Die amerikanische Cylinder-Presse

Textdaten
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Titel: Die amerikanische Cylinder-Presse
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aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 549–550
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die amerikanische Cylinder-Presse.

Unter dem elektrischen Drahtnetzwerke, das sich immer dichter über den Londoner Häuser-und Schornsteinmassen verstrickt, bemerkt man leicht hier und da einen Mittelpunkt zusammenlaufender Fäden, die sich an hohen thurmartigen Säulen vereinigen und von da in's Innere herabzucken. Ganz besonders fällt ein so geschmückter Palast in der Zeitungsgegend der City auf. Es ist die tägliche Geburts- und Werkstätte einer der drei Penny-Zeitungen: „Standard“, „Daily Telegraph“ und „Morning Star“, deren jede täglich in 48 Foliospalten á 150 Zeilen, á 40–50 Buchstaben und daher – mit Rücksicht auf die vielen enggedruckten Theile – in ungefähr 8000 Zeilen und beinahe einer halben Million Buchstaben erscheint und jeden Morgen frisch überall hundert Meilen rund um London für einen Penny oder 10 Pfennige tausendfach ausgeschrieen und Millionen von Menschen in Omnibus, Eisenbahnen und Dampfschiffen vor die Nase gestoßen wird. Die drei Penny-Zeitungen erscheinen täglich in mehr als 200,000 Exemplaren, wovon auf eine einzige mehr als die Hälfte kommen.

Ueber 100,000 Exemplare, jedes mit etwa einer halben Million Buchstaben, alle Morgen frisch, das will geschrieben, gesetzt und besonders gedruckt sein!

Die amerikanische Cylinder-Presse.

Beachten wir hier blos das letzte Wunder – den Druck. Wer nur die oberflächlichste Kenntniß von dem Mechanismus des Druckens, auch in seiner vollkommensten Art mit Dampf, besitzt, wird sich sagen, daß eine Zeitung, die immer von Abend bis etwa Morgens um 2 Uhr geschrieben und gesetzt wird, nicht mit den bei uns bekannten vollkommensten Mitteln schon früh um 7 Uhr in 100,000 Exemplaren über die Welt hin fliegen kann.

Dies ist nur möglich mit einem dampfgetriebenen Mechanismus, der mehr leistet, als alle in Deutschland bis jetzt thätigen Dampfpressen, mit der Hoe’schen „Zehn-Cylinder-Typen-Revolvirungs-Maschine“, wie sie officiell genannt wird. Meines Wissens ist noch kein solches Wunder in Deutschland thätig. Mau könnte sie hier auch schwerlich verwerthen und genügend füttern. Polizei und Steuern und eine altväterische, faule Art, Zeitungen zum Verkauf zu bieten und zu lesen, also Behörden und Publicum und Zeitungseigenthümer zugleich sorgen nach Kräften dafür, daß keine Zeitung wohlfeil, frisch und in 100,000 Exemplaren erscheine.

Die Hoe’sche Maschine wird aber auch bei uns nöthig werden, wenn die Schwingen unseres geistigen und materiellen Lebens von den Bleigewichten polizeilicher Furcht und von unserer eigenen Schwerfälligkeit befreit sind. Bis jetzt hat es blos ein Organ in Deutschland bis über 100,000 Exemplare gebracht, keine Zeitung, sondern das Blatt, das der Leser nicht erst zu suchen braucht, wenn er die Gartenlaube liest.

Sie hat auch zuerst auf die Hoe’sche Presse aufmerksam gemacht. Wir versuchen hier, mit Hülfe einer Abbildung, eine bestimmtere Vorstellung von diesem genialen und praktischen Wunderwerk des amerikanischen Oberst Richard Hoe (gespr. Joh) beizubringen, ohne uns dabei auf technische Einzelnheiten einzulassen, die ohne technische Vorkenntnisse und entsprechende mathematische und mechanische Einzelnheiten doch schwerlich verständlich werden würden.

Das Haupt- und Mittelstück der Maschine ist ein horizontaler, großer Cylinder, 4 1/2 Fuß Durchmesser, der sich, mit den gesetzten Buchstaben auf einem Theil seiner Oberfläche, dreht und damit andere Cylinder, die sich an ihn schließen, in drehende Bewegung setzt. Die abzudruckenden Buchstaben oder Typen nehmen blos ein Viertel der Cylinder-Oberfläche ein, der andere Raum dient mit als Druckerschwärze verbreitendes Mittel. Um diesen Haupt-Cylinder herum liegen parallel zehn kleinere, die Druck-Cylinder, die, während sich ersterer je einmal umdreht, jeder einen weißen Bogen Papier drehend gegen die Typen drucken und so mit jeder Umdrehung des großen Cylinders zehn bedruckte Bogen liefern. Zu beiden Seiten dieses Walzwerks sehen wir in den verschiedenen Etagen der Maschine Jungen, welche jeden der zehn Druck-Cylinder immer mit neuen Bogen versehen. Das ist eine sehr einfache Operation. Die Bogen liegen platt über einander vor ihnen, sodaß sie immer nur den obersten durch einen Druck und Strich mit einem platten Stück Elfenbein zu lockern und an dem einen Rande ein wenig zu lüften brauchen, um sie den metallenen Fingern der Maschine zugänglich zu machen, die bann von selbst den Bogen glatt und sicher in den Mechanismus reißen. Dieser bedruckt die Bogen und liefert sie sicherer, leichter und schneller, als irgend ein intelligenter Organismus erlernen könnte, bedruckt platt über einander mit Hülfe von großen Klappen und Flügeln, wie sie auf der rechten Seite besonders sichtbar werden, auf verschiedenen Stellen ab.

Die Quelle der Druckerschwärze befindet sich unter dem Haupt-Cylinder, von wo sie durch Vertheilungs- und Ausgleichungs-Cylinder nach jeder Druck-Operation frisch auf die Typen gedrückt wird. Die sichere, leichte Art und Weise, wie dies durch bloße Umdrehungen der verschiedenen Cylinder geschieht, kann hier um so weniger veranschaulicht werden, als wir im Bilde gerade vor der Maschine stehen und keinen Anblick von einer Seite gewinnen.

Wir bemerken nur noch, daß die Leichtigkeit und Sicherheit, womit die Maschine 20-30,000 Bogen in der Stunde druckt, auch das dünnste und schwächste, daher wohlfeilste Stroh-Druckpapier verwendbar macht, wie denn auch alle drei Penny-Zeitungen auf solchem Papier erscheinen, wenn sie sich inzwischen nicht schon der befreiten Einfuhr ausländischen Papiers (Deutschland besteuert höchst unnobel noch die Lumpenausfuhr) bemächtigt haben und deutsches Papier brauchen.

Ein großer Vortheil der Maschine ist noch, daß trotz der gerundeten Stellung der Typen-Formen gewöhnliche Typen verwendet werden, nicht, wie für andere Cylinder-Pressen, expreß dazu gegossene. Die Querlinien, womit die Typen befestigt werden, müssen natürlich dem Cylinder entsprechend etwas gerundet sein, während die längs angebrachten ganz gerade sind. Die einfachen mechanischen Vorrichtungen zur Befestigung der gradlinigen Typen in der rundlich gebogenen Form, sodaß sie sogar fester stecken, als in einer ganz ebenen, beruhen auf Schraubenwerten, die sich ohne Zeichnung nicht leicht erklären lassen. Hier kam’s uns blos darauf an, ein Bild von der Maschine zu geben, welche im Stande ist, in jeder Stünde 30,000 Bogen zu bedrucken, welche Leistung, bloßen Menschenhänden anvertraut, kaum für den hundertfachen Preis möglich wäre.

Sie wird von einer 24-Pferdekraft-Maschine getrieben, die jeden Augenblick von der Einwirkung auf die Presse so getrennt [550] werden kann, daß letztere in demselben Augenblicke absolut stillsteht, um durch einen einzigen Griff wieder sofort in Arbeit versetzt zu werden.

Die Presse wiegt über 900 Centner, ist 35 Fuß lang, 12 breit und 18 hoch. Sie kostet an Ort und Stelle in der Hoe’schen Anstalt etwa 8000 Pfund Sterling und einen guten Theil Transport in 40–50 verschiedenen Kisten und Kasten. Sie arbeiten zu sehen, ist ein Genuß, den sonst keine dampfmechanische Thätigkeit gewähren kann, da sich hier Großartigkeit und spielendste Feinheit mit wunderbar erscheinenden Wirkungen vereinigen.