eine Bewährung, und die Seligkeit selbst des Lebens Ziel, Hauptsorge und erstes Geschäft wird! − Wie viele hören eine Weile, aber auf die Länge ertödet sie beim Hören des Wortes Langeweile, weil sie das Bewahren nicht verstehen! Wie viele bewähren sich eine Weile, dann aber fallen sie wieder ab! Wie viele empfanden schon die Seligkeit des Hörens und Bewahrens und verlieren sie dennoch wieder! Wie viele bewährten sich bis nahe ans Ende, aber doch nicht ganz bis ans Ende, so daß ihr Letztes dann doch noch ärger wurde, als ihr Erstes! Man sollte es genau und ernst und beharrlich und sehr geduldig nehmen mit dem Hören und Bewahren, weil so gar alles darauf ankommt! − Hören und Bewahren! Dahinein geht doch auch alles, darin liegt alles. Die ganze Heilsordnung, die ganze Ordnung des Streites im Heerlager der Christenheit, alles ist drin. Ohne Hören und Bewahren ist keine Berufung, keine Erleuchtung, kein Glaube, keine Heiligung, keine Erhaltung im rechten, einigen Glauben, keine Vollendung zum ewigen Leben. So nöthig das Predigtamt und seine Predigt, so gewis ohne es kein Anfang, kein Mittel, kein Ende des Glaubens und Lebens in Christo JEsu ist, so nutzlos ist es doch bei allen denen, die nicht hören und bewahren. Zwei müßen immer zusammen kommen, zusammen wollen, zusammen vollbringen, oder es wird nichts vollbracht und nichts gewonnen. Die zwei aber sind der Redende und der Hörende, der Gebende und der Nehmende, − und der Nehmende, der muß auch bewahren. Das wollen wir merken!

 So hörte, so bewahrte Maria, Gottes Mutter. An sie wohl dachte der HErr, als Er gegenüber der Seligpreisung des Weibes die Hörenden und Bewahrenden selig pries. Daß ihr Leib den HErrn getragen, daß Er ihre Brüste gesogen, war eine Seligkeit, die Maria mit keinem Weibe theilen konnte. Aber ein seliges Beispiel der Nachahmung, ein Vorbild auf dem Weg zum ewigen Leben war sie im Hören und Bewahren. Darin sollte das lobpreisende Weib Marias Nachfolgerin werden, darin sollen ihr alle Weiber, alle Seelen nachfolgen. Das will der HErr, und wenn das geschieht, dann ist der Zweck der Wunder erreicht, dann wird Beelzebub sammt allen Teufeln überwunden, dann mindert sich das Elend, dann mehrt sich das Glück, dann naht sich das ewige Leben, dann wird man selig! Darum helfe uns zu diesem Hören und Bewahren vor allem andern der gnädige und barmherzige HErr! Amen.




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