Textdaten
Autor: Kurt Tucholsky
unter dem Pseudonym
von Ignaz Wrobel
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Titel: Die Taktischen
Untertitel:
aus: Die Weltbühne. Jahrgang 22, Nummer 27, Seite 19-21
Herausgeber: Siegfried Jacobsohn
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 6. Juli 1926
Verlag: Verlag der Weltbühne
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Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Die Weltbühne. Vollständiger Nachdruck der Jahrgänge 1918–1933. Athenäum Verlag, Königstein/Ts. 1978. Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[19]
Die Taktischen von Ignaz Wrobel

Im Zeitungsstand hing das Blatt so geknickt, daß nur zu lesen war:

EIN REPUBLIKANISCHER MISSERFOLG

– das konnten nur wir sein. So: ‚Le Journal‘. ‚L’Oeuvre‘ sah das Ereignis als einen Erfolg der Republikaner an – nun, das ist Geschmackssache. Aber wenn in der Fürstennacht von Potsdam bis Doorn die Sektgläser geklungen haben, dann sollen die „großen Familien“, wie das in China heißt, nicht nur Herrn v.Loebell danken und dem alten ewig-jungen Hindenburg und andern Inkarnationen deutschen Geistes – sondern sie sollen ihren Dank in ein Lager hinübersenden, an das sie wahrscheinlich gar nicht denken, und das sie ganz zu Unrecht dem feindlichen zurechnen.

Sie sollen sich bei unsern eignen Leuten bedanken: bei den Taktischen.

*

Wir haben in unsern Reihen bis zu den Demokraten hin Leute, die Taktik für Etwas halten, das sie gepachtet haben. Diese Taktik sieht so aus:

Man muß den Herrn Lehrer nicht erzürnen. Denn wenn wir den Herrn Lehrer nicht erzürnen, dann hat er keinen Anlaß, uns den Popo vollzuhauen. Wir sehen wohl den Rohrstock. Aber wir, schlau, wie man uns hat, lassen uns nicht provozieren, wir sitzen artig in unserm Eckchen, und wenn er uns doch haut – dann begeht er eine Ungerechtigkeit. Die weisen wir ihm dann nach. Die Kehrseite haben wir allerdings voll. Aber wir sind im Recht.

So wird da gesprochen.

Die Rechte macht ja viele Torheiten in Deutschland – aber eine hat sie noch nie gemacht: sie hat noch nie den Massen Viertelideale vorgehalten. Getan hat sie meistens das Sechzehntel, das Zweiunddreißigstel – aber paradiert hat sie immer mit dem Ganzen. Nicht so unsre Klugschreiber.

Von der Wahl des Herrn v.Hindenburg an haben wir immer wiederholt: Es ist ein Unfug, mit dieser lächerlichen Miene von Verehrung an den Mann heranzugehen oder vielmehr: nicht an ihn heranzugehen. Kein Grund, ihn zu beleidigen – aber ebensowenig ist da ein Grund, über ihn zu schweigen, nicht zu sagen, wer da auf dem Präsidentenstuhl sitzt. Ein geschlagener General. Ein Mann, der sich selbst, bewußt und angenehm offen, als ungeistig gibt.

Die Taktischen leihen dazu, was Jenem an Geist fehlt. Sie haben nicht gehört – der Hindenburg-Brief war die Quittung. Seine Wirkung basiert auf einem Vertrauen, das den Taktikern tabu war.

Man muß das böse Gewissen verspürt haben, mit dem seine Kandidatur bekämpft wurde – und als wir, die kleine Gruppe Derer, die falsch prophezeiende Wetterfrösche gern „Literaten“ nennen, immer wieder darauf hingewiesen haben, daß es falsch ist, bei jeder Art Massenbeeinflussung in der Mitte des Weges stehen zu bleiben: da tobte uns derselbe [20] Orkan von Dummheit entgegen wie dem Abgeordneten Rosenfeld, als der dem Präsidenten „Wortbruch“ vorwarf. Ach, sind in solchen Augenblicken die Taktischen klug –! „Wie kann man“, lächelt das überlegen, „dem Gegner nur solche Handhaben bieten …“ Aber der greift ja nur zu, weil er die Schwäche fühlt, die Angst; weil da Keiner ist, der sofort zurückstößt und ruft: Noch viel mehr als Wortbruch – noch viel mehr.

Beim Volksentscheid darf allerdings nicht vergessen werden, daß ein großer Teil seiner Anhänger den Sieg gar nicht gewollt hat; daß ihnen mau war vor der eignen Courage; daß sie nur so leise mitgingen, um hinterher sagen zu können: Und ich war auch dabei. Was soll man dazu sagen, daß ein sonst so aufrechter Demokrat wie Anton Erkelenz ganz offen vor dem Entscheid predigt: Wird er angenommen, dann können wir immer noch den Fürsten eine Schenkung machen …!

Sie sind Alle so schrecklich vornehm, so fein, so taktvoll, so zurückhaltend – darunter übrigens Männer, die durch eine lebenslange Tapferkeit bewiesen haben, daß diese falsche und in der Politik völlig unangebrachte Reserviertheit nicht Angst ist. Aber fühlen sie nicht, wie ihnen diese Vornehmheit, dieser Takt, diese Taktik nicht einmal nützen? daß sie nichts einbringt, nicht einmal Anerkennung? daß Alles nicht hilft? daß nichts hilft als – in solchen Augenblicken –: dreinschlagen. Sie fühlen es nicht – denn sie haben kein Fingerspitzengefühl. Sie sind stumpf. Sie leben nur unter sich.

Wer da weiß, mit welchen kleinen Mitteln in diesem letzten Kampf, wie in jedem andern der letzten zehn Jahre, von der Rechten gearbeitet worden ist, wer da weiß, wie diese kleinen Mittel die großen sind, der wird gewiß nicht unsern Leuten den Vorschlag machen, seinen Gegner nun im Bett aufzusuchen oder solche widerlichen Stänkereien zu vollführen, wie sie auf der andern Seite gegen republikanische Beamte unternommen werden. Aber wenn doch unsre Zweigroschen-Diplomaten nur ihre Taktik zu Hause lassen wollten –! Taktik heißt: Gerissenheit. Skrupellosigkeit. Frechheit. Schnelligkeit. Politische Taktik ist aber nicht: Reserve. Seelenadel. Feinheit. Die ist völlig unangebracht – damit mistet man keinen Stall aus. Und mit Kuhknechten verhandelt man nicht in Maeterlincks Idiom.

Was aber immer wieder erstaunlich ist, das ist dies:

Wie die Leute ihre eignen Niederlagen nicht fühlen. Wie sie noch so stolz auf ihre Taktik sind, auf dieses kindische Amüsement, den Gegner, „logisch“ abgeführt zu haben – und das immer in den eignen Blättern, in den eignen Vereinen, in den eignen Versammlungen. An den Gegner selbst reichen diese Taktiker nicht einmal heran, Sie bleiben fern vom Schuß – aber sie sind vornehm.

Und weil sie eben immer, immer in der Defensive stehen, sich stets entschuldigend, niemals angreifend, immer abwartend, abwehrend, vornehm beschwörend oder vornehm historisch-nachweisend, weil sie immer nur zu den Eignen sprechen und die „Überzeugung der Andern achten“ bekanntlich das [21] Kennzeichen wahrer Demokratie – so stehen sie da, wo sie heute stehen: im Mustopf.

Wenn der Topf nun aber ein Loch hat –?

Sie gingen nicht heraus, sie blieben drin. Denn es wäre unritterlich, solchen durch die äußern Verhältnisse gegebenen Vorteil auszunutzen; auch wäre erst festzustellen, wie es sich denn mit der Geschichte der Mustopflöcher verhält – und so bleiben sie denn da sitzen, wohin Gott sie gesetzt hat. Und wohin sie gehören.

Wir werden aber noch manchen entzückend geschriebenen und klug durchdachten Leitartikel von ihnen zu erwarten haben.

Dieser Taktik gegenüber gibt es nur eine: falsche Freunde den Feinden zuzurechnen.