Erinnerungen an meinen Bruder Heinrich Heine

Textdaten
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Autor: Maximilian Heine
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Titel: Erinnerungen an meinen Bruder Heinrich Heine
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aus: Die Gartenlaube, Heft 5 und 16, S. 73–75 und 249–251
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[73]
Erinnerungen an meinen Bruder Heinrich Heine.
Von Maximilian Heine.
I.


In einer aufgeregten Stunde gab ich dem theuren Bruder Heinrich das Versprechen, und er meinte, der jüngere dürfe dieses dem älteren Bruder nach den Naturgesetzen schon zusagen, sein künftiger Biograph zu werden. Es war vorauszusehen, daß nach des Dichters Ableben eine Fluth biographischer Schriften über ihn erscheinen würde; dictirt von der innigsten Liebe und heitersten Verehrung, oder von dem blassesten Neide und persönlichsten Hasse. Die Einen versetzten ihn in einen Himmel, welchen wir mit den schärfsten Teleskopen nicht erreichen können, die Anderen in eine Hölle, deren Gluth, Gott Lob, weder dem Verstorbenen, noch seinen Feinden schaden wird.

Das muß sich jeder große, geniale, den wichtigsten Zeitfragen sich rücksichtslos hingebende Schriftsteller gefallen lassen, zumal wenn er bei Lebzeiten die Peitsche der Satyre, den Morgenstern des Witzes und die Herkuleskeule der Verachtung alles Geistlosen und Niedrigen so glorreich wie unbarmherzig geschwungen hat.

Kaum ist ein Jahrzehnt dahin, daß sein Grab geschlossen wurde, noch stehen sich die Meinungen auf dem politischen, religiösen [74] und socialen Felde zu schroff entgegen, noch ist in der Literaturgeschichte nicht die unentbehrlichste, objective Ruhe eingetreten, als daß ich jetzt schon, zumal wo es einen nur so nahe stehenden Verwandten betrifft, ein ganzes biographisches Lebensbild des Dichters und Menschen zeichnen könnte.

Die Erörterung, was Heinrich Heine seinen Zeitgenossen und den folgenden Generationen Nützliches und Unvergängliches geleistet, muß späteren Decennien vorbehalten bleiben. Wohl aber kann ich heute schon einen Theil meines dem geliebten Bruder gegebenen Versprechens lösen, indem ich die folgenden kleinen Bilder aus dem Leben des Dichters mittheile, welche der künftige Biograph in den Rahmen seiner literarhistorischen Arbeit einflechten kann und die manchen der Irrthümer, viele Verwechselungen und falsche Angaben berichtigen werden, die sich in die gegenwärtigen Biographien Heinrich Heine’s absichtlich und unabsichtlich eingeschlichen haben. Ist doch namentlich das Privatleben des Dichters auf das Niedrigste verleumdet worden. Die guten Freunde werden in diesen meinen Aufzeichnungen mit aufrichtiger Theilnahme wahrnehmen, wie der Knabe, der Jüngling sich oft geberdet hat, ehe er der große Liebling des deutschen Volkes geworden. Mögen diese kleinen Lebenszüge, die ich ohne alle systematische Ordnung gebe, wie sie mir gerade vor die Erinnerung treten, zur wahren Kenntniß des Menschen, zur Aufklärung manches socialen Verhältnisses und, ich will auch dies hoffen, zur Sühne des beleidigten Genius ihr Scherflein beitragen.

Später sollen die Briefe Heinrich Heine’s an seine Geschwister, gleichfalls kleine Bilder zur Kenntniß des Dichters, und die eigenen Aufzeichnungen meines Lebens folgen.
M. H.


Als Heinrich Heine das Gymnasium in Düsseldorf besuchte, war er am Schlusse des Schuljahres einer von den Schülern, die bestimmt waren, bei dem öffentlichen Schulactus ein Gedicht vorzutragen.

In jener Zeit schwärmte der junge Gymnasiast für die Tochter des Oberappellationspräsidenten von A …. Diese war ein wunderschönes, schlankes Mädchen mit langen, blonden Locken. Ich bin überzeugt, daß manches seiner ersten Gedichte an diese reizende, fast ideale Erscheinung gerichtet war. Der Saal, in welchem der Schulactus stattfand, war Kopf an Kopf gefüllt. Ganz vorn, auf prachtvollen Lehnstühlen, saßen die Schulinspectoren. In der Mitte zwischen denselben stand ein leerer goldener Sessel.

Der Oberappellationspräsident kam mit seiner Tochter sehr spät, und es blieb nichts Anderes übrig, als dem schönen Fräulein auf dem leerstehenden, goldenen Sessel, zwischen den ehrbaren Schulinspectoren, den Platz anzuweisen. Heinrich Heine war gerade in der Declamation des „Tauchers“ von Schiller in vortrefflichem Schwunge bis zur Stelle gelangt, wo es heißt:

„Und der König der lieblichen Tochter winkt,“

da wollte es sein Mißgeschick, daß sein Auge gerade auf den goldenen Sessel fiel, wo das von ihm angebetete schöne Mädchen saß. Heinrich stockte. Dreimal wiederholte er die Stelle: „Und der König der lieblichen Tochter winkt“, aber er kam nicht weiter. Der Classenlehrer soufflirte und soufflirte; Heine hörte nichts mehr. Mit großen, offenen Augen schaute er, wie auf eine plötzlich erschienene überirdische Gestalt, auf den goldenen Sessel hin und sank dann ohnmächtig nieder. Keiner im Saale ahnte die Ursache. „Das muß die große Hitze im Saale gethan haben,“ sagte der Schulinspector zu meinen herbeieilenden Eltern und ließ alle Fenster öffnen.

Nach vielen Jahren hat er mir den Zusammenhang dieser Jugendbegebenheit erzählt, indem er sich oft mit dem Ausrufe unterbrach: „Wie war ich damals unschuldig!“


Unsere Mutter, die überhaupt für eine ziemlich strenge Erziehung war, hatte von unserer ersten Jugend an uns daran gewöhnt, wenn wir irgendwo zu Gast waren, nicht Alles, was auf unseren Tellern lag, aufzuessen. Das, was übrig bleiben mußte, wurde der „Respect“ genannt. Auch erlaubte sie nie, wenn wir zum Kaffee eingeladen waren, in den Zucker so einzugreifen, daß nicht wenigstens ein ansehnliches Stück zurückbleiben mußte.

Einstmals hatten wir, meine Mutter und ihre sämmtlichen Kinder, an einem schönen Sommertage außerhalb der Stadt Kaffee getrunken. Als wir den Garten verließen, sah ich, daß ein großes Stück Zucker in der Dose zurückgeblieben war. Ich war ein Knabe von sieben Jahren, glaubte mich unbemerkt und nahm hastig das Stück Zucker aus der Dose. Mein Bruder Heinrich hatte das bemerkt, lief erschrocken zur Mutter und sagte ganz eiligst: „Mama, denke Dir, Max hat den Respect aufgegessen!“

Ich habe dafür eine Ohrfeige bekommen, vor der ich mein ganzes Leben Respect behalten habe.


Von meiner frühesten Jugend an liebte ich die deutschen Dramatiker; viel mag zu dieser Neigung beigetragen haben, daß ich, fast Kind noch, sehr oft in das Theater mitgenommen wurde. Es war dies die Zeit, wo die Ritterspiele auf der Bühne im vollen Flor standen. „Johann von Montfaucon“, „die Kreuzfahrer“ etc. waren des Knaben Lieblingslectüre. Ich war damals dreizehn Jahre alt. Mein Bruder Heinrich bemerkte ungern diese meine Lectüre.

„Max,“ sagte er eines Tages zu mir, „solche Bücher verderben den Geschmack, ich werde Dir ein anderes Buch schenken, damit magst Du Dich in Deinen Freistunden beschäftigen. Es ist auch ein Theaterstück.“ Bei diesen Worten nahm er von seinem Tisch ein kleines, in schwarze Pappe eingebundenes Büchlein und sagte: „Dies schenke ich Dir.“ Ich schlug des Büchleins Decke auf und las zum erstenmal den Titel: „Faust, von Goethe. Der Tragödie erster Theil“.

Ich blickte in die ersten Blätter hinein, die den wunderschönen Prolog enthalten, dann, nach echter Knabenart, schlug ich die letzte Seite auf, wo die Worte:. „Heinrich her zu mir,“ – „Sie ist gerettet,“ mir so räthselhaft klang. Ich sah meinen Bruder ganz erstarrt an, als wie Einer, der da sagen wollte: „Die Komödie begreife ich nicht.“ Er nahm darauf das Buch in die Hand, griff rasch zur Feder und schrieb Folgendes auf die innere Seite des Deckels:

„Dies Buch sei Dir empfohlen,
Lies nur, wenn Du auch irrst:
Doch, wenn Du es verstehen wirst,
Dann wird Dich auch der Teufel holen.“

Viele Jahrzehnte waren darüber hingegangen, als wir bei meiner Anwesenheit in Paris, einige Jahre vor dem Tode des Dichters, auf Goethe’s „Faust“, zweiten Theil, zufällig zu sprechen kamen. „Ich habe nie vergessen, Heinrich,“ sagte ich, „was Du mir einst in dem ersten Theile des „Faust“ zur Erinnerung eingeschrieben hattest, und citirte obige Verse.

„Nun, Max, was antwortest Du mir jetzt?“

Ich nahm ein Stück Papier und schrieb mit Bleifeder Folgendes

„Lieber Bruder, hab’s verstanden,
Leider! wie Du’s selbst gedacht,
Doch den Goethe nicht begriffen,
Der den zweiten Theil gemacht.“

Mein Bruder lächelte, drückte mir die Hand und sagte: „Dieses Blättchen soll zu meinem Nachlaß gehören.“

Der von Heinrich mir geschenkte „Faust“ ist mir auf eine unbegreifliche Weise schon längst abhanden gekommen. Die Verse mit seiner vollen Namensunterschrift, Ort, Datum und Jahreszahl waren kalligraphisch schön geschrieben. Ich kann mir lebhaft vorstellen, daß vielleicht nach einem Jahrhundert dies Büchlein auf irgend einer Auction seltener Autografen erscheinen mag und ein origineller Engländer dafür eine gute Summe von Pfunden Sterling bieten wird. Ich protestire jedoch hiermit feierlichst gegen den Verkauf dieses mir unehrlicher Weise abhanden gekommenen Buches, wenn nicht die Hälfte der dafür gebotenen Summe für dieses mein Eigenthum meinen derzeitigen Erben, mögen sie Heine oder Arendt-Heine heißen, auf das Gewissenhafteste ausgezahlt wird.


Es war die Absicht unserer Mutter, daß wir sämmtliche Geschwister recht musikalisch gebildet würden. Heinrich sollte Violine spielen lernen. Ein Lehrer wurde angenommen, die Musikstunden wurden bestimmt, die auf einem oberen Stübchen eines in dem Garten gelegenen Flügels unseres Hauses in Düsseldorf stattfinden sollten. Meine Mutter kümmerte sich um nichts weiter, als daß der Lehrer allmonatlich richtig bezahlt wurde. Heinrich that, nämlich in Worten, als ob er ganz für die Violine lebte.

So war ein Jahr hingeflossen, als einstmals um die Zeit der Musikstunde meine Mutter im Garten spazieren ging. Zu ihrer größten Befriedigung hörte sie ein gutes und fertiges Violinspiel. Sie freute sich schon in der Seele über die Fortschritte ihres [75] Erstgeborenen und eilte die Flügeltreppe hinauf, um dem gewissenhaften Lehrer recht sehr zu danken. Als sie die Thür öffnete, sah sie zu ihrem großen Erstaunen, wie Heinrich der Länge nach auf einem Divan lag und der Lehrer vor ihm auf und ab ging und ihn mit seinem Violinspiel unterhielt. Die Sache klärte sich damit auf, daß auf diese Weise die Musikstunden gegeben worden waren und mein Bruder nicht die Tonleiter rein zu spielen vermochte. Der Lehrer wurde verabschiedet, und bei dem ausgesprochenen Widerwillen Heinrich’s gegen die Violine hatte ein für alle Mal der Musikunterricht sein Ende. –

Bei dieser Gelegenheit will ich auch erzählen, wie der Tanzunterricht sein Ende nahm, gegen den Heinrich einen noch größeren Widerwillen hatte. Der Tanzlehrer, klein, dünn, schmächtig, aber grob, quälte den Knaben immerfort mit Battements, so daß er alle Geduld verlor und Grobheit gegen Grobheit austauschte. Ein vollständiger Conflict begann, und der auf’s Höchste gereizte Knabe warf den leichten Tanzlehrer aus dem Fenster. Glücklicher Weise fiel er auf einen Misthaufen und wurde von meinen Eltern mit einer Geldsumme entschädigt. Heinrich hat nie im Leben wieder getanzt.


Ich erinnere mich noch, als ob es heute geschehen wäre, der Ueberraschung unserer Eltern beim Empfange der ersten Gedichte meines Bruders. Durch die Post kam das sauber gedruckte, grün eingebundene Bändchen mit dem Titelblatte: Gedichte von H. Heine, gedruckt im Jahre 1822. Verlag der Maurer’schen Buchhandlung in Berlin.

Wohl hegte man im elterlichen Hause seit mehreren Jahren den Verdacht, daß Heinrich poetischen Unfug, wie ein lieber Verwandter sich auszudrücken pflegte, treibe. Aber, daß er die Keckheit hätte mit einem ganzen Bande Gedichte, mit voller Namensunterschrift vor die Welt zu treten, das erregte beinahe Bestürzung.

Die so günstigen, öffentlichen Recensionen, das gute Urtheil zuverlässiger, geistig begabter Freunde der Familie, milderten allmählich den Eindruck des Schreckens. Mit wachsendem Wohlgefallen hielt der Vater das Büchlein in den Händen, die Mutter gönnte ihm unbelauscht einen freundlichen Blick, und, was mich betrifft, so imponirte mir gewaltig unser gedruckter Name. Von nun an folgte der Vater dem beginnenden Rufe des Sohnes und forschte nach den öffentlichen Urtheilen.

Goethe stand damals in höchster Blüthe, sein vergötterter Name schien Alles zu verschlingen, was nur in der deutschen Literatur auftauchen wollte. Die Literaturgeschichte weiß von den sogenannten Goethekoraxen damaligen Zeit viel zu erzählen, die Alles verneinten, was nicht von dem hohen Meister hervorgegangen. Man sprach und schrieb nur über Goethe, und dies ewige Geträtsch, diese fast kindische Abgötterei mit dem Namen Goethe, der Anfang und Ende aller Literaturblätter und Journale bildete, machte unter diesen Umständen, nach den Ansichten des Vaters, die Concurrenz seines Sohnes Heinrich mit dem großen Goethe doch bedenklich.

„Wie soll mein Junge aufkommen?“ sagte mein Vater oft, „wenn man immer und immer nur von Goethe sprechen will?“

Dieser Umstand machte dem guten Vater die größten Widerwärtigkeiten; er hatte sich zuletzt, ohne daß er es wußte, in einen wahren Haß gegen Goethe hineingelebt. Nun wollte es noch der böse Zufall, daß unser ganzes Haus selbst für Goethe schwärmte, all’ überall ein Band von Goethe’s Gedichten zu finden war. So oft nun der Vater unwillkürlich einen dieser Bände öffnete und ihm der verhaßte Titel: „Gedichte von Goethe“ in die Augen fiel, verfinsterte sich sein sonst so heiteres, freundliches Antlitz. Wir aber konnten nicht ohne Goethe sein. Die Mutter erfreute sich an den Elegien, Heinrich las immer wieder die kleinen reizenden Gedichte, und ich lernte die „Braut von Korinth“ und den „Gott und die Bayadere“ auswendig.

Da verfiel mein Bruder auf einen absonderlichen Gedanken, um dem Kummer des Vaters ein Ende zu machen. Plötzlich waren die so elegant eingebundenen Bände der „Gedichte Goethe’s“ von ihren respectiven Plätzen verschwunden, und an ihrer Stelle lagen ganz armselig eingebundene Bücher, deren Titel lautete: „Gedichte von Schulze“. Heinrich hatte die Bücher umbinden, den Namen Goethe sanft auskratzen, und die Stelle mit „Schulze“ überkleben lassen. Als der Vater zufällig einen Band dieser Bücher öffnete und „Gedichte von Schulze“ las, legte er ganz heiter zufrieden den Band bei Seite und dachte bei sich: „weder dieser Schulze, noch ein Müller, noch ein Meier, werden dem Namen meines Sohnes hinderlich sein.“ Die Mutter aber, die sofort den Witz bemerkt hatte, nahm einst in Abwesenheit des Vaters einen Band, schlug den Titel auf, und sagte, indem sie den Finger auf die Stelle legte, wo „Goethe“ verschwunden und „Schulze“ hineinescamotirt war: „Mein lieber Sohn, möchtest Du einst nur halb so berühmt werden, wie ,Schulze‘, der Verfasser dieser Gedichte.“


Mein Bruder Heinrich war mehrmals gegenwärtig, wenn ich, als Primaner des Gymnasiums, meine prosodischen Arbeiten anfertigte. Ich hatte damals eine große Vorliebe für das classische Metrum und durch vieles Uebersetzen und tägliche Uebung eine außerordentliche Leichtigkeit in Anfertigung von deutschen Distichen erlangt. Obgleich Heinrich die Alten besonders hochschätzte und bereits damals durch seine Gedichte einen großen Namen als Poet erworben hatte, so hatte er sich doch im deutschen Hexameter bisher nie versucht. Wir sprachen viel über diesen Gegenstand. Ich citirte Goethe’s herrliche Elegien und forderte meinen Bruder auf, auch einmal in diesem Versmaße einen Gegenstand poetisch zu bearbeiten. Ich wiederholte mehrmals Goethe’s reizenden Vers, wo er auf den Nacken der Geliebten „mit fühlendem Auge und sehender Hand“ des Hexameters Maß scandirt hat.

Endlich ging Heinrich an die Arbeit, und als ich an einem der nächsten Vormittage in sein Zimmer trat, kam er mir mit einem Blatt entgegen, freudig ausrufend: „Siehst Du, auch ich bin unter die Hexameter gegangen.“ Er recitirte mir einige Zeilen eines Gedichtes: „Trost für Dito“, wobei ich aber schon beim dritten Hexameter (keine kleine Satisfaction für einen Primaner) dem bereits berühmten Dichter in die Rede fiel: „Um Gotteswillen, lieber Bruder, dieser Hexameter hat ja nur fünf Füße.“ Und nun scandirte ich ihm mit wichtigster Schulweisheit den Vers vor. Als er sich vom Fehler überzeugt hatte, zerriß er leider das Papier mit den Worten: „Schuster, bleib bei Deinem Leisten!“

Ein paar Tage nach dieser Begebenheit, wovon übrigens nicht mehr gesprochen worden war, stand eines Morgens früh, als ich eben aufwachte, Heinrich vor meinem Bette. „Ach, lieber Max,“ begann er mit kläglicher Miene, „was für eine schauerliche Nacht hab’ ich gehabt.“ Ich erschrak. „Denke Dir, gleich nach Mitternacht, eben als ich eingeschlafen war, drückte es mich wie ein Alp; der unglückliche Hexameter mit fünf Füßen kam an mein Bett gehinkt und forderte von mir unter den fürchterlichsten Jammertönen und selbst schrecklichsten Drohungen seinen sechsten Fuß. Ja, Shylock konnte nicht hartnäckiger auf sein Pfund Fleisch bestehen, als dieser impertinente Hexameter auf seinen fehlenden Fuß. Er berief sich auf sein urclassisches Recht und verließ mich mit schrecklichen Gebehrden nur mit der Bedingung: daß ich nie wieder im Leben mich an einem Hexameter vergreifen wolle.“

Heinrich hat Wort gehalten, denn außer einigen zahmen Xenien, in Gemeinschaft mit Carl Immermann verfaßt, hat er nie wieder in diesem Versmaße gedichtet.


Als Heine in Bonn studirte, trug er gewöhnlich einen Studentenrock von schwarzem Sammet. Da der Rock ziemlich abgetragen war, so bestellte er bei seinem Schneider einen neuen Rock vom schönsten blauen Sammet und versprach seinem täglich kommenden Barbier seinen alten, welcher beständig im Vorzimmer an einem Nagel hing. Der Schneider brachte zur bestimmten Zeit den neuen schönen Rock und hing denselben an dem Nagel im Vorzimmer auf, von dem zufällig der alte Rock weggenommen war. Als Heine bald darauf rasirt wurde, sagte er dem weggehenden Barbier: „Heute können Sie den Rock draußen mitnehmen.“

Der Barbier dankte auf’s Verbindlichste, empfahl sich und nahm aus dem Vorzimmer den schönen neuen Rock mit.

Heine kleidete sich nun an, um in seinem schönen neuen Sammetrocke spazieren zu gehen, wozu ihn ein eintretender Freund einlud. Wie erschrak er, als sein neuer Rock weg war; er sagte aber nichts weiter als: „Hat der Barbier Glück!“ und zog den alten an.

Späterhin in seinem Leben, so oft von einem Menschen die Rede war, der sehr viel Glück hatte, sagte er nichts weiter, als: „Hat das Barbierchen Glück!“ und erzählte dann ganz gemüthlich, wie er seinen alten Sammetrock und sein Barbier den neuen behalten hat.

[249]
II.

Allen, die in den zwanziger Jahren in Göttingen studirt haben, dürfte es wohl noch in Erinnerung sein, daß die ein Stündchen von Göttingen belegene anständige Kneipe, „die Landwehr“ genannt, von vielen Studenten besucht wurde.

Ganz besonders mag den ehemaligen Burschen das schöne Schenkmädchen, „Lottchen von der Landwehr“ geheißen, in Erinnerung geblieben sein. Dieses Mädchen war eine reizende Erscheinung. Höchst anständig, gleich freundlich gegen alle Gäste, bediente sie Alle mit wunderbarer Schnelligkeit und graciöser Behendigkeit. Sehr oft besuchte Heinrich Heine in Begleitung seiner Freunde aus der Landsmannschaft der Westphalia diese Schenke, um daselbst zu Abend zu essen, gewöhnlich „eine Taube“ oder eine „Viertel Ente mit Apfelcompot“. Das Mädchen gefiel auch Heinrich sehr; er liebte mit ihr zu scherzen, wozu sie übrigens weder Veranlassung noch Erlaubniß gab, ja einstens umfaßte er sie, um sie zu küssen.

Da hätte man das beleidigte Mädchen sehen müssen; vor Zorn ganz roth stellte sie sich vor Heine hin und hielt eine so würdevolle Ansprache, kanzelte ihn dermaßen moralisch herunter, daß nicht blos er, sondern auch alle übrigen Studenten, die anfangs dieser Scene recht fidel mit zugesehen hatten, ganz verlegen und kleinlaut davonschlichen.

Heine blieb längere Zeit von der Landwehr weg und erzählte allenthalben, wie ein junges, seiner weiblichen Würde bewußtes Mädchen allezeit den kräftigsten Schutz gegen jede Frivolität in sich selbst berge. Nach einem Monat zog es ihn jedoch wieder nach der Landwehr mit der eitlen Absicht, das hübsche Mädchen völlig zu ignoriren. Wie war er aber erstaunt, als er in die Schenke trat! das Mädchen kam heiter lächelnd ihm entgegen, gab ihm die Hand und sagte ganz unbefangen: „Mit Ihnen ist etwas ganz Anderes als mit den übrigen Herren Studiosen, Sie sind ja schon so berühmt wie unsere Professoren; ich habe Ihre Gedichte gelesen, ach, wie herzlich schön! Und das Gedicht vom ‚Kirchhof‘ weiß ich fast auswendig; und jetzt, Herr Heine, können Sie mich küssen in Gegenwart von allen diesen Herren. Seien Sie aber auch recht fleißig und schreiben Sie noch mehr so schöne Gedichte.“

Als mein Bruder mir später, fast gegen Ende seines Lebens, diese Geschichte erzählte, sagte er wehmüthig: „Dies kleine Honorar hat mir mehr reine Freude verursacht, als späterhin alle die blinkenden Goldstücke von Herren Hoffmann und Campe.“

Lottchen wurde später recht glücklich verheirathet und bekam viele Söhne, deren ältester zur Erinnerung an den berühmten Dichter Heinrich genannt wurde.




Es ist leicht denkbar, daß die Mutter oft ihre Noth hatte mit der Sturm- und Drangperiode ihrer drei Söhne. Sie hatte viel zu schlichten, aber noch mehr zu bezahlen. Der Geldbeutel Heinrich Heine’s war von jeher ein Danaidenfaß. Ueber das Maß freigebig, für Freunde sich aufopfernd, und echt philanthropisch gesinnt, hatte er es bei sehr großen Einkünften nie zu ordentlicher Finanzwirthschaft gebracht; wohl verstand er sehr gut zu berechnen, was er einnahm, – was er aber ausgab, vergaß er vollständig.

Die Mutter, eben so praktisch wie klug, rechnete auch ganz vortrefflich, kam aber einmal bei ihrem genialen Sohn sehr zu kurz.

Während Heinrich die Universität Göttingen besuchte, war die Einrichtung getroffen, daß ihm alle drei Monate eine Geldanweisung zugeschickt wurde, die er bei einem dortigen Kaufmann in Baarem einlösen konnte. Nun verstand es Heinrich durch allmähliche Vorausnahme und sonstige Confusion erregende Correspondenzen dahin zu bringen, daß er einmal in einem Jahre fünf Quartal-Geldanweisungen erhielt, was die Mutter erst nach mehr als einem Jahre bemerkt hatte. Sie war nicht wenig piquirt, daß sie, die gute Rechnerin, von ihrem Sohne, dem schlechten Finanzmanne, so sehr übervortheilt worden war. Sie ließ es still hingehen, doch jedesmal später, wenn der geniale Sohn ihr etwas Problematisches für positiv ausgeben wollte, sagte sie ganz ruhig: „Lieber Sohn, nicht jedes Jahr hat fünf Vierteljahre,“ und damit wurde der Gegenstand abgebrochen.




Folgende sehr heitere Scene mit meinem Bruder bleibt mir unvergeßlich. An einem schönen Tage machten wir in einer leichten offenen Kalesche einen Ausflug von Göttingen nach dem einige Meilen entfernten preußischen Städtchen Heiligenstadt. Ein anmuthiger Chausseeweg führt dahin. Wir plauderten viel; Heinrich hatte eben erst seine Promotion als Doctor beider Rechte überstanden. Wir moquirten uns über die lächerliche Titelsucht und Heinrich rief: „Wer mich Doctor Juris schimpft, dem mache ich einen Injurienproceß, in welchem ich mit Hülfe der zehn römischen Tafeln selbst plaidiren werde, oder prügele ihn so lange durch, bis er auch den Doctor der Medicin ruft.“

Mittlerweile waren wir an die Grenze des preußischen Staates gelangt, wo an dem schwarz-weißen Schlagbaume ein martialisches „Halt!“ gerufen wurde und ein Originalstück von Gamaschenfeldwebel mit purpurrother Nase zu uns herantrat. Er richtete an meinen Bruder folgende Fragen:

„Vorname?“

Antwort: „Heinrich.“

„Zuname?“

Antwort: „Heine.“

[250] „Titel?“

Antwort: „Liegt schon im Namen.“

Nachdem der Feldwebel dies in Hieroglyphen auf einer Schiefertafel protokollirt hatte, begann er abermals zu fragen:

„Und der andere Herr? Vorname?“

Antwort: „Maximilian.“

„Zuname?“

Antwort: „Bruder.“

„Titel?“

Antwort: „Haupthahn zu Mariahüpp.“

Da ich gerade am letzten Sonntage zu Mariaspring (einem lieblichen Tanzort in der Nähe von Göttingen und von den Studenten Mariahüpp genannt) sehr viel herumgetanzt hatte, so sollte der Haupthahn so viel als ein Haupttänzer heißen. Auch Obiges wurde von dem Grenzfeldwebel gewissenhaft notirt, dann kam die Frage:

„Nichts Zollbares?“

Antwort: „Nichts, außer Gedanken und Schulden.“

Wieder eine Frage:

„Absicht der Reise nach Heiligenstadt?“

Antwort; „Um katholisch zu werden.“

Bekanntlich ist das in diesem Winkel gelegene Heiligenstadt eine strengkatholische Stadt.

Der Preuße machte ein gar ernstes Gesicht, schüttelte mit dem Kopfe und schloß mit der Frage:

„Kehren die Herren zurück?“

Antwort: „Ja, in der Nacht als Bischöfe.“

So wurde damals bei den Studenten nach den bekannten Getränken Jeder benannt, der vom „Bischof“ schon zu viel und von dem „Cardinal“ noch zu wenig hatte.


Auf einer Reise von Berlin nach Hamburg begleitete ich meinen Bruder. Wir fuhren mit einem Lohnkutscher und konnten demnach unsere Reisestationen nach Willkür eintheilen. Am zweiten Reisetage gegen Mittag fühlte sich mein Bruder sehr unwohl; wir beschlossen sofort in der nächsten kleinen Stadt Halt zu machen und zu nächtigen. „Lieber Max,“ sagte mein Bruder zu nur, „ich fühle mich sehr aufgeregt, verschreibe mir etwas.“

Ich erfüllte sofort seinen Wunsch und verschrieb eine beruhigende Arznei, die ich mit Mandelsyrup versetzen ließ. Die Medicin sah demnach ganz weiß aus.

Als Heinrich den ersten Löffel eingoß, sagte er: „Zu Dir habe ich volles Vertrauen; ich sehe, Du bist kein Brownianer“.

Zur näheren Erklärung diene, daß mein Bruder oft braun aussehende Mixturen eingenommen hatte, die ihm sehr zuwider waren.

Bekanntlich war John Brown der Gründer des nach seinem Namen benannten Brownianismus, eines Systems, das, auf falsche Grundsätzen basirt, viel Unheil in der Arzneiwissenschaft angerichtet und leider vielen Menschen das Leben gekostet hat.


Zu den Bekannten Heinrich Heine’s in Hamburg gehörte auch ein junger Kaufmann, der vielerlei Geschäfte angefangen hatte und doch nie auf einen grünen Zweig kommen konnte. Endlich gerieth dieser Kaufmann auf die Idee einen „Oelhandel“ zu beginnen, nachdem so viele seiner commerciellen Unternehmungen bereits mißglückt waren.

Als Heinrich Heine dies gehört hatte, rief er seufzend aus: „Armer N., das ist Deine letzte Oelung!“ und richtig, die Prophezeiung ging alsbald in Erfüllung; der junge Kaufmann wurde auch in diesem seinem letzten Geschäfte banquerott, verließ den Handelsstand und schlug einen ihm mehr zusagenden Lebensweg ein. Derselbe ist jetzt angesehen und reich, hat aber von seinem letzten Geschäftszweige her einen solchen Widerwillen gegen das Oel behalten, daß er bis jetzt, wie man sagt, selbst den Salat ohne Oel ißt.


Heinrich Heine schrieb manches seiner herrlichen kleinen Gedichte in Lüneburg, in welcher Salinen-Stadt die Eltern zur Herstellung der Gesundheit des Vaters einen zeitweiligen ruhigen Aufenthalt genommen hatten. Zu diesen Gedichten gehören z. B. „Nacht lag auf meinen Augen“, „Ein Jüngling liebt ein Mädchen“, „Mein Herz, mein Herz ist traurig“, und die Stelle in dem Gedichte:

„Am alten grauen Thurme
Ein Schilderhäuschen steht,
Ein rothgeröckter Bursche
Dort auf und nieder geht.“

bezieht sich auf die damals noch rothuniformirten hannoverischen Soldaten. Die ganze Beschreibung in diesem Gedichte paßt genau auf die damalige Localität des Lüneburger Walles. Der junge Ruhm des nur erst einige zwanzig Jahre zählenden Dichters drang schon bis in die Schichten der höheren intelligenten Gesellschaft und man suchte seine Bekanntschaft. Der dortige Generalsuperintendent Christiani hatte einen Sohn Namens Rudolph Christiani, Doctor Juris, welcher beim Stadtmagistrate angestellt war. Dieser noch junge Mann war sehr schön, von großer Eleganz, liebenswürdigen Manieren, kenntnißreicher Aesthetiker und, was man damals so zu nennen beliebte, ein geschätzter Stadtpoet. Er suchte Heinrich gleich auf, schloß mit ihm innige Freundschaft und blieb immer sein poetischer Leibknappe. Beide verlebten täglich viele Stunden bei einander. Das mit den Worten beginnende Gedicht: „Diesen liebenswürdigen Jüngling“ bezieht sich ganz auf Doctor Christiani; es ist eine gereimte Photographie des Mannes, unvergleichlich wahr in den Worten:

„Zierlich sitzt ihm Rock und Höschen,
Doch noch zierlicher die Binde,
Und so kommt er jeden Morgen,
Fragt, ob ich mich wohl befinde?“

Dieser Christiani ist derselbe, der, zum Deputirten in der hannoverschen Kammer gewählt, als gewandter Redner der Opposition den Ministern zu seiner Zeit schweren Verdruß gemacht hat. Deshalb nannte ihn auch Heine in einem anderen launigen Gedichte „den Mirabeau der Lüneburger Haide“.

Auf diese Weise wurde nun Doctor Christiani mit uns Allen bekannt und besuchte auch immer, so oft er nach Hamburg kam, unsere dort verheirathete Schwester Charlotte. Ich will hier beiläufig erwähnen, daß diese von uns innig geliebte, höchst liebenswürdige, seelen- und geistvolle Schwester, die Jugendgespielin Heinrich’s, großen Einfluß auf das poetische Gemüth des Knaben gehabt hat, was auch an vielen Stellen im „Buche der Lieder“ seinen entschiedenen Reflex gefunden. Ebenso wörtlich wahr wie plastisch schön ist das ganze Gedicht, das mit den Worten anfängt:

Mein Kind, wir waren Kinder,
Zwei Kindlein, klein und froh;
Wir krochen in’s Hühnerhäuschen,
Versteckten uns unter das Stroh.“

Wer das „Buch der Lieder“ gerade zur Hand hat, möge das Ganze nachlesen, und es wird ihm das volle, treue Bild zweier so interessanter Kinder, wie Heinrich und sein Schwesterchen, recht lebendig vor sein geistiges Auge treten. Unsere Schwester, so begabt und intelligent sie auch war, theilte das Loos aller Töchter Eva’s, die Lust Heirathen zu stiften, und so sprach sie denn von einer unserer Cousinen, die sich zum Besuche im Hause des reichen Onkels befand, so lange, bis der Doctor Christiani warm wurde, das niedliche junge Mädchen, das auch Charlotte hieß, in unserer Familie kennen lernte und seine entschiedene Neigung zur Heirath aussprach. Meine Schwester beeilte sich, bei dem alten Onkel, von dem sie eine reiche Mitgift für die Nichte voraussetzte, ein dahinzielendes Wort fallen zu lassen, das aber für den ersten Augenblick ignorirt wurde. Schon glaubte meine Schwester die Sache für immer beseitigt, im Herzen selbst darüber nicht unzufrieden, weil sie fürchtete, indiscret und nicht diplomatisch genug verfahren zu sein. Da trat nach einiger Zeit, an einem Sonntag Morgen (dieser geschäftsfreie Morgen wurde vom Onkel immer den angenehmen und unangenehmen Familienangelegenheiten besonders gewidmet) der alte Onkel plötzlich und unangemeldet in das Boudoir meiner Schwester: „Guten Morgen, Lottchen! gieb mir einmal einen Bogen Papier, einen Bleistift und wiederhole mir ganz wörtlich, was Du mir über Doctor Christiani gesagt hast.“ Meine Schwester, die des alten Onkels lakonisches Verfahren zu gut kannte, war nicht wenig erschrocken, da sie wohl wußte, daß man hier nicht zu wenig sagen und in dem, was man sagte, auch nicht ein Haar breit von der absolutesten Wahrheit abweichen durfte. Welch’ eine schwere Aufgabe für eine Hochzeitsstifterin, die pflichtgemäß ihren Candidaten auf das Vortheilhafteste herausstreichen soll!

Nun gingen die Fragen los über Alles, Lebensweise, Tugenden, [251] Vermögensverhältnisse und sonstige Fähigkeiten des designirten Bräutigams, was Alles vom Onkel, wie von einem Instructionsrichter, zu Papier genommen wurde. Meine Schwester hielt das Kreuzfeuer der Fragen mit großer Vorsicht aus; die Partie kam zu Stande, der Onkel gab achtzigtausend Mark Banco der Nichte als Mitgift, der glänzende Polterabend, zu dem ich ein Festspiel mit Tanz geschrieben hatte, wurde von ihm arrangirt, die Hochzeit selbst (die Trauung wurde vom Vater Christiani’s, dem alten General-Superintendenten, vollzogen) in Ottensen (der schönen Villa des Onkels) gefeiert, und wir hatten eine Frau Doctor Christiani in unserer Familie.

Mein Bruder Heinrich, der damals schon in Paris wohnte, schrieb in Folge dieser neuen Verwandtschaft an Doctor Christiani einen ungemein heiteren Brief, der so anfing: „Wir können uns jetzt wie die Könige mon Cousin anreden,“ etc. Da, wo Heinrich von Christiani’s künftigem Onkel, dem Löwen der Familie, spricht, schreibt er ihm: „Fürchte Dich nur nicht gleich, wenn er brüllt, ist er doch sonst gut und edel, am umgänglichsten aber in der Fütterungsstunde.“

Dieser so höchst originelle Brief hatte Abschriften gefunden und sollte den Feinden und Widersachern des Dichters – und zu diesen gehörten ganz besonders Dr. Riesser in Hamburg, die Schwiegersöhne des Onkels, Halle und Oppenheimer – zur Angriffswaffe dienen, als Onkel und Neffe einstmals wieder in momentanen Conflict gerathen waren. Aber der gute Onkel nahm die Sache von der heitersten Seite und unterschrieb einst einen in bester Laune abgefaßten Brief an mich mit den Worten: „Dein Dich liebender Onkel vor der Fütterungsstunde.“