Die Sternschnuppen-Nächte des 12. und 13. November

Textdaten
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Autor: Emil Adolf Roßmäßler
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Titel: Die Sternschnuppen-Nächte des 12. und 13. November
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 492–493
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Teil 15 der Artikelreihe Aus der Menschenheimath.
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Aus der Menschenheimath.

Briefe
Des Schulmeisters emerit. Johannes Frisch an seinen ehemaligen Schüler.
Fünfzehnter Brief.
Die Sternschnuppen-Nächte des 12. und 13. November.


Laß Dich, mein theurer Freund, heute einmal von der Erde auf den Himmel verweisen, nämlich den sichtbaren, leibhaftigen Sternenhimmel, der jetzt in den schönen frischen Herbstnächten uns so absonderlich klar und funkelnd zugeblinkt hat.

Zwar ist unsere liebe kleine Erde, unsere mütterliche Heimath, nicht zu klein, um Kopf und Herz jedes rechten Menschen sein Leben lang auszufüllen mit großen und heroischen Dingen; aber gut ist’s doch, daß man sich dann und wann einmal daran erinnert, daß sie auch zu der großen Heerde gehört, welche „der Hirt mit dem Silberhorne“ nächtlicher Weile austreibt auf dem dunkeln Plane des Firmamentes.

Da läuft sie denn mit ihren Genossen, den übrigen Planeten, deren Zahl in den letzten Jahren durch immer neue Entdeckung mehrerer bedeutend zugenommen hat, unermüdet in ihrer so viele Millionen Jahre alten Bahn um ihre Sonne, wie das Kind, aus einer Hand in die andere, um seine Mutter läuft.

Wenn wir aber hinauf sehen in einer klaren dunkeln Herbstnacht, so sehen wir eben Alles ruhig und fest an seinem Platze. Die 7 schönen Sterne des großen Himmelswagens stehen Jahr aus Jahr ein in derselben Ordnung zu einander, wenn auch der ganze Wagen selbst nach den verschiedenen Jahreszeiten mit der Deichsel einmal aufwärts, einmal links abwärts, wie z. B. gerade jetzt, steht, was wir leicht mit der Laufbahn unserer Erde um die Sonne in Verbindung bringen. Blos unsere Stellung zu den Sternen ändert sich, die der Sterne unter einander bleibt sich ewig gleich. Ewig gleich? Nein. Aber sie sind eben so unendlich weit von uns entfernt, daß ihre Bewegungen für unser Auge keine wahrnehmbare Ortsveränderung hervorbringen können. Bewegung herrscht im Weltall allerorten, weil überall Leben herrscht, das sich immer und überall durch Bewegung des Stoffes ausspricht. Aber es ist noch nicht lange her, daß man mit den stärksten Fernröhren unbedeutende Ortsveränderungen einiger Fixsterne zu einander, also doch Bewegung, beobachtet hat.

Doch es herrscht am nächtlichen Sternenhimmel nicht blos diese langsame Bewegung unendlich ferner Weltkörper, die wir eben nicht selbst wahrnehmen können, die uns vielmehr blos aus der von ihr bewirkten veränderten Stellung der Weltkörper zu einander in einzelnen Fällen kund wird; sondern mit der Schnelligkeit der die Luft durchschneidenden Schwalbe fahren, uns ganz nahe, Himmelskörper über unserem Haupte hin.

Das sind die sogenannten Sternschnuppen. Welch sonderbare Benennung! Man möchte sie gemein [493] finden, wenn nicht etwas naiv Kindliches darin läge, was wir dem ununterrichteten Volke, welches diesen Namen gab, schon zu gute halten müssen. Der Name hat aber doch auch etwas, was Anerkennung verdient. Es liegt ihm der Drang zu Grunde, nach dem Ursprung der Dinge zu forschen; ein Drang, der es eben in unserer Zeit des gewaltigen Fortschrittes zu geistiger Befreiung dem Lehrer in natürlichen Dingen so leicht macht, Ohr und Herz des Volkes für seinen Unterricht zu gewinnen.

Ja, es liegt ein kühnes Erfassen in dem Namen Sternschnuppe. Wenn man in nächtlicher Wanderung auf offener Flur ahnungsvoll und doch ohne bestimmte Gedanken nach dem sternbesäeten Himmel aufblickt – da fährt plötzlich, als fiele ein Stern aus seiner Stelle, ein leuchtender Punkt herab, der so schnell da, aber auch so schnell wieder weg ist, daß man nicht weiß, an welchem Punkte des Himmels er zuerst aufblitzte. Da griff denn der feste Haltpunkte fordernde Gedanke des Menschen kühn hinein in dieses weite wüste Himmelsmeer, ohne andere Marksteine als eben die Sterne, und einen Stern ließ er den Ausgangspunkt der schönen Lichterscheinung sein.

Der Aberglaube, der Bastard von Glauben und Wissen, hängte seinen Plunder dran, der jetzt von der Wissenschaft beseitigt ist. Aber wenn auch nur noch wenige umnebelte Köpfe etwas Spukhaftes in den Sternschnuppen sehen, so mögen noch Viele es nicht wissen, daß sie kleine Weltkörper sind, die in ihren eigenen Bahnen die Sonne umkreisen. Es sind keine wilden Schwärmer, die von irgend einem anderen Weltkörper sich los machten, um unstät im Weltenraume herumzutaumeln.

Freilich scheint es gegen die regelmäßige Bahn dieser Asteroiden, wie man diese kleinen Weltkörper nennt, zu sprechen. daß man sie meist blos über einen Theil des uns sichtbaren Himmelsgewölbes hinwegziehen sieht. Warum, so könnte man fragen, werden sie nicht schon am Horizonte sichtbar, um dann je nach Verhältniß ihrer Bahn zu unserer Erdstellung in einem bald höheren, bald flacheren, bald größeren, bald kleineren Bogen über den ganzen Himmel hinwegzuziehen?

Die Wissenschaft hat auf diesen sehr berechtigt scheinenden Einband zu erwiedern, daß die Asteroiden an sich dunkle Körper sind und nur hell und uns sichtbar werden, so lange sie unsern Dunstkreis durchschneiden. Daraus ergiebt sich von selbst, daß die der Erdoberfläche näher kommenden, also tiefer in unsern Dunstkreis einschneidend, uns in einer längeren Bahn sichtbar werden müssen, als andere, welche den Dunstkreis der Erde blos oberflächlich berühren. Manche dieser kleinen Geschwister unserer Erde kommen der großen Schwester so nahe, daß sie von der Anziehungskraft derselben angezogen, ihr in den Schooß fallen. Das sind die sogenannten Feuerkugeln, welche mit einem langen Lichtschweife hinter sich oft in geringer Höhe über den Himmel ziehen, und dann oft mit einem lauten Knall zerbersten und in Stücken als die bekannten Meteorsteine herabfallen, deren man schon bis zu mehreren Hundert Centnern Gewicht gefunden hat.

Solcher kleinen Sternenkinder führt die Hand der das Weltall durchdringenden Bewegung ganze Schwärme von vielen Tausenden durch die Himmelsräume.

Ein solcher schwebt alljährlich während des 12. und 13. Novembers über die nördliche Halbkugel der Erde hin. Alle Jahre besucht er in eiligem Streifzuge unsere Atmosphäre, wie alle Jahre zu anderer Zeit die Züge der Störche unsere Wiesen und Sümpfe als länger verweilende Gäste besuchen.

Versäume es nicht, an diesen beiden Tagen darauf zu achten, ob ihnen ein wolkenloser Nachthimmel folge; und ist dies der Fall, dann tritt hinaus in stiller Nacht und achte auf den unhörbaren Flug dieser kleinen mit unserem Lichte leuchtenden Feuerwürmchen des Weltenraumes. Wenn der trübe November in jenen Nächten seinen Regenmantel trägt, so warte bis zum nächsten August, wo vom 9. bis 14., namentlich am 10. August. wiederum Sternschnuppen-Nächte sind.