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Einsegnungsunterricht 1917
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5. Stunde
am Montag, den 8. Oktober nachmittags.
Lied 303, 1-4. Psalm 77. Kollekte 222, 48.
Die Durchführung der Reformation der Kirche.
Man könnte die Frage stellen: Warum haben die Reformatoren vor der Reformation, von welchen wir gesprochen haben, eine Reformation der Kirche nicht zustande gebracht? Warum schlugen all ihre Bestrebungen zur Besserung des christlichen Kirchenwesens fehl? Man kann ja wohl deutlich einen Fortschritt wahrnehmen in dem Erkenntnisstand derer, die gegen die Mißbräuche in der Kirche aufgetreten sind. Die frühesten Bestrebungen gegenüber der beginnenden Verderbnis in der Kirche von denen wir hörten, der Montanismus, Donatismus und auch später die Katharer haben doch eigentlich nur die Mißbräuche in der Kirche gestraft und ans Licht gezogen. Positive Reformationsgedanken dagegen lagen ihnen meist noch ferner. Mit den Waldensern aber begann der große, wichtige Fortschritt, daß man dem Volke das Wort Gottes, die Bibel in die Hand geben wollte und vollends Wiclif und Hus kannten schon die Gerechtigkeit, die aus dem Glauben kommt. Damit war doch eigentlich schon gegeben und vorhanden, was man die Prinzipien, die Hauptgrundsätze der Reformation nennt. Wir sind gewöhnt zu sagen, daß das Reformationswerk von 2 großen Grundsätzen ausgegangen ist, deren einer auf die Quelle der Wahrheit geht, daß das die Schrift allein und ausschließlich ist, der andere aber auf den Inhalt der geoffenbarten Wahrheit sich bezieht, nämlich den Weg zum Heil und zur Gerechtigkeit aus Gnaden durch den Glauben allein. Diese beiden Grundsätze der Reformation waren doch schon von den späteren Waldensern, von Wiclif und Hus erkannt und geltend gemacht; man wird aber sagen müssen, daß den beiden Männern, Wiclif und Hus – und Hus besonders, der sonst am meisten die innere Kraft zu einem Reformator besessen hätte – eines gefehlt hat, nämlich die Erkenntnis dessen, was die Kirche ist. Beide nahmen eigentlich doch nur eine unsichtbare Kirche an und damit wird die sichtbare Kirche nicht gebaut. Das ist auch in der Gegenwart wohl fest zu halten. Ein in Diakonissenkreisen mit Recht hochangesehener Mann, D. Zöllner, früher Vorstand des Kaiserswerther Diakonissenhauses, jetzt Generalsuperintendent in Münster, der sich zu den Lutheranern innerhalb der preußischen unierten Landeskirche rechnet, hat vor etlichen Wochen in der gegenwärtigen Notzeit des Kirchenwesens den Vorschlag gemacht, man solle die bestehenden Landeskirchen| rein äußerlich einfach als Zweckverbände ansehen. Es bestehe nun einmal, sagt er, der Gegensatz zwischen Modernen und Gläubigen. Dieser Gegensatz kann nicht tief genug gefaßt werden; er ist unüberbrückbar. Wie soll man aber helfen? Die Modernen treten nicht auf der Kirche aus, die Gläubigen werden auch nicht im Sinne haben den Modernen so leicht das Feld des gegenwärtigen Kirchenbestandes zu überlassen. So nehme man, meint Zöllner, eben den gegenwärtigen Zustand als gegeben an; man benütze die Gotteshäuser nebeneinander; man halte das Kirchengut gemeinsam, man stelle sich gemeinsam unter das Schutzdach des Verfassungswesens der Kirche, die wieder die staatliche Gewalt hinter und neben sich hat. Auf diese Weise, meint er, könne man am leichtesten über die gegenwärtige Schwierigkeit des Verhältnisses zwischen Modernen und Gläubigen hinüberkommen. Ja freilich damit wäre der tatsächliche Zustand, wie er, Gott sei’s geklagt, gegenwärtig an nicht wenig Orten vorhanden ist – daß eben moderne und positive Geistliche in derselben Stadt, an derselben Gemeinde amtieren und predigen – der wäre damit als der rechtmäßige anerkannt. Es bleibt aber ein großer Unterschied, ob man etwas tatsächlich Bestehendes als bedenklich erkennt, es bestreitet, bekämpft, sich ernstlich dagegen verwahrt, wenn man mit dem Kampf dagegen nicht immer durchgreifen kann, oder ob man es geradezu anerkennt. Mit diesem Vorschlag Zöllners wäre die Gleichberechtigung verschiedener Glaubensrichtungen in der Kirche anerkannt und die sichtbare Kirche – das möchte ich betonen – wäre damit aufgegeben. Hier steht warnend das Beispiel dieser Reformatoren vor der Reformation da; die bei all ihrer rechten Erkenntnis von der Alleingültigkeit der Schrift und von dem alleinseligmachenden Glauben doch keine Reformatoren der Kirche geworden sind und werden konnten, weil sie den richtigen Begriff von der Kirche, von der sichtbaren Kirche nicht besaßen. Nun da Luther von Gott erweckt worden war, war das auserwählte Rüstzeug für die Reformation der Kirche vorhanden. Hus z. B. erklärte die Kirche für die Gesamtheit der zum Leben, zur Seligkeit Prädestinierten, das führt mit Notwendigkeit einer Sekte zu oder zu fanatischem Wesen, wie es bei einem Teil der Anhänger des Hus nach seinem Tode hervorgetreten ist. Luther erkannte je länger je mehr die richtige Antwort auf die Frage, wo und wodurch die Kirche sichtbar sei, nämlich durch Wort und Sakrament. In ihnen wirkt der heilige Geist und wo Gottes Wort und Sakrament rein und lauter gelehrt wird, da haben wir die Gewißheit, daß da die wahre Kirche ist, des heiligen Geistes Werk und des heiligen Geistes Werkzeug zugleich. Darum konnte Hus kein Reformator der Kirche werden, aber Luther ist es geworden, nachdem nun auch die von Gott gewollte und bestimmte Zeit dazu erschienen war.
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| Wir reden:
von der Ausführung der Reformation der Kirche

und zwar fassen wir ins Auge:

1. die weltgeschichtliche Vorbereitung,
2. den bedeutsamen Ausgangspunkt,
3. die sieghafte Weiterführung
4. die sichtliche Bewahrung und
5. die tatsächliche Ausgestaltung.


I.
Die den Anfang des Reformationswerkes erlebt haben, bezeugen, daß es damals allen die auf eine Besserung warteten war, als ob nun der ersehnte Tag anbräche nach langer Finsternis und geistiger Knechtschaft. Einer der Männer, die in Nürnberg das Reformationswerk besonders trugen und beförderten, war der Meistersänger Hans Sachs, der vielfach der geistige Führer der Bürgerschaft Nürnbergs war. Er begrüßte bekanntlich die Reformation mit einem Lied auf die Wittenberger Nachtigall und dieses Lied beginnt mit den Worten: „Wohlan, es naht nun gen dem Tag.“ Längst war das Werk der Reformation ersehnt. Nun waren dazu nach Gottes Fügung die Wege geebnet. Es gibt ein Ereignis ohne gleichen in der Welt, ein Gotteswerk im vollsten Sinn, ja die größte Gottestat, das ist die Sendung des Sohnes Gottes in die Welt. Von ihr sagt St. Paulus (Gal. 4) „Da die Zeit erfüllet war, sandte Gott seinen Sohn.“ Er weist darauf hin, daß die Sendung des Sohnes Gottes in die Welt jetzt erfolgen konnte und mußte nach Gottes Willen, nachdem das Vollmaß der Zeit erreicht, nachdem alles zur Erscheinung des Herrn vorbereitet war. Alles, was zuvor in der Welt geschehen ist, hat doch nur geschehen müssen um dem Kommen Jesu Christi Bahn zu machen. Wenn man nun Kleines und Großes, Göttliches und Menschliches miteinander vergleichen darf, so kann man hier eine Aehnlichkeit finden. Man kann auch bei der Reformation wie nicht leicht bei einem andern Ereignis von der weltgeschichtlichen Vorbereitung derselben reden. Was diese weltgeschichtliche Vorbereitung des Reformationswerkes anlangt, so kann man zunächst mit mehr äußerlichen Dingen, mit Erfindungen und Entdeckungen beginnen, die nicht lange zuvor gemacht worden waren. So ist der Reformation ein wesentlicher Dienst erwiesen worden durch die Erfindung der Buchdruckerkunst, die um 1440 durch Johann Guttenberg aus Mainz gemacht wurde. Nicht lange vorher war wahrscheinlich in Nürnberg das noch gegenwärtig gebräuchliche Leinenpapier erfunden worden. Durch die Erfindung der Buchdruckerkunst ist es möglich gewesen, die Kenntnis des Lesens überall im Volk zu verbreiten;| die Bildung konnte Gemeinbesitz werden, da jedermann sich Bücher verschaffen konnte. Es ist auch nicht Zufall, daß zur Zeit Luthers – man meinte, bis vor kurzen von ihm selbst – die Buchstabiermethode für das Lesenlernen in den Schulen erfunden worden ist. Durch die Erfindung der Buchdruckerkunst ist auch der Gebrauch der heiligen Schrift, die Verbreitung der Bibel in den weitesten Kreisen möglich geworden; denn bis dahin waren die mit der Hand geschriebenen Bücher unendlich teuer. So ist es auch merkwürdig, daß das erste größere Buch, das Guttenberg gedruckt hat, die lateinische Bibel (vollendet 1456) gewesen ist.

Auch eine andere Erfindung aus anderem, noch mehr äußerlichem Gebiet mußte in gewissem Sinn zur Vorbereitung einer neuen Zeit dienen. Das ist die schon 100 Jahre vorher ebenfalls in Deutschland gemachte Erfindung des Schießpulvers, das nachweislich erstmals 1415 in der Schlacht bei Azincourt zur Verwendung gekommen ist. Damit wurde dem Rittertum allmählich ein Ende gemacht. Die Schlacht zwischen Mühldorf und Ampfing im Jahr 1322, in welcher Ludwig der Bayer, der erste Kaiser aus bayrischem Stamm, seinen Gegner, Friedrich den Schönen von Oesterreich besiegte, wird als die letzte eigentliche Ritterschlacht bezeichnet. Bis dahin kämpften die Ritter; jetzt durch Erfindung des Schießpulvers fiel das Hauptgewicht auf das Fußvolk und zunächst auf die Landsknechte. Der Ritterstand hatte seine Bedeutung als einziger wehrhafter Stand verloren. An die Stelle des Ritterwesens im Mittelalter trat das Bürgertum.

So ist bedeutsam im Zusammenhang damit das Emporkommen der Städte, das kurz vor der Reformationszeit besonders hervortrat in seinem Bestreben von den Landesherren sich unabhängig zu machen und womöglich unmittelbarer Reichsstand zu werden. Der Bürgerstand hat den Fortschritt der Zeit getragen und die Städte sind es besonders gewesen, in welchen das Reformationswerk am meisten Anklang und begeisterte Aufnahme fand. Was hat eine Stadt wie Magdeburg der Kirche der Reformation alles getan in schwerer Zeit und in ihrer Weise auch die Stadt Nürnberg. Auf anderem Gebiet muß hingewiesen werden auf die Entstehung der Universitäten, der Hochschulen, als höchster Bildungsstätten derer, die als Führer des Volkes auf geistlichem oder weltlichem Gebiet berufen waren. Es ist doch nicht zufällig, daß Luther seinem Hauptberuf nach sein Leben lang Professor der Theologie an der Universität Wittenberg gewesen ist. Die Universitäten als universale, d. h. allumfassende Stätten der höchsten Bildung, kamen zunächst in Italien auf. In Deutschland sind die ältesten Universitäten Prag 1348, Heidelberg 1383 und Leipzig 1409 gegründet. Die Universität Wittenberg war im Anfang des 16. Jahrhunderts im Jahre 1502 von Kurfürst Friedrich dem Weisen gestiftet worden.| Auf den Universitäten lernten fortan auch diejenigen, die Diener des Wortes werden wollten und man darf sagen, bis auf diesen Tag hat die evangelische Universität doch vorherrschend die Führung auf theologischem und kirchlichem Gebiet gehabt und behalten. Auch diese Einrichtung mußte der Reformation den Weg ebnen.

Eine neue freiere Geistesrichtung machte sich aber auch geltend wie aus der hohen Schule so in den gebildeten Kreisen überhaupt. Eine höchst merkwürdige Ursache, die Entdeckung von Amerika 1492, mußte mit dazu dienen, den Gesichtskreis des Wissens erheblich zu erweitern. Ging durch die Entdeckung der neuen Welt der Blick in die Weite, so ist eine andere Geistesrichtung, die wir heute früh schon genannt haben, in die ferne Vergangenheit eingedrungen: das war der Humanismus. Humanismus heißt eigentlich Menschentum und ist, wie schon früher gesagt, das Bestreben der Ausbildung aller menschlichen Geistesgaben und der Erforschung aller menschlichen Lebensverhältnisse auf Grund dessen, was die alten Bildungsvölker, die Griechen und Römer geschaffen haben. Dieser Humanismus, diese Richtung auf menschliche Erkenntnis aus den den Menschen von Gott verliehenen Gaben, ist durch ein merkwürdiges Geschehnis geweckt und befördert worden. Dazu mußte die Eroberung von Konstantinopel durch die Türken dienen, deren wir schon Erwähnung getan haben, weil dadurch das oströmische Reich, das byzanthinische Kaisertum sein Ende erreichte. Dadurch, daß die Türken Konstantinopel eroberten, sah sich eine Menge griechischer Gelehrten veranlaßt, westwärts zu fliehen und so brachten sie nach Italien die Kenntnis der griechischen Sprache und die Geisteswerke des griechischen Volkes. Dadurch wurde diese Erneuerung der Wissenschaft auf dem abendländischen Geistesgebiet herbeigeführt. In Italien hat sich der Humanismus nach seiner gefährlichen Seite hin entwickelt, die ich auch schon betonte; da bei diesem an sich berechtigtem und notwendigem Bestreben die Gefahr besteht, den Menschen ausschließlich auf sich selbst zu stellen. Ja, in Italien hat der Aufschwung, den die Wissenschaft und Kunst genommen hat, vielfach geradezu ein neues Heidentum herbeigeführt. In Deutschland nahm er eine ernstere Gestalt an. Ich erwähnte schon, welch großen Dienst die deutschen Humanisten der Reformation erwiesen haben, durch die Belebung der Wissenschaft und durch die Kenntnis der hebräischen und griechischen Sprache. Nach dieser Seite hin werden ihnen wir Evangelischen stets Dank wissen und besonders Gott dankbar sein für den Mann, der aus einem Humanisten einer der treuesten Bekenner und Luthers nächster Gehilfe geworden ist, nämlich Philipp Melanchthon.

Doch darf zur Vorbereitung der Reformation auch das nicht übergangen werden, was auf kirchlichem Gebiet geschah. Dazu ist zu rechnen, daß das Verderben doch immer offenbarer wurde und| immer allgemeiner anerkannt wurde. Rom selbst wurde zwar ein Sitz der Künste und Wissenschaften, aber auch eines neuen Heidentums und die Päpste haben vor der Reformation und bis tief in die Reformationszeit hinein doch eigentlich nur Politik getrieben. Es war ihnen hauptsächlich um die Hebung ihres Länderbesitzes, ihres sogenannten Kirchenstaates zu tun. Ueber dem vergaßen sie alles andere und übersahen selbst die Gefahr, welche die deutsche Bewegung der bisherigen römischen Kirche bringen mußte. Wir wissen, daß Luther, als er in Rom weilte, den damaligen Papst Julius II. zum erstenmal sah, als derselbe an der Spitze eines Heeres aus dem Kriege zurückkehrte; auch ein eigentümliches Bild für den Statthalter Christi, der sich den Knecht der Knechte nennt. – Aber auch die Zeugen der Wahrheit vor der Reformation hatten nicht umsonst gewirkt, besonders die gesunde Mystik, die der Reformation sehr unmittelbar die Wege bereitet hat. Das zeigt der Name eines Mannes, der so wichtig und bedeutsam für Luthers Lebensweg war, D. Johann v. Staupitz. Er hat Luther der Rechtfertigung geben können. Zu bedauern ist, daß diesem Mann die volle Erkenntnis gefehlt hat, daß es eine Kirche Christi gibt. Er begnügte sich damit, daß er für seine Person die Wahrheit hatte und sie im engen Kreis betätigte; vor der Kirche dafür einzutreten, dazu entschloß er sich nicht. Er zog sich, nachdem er Luther die größten Dienste erwiesen, – ihn innerlich gefördert und äußerlich auf den richtigen Posten nach Wittenberg gestellt hatte –, ganz und völlig zurück, trat aus dem Augustinerorden, um dem Kampf aus dem Wege zu gehen, aus, trat zum Benediktinerorden über, ward Abt des St. Petersklosters in Salzburg und liegt auf dessen Friedhof begraben, nachdem er auf einer Erholungsreise in St. Zeno in Reichenhall am 28. Dezember 1524 verschieden war. So können wir sagen: der ersehnte Zeitpunkt war herbeigekommen.


II.

Und nun gab Gott dem Reformationswerk seinen bedeutsamen Ausgangspunkt.

Was dieser Ausgangspunkt war, braucht im Jubeljahr des Reformationsbeginns nicht gesagt zu werden, aber zu zeigen ist, wie das ein von Gott gegebener Ausgangspunkt gewesen ist – der Kampf gegen den Ablaß. Was war der Ablaß? Nicht Sündenvergebung, das hat die römische Kirche nie gelehrt; aber es ist von Ablaßpredigern freilich so hingestellt und vom armen Volk so hingenommen worden. Ablaß ist an sich der Nachlaß der Büßungen oder Genugtuungen, die in der Beichte aufgelegt werden mußten und von denen unter Umständen zu befreien die Kirche sich das Recht zuschrieb. Auf einen falschen Begriff von Buße weist das natürlich hin, Buße ist nach der Schrift Sinnesänderung und umfaßt| im weiteren Sinn beides Reue und Glauben, im engeren Sinn nur die Reue, die Abkehr von der Sünde, wo dann neben sie die Heimkehr zu Christo, der Glaube tritt. Beiderlei Bedeutung des Wortes findet sich in der Schrift. Die Buße oder Reue ist notwendig als Voraussetzung des Glaubens, weil nur der zum Glauben kommen kann, der in Buße erkannt hat, daß er einen Heiland braucht. Die päpstliche Kirche sah die Buße an als eine äußere Handlung, die von Zeit zu Zeit, ja möglichst oft wieder vollzogen werden muß und die drei Bestandteile in sich schließt: Zerknirschung des Herzens, Bekenntnis mit dem Munde und Genugtuung mit der Tat. Neben der Zerknirschung und neben dem Bekenntnis in der Ohrenbeichte sind auch Genugtuungen mit der Tat notwendig um die zeitlichen Strafen der Sünde damit abzubüßen, wie es jetzt die katholische Kirche hinstellt, während sie zu Luthers Zeit mehr geneigt war zu lehren: das Verdienst Christi vergebe die Schuld der Erbsünde, aber für die Tatsünden müsse der Mensch selber Genugtuung leisten. Jedenfalls wurde gesagt, daß diese Genugtuungen auch erlassen werden könnten aus dem Schatz überschüssiger guter Werke heraus, die sich in der Kirche ansammeln. Wenn Werke notwendig sind vor Gott neben dem Glauben, dann besteht allerdings die Möglichkeit, daß mehr getan werden, als unbedingt nötig sind. Die nun sehr viel gute Werke getan und eine besondere Vollkommenheit erlangt haben, können als Heilige fürbittend für Andere eintreten; aber auch durch Christen insgemein sammelt sich ein Schatz überschüssiger guter Werke an, den der päpstliche Stuhl in Verwahrung hat und aus diesem Schatz heraus kann Ablaß gewährt werden. Seit 1300 sollte dies alle 100 Jahre geschehen. Auch beim Beginn des jetzt laufenden Jahrhunderts, Weihnachten 1899 wurde ein feierliches Ablaßjahr verkündet. Eine besondere sonst zugemauerte Türe der Peterskirche wurde geöffnet, wobei der Papst selbst mit einem goldenen Hammer die letzten Steine herausstieß; das bedeutete die geöffnete Gnadentür. Es wurde damals bekannt gegeben, daß, wer im Laufe dieses Gnadenjahres nach Rom gehe und in 3 bestimmten Kirchen Andachten verrichte, für sich und für andere dadurch Ablaß erwerbe. Das ist der Ablaß zum Jahrhundertanfang. Aber die hundert Jahre wurden immer mehr abgekürzt. Es wurde auch Ablaß aus anderem Anlaß in Rom gewährt und zuletzt auch so, daß statt der kostspieligen Reise nach Rom auch durch Geldleistung für kirchliche Zwecke dieser Ablaß erworben und die Büßungen erledigt werden konnten. So veräußerlichte sich die Sache schließlich zu einem Gelderwerb, wie denn die meisten großen Kirchen durch Ablaßgelder erbaut wurden. So wurde denn von Papst Leo X. ein Ablaß ausgeschrieben, der dem Ausbau der Peterskirche in Rom zu gut kommen sollte und für Deutschland, wenigstens für einen großen Teil desselben war noch ein anderes Geschäft| damit verbunden. Der Kardinal-Erzbischof von Mainz, Albrecht von Hohenzollern, hatte dem Papste eine große Summe zu entrichten. Er war ursprünglich Bischof von Halberstadt gewesen und nun Bischof von Magdeburg und Mainz dazu geworden und zwar gegen alles Kirchenrecht, welches solche Häufung der Würden verbot; aber der Papst konnte dispensieren und so dispensierte er ihn um die Summe von 30000 Goldgulden, das sind etwa 600000 Mark. Dieses Geld mußte Albrecht von dem Bankhause der Fugger in Augsburg entlehnen und wußte nicht wie sie abzahlen, da er seine Einkünfte reichlich verbrauchte. So erbot er sich den Ablaß für Deutschland zu übernehmen unter der Bedingung, daß die Hälfte des eingehenden Geldes ihm zur Bezahlung seiner Schuld überlassen werde. Infolgedessen reisten Angestellte des Bankhauses mit den Ablaßpredigern herum um immer die Hälfte der Geldsumme in Empfang zu nehmen, zu quittieren und abzuliefern. So war in der Tat ein schmählicher Geldhandel aus der Sache geworden und es galt nun möglichst viel Geld herauszuschlagen. Fürsten sollten 25 Goldgulden (etwa 500 Mark) für den Ablaßzettel entrichten, Handwerker 1—11/2 Goldgulden (ungefähr 20-30 Mk.), immer doch noch wenig, wenn damit eine Reise nach Italien erspart wurde. Für Tote genügte auch 1/4 Goldgulden (oder 5 Mk).
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Wir wissen aus Berichten, wie die Ablaßprediger mit großem Pomp einherzogen um das Volk anzulocken. Unter Glockengeläute mußten sie eingeholt werden, da des Papstes Fahne vorangetragen wurde, von welchem ihnen eine Vollmacht ausgestellt worden war. Der Kurfürst von Sachsen hatte soviel Mut den Ablaßhandel in seinem Lande zu verbieten, da er nicht wollte, daß das Geld außer Land komme. Aber Gemeindeglieder Luthers holten sich im benachbarten Jüterbok im Brandenburgschen Ablaßzettel und wiesen sie Luther im Beichtstuhle vor, da er sie zu ernster Buße ermahnte. Da schreibt ein Alter, geriet der Geist Gottes über ihn und er gedachte gegen dieses Unwesen aufzutreten. „Ich will der Pauke ein Loch machen,“ sagte er, „als Gott will.“ Er ersah für sein Auftreten den Allerheiligentag deswegen, weil da zugleich ein örtlicher Ablaß bei der Schloßkirche, einer Allerheiligenkirche, zu erlangen war. An diesem Tage, dem Kirchweihfest dieser Kirche, wurden die Heiligtümer, die Reliquien, die nach Tausenden vorhanden waren, ausgestellt und auch für die vor ihnen verrichteten Andachten war besonderer Ablaß gewährt. Luther gedachte an diesem Tag eine Predigt gegen den Ablaß zu halten und hielt sie auch; aber da er zugleich Professor an der Universität war, so wollte er auch nach damaligem Brauch der hohen Schulen eine Disputation veranstalten. Er erbot sich durch öffentlichen Anschlag seiner Thesen oder Sätze zur Verteidigung derselben gegen jedermann. „Aus christlicher Liebe und aus Sorge,“ hieß es in der Einleitung, „die| Wahrheit ans Licht zu stellen, erbietet sich Bruder Martin die folgenden Sätze zu verteidigen.“ Er schlug sie gerade an die Allerheiligenkirche an um die Sache recht deutlich zu machen, daß es sich darum handle gegen das Ablaßwesen aufzutreten, das in dieser Kirche getrieben wurde. In diesen Sätzen ist noch vieles, was dem mittelalterlichen Standpunkt angehört; es ist das Papsttum noch durchaus anerkannt und auch sonst sind manche irrigen Sätze darrin zu finden; daneben aber durchaus Reformatorisches. In den Thesen findet sich der schon heute früh angeführte Satz: „Der wahre Schatz der Kirche ist das allerheiligste Evangelium von der Herrlichkeit und Gnade Gottes.“ (Th. 62.) Und besonders der erste Satz ist ein ausgesprochen reformatorisches Wort, die Sache im Mittelpunkt erfassend: „Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht: Tut Buße, hat er gewollt, daß das ganze Leben der Gläubigen eine stete Buße sein solle.“ Wir dürfen geradezu sagen: das war ein von Gott gegebener Ausgangspunkt der Reformation. Denn mit dem Ablaß wurde getroffen die ganze Anmaßung des Papstes, der sich brüstete über den Schatz guter Werke zu verfügen und Ablaß noch den Toten gewähren zu können. Es wurde getroffen die falsche Werklehre der Kirche, der falsche Begriff der Buße als eines äußerlichen Werkes, das von Zeit zu Zeit abgemacht werden könne und auch die sozialen oder gesellschaftlichen Schäden, welche das Papsttum gebracht hat. Luther äußerte zwar in diesen Thesen noch großen Respekt vor dem Papst; aber in sehr feiner Weise weiß er auch bittere Wahrheiten zu sagen: die Leute werden etwa sagen: „Wenn der heilige Vater die Seelen im Fegfeuer erlösen kann, warum tut er es nicht auf einmal für alle und warum erlöst er sie nur ums Geld?“ Luther hatte vielleicht auf die Predigt, die er über das Ablaßwesen am Allerheiligentag halten wollte, den Hauptnachdruck gelegt. Gott hat es so gefügt, daß gerade die Thesen der Ausgangspunkt für das Reformationswerk werden mußten. Sie waren ursprünglich lateinisch geschrieben, wurden aber bald übersetzt und durch die Buchdruckerkunst überallhin in Deutschland verbreitet, so daß sie in 14 Tagen in ganz Deutschland bekannt waren, was damals etwas heißen wollte und in 4 Wochen in ganz Europa. So sehen wir denn auch dem Anfang entsprechen.


III.
Die sieghafte Weiterführung des Reformationswerkes. Dazu mußten insbesondere die Feinde mithelfen. Zu einer Disputation über die 95 Thesen kam es nicht; denn in Wittenberg fand sich niemand, der gewillt gewesen wäre, für den Ablaß aufzutreten. Aber auf literarischem Weg durch Schriften wurden Luthers Aufstellungen angegriffen. Wir nannten heute Vormittag schon den Namen des D. Johann Eck, Professors in Ingolstadt, der doch wohl| nur, man wird ihm nicht unrecht tun, aus Eitelkeit und um sich beim päpstlichen Stuhl wohl angeschrieben zu machen, gegen Luther auftrat. Er war es auch, der es veranlaßte, daß der päpstliche Stuhl selber gegen Luther aufgetreten ist. Man sieht alsbald, wie Gottes schützende Hand es so fügte, daß der Landesherr Luthers, Friedrich der Weise – hochangesehen unter den Fürsten und auch beim Kaiser – ein vorsichtiger Freund Luthers gewesen ist. Er hat sich erst auf dem Sterbebette entschieden für die Reformation erklärt, indem er sich das Sakrament in beiderlei Gestalt reichen ließ; aber mit großer Weisheit wußte er Luther zu schützen. Als Luther nach Rom vorgeladen wurde, trat die Universität zunächst für ihn ein und der Landesfürst vermochte es dahinzubringen, daß die Sache in Deutschland verhandelt werden sollte. In Augsburg, wo Luther sich vor Cajetan zu verantworten hatte, war die Lage einigermaßen schwierig. Es wäre sehr leicht möglich gewesen, daß er dort gefangen gesetzt und nach Rom gebracht worden wäre. Der Ratsherr D. Peutinger, ein in der Wissenschaft sehr bekannter Mann, trat für Luther ein, verhalf ihm zur Flucht aus Augsburg, indem er ihm Pferd und Reitknecht verschaffte und ihm ein Pförtchen in der Stadtmauer öffnen ließ, sodaß er nach raschem Ritt in Sicherheit in Wittenberg ankam. Als Luther zu Anfang des nächsten Jahres dem gewandten Miltiz gegenüber sich zu dem Zugeständnis hatte bestimmen lassen, er wolle schweigen, wenn auch seine Gegner schwiegen, da mußte es sich so fügen, daß die Gegner nicht schwiegen, indem Eck Luthers Amts- und Gesinnungsgenossen Karlstadt angriff und Luther auch hineinzog. So kam es zu der Disputation in Leipzig, durch die Luther zu der Erkenntnis geführt wurde, daß nicht alles, was Hus gelehrt hatte, Ketzerei sei, sondern manches daraus feine christliche Wahrheit und daß auch Konzilien irren können. Das war nun etwas so Starkes, daß Eck alsbald selber nach Rom reiste und die Bannbulle erwirkte, die den Namen führt: Exsurge Domine (Erhebe dich Herr!) Sie ist datiert vom 15. Juni 1520. Im Juni und Juli 1519 war die Leipziger Disputation gewesen, im Jahre darauf erschien diese Bannbulle, die erst gegen Ausgang des Jahres in Deutschland veröffentlicht wurde. Luther hatte inzwischen seine großen reformatorischen Schriften veröffentlicht „An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung“, dann „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“. Und als die Bannbulle in seine Hand gelangt war, erhob er sich zum kühnsten Schritt seines Lebens. Am 10. Dezember 1520 warf er vor dem Elstertor in Wittenberg die Bannbulle zusamt dem päpstlichen Rechtsbuch öffentlich in die Flammen. „Weil Du den Heiligen Gottes (nämlich Christum) betrübt hast, so verzehre Dich das ewige Feuer“.
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Nun kam die Sache damit, daß Luther in den Bann getan| worden war auch vor den Richterstuhl des Kaisers. Denn so sah es die mittelalterliche Kirche an: Die Kirche tut in den Bann und damit übergibt sie den Ausgestoßenen dem weltlichen Arm des Staates, der nun die Strafe vollstreckt. Wieder ist es bemerkenswert, daß die Sache nur langsam weitergehen konnte, weil für den Augenblick kein Kaiser da war. Im Jahre 1519 war der alte Kaiser Maximilian I. gestorben; er hatte noch von Luthers Auftreten gehört, die Sache von der politischen Seite aus beurteilt und dem Kurfürsten von Sachsen sagen lassen: „Hebet den Mönch gut auf. Wir wissen nicht, wo er uns noch nützen kann.“ Es dauerte längere Zeit, bis die Kaiserwahl zustande kam, die Karl V. traf. Friedrich der Weise, der gewählt worden wäre, hatte diese Würde abgelehnt. 1520 wurde Karl in Aachen gekrönt, 1521 kam er zum erstenmal nach Deutschland zum Reichstag in Worms, den er am 28. Januar eröffnete und auf welchem auch diese kirchliche Angelegenheit bereinigt werden sollte. Der Kaiser dachte sich das leicht; er meinte Luther ohne weiteres zum Schweigen zu bringen; aber damit kam er bei den deutschen Fürsten schlecht an. Sie hatten selbst hinsichtlich der kirchlichen Verhältnisse 101 Beschwerdepunkte aufgestellt und stellten das Verlangen, daß Luther vor dem Reichstag gehört werden müsse – ein starkes Stück dem Papst gegenüber, der ihn doch in den Bann getan hatte. So wurde Luther zur Verantwortung vor den Reichstag geladen. Am 18. April erfolgte sein herrliches Bekenntnis. Am 26. April reiste er wieder ab; auf 21 Tage hatte ihm der Kaiser freies Geleite gewährt. Am 8. Mai erfolgte die Einigung zwischen Kaiser und Papst, die sich in manchen Differenzen befunden hatten wegen der italienischen politischen Verhältnisse. In diesem Abkommen versprach der Kaiser dem Papst die Unterdrückung der kirchlichen Bewegung; doch erst am 26. Mai kam es zum Reichstagsabschied, dem Wormser Edikt, das auf den 8. Mai zurück datiert wurde. In diesem Edikt, vom päpstlichen Gesandten Aleander verfaßt, wurde Luther und alle seine Anhänger in die Reichsacht getan und damit außerhalb des Schutzes der Gesetze gestellt. Um dieses Wormser Edikt hat es sich durch Jahrzehnte hindurch immer wieder gehandelt, ob es ausgeführt werden müsse oder nicht. Gott hat es so gefügt, daß auf dem Reichstag zu Worms ein sieghaftes Zeugnis Luthers laut geworden ist und der Aufenthalt auf der Wartburg diente Luther zur inneren Vertiefung. Er kehrte bekanntlich gegen den Willen des Kurfürsten zurück wegen des Auftretens der Schwarmgeister. Das waren Ausläufer der ungesunden Mystik, deren Grundsatz dahin lautete, daß wahr ist, nur was man selbst erlebt hat. Die Männer die zunächst auftraten waren meist Handwerker aus Zwickau: Nik. Storch und Thomas Marx, beide Tuchmacher und Mark. Stübner, ein Literat. Dann gelang es ihnen aber,| während Luther auf der Wartburg war, in Wittenberg selber den Amts- und Gesinnungsgenossen Luthers, D. Karlstadt für sich zu gewinnen. Selbst Melanchthon wurde unsicher, weil diese Leute so gar sicher auftraten mit ihren angeblichen Geisteseingebungen. Auch Kaspar von Schwenkfeld stellte sich auf ihre Seite und ferner gehörte zu ihnen Thomas Münzer, der mehr auf sozialem Gebiet, in der Bauernbewegung tätig war. In Nürnberg hatten sie auch Anhänger, so den Schulrektor Johann Denk von St. Sebald, von dem bekannt ist, daß er, als er von dem geistlichen Ministerium über seinen Glaubensstand vernommen und ihm die Frage vorgelegt wurde, ob er glaube, daß Jesus Christus der Sohn Gottes ist, sagte: „Das weiß ich nicht; denn ich habe es noch nicht erfahren.“ Eine durchaus moderne Antwort, sodaß die Anschauung der Modernen durchaus nichts Neues ist, sondern ein alter Irrtum. Luther ist dieser Bewegung Herr geworden, dadurch daß er mit dem täglichen Predigen dagegen auftrat. Und so können wir sagen: Innerlich und äußerlich schritt sein Werk unter göttlicher Leitung sieghaft weiter und so konnte er nach der Rückkehr von der Wartburg vom Jahre 1522 an unbehelligt die 24 noch übrigen Jahre seines Lebens tätig sein. Wie ist das möglich gewesen? Wir sagen:


IV.

Durch göttliche sichtliche Bewahrung, die über dem Reformationswerk waltete.

Der Reichstagsabschied war gegeben; dadurch war Luther in die Acht erklärt. Der Kaiser war der mächtigste Mann, den es in der Welt damals gab, in dessen Reich die Sonne nicht unterging, da er auch Amerika beherrschte und doch ist er der Reformation nicht mächtig geworden. Das war eine sichtliche, göttliche Bewahrung. Gott hat es so eingerichtet, daß bald im Osten bald im Westen sich Feinde gegen den Kaiser erhoben, im Westen die Franzosen und im Osten die Türken. Schon im Jahre 1521 begann der 1. Krieg gegen den König Franz I. von Frankreich, der sein Nebenbuhler schon bei der Kaiserwahl gewesen war und von dem Habsburger Länderbesitz die Länder an sich gerissen hatte, in denen jetzt der Krieg an der Grenze zwischen Belgien und Frankreich tobt. Solange der Krieg währte, war es dem Kaiser nicht möglich gegen Luther vorzugehen. Im Jahre 1525 erlangte Karl V. durch die Landsknechte unter Frundsberg den berühmten Sieg in der Schlacht von Pavia, dem der Frieden von Madrid folgte. Sofort wendete er sich, nachdem er freie Hand hatte, gegen die evangelische Bewegung. Es war der Reichstag in Speyer beisammen; da wurde nun verlangt, daß das Wormser Edikt doch zur Ausführung komme. Aber zum Glück, während der Reichstag noch tagte, kam die Doppelkunde, daß im| Osten bei Mohacs die Türken unter Suleiman siegreich kämpften und daß, während sie den Sieg über die Deutschen und Ungarn davongetragen hatten, im Westen ein neuer Zusammenschluß gegen den Kaiser gebildet werde. Das vernahmen auch die evangelischen Fürsten. Nun konnten sie entschieden gegen den römischen König Ferdinand, Kaiser Karls Bruder und Stellvertreter in Deutschland, auftreten. So kam es zu dem günstigen Reichstagsabschied von 1526, der dahin ging, daß man in Sachen des Glaubens es halten möge, wie jeder Reichsstand es vor Gott und dem Kaiser verantworten könne; also tatsächlich Religionsfreiheit für die Reichsstände. Wieder ungünstiger wurde es 1529. Als der Krieg mit Frankreich beendet wurde, durch den sogen. Damenfrieden von Cambrai – wieder zu Gunsten Karls, wenn auch nicht so günstig, wie in Madrid –, sofort wurde es wieder ungünstig für die Evangelischen. In Speyer war wieder der Reichstag versammelt 1529. Weil nun der Kaiser die Macht zu haben glaubte, wurde bestimmt, das Wormser Edikt müsse in katholischen Ländern unbedingt durchgeführt werden und in den andern müsse zunächst jede Neuerung unterbleiben. Dagegen haben die evangelischen Reichsstände protestiert – daher der Name Protestanten, mit dem die Katholiken uns zu nennen pflegen. Im folgenden Jahr 1530 kam der Kaiser wieder nach Deutschland, das er in den letzten 9  Jahren überhaupt nicht betreten hatte, zum Reichstag in Augsburg. Der Abschied war wieder ungünstig, doch nicht so ganz und völlig, weil der Kaiser die Hilfe der Evangelischen brauchte gegen die Türken. Er gab ihnen Frist bis zum nächsten Jahr. Da aber wurde die Türkengefahr so brennend, denn sie näherten sich Wien, daß der Kaiser 1532 zu einem den Evangelischen sehr günstigen Reichstagsabschied im Sinn von 1526 sich entschließen mußte. Man nennt ihn gewöhnlich den Religionsfrieden von Nürnberg. Erst 1544 schloß der Kaiser den letzten Frieden mit dem französischen König. Nun wandte er sich aber auch mit aller Macht der Unterdrückung der evangelischen Lehre zu, wie er dem Papst gelobt hatte. Und es zeigte sich bald, daß er jetzt die Uebermacht hatte. Luther brauchte den Ausbruch des Krieges in Glaubenssachen nicht mehr zu erleben; er wurde vorher im Frieden heimgerufen. Im Jahre nach seinem Tod ging der schmalkaldische Krieg sehr ungünstig für die Evangelischen aus, nachdem in der Schlacht bei Mühlberg der Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen vom Kaiser besiegt, ja gefangen genommen wurde. Im nächsten Jahr erließ der Kaiser das sogenannte Augsburger Interim (Interim = dazwischen, einstweilige Ordnung der Dinge bis zu einer endgültigen Einigung). Es blieb den Evangelischen von ihrem gesamten Bekenntnisstande nur der Laienkelch und die Priesterehe. Doch kam es nicht zur Durchführung. Magdeburg hat den stärksten Widerstand geleistet. 1551 wandte sich Moritz von Sachsen, früher auf Seiten des Kaisers wegen Ländergewinns| und Erlangung der Kurwürde, wieder seinen Glaubensgenossen zu. Er verbündete sich mit dem König von Frankreich, dem er die im Krieg so oft genannten Städte Metz, Toul und Verdun überließ, schnitt den Kaiser von seinen Hilfsquellen ab und zwang ihn 1552 zu dem Passauer Vertrag, dem 1555 der Religionsfriede von Augsburg gefolgt ist. Da mußte der Kaiser noch am Ende seiner Regierung den Evangelischen Religionsfreiheit zugestehen. Er legte im Jahre darauf, 1556, ein fast einzigartiges Beispiel, die Kaiserkrone nieder, nachdem er hatte erleben müssen, daß, was er erreichen wollte, von Gott verhindert worden war. Er ging ins Kloster St. Just in Spanien, wo er 1558 gestorben ist. So sichtlich hat die Hand Gottes über dem Werk der Reformation gewaltet. So konnte es


V.

zur tatsächlichen Gestaltung der Kirche der Reformation kommen. Den Weg zeigte der Reichstag von Speyer 1526. Man kann sagen, daß dieser Reichstag, auf dem der Kaiser das erstemal gestattete, „daß jeder Reichsstand, Fürst oder Stadt, in Glaubenssachen es halten möge, wie er es vor Gott und dem Kaiser verantworten könne“, die Geburtsstunde der protestantischen Landeskirche ist. Mit Notwendigkeit mußte die evangelische Kirche Landeskirche werden, es war der von Gott ihr deutlich zugewiesene Weg. Die Bischöfe wären berufen gewesen, dem Evangelium freie Bahn zu machen, aber sie wollten nicht; weil sie hohe weltliche Würde und große Macht besaßen, standen sie zum Papst. Nur wenige haben sich dem Evangelium zugewendet, wie der Hochmeister des „Deutschen Ordens“, der sein bisheriges Ordensland in ein weltliches Herzogtum Preußen verwandelte und es damit dem Evangelium gerettet hat. Anders ist es in den nordischen Ländern, Schweden, Dänemark und Norwegen gewesen. Da haben die Bischöfe selbst das Evangelium angenommen. So haben diese nordischen Landeskirchen evangelische Bischöfe bis auf diesen Tag, freilich ohne damit etwas anderes als eine protestantische Landeskirche geworden zu sein. Die mittelalterliche Papstkirche wurde auf dem Boden der Reformation durch die evangelische Landeskirche abgelöst. Der Grundsatz bestand schon längst, daß die Religion des Landesfürsten für die Religion der Untertanen maßgebend sei. Luther hat es so angesehen, deshalb weil die berufenen Führer, die Bischöfe, versagten, sei es Pflicht der Landesherrn als hervorragender Glieder der Kirche ihr diesen Dienst zu leisten; – nicht als ein Recht der landesherrlichen Gewalt an sich, sondern als einen Dienst der Liebe, der hervorragenden Gliedern zusteht. – Dazu kam, daß der Kaiser überhaupt nur mit den Reichsständen also den Landesherrn verhandelte und daß er nur ihnen, nicht den Untertanen, Religionsfreiheit zubilligte.

| So entstanden von 1526 bis 1529 und dann wieder von 1532 an nach dem sogenannten Nürnberger Religionsfrieden evangelische Landeskirchen. Von 1526 auf 1527 gestaltete sich zunächst die sächsische Landeskirche durch die Visitation, an der Luther selbst teilnahm; 1528 beschloß der Markgraf Georg von Ansbach die Reformation einzuführen. Schon 1525 hatte sich der Sieg der Reformation in Nürnberg entschieden. Die meisten evangelischen Landeskirchen entstanden von 1532 an. Im Jahr 1533 kam die Reformation in unserer heimischen Gegend zum Abschluß durch die brandenburgisch-nürnbergische Kirchenordnung, die eigentlich noch immer die Grundlage unseres Kirchenwesens bildet. Im Markgraftum Ansbach ist es besonders Johann Brenz gewesen, der – seit 1522 in Hall tätig – von dort aus die Einführung der Reformation beriet. In Nürnberg war es eine Anzahl trefflicher Theologen: Melchior Vollbrecht, Prior des Augustinerklosters, Andreas Osiander, aus Gunzenhausen, Prediger von St. Lorenz, und Veit Dietrich, Prediger an St. Sebald, die das evangelische Kirchenwesen gestalteten. Neben ihnen sind als würdige Vertreter der Gemeinde zu nennen: Lazarus Spengler „vorderster Ratsschreiber“ von Nürnberg, der bekannte Hans Sachs und auch der bedeutende Künstler Albrecht Dürer. So ist es gekommen, daß durch diesen Gang der Dinge in den evangelischen Landeskirchen heute noch die Landesherrn maßgebend sind. Es ist nicht zu verkennen, daß diese Einrichtung viel Gutes in sich schloß. Unter eine gute Hut ist die Landeskirche gestellt gewesen, denn den Fürsten der Reformationszeit muß man das Lob lassen, daß sie würdige Vertreter der gereinigten Kirche gewesen sind. Man kann ferner sagen: viele heilsame Ordnungen und gute Sitten sind dem evangelischen Volk unter landesherrlichem Kirchenregiment erwachsen, ein enger Bund ist damit geschlossen worden zwischen dem deutschen Wesen und dem evangelischen Christentum, eine große Tür wurde dem Evangelium aufgetan ähnlich wie einst durch den Uebertritt Konstantins zum Christentum. Die Schattenseiten verkennen wir auch nicht: die Möglichkeit der Einmischung der Staatsgewalt in die kirchlichen Angelegenheiten, die oftmals auch zum Unheil der Kirche eingetreten ist.
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Was ist doch alles in der kurzen Zeit von 1517 bis zu Luthers Tod oder bis zum Abschluß der Reformation geschehen! 1564-1576 hat Kaiser Maximilian II. regiert, der unter allen Kaisern dem Evangelium wohl am nächsten stand, der so mild das Evangelium in seinen österreichischen Erblanden zuließ, daß Steiermark, Kärnthen, Krain und Oberösterreich fast ganz lutherische Länder gewesen sind und daß man sagen konnte: 9/10 Deutschlands hingen damals der Reformation an. Eigentlich nur das Herzogtum Bayern hielt sich von der Reformation ganz und völlig fern. Von 1577 bis 1580 ist es auch, wie wir morgen hören werden,| zum segensreichen Abschluß des Bekenntnisses unserer Kirche gekommen.

Wir können, wenn wir diesen Gang der Ausgestaltung der Reformation der Kirche überblicken nur dankend sagen: Vom Herrn ist es geschehen und ist ein Wunder vor unseren Augen.

Ps. 48. Lied 317.


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