Textdaten
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Autor: G. K.
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Titel: Dynamit
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aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 395–397
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Artikel über den Gebrauch des Sprengstoffs mit historischen und chemischen Erläuterungen
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Dynamit.

War das ein Schrecken im preußischen Abgeordnetenhause, als dort vor einigen Jahren die Gefährlichkeit des Dynamits auf’s Tapet kam und ein Abgeordneter, dieselbe bestreitend, den gemüthlichen Vorschlag machte: er persönlich wolle auf der Rednertribüne eine Dynamitpatrone in der Hand halten, dieselbe anzünden und sie aufbrennen lassen! Die Nachbarn des guten Herrn wichen entsetzt von ihm zurück, in der Meinung, er könne unversehens eine Quantität des „höllischen Materials“ aus der Tasche ziehen und sofort seine Beweisführung beginnen.

Der Schreiber dieser Zeilen ist kein Mann der blassen Furcht, gesteht aber offen, daß ihm etwas unheimlich zu Muthe wurde, als einstmals in seiner nächsten Nähe ein Dynamitfabrikant ganz in der oben erwähnten Weise experimentirte, indem er eine aus jenem Sprengstoffe fabricirte Patrone frei in der Hand hielt, sie anzündete und abbrennen ließ, als wär’s ein Fidibus. Wenige Minuten später wurde eine zweite Patrone gleicher Größe auf einen Granitstein von 1 Meter Länge, 0,8 Meter Breite, 0,5 Meter Dicke frei aufgelegt und mittelst elektrischen Drahtes und Zündhütchens entzündet – das gab freilich eine andere Wirkung: sie zerschlug das Felsstück in unzählige Trümmer.

Es ist eben etwas Wunderbares um die Doppelnatur dieser merkwürdigen Masse: sie kann harmlos bleiben, und sie kann mit furchtbar zerstörender Kraft wirken, je nachdem man mit ihr umgeht. Jene letztere Eigenschaft ist allgemein bekannt, die erstere nicht, und daher darf es dem nicht technologisch veranlagten Menschenkinde wohl kaum verdacht werden, wenn es vor dieser Substanz ein gelindes Grauen hegt und sie mit injuriösen Bezeichnungen belegt, welche entschieden dem Verdachte Raum geben, als sei Urian oder Beelzebub der Vater dieser Erfindung der Neuzeit.

Sie ist indessen à la Maria Stuart besser als ihr Ruf. Daß derselbe ein so arger wurde, verursachten wesentlich zwei schlimme Affairen, deren eine indessen vielleicht mit Unrecht auf Rechnung des Dynamits gebracht wird. Daß die Höllenmaschine des Amerikaners Thomas, richtiger Thompson, welche am 11. December 1875 in Bremerhaven fast 200 Menschen tödtete oder verstümmelte (vergl. „Gartenlaube“ 1876, Nr. 2), mit Dynamit geladen war, ist nie erwiesen worden, ja es ist nach allen vorliegenden Daten sehr unwahrscheinlich. Daß dagegen die Nihilisten sich zur Ermordung des Czaren Alexander des Zweiten des Dynamits bedienten, unterliegt keinem Zweifel.

Letzteres sensationelles Ereigniß hat denn auch alle die Stimmen wachgerufen, welche schon bei der Thomas-Affaire nach strengster Polizei-Ueberwachung oder gar Verbot der Dynamitfabrikation schrieen. Dazu wird es selbstverständlich nie kommen; denn abgesehen davon, daß ein solches Verbot nicht durchführbar wäre, hat doch das vielgeschmähte Dynamit neben jener Sündenlast auch ein ansehnliches Conto von Wohlthaten aufzuweisen, durch die es sich jahraus jahrein um die Menschheit so sehr verdient gemacht, daß die Wagschale der Gerechtigkeit tief zu seinen Gunsten sinken muß. Das wird Manchem überraschend klingen, ergiebt sich aber mit unzweifelhafter Gewißheit schon bei einem Blicke auf die Bedeutung, welche das Dynamit für die Bergindustrie und den Wegebau gewonnen hat. Bei allen Gesteinsprengungen hat es seiner größeren Energie halber den Vorrang vor dem früher verwendeten Schießpulver erhalten. Die zu diesem Zwecke jährlich verbrauchten mindestens 100,000 Centner Dynamit entsprechen an Kraft etwa 250,000 Centnern des alten Schwarzpulvers. Vergleicht man nun die Wirkung dieser beiden Sprengstoffe hinsichtlich ihrer Preise, so ergiebt sich, wiewohl das Pulver billiger ist, daß das Dynamit der Menschheit jährlich rund 15 Millionen Reichsmark erspart, um welche Summe sie Erze und Kohlen billiger erhält, Tunnels und Einschnitte wohlfeiler herstellt als früher.

Schon das darf eine respectable Leistung genannt werden. Jedoch diese Geldersparniß ist nur der geringere Theil des Nutzens, den das Dynamit schafft. Viel wichtiger ist der Gewinn an Zeit, die Beschleunigung der bergmännischen Arbeit, die geringere Anforderung an der zu der gefährlichen Bohr- und Sprengarbeit erforderlichen Menschenkraft und damit endlich die Verminderung des Verlustes an Leben und Gesundheit zahlreicher Arbeiter. Drücken wir auch dieses Verhältniß in Zahlen aus, so ergiebt sich nach mäßiger Berechnung, daß gegenwärtig etwa 70,000 Menschen weniger der in so hohem Grade gefährlichen bergmännischen Sprengarbeit ausgesetzt sind, als wenn man das gleiche Quantum Gestein mit Schwarzpulver sprengen wollte.

[396] Rechnet man hierzu noch die durch das Dynamit herbeigeführte enorme Förderung von Sprengarbeiten unter Wasser, die geringere Gefährlichkeit der Sprenggase desselben bei unterirdischen bergmännischen Arbeiten, die durch diesen Explosionsstoff vermittelte leichte Bewältigung von Eisstauungen in großen Strömen, endlich eine Reihe von Culturzwecken im eigentlichen Sinne des Wortes, welchen das Dynamit dient, nämlich Rodungsarbeiten und Tiefbodencultur von Ackerland, so rechtfertigt sich die vorhin aufgestellte Behauptung von den höchst anständigen Charakterseiten dieses Vielgefürchteten. Daß übrigens sowohl das Militär wie die Herren von der Marine in dem Dynamit ein sehr schätzbares Material beim Miniren wie auch beim Torpedowesen entdeckt haben, ist bereits genügend bekannt. Erwähnenswerth mag der Umstand sein, daß der französische Cavallerist zu seiner neuesten Ausrüstung auch ein Täschchen zur Aufnahme von zwei Dynamitpatronen erhalten hat, sodaß künftighin schon ein starkes Reiterdetachement Viaducte, Eisenbahnen, Brücken etc. wird zerstören können.

Sehen wir uns den Stoff, der so mannigfaltige Verwendung findet, einmal etwas näher an!

Lobrero, 1846 als junger italienischer Chemiker in dem Laboratorium von Pelouze in Paris thätig, entdeckte einen öligen, gelbbräunlichen und sehr giftigen Stoff, der durch verschiedene zufällige Explosionen seine ungeheure Kraft zeigte. Man nannte das Präparat Nitroglycerin, und es blieb praktisch unverwerthet, da es unmöglich schien, die Explosion mit einfachen Mitteln zu erzielen. Erst 1867 fand der schwedische Chemiker Alfred Nobel eine Methode, jene Kraft in einer Form zu verwerthen, welche die gefährlichen Eigenschaften beseitigte; ihm verdankt man das Dynamit.

Die Fabrikation des Nitroglycerins ist verhältnißmäßig einfach zu nennen. Die dazu erforderlichen Materialien sind: Glycerin, concentrirte englische Schwefelsäure und stärkste Salpetersäure von 45 bis 48 Grad Beaumé. Da die Salpetersäurefabriken diese Stärke gewöhnlich nicht herstellen, auch die Eisenbahnen dieselbe in dem angegebenen Stärkegrade nicht zur Beförderung annehmen, bereiten sich die größeren Nitroglycerinfabriken diese Ingredienz gewöhnlich selbst – und zwar in eisernen Retorten – aus gleichen Gewichtstheilen Chilisalpeter und Schwefelsäure. Einige Fabriken leiten die Dämpfe der Salpetersäure gleich in die Schwefelsäure; wo dies nicht der Fall, mischt man zwei Gewichtstheile Schwefelsäure zu einem Gewichtstheil Salpetersäure und läßt die Mischung vollständig erkalten. Dann setzt man das Glycerin hinzu. Bei diesem Zusatz muß jede zu starke Erhitzung vermieden werden, und die Temperatur darf beim Zusetzen höchstens 18 Grad Celsius betragen; bei einer zu niedrigen Temperatur wird indessen die Ausbeute zu gering. Behufs der Kühlung werden entweder die Mischgefäße mit Wasser und Eis umgeben, oder man läßt beständig kaltes Wasser durch zwei Kühlschlangen längs der inneren Wandung des mit Bleiblech ausgekleideten Mischbottichs gehen. Ist alles Glycerin von der Säure aufgenommen, so leitet man die Mischung mittelst einer Bleirinne in einen zur Hälfte mit Wasser gefüllten Bottich; das Nitroglycerin setzt sich dann am Boden an und wird von der darüber stehenden verdünnten Säure durch Ablassen getrennt. Sorgfältiges Waschen mit Wasser, mit Sodalösung und abermals mit Wasser entfernt jede Spur noch anhängender Säure. Aus erklärlichen Gründen werden die Operationen des Mischens, Waschens etc. in getrennten, möglichst weit aus einander gelegenen leichten Bretterschuppen vorgenommen.

Von der Verwendung des Nitroglycerins in unvermischtem Zustande ist man vollständig abgekommen; man läßt es vielmehr von festen pulverförmigen Körpern aufsaugen und fertigt aus dieser Masse Patronen, meist cylindrische, von zwei bis fünf Centimeter Durchmesser und drei bis zwanzig Centimeter Länge; die Umhüllung besteht aus Pergamentpapier. Die erwähnten pulverförmigen Körper sind entweder indifferenter Natur, wie z. B. Kieselguhr (Infusorienerde), Cellulose (gedörrtes Holzmehl), Tripel, Asche von Bogheadkohle, gebrannter Thon, oder sie sind selbst activ, indem sie die Wirkung des Nitroglycerins verstärken, wie z. B. gepulverte Steinkohle, Harz, Kali, Natronsalpeter etc. Die mit jenen indifferenten Substanzen hergestellten Sprengmittel heißen Dynamite; die andere Kategorie führt besondere Namen, wie Lithofracteur, Dualin etc.; auf diesem Gebiete ist kürzlich eine neue Mischung, die Sprenggelatine, aufgetaucht, welcher viel Rühmendes nachgesagt wird. Sechszig Gramm Gelatine haben die Wirkung von etwa hundert Gramm Dynamit, und namentlich sehr festem Gestein gegenüber dürfte die Sprenggelatine das Dynamit bald verdrängen.

Von diesen Dynamitsorten kommen vorzugsweise in den Handel: das Kieselguhr-Dynamit, mit respective 35, 45 und 75 Procent Nitroglycerin, und das Cellulose-Dynamit, nur in einer Sorte mit etwa 75 Procent Nitroglycerin. Letztere nimmt bis zu 40 Procent Wasser auf, ohne die Sprengwirkung zu verlieren, und findet bei bergmännischen Arbeiten fast ausschließlich Verwendung.

Um die Explosion zu bewirken, wird der Dynamitpatrone eine Sprengkapsel, das heißt ein Zündhütchen, Knallquecksilber enthaltend, aufgesetzt und mit einer eigens hierzu construirten Zange festgekniffen; eine galvanische Batterie oder ein elektrischer Zündapparat beschafft sodann die Zündung.

Tritt dieser Apparat nicht in Thätigkeit, so ist das Dynamit äußerst schwer zur Explosion zu bringen. Die in dieser Hinsicht öffentlich angestellten Versuche haben zu Resultaten geführt, welche das lebhaftere Staunen der Zuschauer erregten. Hier einige Proben! Unter ein Gewicht von 42 Pfund wurde eine mit Dynamit gefüllte Patrone gebunden. Das Gewicht mit der Patrone fiel aus einer Höhe von 19 Fuß auf eine festgelegte Granitplatte. Die Patrone wurde vollständig breit und platt gequetscht, die Granitplatte sogar zertrümmert, ohne daß das Dynamit explodirte. – Ferner wurde ein hölzernes Faß mit 15 Pfund Dynamit auf einen Holzstoß gelegt und letzterer angezündet. Einer der Fabrikanten und der Fabrikmeister traten später, als das Faß herunter zu gleiten drohte, mit größter Ruhe an das Feuer heran, um ersteres wieder zurecht zu legen. Sobald das Faß an einer Stelle durchgebrannt war, entzündete sich das Dynamit, zersprengte durch die sich bildenden Gase die Reifen des Fasses und verbrannte rasch und ohne jeden Knall oder jede Explosion in ähnlicher Weise wie angefeuchtetes Schießpulver. Daß die Hantirung mit Dynamit weniger gefährlich ist, als diejenige mit Schießpulver, hat die Erfahrung längst gelehrt.

Wesentlich verschieden von der Art, wie Schießpulver explodirt, ist die Explosionsart des Dynamits. Das Pulver erfordert bekanntlich allseitige Umschließung, wenn die volle Wirkung erzielt werden soll, und lose hingelegtes Pulver verpufft fast wirkungslos in der Luft. Das Dynamit dagegen äußert auch ohne Umschließung seine zerstörende Wirkung nach allen Seiten hin; offen auf einen massiven Eisenblock gelegt und elektrisch entzündet, zersprengt es denselben in Atome. Bei Sprengungen von Felsen unter Wasser genügt es, die Patrone hart an das Gestein zu legen und sie elektrisch zu entladen; bei Berg- und Tunnelarbeiten ist um mehr als ein Drittel weniger Handarbeit beim Bohren der Sprenglöcher nothwendig, als früher.

Woher entstehen nun, im Gegensatz zu den oben geschilderten Experimenten, die durch Dynamit verursachten Unglücksfälle, von denen man von Zeit zu Zeit hört? Zunächst gewiß durch die an das Unglaubliche streifende Unvorsichtigkeit einzelner Arbeiter, die durch stetes Umgehen mit diesem Sprengstoffe alle Furcht vor demselben verloren haben. Die Dynamitpatrone muß vor starkem Druck bewahrt werden, da sonst das Nitroglycerin austritt und schon ein geringer Stoß oder Schlag auf letzteres die Explosion hervorrufen kann. Im Uebrigen ist die Praxis der Bergarbeiter, von der manchmal Unkundige mit Schaudern erzählen, die Patronen in der Westen- oder Hosentasche zu tragen, völlig ungefährlich. Dies geschieht, um das Dynamit „aufzuthauen“, das heißt: es knetbar zu machen, da dasselbe schon bei 8 Grad Wärme nach Celsius „gefriert“, das heißt: erstarrt und eine hellere, schmutziggelbe Farbe annimmt; in diesem Zustande ist seine Wirkung bei der Explosion wesentlich geringer. Zur vollen Explosionsfähigkeit bedarf es etwa 11 Grad Wärme, und in geschlossenen Gefäßen erhitzt, explodirt es bei 150 Grad Celsius. Werden größere und namentlich eingeschlossene Mengen entzündet, so bringt die sich entwickelnde sehr hohe Wärme eine Explosion des noch unverbrannten Restes hervor. Mehr als ein schrecklicher Unglücksfall ist durch das entsetzlich leichtsinnige Erwärmen der bereits mit Zündschnur, ja selbst mit Zündhütchen versehenen Patronen auf heißen Oefen entstanden. Endlich sei noch erwähnt, daß in der Zeitung „Der Berggeist“ vom 21. December 1877 die Bergleute davor gewarnt werden, statt der sicher fungirenden Zange zum Festkneifen des Zündhütchens an der Zündschnur – die Zähne zu gebrauchen, da schon mehrfach hierdurch Unglücksfälle entstanden seien. Sollte man eine derartige Sorglosigkeit für möglich halten?!

Die Vorsichtsmaßregel, daß Dynamit nur unter besonderen Vorkehrungen auf Eisenbahnen wie auf Land- und Wasserstraßen transportirt werden darf, muß gebilligt werden; das absolute Verbot [397] des Eisenbahn-Transports dieses der Montan-Industrie längst unentbehrlich gewordenen Materials dagegen, wie solches von mehreren Regierungen beliebt worden ist, sollte aufhören, da sich die Sendung unter falscher Declaration kaum verhüten läßt, wie frevelhaft auch ein ähnliches Verfahren erscheinen muß. In Rußland, wo für jede entdeckte Verletzung des Pulvermonopols die Transportation der Schuldigen nach Sibirien angedroht ist, wurde vor circa fünf Jahren Nitroglycerin in einer Seifenfabrik zu Moskau erzeugt und als – Schuhwichse im Lande versandt. Erst eine furchtbare Explosion führte zur Entdeckung.

Soviel zur Charakterisirung der Doppelnatur des heute so vielfach besprochenen Dynamits, eines Explosionsstoffes, von dem man sagen kann, daß bei ihm alles auf seine Behandlung und Verwendung ankommt und daß er daher für die Menschheit beides in seinem Schooße birgt, Heil und Verderben.

G. K.