Die elektrischen Kräfte/Zusammenstellung:§17

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§. 17. Das von F. Neumann für die elektromotorischen Kräfte eldy. Us aufgestellte Integralgesetz.

     Um für die elektromotorischen Kräfte eldy. Us eine möglichst sichere Grundlage zu gewinnen, bedienen wir uns eines bestimmten allgemeinen Princips, welches ausgezeichnet sein dürfte durch seine Einfachheit, sowie auch durch den, in Folge experimenteller Prüfung, ihm zu Theil gewordenen hohen Grad von Zuverlässigkeit. Dieses von meinem Vater aufgestellte allgemeine Princip bezieht sich (vergl. den Schluss des vorhergehenden §) auf die Summe derjenigen elektromotorischen Kräfte, welche zwei elektrische Stromringe in einander hervorrufen, und kann in folgender Weise [1] ausgesprochen werden:

     (15.)…. Sind zwei von elektrischen Strömen und durchflossene Drahtringe und in irgend welchen Bewegungen begriffen, kann ferner angenommen werden, dass jene Ströme während dieser Bewegungen fortwährend gleichförmig bleiben, und bezeichnet man endlich das elektrodynamische Potential der beiden Ringe aufeinander mit so wird die Summe derjenigen elektromoto

| rischen Kräfte eldy. Us, welche in während eines gegebenen Zeitelementes hervorbringt, gleich sein dem der Zeit entsprechenden Zuwachs des Productes wo eine gewisse Constante, die sogenannte Inductionsconstante vorstellt.

     Dieses Integralgesetz [so können wir das Princip seinem Inhalte [2] nach nennen] bietet offenbar noch keine Mittel dar zur Auffindung des jenen Kräften entsprechenden Elementargesetzes. Allerdings sind von meinem Vater über das Elementargesetz ebenfalls gewisse Angaben gemacht worden, jedoch nur in sehr reservirter Weise. So wird z. B. an einer Stelle [3] ausdrücklich gesagt, die von einem Elemente in einem andern inducirte elektromotorische Kraft besitze einen gewissen daselbst näher angegebenen Werth, insofern die Elemente geschlossenen Umgängen angehören; auch werden an dortiger Stelle für jene elektromotorische Kraft zwei verschiedene Werthe angegeben, zwischen denen man, weil eben geschlossene Umgänge vorausgesetzt sind, die Wahl hat. Es handelt sich also an der genannten Stelle nicht um die Aufstellung des wirklichen Elementargesetzes, sondern nur um die Eruirung eines seiner Anwendbarkeit nach auf mehr oder weniger specielle Fälle beschränkten scheinbaren Elementargesetzes.

     Abstrahiren wir also, wie solches vorläufig, und zwar absichtlich, überall geschehen ist, von der höher stehenden Weber’schen Theorie, so wird das wirkliche Elementargesetz der in Rede stehenden Kräfte vorläufig als ein noch völlig unbekanntes zu bezeichnen sein.

     In der Eruirung dieses Elementargesetzes wird unsere Hauptaufgabe bestehen. Zunächst indessen bedarf es einer gewissen vorläufigen Untersuchung, um näheren Aufschluss zu erhalten über den Werth der Inductionsconstanten


     Das in (15.) angegebene Integralgesetz findet seinen Ausdruck durch die Formel:


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wo ebenso wie in (13.), (14.), diejenige elektromotorische Kraft eldy. Us repräsentirt, welche in irgend einem Punkte des zu gehörigen Elementes und zwar in der Richtung dieses Elementes, hervorgebracht wird vom Ringe

     Die Kraft kann, entsprechend den einzelnen Elementen des Ringes in ebensoviel einzelne Theile zerlegt werden:



so dass also diejenige elektromotorische Kraft eldy. Us vorstellt, welche in einem Puncte von und zwar in der Richtung von hervorgebracht wird durch das einzelne Element Durch Substi­tution von (17.) gewinnt das Integralgesetz (16.) folgende Gestalt:



     Selbstverständlich sind hier überall unter und zwei Summationen zu verstehen, von denen die eine sich hinerstreckt über alle des Ringes die andere über alle des Ringes

     Um nun Näheres zu ermitteln in Betreff der Inductionsconstanten wollen wir uns die beiden Ringe in beliebigen Bewegungen begriffen denken, während gleichzeitig die in ihnen enthaltenen, als gleichförmig vorausgesetzten Ströme in irgend welchen uns unbekannten Veränderungen begriffen sind; und unsere Aufmerksamkeit richten auf diejenigen Quantitäten lebendiger Kraft und Wärme, welche in diesen Ringen entstehen während eines gegebenen Zeitelementes

     Versteht man unter und diejenigen Parameter, durch welche die räumlichen Lagen der Ringe und in jedem Augenblick sich bestimmen, ferner unter und die Zuwüchse dieser Parameter während des gegebenen Zeitelementes endlich [wie schon in (15.) festgesetzt wurde] unter das elektrodynamische Potential der beiden Ringe aufeinander, so wird dasjenige Quantum lebendiger Kraft, welches im Ringe während der Zeit vom Ringe durch Kräfte elektrodynamischen Ursprungs hervorgerufen wird, den Werth haben:



wie solches aus früheren Betrachtungen [pag. 53, form. (52.a, b, c, d)] unmittelbar folgt. Hiefür kann einfacher geschrieben werden:



und ebenso ergiebt sich:




| Endlich folgt durch Addition von (19.a, b):



wo den totalen Zuwachs von d. i. denjenigen Zuwachs vorstellt, welchen während der Zeit in Wirklichkeit erleidet.

     Andererseits sei bemerkt, dass [zufolge früherer Betrachtungen, pag. 15] die in irgend einem Element des Ringes während der Zeit sich entwickelnde Wärmemenge den Werth hat:



wo die in den Puncten des Elementes vorhandene elektromotorische Kraft vorstellt, dieselbe gerechnet in der Richtung des Elementes.

     Diese Kraft kann in mannigfaltiger Weise zerlegt werden; wodurch jedesmal die Wärmemenge in ebensoviele correspondirende Theile zerfällt (vergl. pag. 16).

     Bezeichnet man also mit



denjenigen Theil des Quantums welcher hervorgebracht wird durch die Einwirkung eines speciellen Elementes des Ringes und bezeichnet man weiter mit



denjenigen Theil des Quantums welcher seine Entstehung ver­dankt den Kräften elektrodynamischen Ursprungs, so erhält man:




wo denjenigen Theil von vorstellt, welcher speciell herrührt vom Elemente und denjenigen Theil von repräsentirt, welcher elektrodynamischen Ursprunges ist. Aus dieser Definition der Kraft folgt übrigens sofort, dass dieselbe identisch ist mit der schon in (17.), (18.) enthaltenen.

     Summirt man das Wärmequantum (22.) über alle des Ringes und alle des Ringes so erhält man offenbar diejenige Wärmemenge, welche im ganzen Ringe während der Zeit vom ganzen Ringe und zwar durch Kräfte elektrodynamischen Ursprungs, hervorgebracht wird. Bezeichnet man also diese letztere Wärmemenge mit so wird:



Hieraus aber folgt mit Rücksicht auf (18.) sofort:


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und in analoger Weise wird offenbar sich ergeben die parallel stehende Formel:



Durch Addition von (24.a, b) folgt:



     Fasst man nun endlich die beiden Formeln (19.c) und (24.c) durch Addition zusammen, so erhält man:



wo den Ausdruck d. i. das elektrodynamische Potential der beiden Ringe aufeinander vorstellt. Aus dieser Formel (25.) ergeben sich, durch Anwendung einer früher (pag. 31, 32) exponirten Methode, sofort folgende weiteren Formeln:



wo das elektrodynamische Potential des Ringes auf sich selber, ebenso dasjenige des Ringes auf sich selber vorstellt.

     Schliesslich gelangt man durch Addition von (25.), (26.), (27.) zu einer Formel:



in welcher linker Hand diejenigen Quanta von lebendiger Kraft und Wärme sich vorfinden, die während der Zeit und in Folge der Kräfte eldy. Us sich entwickeln in dem ganzen von uns betrachteten System, d. i. in beiden Ringen und zusammengenommen. Zugleich sei bemerkt, dass der auf der rechten Seite dieser Formel vorhandene Ausdruck



offenbar nichts Anderes ist, als das elektrodynamische Potential des Systems auf sieh selber.

     Denken wir uns nun das System etwa abgesehen von irgend welchen äusseren (an Fäden wirkenden) Zugkräften, sich selber überlassen, und seine Temperatur (durch von Augenblick zu Augen

| blick stattfindende Wärmeableitungen) constant erhalten, so muss zufolge eines früher erhaltenen Satzes (pag. 33) die Quantität



ein vollständiges Differential sein. Wird diese Thatsache zusammengehalten mit der gleichzeitig geltenden Formel (28.), so ergiebt sich mit einer an Gewissheit streifenden Wahrscheinlichkeit, dass die Constante gleich Eins ist. Denn wäre von Eins verschieden, so würden zwei vollständige Differentiale vorhanden sein, der Ausdruck (28.) und der Ausdruck (30.); woraus folgen würde, dass auch ein vollständiges Differential ist, ebenso Solches aber wäre im höchsten Grade unwahrscheinlich.

Wir können also setzen [4]



Hierdurch aber gewinnt die Formel (18.), durch welche das von meinem Vater aufgestellte Integralgesetz sich ausdrückte, die Gestalt:



sodass also jenes Gesetz fortan in folgender Weise ausgesprochen werden kann:

     (33.).... Sind zwei von elektrischen Strömen und durchflossene Drahtringe und in irgend welcher Bewegung begriffen, kann ferner angenommen werden, dass jene Ströme während dieser Bewegung fortwährend gleichförmig bleiben, und bezeichnet man endlich das elektrodynamische Potential der beiden Ringe aufeinander mit so wird die Summe derjenigen elektromotorischen Kräfte eldy. Us, welche in während eines gegebenen Zeitelementes hervorbringt, immer gleich sein demjenigen Zuwachs, welchen das Product während dieses Zeitelementes erfährt.

     Mit Rücksicht auf (31.) nimmt ferner die Formel (28.) folgende Gestalt an:



und hieraus erkennen wir, dass die früher (pag. 21) von uns mit bezeichnete Function im vorliegenden Falle den Werth hat:




| Mit andern Worten: Wir erkennen, dass dieser Ausdruck (35.) das elektrodynamische Postulat repräsentirt für ein System von zwei gleichförmigen Stromringen.
  1. F. Neumann: Ueber ein allgemeines Princip der mathematischen Theorie inducirter elektrischer Ströme (vorgelesen in der Berliner Ak. d. Wiss. am 9. August 1847).
         Bei dieser Gelegenheit mag bemerkt werden, dass die Grösse [von welcher sogleich, nämlich in (15.), die Rede sein wird] nach der Ansicht meines Vaters nicht unbedingt als eine Constante betrachtet werden darf. Diese Ansicht ist ausgesprochen in folgenden Worten:
         „Was die Constante betrifft, so haben Faraday und Lenz gezeigt, dass sie unabhängig von der Beschaffenheit des Leiters ist; ihr numerischer Werth hängt also nur von den Einheiten der Länge, der Zeit und der Stromstärke ab. Indessen giebt es Inductionserscheinungen, welche nur durch die Annahme erklärt werden zu können scheinen, dass eine momentan wirkende Ursache die elektromotorische Kraft nicht bloss momentan inducirt, sondern während einer gewissen wenn auch äusserst kurzen Zeit; wonach also nicht constant, sondern eine Function der Zeit ist, die aber verschwindet, wenn ihr Argument nicht sehr klein ist. Ich werde diesen Umstand später weiter auseinandersetzen, wenn ich die hier für lineare Induction zu entwickelnden Principien auf die in bewegten Flächen und Körpern inducirten Ströme ausdehnen werde, wo sein Einfluss vorzugsweise bemerklich wird, wie dies die Theorie der Aragoschen Scheibe zeigen wird. Hier will ich nur bemerken, dass diese nicht momentane Induction bei Drähten ohne erheblichen Einfluss auf die Summe der elektromotorischen Kräfte ist, die während einer gewissen Zeit erregt werden, und ohne allen Einfluss, wenn die inducirende Ursache am Anfange und Ende dieser Zeit denselben Werth hat, z. B. wenn sie periodisch wirkt.“
         Vergl. F. Neumann: Die mathematischen Gesetze der inducirten elektrischen Ströme (vorgelesen in der Berl. Ak. d. Wss. am 27. October 1845), daselbst zu Ende des §. 1.
  2. Jenes Princip ist ein Integralgesetz zu nennen, weil es sich bezieht auf gewisse Summen von elektromotorischen Kräften. Dem gegenüber wird unter einem Elementargesetz dasjenige zu verstehen sein, welches Auskunft giebt über die einzelnen Kräfte, also z. B. Auskunft giebt über diejenige elektromotorische Kraft, welche in irgend einem Puncte eines gegebenen Conductors hervorgebracht wird durch ein einzelnes elektrisches Stromelement.
  3. F. Neumann: Ueber ein allgem. Princip der math. Th. der inducirten elektrischen Ströme; daselbst dritte Seite des §. 4.
  4. Selbstverständlich hat dieser Zahlenwerth nur dann einen Sinn, wenn man diejenige Bestimmung im Auge behält, welche früher (pag. 6) in Betreff der verschiedenen Maasseinheiten getroffen worden ist.