Textdaten
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Autor: F. Brunold
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Titel: Ein vergessener Dichter
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 776–777
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Ein vergessener Dichter.

Wie aus dem Staub der Bibliotheken noch immer, von Zeit zu Zeit, Schätze an das Licht des Tages gezogen werden, die man längst zerfallen und vermodert wähnte, oder von deren Dasein man überhaupt keine Ahnung hatte; und wie noch täglich anderseits, unter der Fülle und dem Wust des neu Erscheinenden, Einzelnes Gute und Bedeutende versinkt, vergraben und im Lauf der Jahre vergessen wird: so auch giebt es Dichter, bedeutende, anerkennungswerthe Talente, die niemals zur Geltung kommen, deren Name, kaum aufgetaucht, verschwindet, die schon vergessen und verschollen sind, ehe noch der Tod sie hinweggerafft, ehe noch der Abendwind durch den Hollunderstrauch ihres Grabhügels weht. Die Verhältnisse machten es so, das Glück stand nicht an ihrer Seite, oder der Drang nach Anerkennung, Ruhm und Ehre lag nicht in ihrem Innern. In treuer Pflichterfüllung des von ihnen erwählten Lebensberufes fanden sie Ruhe und Beruhigung, und das Stückchen Poesie, das der Himmel ihnen in das Herz gelegt, meinten sie nicht vorzugsweise, sondern einzig und allein für sich empfangen zu haben. Die Lieder ihrer Brust werden für sie nicht zu Lorbeerreisern die Stirne zu schmücken; für sie sind es nur Rosen und Lilien, um die Einförmigkeit des Lebens zu unterbrechen, das Haus mit Duft zu erfüllen, Tisch und Consolen gleichsam wie mit Blumen zu schmücken.

Und solch ein fast vergessener, verschollener Dichter ist Ludwig Giesebrecht, der alte Professor am Gymnasium zu Stettin, der Geschichtsforscher, als welcher er seine wendischen Geschichten und andere rühmlichst bewährte Werke der Art veröffentlichte. Wer kennt seine Lieder, wer besitzt seine Gedichte?

Es war im Jahre 1816, als Giesebrecht, geboren 1792 zu Mirow in Mecklenburg, an das Gymnasium nach Stettin berufen wurde, nachdem er als Husar an dem Kriege 1813 bis 1815 Theil genommen hatte. In den ersten Jahren seiner Wirksamkeit als Lehrer soll er noch in altdeutscher Tracht einhergegangen sein; in den dreißiger Jahren schlug er sich nur noch des Winters den Mantel, gleich einer Toga, über die Schulter und schritt sonst wie [777] andere Leute einher. Sein neues Vaterland Preußen liebte er über Alles. Und wenn er nun über den Paradeplatz dahinschritt und einen Blick nach der von Schadow, ohne Seitennähte an den Stiefeln, gefertigten Statue des alten Fritz warf, dann erwachten in ihm die eigenen erlebten Kriegstage, dann saß er in der Erinnerung wieder als muthiger Husar zu Roß und in seinem Herzen erklang und dichtete sich das Lied:

Vor uns Meer! Wohin nun weiter?
Still, der Herzog nimmt das Wort:
Ihr seid jetzt geborgen, Reiter;
Schiffe, seht ihr, ankern dort.
Sie sind da uns abzuholen,
Uns, doch nicht der Pferde Troß.
Sitzt denn ab, nehmt die Pistolen,
Mann für Mann erschießt sein Roß.
Nun? Ich stehe auf der Erde,
Und ihr sitzt und zaudert dort? –
Herzog, unsre treuen Pferde?
Edler Herzog, das ist Mord. –
Liebt ihr eure Pferde wieder?
Wohl! Doch hier ist Wählen schwer:
Rückwärts in des Feindes Glieder,
Oder vorwärts auf das Meer!
Und der Feind in unserm Rücken
Er ist stark an Zahl und Muth;
Sollte ja der Angriff glücken,
Wär’ er nur durch Schweiß und Blut. –
Siegen, Herzog, oder fallen
Mit einander Roß und Mann! –
Sei es. Laßt Fanfaren schallen,
Jeder thue, was er kann! –
Fliegt denn, ihr beschwingten Flosse,
Ueber dunkeln Wassern fliegt;
Sei genannt der Tag der Rosse,
Schlacht, die heute vor uns liegt.

Nachmittags aber, wenn des Tages Last und Hitze getragen, wenn der Schulstaub von der Schulter geklopft war, dann ging es, wie wohl noch bis heutigen Tages, zum Schloß der alten pommer’schen Herzoge – in dem Prinzeß Elisabeth, von der, wie W. Alexis meint, sich Vieles sagen ließe, wenn es nicht besser wäre, die Todten ruhen zu lassen, mehrere Jahre ihren Wohnsitz hatte, bis ihr das Haus vor den Wällen der Festung erbaut wurde – um als Bibliothekar des Baltischen Vereins für pommersche Geschichte und Alterthumskunde in den Werken gedachter Gesellschaft sich zu vergraben und zu vertiefen. Aber aus den Fenstern der Bibliothek hat man eine gar köstliche, weite, schöne Aussicht über das Oderthal hinweg; und da mögen dem eifrigen Geschichtsforscher, dem überaus thätigen Mitglied des Vereins die Augen unwillkürlich von den Büchern abseits zum Oderstrome geschweift sein, und den Wichtelmännchen gleich, sind Lieder gekommen und haben in ihm geläutet und gerufen: „Da sind wir wieder, Du mußt uns dennoch singen.“ Es ist wohl gewiß, daß dort in den Räumen der Bibliothek viele der Lieder Giesebrecht’s entstanden sind. Und weil dies geschehen, was war natürlicher, als daß er diese seine Gedichte, gleichsam wie aus Dankbarkeit, in den Schriften des Vereins, in den Baltischen Studien, oder zumeist in pommerschen Provincialblättern veröffentlichte, wo sie denn natürlich auch in Weniger Hände kamen und bald vergessen wurden.

Trat er den Heimweg an, durchschritt er ernsten, festen Schritten die weiten Gänge des Schlosses, dann zögerte wohl einen Augenblick sein Fuß, wenn aus der Wohnung des alten Hofmalers der Prinzeß Elisabeth, des Italieners Monti(?), die sanften, zauberischen Töne der Glasharmonika erklangen, die der alte Maler meisterhaft zu spielen verstand; aber eingetreten in die Wohnung des Italieners ist er wohl nicht, ihn zog es nach Hause, um zu erleben, was er gedichtet:

„Zwei hübsche Mädchen herz’ ich viel
Und streichle Stirn und Hände,
Und Küsse, Liebeswort’ und Spiel
Gewinn ich ohne Ende.
Das mögen feine Liebchen sein,
Die so zu Dreien kosen!
Doch sind sie züchtig, demantrein
Und aufgeblüht wie Rosen,
Und sind mir beide treu und hold,
Und ich ihr Freund, ihr Wächter.
Die Liebchen, wenn ihr’s wissen wollt,
Sind meine beiden Töchter.“

Alle Gedichte Giesebrecht’s enthalten mehr oder weniger Erlebtes. Weil dies der Fall, glaubte und meinte er wohl, diese innigen, tiefempfundenen Gluthen seiner Seele, diese Perlen seinen Herzens könnten auch nur für ihn und die Seinen Werth und Verständniß haben. Und als er endlich, von vielen Seiten gedrängt, an eine Herausgabe seiner Gedichte im Jahre 1836 ging, da that er es in so rätselhafter, eigenthümlicher Weise, indem keins seiner Lieder im ganzen Buch eine Überschrift erhielt, so daß es eines Studiums bedarf, tiefer in den Gehalt des Einzelnen einzudringen. Ja, es möchte die ganze Sammlung wohl niemals an das Licht des Tages getreten sein, wenn nicht auch hier sein Liedeswort erlebt und in Erfüllung gegangen wäre:

„Rosenknospen acht’ ich meine Lieder:
Sammeln mag die Kränzewinderin“;

hätte nicht eine Frauenhand in der Stille die Lieder gehegt, gesammelt und aufbewahrt. Der Dichter selber wäre kaum im Stande gewesen, seine zerstreuten, von ihm selbst nicht beachteten Lieder durch den Druck zu veröffentlichen, wie es geschehen.

Doch wer kennt und liest noch jene im Jahre 1836 erschienene Sammlung? Wo findet sich eine Anthologie von Gedichten, so viele deren auch in jedem Jahre erscheinen mögen, welche Gedichte des Genannten aufzuweisen hätte? Name und Lieder sind wie verschollen und vergessen. Und wenn auch irgendwo das Oratorium „Huß“ von Carl Löwe, dem berühmten Balladencomponisten, gesungen wird, zu dem Giesebrecht den Text gedichtet, wo gedächten Sänger und Zuhörer wohl des Dichters? Was jedoch kümmert dies den nun altgewordenen Professor, der da meint:

„Wandern durch die Weltgeschichten,
Ist ein Schiffen um die Welt!“

Er lebt und webt in seinen Büchern. Daß er jedoch der Poesie nicht gänzlich ungetreu, zeigt seine in diesem Jahre im Auftrage der Gesellschaft für pommersche Geschichte und Alterthumskunde herausgegebene kleine Schrift, die 1638 gestorbene Greifswalder Dichterin Sibylle Schwarz betreffend. Im Jahre 1848 wurde er als Abgeordneter in das Frankfurter Parlament gewählt. Die altverschlafenen Träume der Jahre der Befreiungskriege, die nach denselben gehegten Ideen und Wünsche wurden wieder in ihm laut. Er schloß sich der Gesellschaft im Casino an, der auch Auerswald und Lichnowski angehört haben; er wollte auch die Einheit Deutschlands anbahnen und erstreben, während zugleich in ihm seine früher gedichteten Worte laut wurden:

„Schenkt mir ein den duft’gern, vollern,
Flammenglüh’nden Becher mir!
Hohenzollern, Hohenzollern,
Unser du, die Deinen wir.“

Er hat sich nicht als Redner und Chorführer einzelner Parteien ausgezeichnet; aber eins war er, und darum muß er von Allen geachtet und geehrt werden, wie auch die politische Färbung des Einzelnen sei: er war stets am Platze, er und der greise Uhland, so verschieden Beider Standpunkt auch war, sie haben nicht gefehlt, wenn es zur Abstimmung kam; bei allen Hauptfragen waren sie zugegen und gaben ihr Ja oder Nein, unerschrocken, frei nach fester Ueberzeugung ab. Das ist ehrenwerth! Wie so anders handelten Andere, die doch mit dem Munde oft so laut waren! Man vergleiche zur Bestätigung unserer Worte die Abstimmungslisten des Parlaments.

Im Jahre 1866 ist Giesebrecht ein halbes Jahrhundert auf seinem Posten. Seine Handschrift ist noch überaus klar, fest, sein Haar aber wird weiß, sein Körper in Etwas gebeugt sein.

Werden diese Zeilen dazu beitragen, auf den fast Vergessenen aufs Neue aufmerksam gemacht zu haben? Wir wünschen, wir hoffen es! Und wenn diese unsere Worte die Anregung würden, daß eine neue, mehr geordnete, handlichere Ausgabe der Gedichte des Genannten erschien, so würde der Ruhm, die Anerkennung, die dem Dichter dadurch würde, nur eine voll und gerecht verdiente sein. Möge ihm, dem Predigersohn, sein Liedeswunsch in Erfüllung gehen:

„Warum Glocken und Glockenton
Wieder und immer wieder?
Freunde, es ist des Pfarrers Sohn,
Welcher gedichtet die Lieder.
Halle friedlich und halle traut
Nun in den Dichters Buche,
Einst ihm selber du letzter Laut
Unter dem Leichentuche.“

F. Brunold.