Eine ausgestorbene Vogelart

Textdaten
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Autor: Wilhelm Blasius
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Titel: Eine ausgestorbene Vogelart
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 15, S. 257, 259–260
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: ehemaliges Verbreitungsgebiet und Aussterben des Riesenalks
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[257]

Der Riesenalk.
Originalzeichnung von Fr. Specht.

[259] Eine ausgestorbene Vogelart. (Mit Illustration S. 257.) Strauße, Kasuare, Schnepfenstrauße etc. bilden bekanntlich ganze Vogelgruppen, denen in Folge der Verkümmerung der Flügel die Flugkraft genommen ist, während sich bei ihnen das Gehvermögen durch die kräftigere Entwickelung der Beine gesteigert zeigt. Eine ähnliche Erscheinung findet sich innerhalb anderer Vogelfamilien, wie z. B. bei der Gattung Strigops unter den Papageien, bei den Dronten unter den Tauben etc.

Auf der andern Seite giebt es Vögel, deren Gliedmaßen sich nach Art der Fischsäugethiere in Schwimm- und Ruderapparate umwandeln, sodaß denselben das Fliegen zur Unmöglichkeit und das Gehen wenigstens sehr erschwert wird: die Pinguine der südlichen Halbkugel, bei denen die Flügel als Flossen, die Schwungfedern als schuppenartige Gebilde erscheinen. Diese merkwürdigen Vögel, welche mit einer ganzen Reihe von Arten und in einer sehr großen Individuenzahl die antarktischen Inseln bevölkern und sich durch ihre bedeutende Gewandtheit im Schwimmen und Tauchen auszeichnen, fehlen vollständig auf der nördlichen Halbkugel und werden hier, in gewissen Beziehungen wenigstens, durch die dem Norden eigenthümlichen Alken vertreten, die übrigens neben einer beträchtlichen Fähigkeit zum Schwimmen und Tauchen im Allgemeinen sich noch das Flugvermögen bewahrt haben. Nur eine einzige, und zwar die größte Alkenart, die man in der Größe mit einer Gans vergleichen kann, ist es, welche in der Verkümmerung der Flügel die Pinguine, wenn auch nicht ganz, so doch beinahe erreicht hat: dies ist der Riesenalk, der von Linné den wissenschaftlichen Namen Alca impennis, das ist flügelloser Alk, erhalten[WS 1] [260] hat, und den man auch wegen der brillenartigen weißen Flecken vor den Augen als Brillenalk, und wegen der Analogie mit den südlichen flügellosen Pinguinen als nordischen Pinguin bezeichnen kann.

Der Name Pinguin ist dem Vogel besonders von denjenigen Seefahrern gegeben, welche an den Küsten Neufundlands verkehrten und hier vor vielen Jahrzehnten und nachweislich schon vor Jahrhunderten einzelne Inseln ebenso von Riesenalken bevölkert fanden, wie sie dies auf den antarktischen Inseln mit den eigentlichen Pinguinen zu beobachten offenbar häufig Gelegenheit gehabt hatten. Auch hier wurden die Vögel zur Verproviantirung der Schiffe massenhaft ge[m]ordet. Natürlich war es, daß auch bei den Einwohnern von Neufundland und überhaupt Nordamerika der Name „Pinguine“, in englischer oder französischer Schreibweise, für unsern Riesenalk der gebräuchliche wurde. Die Bewohner von Island und den Faröern, denjenigen Plätzen, wo der Vogel auf europäischer Seite in früherer Zeit gleichfalls eine von ihm zahlreich bewohnte Heimath gefunden hatte, gaben demselben auch ihrerseits einen besonderen Namen und nannten ihn Geir-Fugla oder Geir-Vogel nach dem isländisch-dänischen Ausdrucke „Geir“, d. h. Lanze, mit deren Spitze sie den Schnabel verglichen. Eben derselbe Name oder der daraus abzuleitende Ausdruck „Gare-fowl“ ist die Benennung, welche dem Vogel an den schottischen Küsten, auf den Hebriden (besonders der Vogelinsel St. Kilda) und den Orkney-Inseln zu Theil geworden ist, lauter Plätzen, an denen die Art in historischen Zeiten zahlreich gelebt und gebrütet hat.

Diese Zeiten sind schon lange vorüber. Denn bei dem Mangel des Flugvermögens und bei der geringen Fähigkeit, durch Laufen sich auf dem Lande den Verfolgungen zu entziehen, denen er hauptsächlich von Seiten des Menschen während der Zeit des ihn an das Land fesselnden Brutgeschäftes ausgesetzt war, ist der Vogel schrittweise mit der Ausbreitung der Cultur und der Steigerung des menschlichen Verkehrs von den europäischen Küsten vertrieben, bis ihm zuletzt nur noch in nördlicheren Breiten und auf entlegenen einsamen Scheeren eine letzte Zufluchtsstätte geblieben war.

Noch im vorigen Jahrhundert und bis in den Anfang unseres Jahrhunderts dienten die genannten Inseln an den schottischen Küsten als Brutstätten des Vogels, in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts dagegen waren nur noch einige Vogelscheeren bei Island als solche zu bezeichnen; denn weiter nach Norden konnte der Vogel wegen der klimatischen Verhältnisse keine Zuflucht mehr finden, da er entschieden ein gemäßigtes Klima zum Gedeihen nöthig hat.

In Folge der beständigen Nachstellungen von Seiten der Menschen, die nur durch die Unzugänglichkeit der Brutklippen etwas gemildert wurden, und besonders auch in Folge von vulcanischen Naturereignissen, durch welche die Brutplätze zerstört und zum Theil in’s Meer versenkt wurden, ist die Individuenzahl auch bei Island schon in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre bedeutend zusammengeschmolzen, bis zuletzt, ein Jahrzehnt später, nur noch wenige Paare übriggeblieben waren und, soviel man weiß, das letzte Paar 1844 auf Eldey, einer im Süd-Westen von Island gelegenen Vogelscheere, erwürgt worden ist. Nach dieser Zeit ist es wenigstens nicht möglich gewesen, einen lebenden oder frisch erlegten Riesenalk mit Sicherheit wieder nachzuweisen.

So hat unter den Augen der Naturforscher unseres Jahrhunderts unsern Vogel wahrscheinlich dasjenige Geschick erreicht, dem etwas früher, zu einer Zeit, wo in jenen Ländern die Naturforschung noch im Argen lag, die Dronte auf Mauritius, die Moas auf Neu-Seeland etc. zum Opfer gefallen sind. Gerade daß sich beim Riesenalk der Proceß des Aussterbens gewissermaßen unter unsern Augen abgespielt hat, dies macht die Geschichte desselben so interessant.

Der Schluß des Trauerspiels fiel in die Zeit der modernen Naturforschung; der Anfang dagegen reicht in vorhistorische Zeiten zurück. Sind doch in den vorgeschichtlichen Muschelhaufen und Küchenabfällen, welche zuerst an den Küsten Dänemarks die Aufmerksamkeit der Alterthumsforscher auf sich lenkten, an den verschiedensten Stellen südlicherer Breiten so zahlreiche Knochenreste von Riesenalken gefunden, daß sich daraus auf ein früheres massenhaftes Vorkommen des Vogels in diesen Gegenden schließen läßt! Dies gilt vor Allem wiederum von Dänemark (Jütland und Seeland), ferner von Maine und Massachusetts in Nordamerika, von den südlicheren Inseln und Küsten Schottlands und endlich auch von England, wo in einer Kalksteinhöhle wenigstens einige Knochenreste von Alca impennis gefunden worden sind.

Fast alle in unseren Sammlungen befindlichen Bälge tragen das Sommer- oder Hochzeitskleid, wie es in dem diesem Aufsatze beigegebenen Bilde von Fr. Specht, welches das Zusammenleben dieser Vögel anschaulich vor Augen führt, zur Darstellung gebracht ist. Dieses Kleid ist charakterisirt durch die deutliche Entwickelung der weißen Brillenflecke und durch die dunkele Färbung von Kinn und Kehle. Nachweislich stammen die allermeisten unserer Sammlungsstücke von Island und zwar aus dem Anfange der dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts, und es scheinen die isländischen Vögel fast nur im Sommer erbeutet zu sein und daher das Sommerkleid zu tragen. Exemplare, die mit Sicherheit nicht von Island herrühren, giebt es nur zwei, nämlich eins im Brittischen Museum, das 1812 bei Papa Westra (Orkney-Inseln) erbeutet ist, und eins in Dublin, das 1834 in der Bucht von Waterford lebend gefangen und eine Zeit lang am Leben erhalten wurde. Dieses letztere trägt ein Winter- oder Uebergangskleid, welches durch die weniger deutliche Ausbildung des weißen Brillen-Fleckes und eine unregelmäßig begrenzte weiße Befiederung hinter dem Auge, sowie durch rein-weiße Färbung des Kinns, der Kehle und der diese Gegend begrenzenden unteren Theile der Kopfseiten sich auszeichnet.

Ein ähnliches Exemplar des Kopenhagener Museums im Uebergangskleide, sowie ein noch sehr jugendlicher Vogel im Museum zu Newcastle und ein das Hochzeitskleid tragendes Individuum im städtischen Museum zu Straßburg, das schon 1776 in den Catalogen erwähnt worden ist und vermuthlich das älteste bekannte Sammlungsstück dieser Art sein dürfte, sind andererseits mit mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit auf amerikanischen beziehungsweise grönländischen Ursprung zurückzuführen.

Prof. Dr. W. Blasius.     

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: rehalten