Textdaten
<<< >>>
Autor: Dr. Karl Ruß
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Vogelkatze
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 661, 662
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[661]

Die Vogelkatze.

Schilderung von Dr. Karl Ruß

Auf der letzten Vogel-Ausstellung des Vereins „Ornis“ in Berlin zeigte sich ein Bild, dessen Seltsamkeit alle Besucher und selbst alte, vielerfahrene Liebhaber in Verwunderung setzte. Inmitten eines verhältnißmäßig engen Käfigs befand sich eine Hauskatze, umgeben von einer beträchtlichen Anzahl verschiedener Vögel, welche sich munter umhertummelten, neben und auf dem sonst so sehr gefürchteten Raubthier, über dasselbe hinweg etc. Da stand ein Edelfink ruhig auf dem Rücken der Katze, ein Lachtäuber machte sein Kukuruku unmittelbar vor ihrer Nase, sodaß er dieselbe berührte, eine kecke Meise flatterte über ihrem Kopf und hüpfte hin und wider einen Augenblick daraus, ein Staar suchte zwischen den Haaren herum und wandte ihren Schwanz mit dem Schnabel hin und her. Währenddessen lag sie regungslos da, indem sie sich anscheinend um all das kleine Gefieder gar nicht bekümmerte.

Die Vogelkatze.
Originalzeichnung von Carl Gerber.

Hunderte von Zuschauer umstanden das anscheinende Wunder und staunten es an. Zunächst meinte nun der Eine, der sich wohl als Thierkenner dünkte, die ganze Geschichte sei doch nur Spiegelfechterei, denn die Katze müsse offenbar durch ein Betäubungsmittel in solchen Zustand gebracht sein, daß sie den Vögeln nichts thun könne. Ein Anderer entgegnete, sie sei ein matt gewordenes, jedenfalls durch Hunger und Mißhandlung in den Zustand völliger Gleichgültigkeit gebrachtes Thier, welches beim besten Willen keinen Vogel mehr zu fangen vermöge. Beide begründeten ihre Behauptung vornehmlich darauf, daß die Katze fast immer ruhig dalag – sie bedachten aber nicht, daß dies doch eben ihre Gewohnheit ist. Wenn sie, nach Katzenart, gegen Abend hin munter geworden, lustig zu spielen anfing, ihrerseits eine Taube zwischen die Pfoten nahm oder gegen den Schnabel des Staares mit der Kralle kämpfte, ohne ihn jedoch jemals zu verletzen, wenn sie dann, aus dem Käfig herausgelassen, das ganze Ausstellungslokal durchstrich, zur Entrüstung der vielen Papageien und insbesondere der Kakadus, welche sie, kopfnickend und die bunten Hauben sträubend, kampfbereit anschrieen, während sie, unbekümmert um diesen Tumult, sich mit hochgehobenem Schwanz vergnüglich schnurrend von einem Bekannten streicheln ließ, noch mehr aber, wenn der Aussteller, Herr Vogelhändler G. Maercker in Berlin, ihr eine lebende Maus in der Falle mitbrachte und sie, gleichviel zu welcher Tageszeit, blitzschnell aufspringend, mit einem Krallenschlag diese Beute tödtete und inmitten der Vögel verzehrte – dann war die Weisheit aller Erklärer doch völlig irre geworden.

Angesichts des hübschen Bildes, welches der Künstler nach der Wirklichkeit auf meinen Wunsch entworfen, kann ich folgende Mittheilungen über die Vogelkatze machen.

Schon vor vielen Jahren theilte mir Herr Vogelhändler W. Mieth in Berlin, welcher alljährlich nach St. Andreasberg reist, um die herrlichen Kanarienvögel vom Trute’schen Stamm abzuholen, mit, daß man im Harz in den Kanarienzüchtereien vielfach Katzen finde, welche harmlos und verträglich zwischen den Vögeln umhergehen. Es fällt ihnen dabei niemals ein, bösartig gegen die letzteren zu sein, während sie sich doch als eifrige Mäusefängerinnen zeigen. Das Lebensbild einer solchen Vogelkatze habe ich dann in meinem Buch „In der freien Natur“ veröffentlicht. Später, als ich in Steglitz wohnte und in einem leicht gebauten Hause unter der Plage der aus der ganzen Nachbarschaft herbeiströmenden Mäuse die Züchtungen in meiner Vogelstube nur zu arg gefährdet sah, versuchte ich es selber, eine Katze so abzurichten, daß sie vogelfest, wie man zu sagen pflegt, wäre. Eine allerdings sehr harte Strafe in früher Jugend, welche späterhin nur durch Bedrohung und kaum in Wirklichkeit wiederholt wurde, dann aber namentlich die Gewöhnung an die fortwährende Nähe der Vögel hatten zusammenwirkend in der That dazu genügt, das gewünschte Ergebniß zu erreichen. Da diese Katze, ein einfarbig schwarzes, im ganzen recht wildes und unbändiges Thier, nichts weniger als zutrauenerweckend sich zeigte, so hatten wir noch keineswegs den vollen Glauben daran, daß sie vogelsicher sei. Eines Abends fand sie in unsrer Abwesenheit die Gelegenheit, durch die unvorsichtigerweise nicht sicher verschlossene Thür in die reich bevölkerte Vogelstube zu gelangen. Da saß sie aber ruhig auf dem Fensterbrett neben kleinen, arg verängstigten Wachteln und Tauben, welche sich nicht anders zu helfen gewußt, als daß sie sich in die Ecken gedrückt, und hatte keinem der Vögel ein Leid zugefügt.

Einige Jahre später schickte mir Herr Ed. Pfannenschmid, Inhaber einer großartigen Geflügelhandlung in Emden, der sich namentlich mit der Beschaffung von allerlei einheimischen Sumpf- und Wasservögeln, Raubvogeln u. a. m. für Liebhaber und zoologische Anstalten beschäftigt, eine Katze, welche von vornherein durchaus vogelfest sein sollte. Solche friesländische Katzen stammen von den sogenannten Polhüttenjägern, armen Leuten, welche lediglich vom Ertrag der Jagd und Fischerei leben, her und werden von diesen zwischen allerlei lebenden Vögeln und anderen Thieren aufgezogen, sodaß sie mit Finken und Staaren, Dohlen und Hühnern, Kaninchen und Hunden zusammen verträglich aus Einem Napf fressen. Das mir zugesandte Thier, ein schöner schwarzbunter Kater, zeigte und entwickelte bei mir eine fast menschliche Klugheit. Mein Töchterchen Margareth, eine lebhafte Kleine von damals vier Jahren, spielte mit dem Kater wie mit ihres Gleichen, und derselbe zeigte dabei Einsicht und Verständniß in staunenswerth hohem Grade. Verstecken und Greifen, gegenseitiges Zuwerfen und Fangen von Ball und Marmorkugeln etc. machten augenscheinlich beiden Genossen gleiches Vergnügen. Während der Kater sich sonst stets zur Wehr setzte und nachdrücklich zu vertheidigen wußte, sobald er von Jemand hart angegriffen wurde, ließ er sich von dem Kinde im Uebermuth am Kopfe oder Schwanz, selbst an den Ohren packen, kurz und gut in der empfindlichsten Weise umherzerren, und nur selten einmal, wenn es ihm denn doch gar zu arg geworden, hat er von der Schärfe seiner Krallen Gebrauch gemacht. Jede [662] Sorge, daß die Katze das Kind einmal gefährlich verletzen könne, war meinerseits völlig ausgeschlossen. Es würde zu weit führen, wollte ich hier noch mehrere derartige Züge, welche für die Klugheit dieses Thieres sprechen, anführen, ich habe ja überhaupt nur beiläufig davon erzählt. Vornehmlich in der Absicht es mit vollem Nachdruck hervorzuheben, daß nach meiner Ueberzeugung die Katze bei einsichts- und verständnißvoller Erziehung mehr oder minder eine gleiche Klugheit entwickeln kann, wie solche der gutgeartete Hund in hohem Maße zeigt.

Nun zurück zur Vogelkatze auf der Ausstellung des Vereins „Ornis“. Da kam sodann der Thierschutz und trat mit voller Entrüstung gegen die Vogelkatze oder vielmehr den Aussteller derselben in die Schranken. Vornehmlich die mildherzigen Schwärmerinnen von jener Seite des Thierschutzes, dessen Sinnbild ein in Thränenfluthen gebadetes Schoßhündchen ist, machten mir als Vorsitzenden des Vereins für Vogelkunde, -Schutz und -Liebhaberei das Leben recht schwer. Was nützte es mir, daß ich einige der Damen heranführte, um ihnen sachgemäß an allen vorhandenen Gesundheitszeichen den Beweis zu liefern, daß die Vögel sich sämmtlich in vortrefflichster Pflege befanden und des besten Wohlseins erfreuten; kopfschüttelnd suchte man immer wieder nach neuen Einwänden, um solche „unerhörte Thierquälereien“ zu verdammen, und endlich, als alle Pfeile an den schlagenden Gründen, welche ich aufstellen konnte, abprallten, wurde mir als letzter Einwurf die Grausamkeit der Dressur entgegengestellt. Ja, hieß es, wie viele harte Züchtigungen müssen dazu gehören, um eine Katze bis zu einer solchen völligen Verleugnung ihrer Raubthiernatur zu bringen, welche Qualen muß sie durchgemacht haben, um soweit abgerichtet zu werden, daß sie friedlich mit den Vögeln zusammenlebt! Hier aber, in diesem Punkte, waren die guten Thierschützerinnen nun eben dort angelangt, wo ich ihnen mit vollstem Nachdrucke entgegentreten konnte.

Gleicher Weise, wie jeder Mensch lernen und, je höher er stehen und je freier er sein will, desto mehr lernen muß, so ist auch Unterricht, oder nennen wir es Abrichtung, für jedes in näherem Verkehr mit dem Menschen stehende Thier nothwendig; je besser das Thier abgerichtet, je mehr es dazu gewöhnt zu werden vermag, seine thierischen Neigungen und Lüste abzulegen und menschliche Gewohnheiten anzunehmen, Kunstfertigkeit oder auch nur Kunststücke zu erlernen, beziehentlich nachzuahmen, desto näher steht es doch offenbar dem Menschen. Sollten wir nun also in der Abrichtung, das heißt Erziehung unserer Thiere, wirklich arge Thierquälerei sehen müssen? Da würden wir auf einen schlimmen Weg gerathen – den nämlich, daß wir durch Verwilderung unserer Genossen aus der Thierwelt das wieder verlieren, was der Mensch in tausendjährigem Streben errungen hat.