Ein Demagogenriecher in Aengsten

Textdaten
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Autor: K. F.
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Titel: Ein Demagogenriecher in Aengsten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 53, S. 687–688
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[687] Ein Demagogenrichter in Aengsten. An einem schönen Sommertage – Donnerstag, den 11. August 1820, Abends zwischen fünf und sechs Uhr – saß, nichts Böses ahnend, in seinem bequem und elegant eingerichteten Wohnzimmer im Bade Gastein Herr Frdr. von Gentz. Allerhand angenehme Gedanken durchkreuzten seinen Kopf. Vielleicht schwelgte seine Erinnerung noch einmal in den Tagen der Carlsbader Conferenzen, wo man ein Jahr früher durch einen einmüthigen Beschluß der großen deutschen Staatsmänner die Demagogen und das Turnwesen beseitigt hatte. Mit Stolz empfand er, daß der Carlsbader Congreß eine große Epoche in der Geschichte bezeichne, die größte retrograde Bewegung, die seit dreißig Jahren in Europa stattgefunden hatte. Und mit diesem weltgeschichtlichen Ereigniß war sein Name aufs Innigste verknüpft, denn kein Anderer als er hatte das Protokoll geführt und fast alle Beschlüsse in der Fassung vorgelegt. Hatte doch die Versammlung am Schlusse „dem Herrn Hofrath von Gentz ihre wärmste Erkenntlichkeit für die wichtige Unterstützung ausgedrückt, die sie in seinen durch das volle Gepräge seines großen Talentes ausgezeichneten Arbeiten gefunden“. Vor ihm gaukelten wohl all’ die über den prächtigen Erfolg hoch erfreuten Gesichter der Staatsweisen, namentlich sein erhabener Gönner, der Fürst von Metternich, der „sich in einem Zustande der Exaltation befand, die ich Ihnen nicht schildern kann, und der hier ganz bestimmt den glänzendsten Moment in seiner ganzen Laufbahn erlebt hatte“. (So schreibt F. von Gentz an seinen Freund Pilat am 1. September 1819 aus Carlsbad.) In einem Augenblick hatte sich die Stimmung dort so erhoben, daß am Schluß der Sitzung Jemand den Vorschlag that, Alle sollten in die Kirche gehn und den Ambrosianischen Lobgesang anstimmen. Und der Vorschlag wäre gewiß ausgeführt – wenn er nur leider nicht von einem Protestanten hergekommen wäre!

In solchen Gedanken gestört zu werden, ist immer nicht angenehm. Ein Diener tritt ein und meldet den Dr. Reimer aus Berlin, der mit einem jungen Manne dem Herrn Hofrath aufzuwarten wünsche. Die Schilderung dieses Besuches und einiger sich daran knüpfender Erwägungen besitzen wir in des Herrn Hofraths eigener Darstellung.

„Ich glaubte“, so schreibt er an seinen Herzensfreund Pilat, den Redacteur des officiellen Wiener Beobachters – diese Briefe sind jetzt kürzlich von dem Heidelberger Professor Mendelssohn Bartholdy herausgegeben – „es sei ein Sohn des bekannten Reimer, und leugne Ihnen nicht, daß sofort alle Sands und Löhnings von Norddeutschland vor meinem Gemüthe standen. Da die beiden Menschen schon im Nebenzimmer wären, so blieb Anstandshalber nichts übrig, als sie kommen zu lassen. Hieraus trat ein der berühmte Herr Buchhändler in höchsteigener Person, nebst einem ziemlich jungen und sehr häßlichen Hrn. de Wette, vermuthlich einen Sohn des berüchtigten (!) Professors. Sie wären auf einer Fußreise zu Mittag hier angelangt, hatten das Naßfeld besehen und wollten noch denselben Abend ihren Rückmarsch nach Hof Gastein antreten, von wo sie dann über Salzburg, Linz und Prag nach Berlin zurückkehren. Der Besuch, dessen eigentliches Motiv ich nicht begreifen konnte und noch nicht begreifen kann, setzte mich in einige Verlegenheit, die ich aber unter einer sehr höflichen Aufnahme, so gut es gehen wollte, verbarg.

Sie erzählten mir, sie kämen von München und hätten das Unglück gehabt, auf einer Wanderung von dort nach dem Kochelfall einen ihrer Reisegefährten, einen Maler Zimmermann aus Berlin, zu verlieren. Dieser junge Deutsche hatte sich aus reinem Uebermuthe (!) fünf Meilen diesseits München in einem reißenden Bergstrome (der Loisach) gebadet und war ohne Weiteres ertrunken. Seine Gesellschaft ging also nach München zurück, ließ ihn dort begraben und wanderte nun nach Salzburg, und durch den Pinzgau nach Gastein, um hier etwa acht oder neun Stunden zuzubringen.

Ich fragte, ob ihre Gesellschaft zahlreich sei, und erhielt die Antwort, sie wären jetzt noch ihrer sieben, wovon drei nur genannt, die Uebrigen vielleicht aus Schonung mir verschwiegen wurden. Die Genannten waren: Herr Danz, Herr Röder und ein gewisser Herr von Förster[WS 1], der, wenn ich nicht sehr irre, einer der Helden und Geschichtsschreiber der Befreiungskriege war. Als ich diese Namen hörte, wurde mir sonderbar zu Muthe. Indessen nahm ich meine Partie und setzte das Gespräch ruhig fort. Es fiel, ich weiß nicht wie, auf die Handelsverhältnisse zwischen den Bundesstaaten, dann auf die preußische Finanzverwaltung und Steuersysteme überhaupt. Es dauerte, Gotttob! nur eine halbe Stunde. Jedes Wort, welches die Unholde sprachen, verrieth den inneren Grimm gegen alles Bestehende und ihre hochmüthigen Projecte, Alles neu zu schaffen. Von eigentlicher Politik hielt ich sie streng entfernt und auf die Frage, ob ich keine neuen Nachrichten aus Italien hätte, antwortete ich kurz und trocken mit: Nein! Als sie fort waren, konnte ich mich nicht enthalten, Gott zu danken, daß ich mit dem Leben davon gekommen war; denn mehr als einmal kam mir der Gedanke, sie würden Dolche oder Pistolen aus der Tasche ziehen.

Allen Scherz bei Seite gesetzt, werden Sie wohl begreifen, daß ich, der ich mit dieser Höllenbrut nun so lange in keiner Berührung gewesen bin, mich äußerst unheimlich mit ihnen fühlen mußte und daß ich lieber noch einmal, allenfalls auch bei Nacht, über alle hängenden Brücken der Klam und alle Abhänge der Salzach gehen oder fahren, als mit diesen deutschen Carbonari unter einem Dache leben wollte. Hätte sich die Rotte auch nur auf drei Tage hier niedergelassen, ich wäre sogleich davon gegangen und hätte mich in Böckstein oder Hof-Gastein so lange einquartiert, bis der Ort wieder rein gewesen wäre. Daß übrigens eine ganze Gesellschaft solcher notorischer Umtriebler, wovon wenigstens die Hälfte erst vor sechs Monaten eingesperrt oder flüchtig war, unsere Provinz in allen Dircetionen frei durchstreifen darf, scheint mir doch eine bedenkliche Sache; und besonders zu Fuß, wo alle Controlle aufhört und wo sie in den abgelegensten Winkeln der Monarchie treiben können, was ihnen beliebt. Die Leichtigkeit, womit unsere Gesandtschaften zu Berlin und Dresden Pässe [688] austheilen hat mich schon oft skandalisirt. Ich würde in unserer Zeit keinem nur irgend verdächtigen Reisenden einen andern Paß geben, als um auf der Poststraße nach Prag oder nach Wien zu gehen, und hier müßte dann erst entschieden werden, ob er geeignet sei, Beobachtungsreisen im Innern des Landes zu machen.“

So weit der Brief!

Ob Herr Reimer vielleicht die Absicht gehabt hat, diesen Haupttheilnehmer an den Versündigungen gegen die deutsche Freiheit zu necken und zu ängstigen, wissen wir nicht. Aber das Stückchen Vergeltung, welches hier in so einfacher Weise durch das böse Gewissen des Betroffenen sich zeigt, wird Manchen belustigen. Und wenn Viele noch immer in eigensinniger Narrheit behaupten, daß weder die einheitliche, noch die freiheitliche Entwickelung des deutschen Volkes vorwärts komme, so verweisen wir sie immer von Neuem auf die Zeitabschnitte, welche in irgend beträchtlicher Vergangenheit hinter uns liegen. Was sind fünfzig Jahre in der Entwickelung der Völker! Und nun vergleiche man die heutigen Zustände mit denen von damals! Grundsätze wie die von Gentz entwickelten sind damals oft genug zur Geltung gekommen. Heute würden sie allerwegen als hirnverrückte Phantastereien ausgelacht werden und um so mehr, wenn sie von einem praktischen Staatsmanne vorgebracht würden.

Gewiß: wir sind auch in freiheitlicher Beziehung etwas vorwärts gekommen!

K. F.



Anmerkungen (Wikisource)