Die Schäden der modernen Cultur/Auf den Diensteid

Textdaten
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Autor: Friedrich Friedrich
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Titel: Die Schäden der modernen Cultur/Auf den Diensteid
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aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 757–759
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Schäden der modernen Cultur.
5. Auf den Diensteid.

Von den verschiedensten Seiten ist bereits darauf hingewiesen, wie verwerflich und nachtheilig bei Zeugenaussagen die Verpflichtung der Beamten auf ihren Diensteid ist, denn nur zu häufig kommt es vor, daß solche Zeugen den Eid zu leicht nehmen und unwahre Aussagen machen. Polizeidiener, Executoren und Nachtwächter kommen namentlich in großen Städten öfter in die Lage, vor Gericht gegen Angeklagte zu zeugen. Sie nehmen ihre Aussage auf ihren Diensteid, und schon in der häufigen Wiederholung solcher Fälle liegt die Gefahr, daß der Respect vor dem Eide schwindet, daß er aufhört etwas Heiliges zu sein. Zudem giebt es Richter, welche auf die Aussage eines Beamten, welche dieser auf den Diensteid genommen hat, mehr Werth legen, als auf die eines anderen unbescholtenen Zeugen, als ob das Gewissen dieses weiter wäre als das des Beamten, der vielleicht schon hundert und mehr Aussagen auf seinen Diensteid genommen hat und dies, schon weil es sein Beruf mit sich bringt, als eine Geschäftssache auffaßt.

Wir wollen an einem bestimmten Falle zeigen, wohin dies bei gewissenlosen Beamten führt, und daß es solche leider giebt, wird wohl Niemand in Abrede stellen. Aus leicht zu errathenden Gründen ändern wir die Namen. – –

Der Kaufmann Kuntze kehrte eines Abendes aus einer Gesellschaft spät heim. Da er den Hausschlüssel vergessen hatte, pochte er an den Fensterladen seiner paterre gelegenen Wohnung, um seine Frau zu wecken, damit sie ihm den Schlüssel durch’s Fenster reiche, wie sie dies schon öfter gethan hatte. Die Frau hörte ihn jedoch nicht; er rüttelte deshalb stärker an dem Laden.

 „Was machen Sie hier?“ rief plötzlich eine barsche Stimmte hinter ihm.
 Erstaunt blickte er sich um, denn Strolche durchstreiften um diese Zeit nur zu oft die Straßen; er beruhigte sich jedoch sofort, als er einen Polizeibeamten hinter sich stehen sah, dessen Herantreten er nicht gehört hatte. Mit kurzen Worten gab er den Zweck seines Pochens an.
 „Sie wohnen hier?“ unterbrach ihn der Beamte. „Wer sind Sie denn?“
 Kuntze nannte seinen Namen.
 „Das kann Jeder sagen,“ fuhr der Polizeidiener in schroffem Tone fort. „Wissen Sie wohl, daß ich Sie wegen nächtlicher Ruhestörung sofort zur Polizeiwache führen kann?“
 „Durch das Pochen an das Fenster habe ich Niemand gestört,“ warf Kuntze ein.
 „Ruhig!“ herrschte ihn der Beamte an, den wir Bredow nennen wollen. „Ob Sie dies gethan haben oder nicht, darüber habe ich zu entscheiden und wenn ich Sie nicht zur Wache führen soll, so werden Sie wohl wissen, was Sie zu thun haben. Angenehm wird es Ihnen wohl nicht sein, wenn Sie wegen Ruhestörung bestraft würden.“
 Kuntze verstand diese Worte und die in ihnen liegende Aufforderung zu einem Geldgeschenke sehr wohl, da er sich aber bewußt war, nichts Unrechtes gethan zu haben, sagte er kurz:
 „Ich kann mich wegen meiner Handlungsweise rechtfertigen und brauche nicht zu befürchten, zur Wache geführt zu werden.“
 „So?“ unterbrach ihn Bredow mit höhnender Stimme. „Sie brauchen sich also nicht zu fürchten? Nun sollen Sie zur Wache. Folgen Sie mir!“
 „Sehr gern,“ bemerkte Kuntze und pochte noch einmal an das Fenster, um seiner Frau zuzurufen, wohin er gehe.
 „Sie sollen mir folgen,“ rief Bredow heftig, faßte ihn hinten am Rockkragen und stieß ihn vorwärts.
 „Lassen Sie mich los! Ich habe mich nicht geweigert, Ihnen zu folgen,“ rief Kuntze entrüstet.
 „Das wollte ich mir auch verbitten!“ antwortete der Beamte und stieß ihn noch heftiger, ohne ihn loszulassen.
 Kuntze würde um Hülfe gerufen haben, allein auf der menschenleeren Straße würde ihn Niemand gehört haben; er befürchtete auch, daß ein Bekannter ihn in dieser Lage sehen könne, was für ihn als geachteten Mann, der sich nie das Geringste hatte zu Schulden kommen lassen, doch peinlich gewesen wäre.
 Sie langten in der Polizeiwache an. Die Hausflur war dunkel. Kuntze trat sehr vorsichtig auf, weil er die Räumlichkeit nicht kannte.
 „Vorwärts!“ rief Bredow und stieß ihn so heftig, daß er mit dem Kopfe gegen die Wand fuhr.
 Jetzt rief der Gepeinigte um Hülfe.
„Ruhig!“ unterbrach ihn der Beamte, faßte ihn mit beiden Händen am Halse, um seine Stimme zu ersticken, und stieß ihn wiederholt heftig gegen die Wand. Dann öffnete er die Thür des Wachzimmers und drängte ihn hinein.
 An einem Tische saß der Polizeiwachtmeister Meisen. Bredow trat zu ihm und sprach leise zu ihm. Der Wachtmeister warf auf Kuntze einen prüfenden, drohenden Blick.
 „Hier heran!“ rief er befehlend.
 Kuntze trat näher. Er zitterte vor Erregung über die Mißhandlung, welche ihm widerfahren war. „Ich habe mich zu beschweren …“ begann er.
 „Ruhig! Warten Sie, bis Sie gefragt werden!“ unterbrach ihn der Wachtmeister barsch.
 „Ich habe den Menschen wegen Ruhestörung auf der Straße arretirt,“ sprach Bredow. „Er versuchte einen Fensterladen aufzureißen, und als ich ihn verhaften wollte, bot er mir einen Thaler, wenn ich davon abstehe; außerdem widersetzte er sich seiner Verhaftung.“
 Unwillkürlich trat Kuntze einen Schritt zurück; er war sprachlos über diese Unwahrheit und Frechheit. „Das ist nicht wahr. Sie haben mich aufgefordert, Ihnen etwas zu geben.“ rief er.
 „Was habe ich gethan?“ fragte Bredow, indem er heftig vor ihn hintrat. „Gelogen habe ich? Hier – hier?“ Er schlug Kuntze so heftig in’s Gesicht, daß dieser zurücktaumelte.
 Diese neue Mißhandlung brachte den Kaufmann fast außer sich. „Morgen werde ich mich beim Polizeidirector beschweren,“ preßte er hervor.
 „So? Sie wollen noch drohen?“ unterbrach ihn Bredow immer wüthender, schlug auf’s Neue auf Kuntze ein und stieß ihn mit dem Kopfe gegen die Wand.

[758] „Ich verlange Schutz von Ihnen,“ rief der Gemißhandelte, sich aufraffend und zu dem Wachtmeister tretend. „Sie sind mein Zeuge. Nehmen Sie zu Protokoll, daß dieser Mann mich geschlagen und gestoßen hat! Ich verlange es.“

„Sie haben nichts zu verlangen,“ entgegnete der Wachtmeister aufspringend. „Wie können Sie hier so frech auftreten!“

Noch einmal erklärte Kuntze, daß er sich beschweren werde; nun fielen beide Beamte über ihn her, mißhandelten ihn in der brutalsten Weise und überhäuften ihn mit den rohesten Schimpfworten. Ganz erschöpft sank er auf einen Stuhl; er glaubte, diese Schmach nicht überleben zu können.

Der Wachtmeister zeichnete seinen Namen, Stand und Wohnort auf, dann nahm er Bredow’s unwahre Aussage zu Protokoll.

„Nun können Sie gehen,“ sprach der Wachtmeister.

Kuntze war fast ohnmächtig und kaum im Stande, sich zu bewegen. In einem elenden, verzweiflungsvollen Zustande langte er in seiner Wohnung an. Sein Gesicht blutete; sein Kopf war mit Beulen bedeckt. Ermattet sank er nieder, und es währte lange, ehe er die Kraft gewann, seiner Frau Alles zu erzählen. Er hatte öfter von Mißhandlungen durch Polizeibeamte gehört, aber nicht daran geglaubt, weil er nur sehr selten von deren Bestrafung etwas vernommen – jetzt zweifelte er nicht mehr. Noch während der Nacht ließ er einen Arzt holen und die Verletzungen im Gesichte und am Kopfe untersuchen; so elend er sich auch am folgenden Morgen fühlte, fuhr er doch sofort zum Polizeidirector, um die Bestrafung der Schuldigen zu beantragen. Noch trug er ja deutlich die Spuren der Mißhandlung an sich. Er erzählte Alles, wie es sich zugetragen.

Der Polizeidirector hörte ihn mit sichtbaren Zeichen des Zweifels an, richtete einige Fragen an ihn, die er durchaus der Wahrheit gemäß beantwortete, und sprach dann: „Ich kann nicht glauben, daß Beamte im Stande sind, so sehr ihre Pflicht zu vergessen; ich werde übrigens den Vorfall streng untersuchen.“

Kuntze glaubte der Versicherung des Polizeidirectors. Die beiden Schuldigen mußten bestraft werden, denn er besaß das Zeugniß seines Arztes über seine Verletzungen. Außerdem mußte der Richter seinen Worten glauben, denn er war ein durchaus unbescholtener und geachteter Bürger.

Tage vergingen, ohne daß er das Geringste über den Erfolg seiner Beschwerde erfuhr – da erhielt er eine Vorladung zum Untersuchungsrichter. Ruhig folgte er derselben, konnte es sich doch nur um seine Aussage über die ihm widerfahrenen Mißhandlungen handeln. Um so erstaunter war er, als er durch den Untersuchungsrichter erfuhr, daß Meisen und Bredow die Anzeige der versuchten Beamtenbestechung und der Widersetzlichkeit gegen Beamte bei der Staatsanwaltschaft gegen ihn eingereicht hätten. Er stellte natürlich beides in Abrede, erzählte den wahren Hergang, aber nicht ohne die höchste Erregung und selbst nicht ohne Verwirrung, weil er diese Frechheit der Schuldigen nicht erwartet hatte.

Auch der Untersuchungsrichter schien ihm keinen Glauben zu schenken, denn er ermahnte ihn, die Wahrheit offen einzugestehen, da der Richter in dem offenen Geständnisse einen Milderungsgrund finden werde.

Kuntze begab sich, ehe er heim eilte, zu einem tüchtigen Rechtsanwalte, um dessen Hülfe in Anspruch zu nehmen. Auch ihm erzählte er den ganzen Hergang vollständig der Wahrheit gemäß. Der Advocat fragte ihn, ob er denn keinen einzigen Zeugen habe, ob ihm Niemand auf der Straße an jenem Abende begegnet sei, und als er dies verneinte, nahm das Gesicht des Anwaltes einen immer bedenklicheren Zug an.

„Das ist sehr schlimm,“ sprach er. „Sie haben keinen einzigen Entlastungszeugen, und die beiden Polizeidiener werden vor Gericht ihre Anschuldigung wiederholen und dieselbe auf ihren Diensteid nehmen.“

„Dann begehen sie einen Meineid,“ rief Kuntze.

Der Advocat zuckte mit den Achseln. „Sie haben den Fehler begangen, daß Sie sich mit einer Beschwerde an den Polizeidirector gewandt; dieser wird nachgeforscht haben, und um ihre eigene Schuld zu verbergen, haben die Polizeidiener die Anklage gegen Sie erhoben. Sie sind nicht der Erste, dem es so ergeht, und werden auch nicht der Letzte sein.“

„Leben wir denn in einem Staate, in dem es kein Recht mehr giebt?“ fragte Kuntze. „Ich, der ich unschuldig bin, soll verurtheilt werden? Es ist nicht möglich. Und welche Strafe könnte mich treffen?“

„Es steht Gefängnißstrafe auf dem Vergehen, dessen Sie angeschuldigt sind, doch kann auch auf Geldstrafe erkannt werden, wenn mildernde Umstände vorhanden sind.“

„Gefängniß!“ rief Kuntze. „Um Gotteswillen! Ich würde zweifeln, ob es noch Gerechtigkeit auf Erden giebt.“

„Ich habe oft daran gezweifelt,“ warf der Anwalt ein. „Ich habe gehört, wie Polizeidiener die frechsten Lügen aussagten und auf ihren Diensteid nahmen; ich wußte, daß es Lügen waren, und doch mußte ich schweigen, weil ich keine Beweise gegen sie hatte.“

Kuntze stand regungslos da. „Retten Sie mich – retten Sie mich!“ rief er dann leidenschaftlich.

„Ich werde Alles für Sie thun, was in meinen Kräften steht,“ versicherte der Anwalt. – –

Wochen vergingen. Es waren bange und kummervolle Wochen für Kuntze. Endlich erhielt er die Anklage. – Sehr bald war auch der Tag der Gerichtsverhandlung erschienen. Der Richter, der als Vorsitzender des Gerichtshofes dieselbe leitete, galt für einen ehrlichen Mann, weil er stets nach seiner wirklichen Ueberzeugung das Urtheil sprach, und die Beisitzenden des Gerichtshofes glichen ihm auf ein Haar. Aber er war ein Bureaukrat im strengsten Sinne des Wortes, der jeden Beamten für einen ehrlichen und unfehlbaren Mann und Jeden, der nicht Beamter war, wo möglich für das Gegentheil hielt. Er erachtete es für eine Unmöglichkeit, daß ein Beamter vor Gericht die Unwahrheit aussagen könne; weil er selbst nicht dazu im Stande gewesen wäre, deshalb galt ihm auch die Zeugenaussage eines Beamten mehr als die zehn anderer Zeugen. Dabei ließ er sich in zweifelhaften Fällen von der Ansicht leiten, daß das Ansehen der Beamten unter allen Umständen aufrecht erhalten und unterstützt werden müsse, denn eine Mißachtung der Beamten galt ihm so viel wie Zerfall des Staates und Beginn des Weltunterganges.

In Begleitung seines Vertheidigers erschien Kuntze in dem Gerichtssaale und nahm auf der Anklagebank Platz. Sein Gesicht war bleich, denn schon seit Tagen hatte er nicht eine ruhige Stunde mehr gehabt. Er raffte alle Kräfte zusammen, um ruhig zu bleiben. Das Verhör begann. Er stellte natürlich die ihm zur Last gelegten Vergehen in Abrede und erzählte den Hergang der Wahrheit gemäß. Der Vorsitzende unterbrach ihn mehrere Male in sichtlichem Unwillen.

„Sie thäten besser, wenn Sie Ihre Schuld offen eingeständen,“ bemerkte er endlich. „Denn das Märchen, welches Sie uns vortragen, dürfte doch wenig Glauben finden.“

„Ich habe nichts einzugestehen, da ich die volle Wahrheit gesprochen.“

„Der Wachtmeister hat Ihr Vergehen an dem Abende in Ihrer Gegenwart sofort zu Protokoll genommen – weshalb haben Sie nicht dagegen protestirt?“

„Ich habe es gethan – statt der Antwort erhielt ich einen Schlag ins Gesicht.“

„Schweigen Sie!“ unterbrach ihn der Vorsitzende. „Durch solche Behauptungen, denen die Unwahrheit auf der Stirn geschrieben steht, verbessern Sie Ihre Lage nicht.“

In übler Stimmung brach er das Verhör ab. Bredow wurde als erster Belastungszeuge in den Saal gerufen. Mit ruhigem, festem Schritte denn er war früher Unterofficier gewesen – trat er ein. Mit freundlichen Worten forderte der Vorsitzende ihn auf, den Hergang zu erzählen. „Ich brauche Sie wohl nicht darauf aufmerksam zu machen, daß Sie streng bei der Wahrheit zu bleiben haben, denn Sie wissen, daß Sie Ihre Aussage auf Ihren Diensteid zu nehmen haben,“ fügte er hinzu.

„Ja, das weiß ich,“ bestätigte der Zeuge. Sein Gesicht hatte einen unverkennbaren Ausdruck der Rohheit; die glanzlosen Augen traten aus dem Kopfe hervor; das ganze Gesicht war geröthet und aufgedunsen, wie es bei Trinkern zu sein pflegt.

Kuntze’s Vertheidiger erhob sich und stellte den Antrag, daß die beiden Zeugen, welche nach den Aussagen des Angeklagten die Schuldigen seien und deshalb in dieser Angelegenheit unzweifelhaft interessirt wären, ihre Zeugenaussage nicht auf ihren Diensteid zu nehmen hätten, sondern für diesen Fall beeidet würden. [759] Der Staatsanwalt erklärte sich dagegen, und der Gerichtshof lehnte diesen Antrag ab.

Bredow erzählte nun den Hergang ganz mit den Entstellungen wie in der Anzeige. „Als ich ihn vor dem Hause traf, ihn pochen hörte,“ sagte er, „und ihn fragte, was er dort mache, erhielt ich die Antwort: ‚Das gehe mich nichts an, ich habe mich darum nicht zu kümmern‘.“

„Sagte der Angeklagte nicht, daß er in dem Hause wohne?“

„Nein,“ entgegnete Bredow.

„Ich habe es ihm gesagt,“ warf Kuntze ein. „Ich habe ihm auch gesagt, daß ich meine Frau wachpochen wolle, weil ich den Hausschlüssel vergessen habe.“

„Sie haben zu schweigen!“ unterbrach ihn der Vorsitzende unwillig. „Unterbrechen Sie den Zeugen noch durch ein einziges Wort, so lasse ich Sie hinausbringen, und die Verhandlung wird ohne Sie fortgesetzt.“

Bredow fuhr in seiner Erzählung fort: „Als ich an ihn herantrat, rief er mir zu, ich möge mich zum Kukuk scheeren, sonst werde er mir den Weg zeigen, dabei nahm er eine drohende Haltung an. Als ich ihn verhaften wollte, sagte er, ich möchte kein Thor sein; er wolle mir einen Thaler geben, und als ich diese Bestechung zurückwies und ihn am Arme erfaßte, um ihn zur Wache zu führen, stieß er mich heftig vor die Brust. Auf der Wache benahm er sich ebenso widersetzlich gegen den Wachtmeister.“

„Gab er schon auf der Wache an, daß Sie Geld von ihm verlangt hätten?“ fragte der Vorsitzende.

„Bewahre! Er sagte nur, daß er mich nicht habe bestechen, sondern mir den Thaler habe schenken wollen.“

„Der Angeklagte behauptet, daß Sie ihn in’s Gesicht geschlagen und mit dem Kopfe gegen die Wand gestoßen hätten. Er hat ein Zeugniß seines Arztes beigebracht, welches einige Verletzungen im Gesichte und Anschwellungen am Kopfe nachweist.“

„Ich habe ihn nicht geschlagen; er stieß mich auch auf der Wache vor die Brust und sogar den Wachmeister, als dieser ihn beruhigen wollte. Als ich ihn zur Wache brachte, stolperte er auf der dunklen Hausflur und stieß mit dem Kopfe gegen die Wand. Daher mögen die Verletzungen rühren.“

„Sie nehmen Ihre Aussage auf Ihren Diensteid?“

„Ja.“

Bredow ließ sich auf der Zeugenbank nieder, und Meisen wurde in den Saal gerufen. Er sagte ziemlich dasselbe wie Bredow aus und behauptete, daß Kuntze Bredow und ihn zurückgestoßen habe. „Ich habe in seiner Gegenwart das Protokoll aufgenommen,“ fügte er hinzu, „und wie ich es dort niedergeschrieben habe, so ist es.“ Auch er nahm seine Aussagen auf den Diensteid.

Nun erhob sich der Vertreter des Staatsanwaltes, ein noch junger Assessor. Er schilderte die Vergehen des Angeklagten noch einmal mit den stärksten Farben, betonte als Erschwerung, daß er hartnäckig geleugnet und sogar versucht habe, die Zeugen, welche obendrein Beamte seien, anzuschuldigen, und fügte hinzu, daß er um so härter bestraft werden müsse, weil er sich zu den Gebildeten zähle; er beantrage deshalb nach den beiden Paragraphen 333 und 113 des Strafgesetzbuches eine Gefängnißstrafe von vier Monaten.

Mit starrem Blicke hatte Kuntze ihm zugehört; bleich sprang er auf, als er die Worte: „vier Monate Gefängniß“ vernahm. Er schien sprechen zu wollen; sein Vertheidiger bat ihn leise, zu schweigen.

Dieser bot darauf Alles, was in seinen Kräften stand, für Kuntze auf. Er schilderte das unbescholtene Leben desselben und hob die Achtung, welche er genoß, hervor. Er wies darauf hin, daß die vom Arzte bestätigten Verletzungen Kuntze’s nicht dadurch entstanden sein könnten, daß derselbe gestolpert und mit dem Kopfe gegen die Wand gefallen sei; er betonte, daß Bredow bereits früher wegen Uebertretung der Amtsgewalt und Mißhandlung eines Verhafteten eine Disciplinarstrafe verbüßt habe, und beantragte schließlich die Freisprechung des Angeklagten und wenn das Gericht zu dieser sich nicht entschließen könne, wenigstens nur eine Geldstrafe. Der Gerichtshof zog sich für wenige Minuten zur Berathung zurück, dann verkündete der Vorsitzende das Urtheil, es lautete: zwei Monate Gefängniß.

Kuntze schrie laut auf – sein Vertheidiger suchte ihn zu beruhigen und bat ihn, ihm zu folgen. Mit spöttischem, höhnendem Blicke schritten die beiden Zeugen an ihm vorüber.

Nur schwer vermochte Kuntze sich zu fassen. Der Anwalt brachte ihn in seine Wohnung und versprach, für ihn zu appelliren.

Diese Verurtheilung, die allgemeine Entrüstung hervorrief, zog noch für einen Anderen eine Bestrafung nach sich. Wenige Tage nach der Mißhandlung hatte Kuntze dieselbe dem Redacteur einer Zeitung erzählt und dieser den Vorfall mit Nennung der Namen in seinem Blatte veröffentlicht. Es wurde gegen ihn die Anklage der Verleumdung erhoben und er von demselben Richter zu einer vierzehntägigen Gefängnißstrafe verurtheilt. Es fiel bei ihm in’s Gewicht, daß er bereits zweimal wegen Preßvergehen bestraft war. Bei der Verkündung des Urtheils bemerkte der Richter, daß diese Strafe immer noch sehr milde sei, weil er sich nicht gescheut habe, zwei Beamten eine Mißhandlung nachzusagen, für welche dieselben, wenn sie sich wirklich zugetragen hätte, unfehlbar bestraft sein würden; übrigens habe die Presse einen ganz anderen Beruf, als derartige Mittheilungen zu bringen, selbst wenn sie wahr wären, denn dadurch werde das den Beamten schuldige Ansehen beeinträchtigt und gefährdet. Der Herr Richter, der diesen wohlwollenden Redacteur verurtheilte, dürfte auch den gegenwärtigen Artikel als eine Gefährdung der Beamtenwürde mit bedenklichen Blicken betrachten. Allein wer die entarteten Glieder eines Standes anklagt, der klagt damit noch nicht den Stand selbst an. Allen Respect vor den Beamten des Staates – aber die faulen Stellen des Beamtenthums müssen bloß gelegt, die schlechten Glieder derselben abgehauen werden.

In der zweiten Instanz wurde Kuntze’s Strafe in eine Geldstrafe verwandelt.

Und die beiden Polizeibeamten? Dieser sogenannte Beamteneid, den wir besser mit einem anderen Worte kennzeichnen müßten, schien nicht allzu schwer auf ihrem Gewissen zu lasten. Sie sind noch Beide im Amte.
Friedrich Friedrich.