Die Poesie der Elektrotechnischen Ausstellung

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Autor: Emil Peschkau
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Titel: Die Poesie der Elektrotechnischen Ausstellung
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aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 619–622
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Poesie der Elektrotechnischen Ausstellung.

Von Emil Peschkau.

Grotte und Wasserfall.

Die Ausstellung der heutigen Elektrotechnik, welche gegenwärtig in Frankfurt am Main stattfindet und deren technische Bedeutung schon in Nr. 17 dieses Jahrgangs ihre Würdigung gefunden hat, weist eine Besonderheit auf, durch welche sie sich von anderen ähnlichen Unternehmungen wesentlich unterscheidet. Bei sonstigen Ausstellungen bringt uns der Gartenbau Blumen, die das Auge entzücken, und Früchte, die verheißungsvoll unserem Gaumen winken, die Kunst läßt uns im Anblick von Farben und Formen, von buntem Leben und träumerischer Stimmung schwelgen, und das Gewerbe zaubert prunkvolle Salons, behagliche Stübchen und andere reizvolle Bilder in die schachtelartigen Abtheilungen einer nüchternen Bretterhalle. Die Elektrotechnik hat es nicht so gut, und so gewahrt der Laie von dem eigenthümlichen Inhalt der Frankfurter Ausstellung nicht viel mehr als sausende Räder, Eisenungethüme, die schnaufen, stöhnen und surren, allerlei sonderbare Apparate aus Messing, Holz und Glas und endlich Drähte, Drähte und wieder Drähte. Und doch hat dieses scheinbar nüchterne und trockene Sammelsurium von großen und kleinen Maschinen auch seine Poesie; eine Poesie, die sich sogar da und dort zu kleinen, das Auge erfreuenden Bildchen verdichtet und die überdies in dem Theater der Ausstellung – getanzt wird.

Ich lade den Leser ein, mit mir auf die Plattform des Aussichtsthurmes zu treten. Es ist noch früher Morgen, tiefe Stille lagert über den Hallen für Bier, Wein, Kaffee, Champagner, Heidelbeersaft, Liqueur und so weiter, und nur aus dem kuppelgekrönten Langbau, der die Mitte des Platzes einnimmt, tönt ein leises, seltsames Summen zu uns herauf. Und nun nehme ich meinen Zauberstab und die Dächer fliegen weg, die Maschinen öffnen ihre Leiber, das Auge folgt einer ausgedehnten Leitung von Drähten und weit, weit über die Mainstadt hinaus dringt der Blick in die Ferne nach dem schönen Schwabenland, an die freundlichen Ufer des Neckar, dessen Wasserkraft von Lauffen aus durch den Draht nach Frankfurt geschickt wird. Wir blicken hinab in die Tiefe und es ist uns, als ob ein wunderbarer Traum unsere Sinne umgaukle. Die Werkstätte der Natur scheint sich uns erschlossen zu haben, wir sehen die Materie, wie sie sich, beseelt von Kraft, zu Formen fügt, und wie durch das Aufeinanderwirken dieser Formen wieder Kräfte frei werden und neue Formen entstehen. Wir sehen, wie sich die Kraft der Materie bald anziehend oder abstoßend äußert, wie sie mechanische Arbeit leistet und zu Wärme, Licht oder Schall wird, wie sie vor allem als Elektricität sich äußert. Eine eigenthümliche Anregung, zum Beispiel das Reiben einer Glasstange oder die Berührung von Zink und Kupfer oder das Vorüberdrehen eines schwach magnetischen Eisenkörpers an Drahtspulen genügt, um jenen eigenthümlichen Erregungszustand der Materie hervorzurufen, den man Elektricität nennt. Wir sehen jetzt die feinen Aethertheilchen, die den elektrisierten Körper umhüllen und durchdringen, wir sehen, wie sie aus ihrer Ruhe gestört werden, schwingen – ähnlich dem Schwingen der Theilchen des Wassers, wenn man einen Stein in dasselbe

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In der Maschinenhalle. 

wirft – und wie dieses Schwingen sich an dem „Leiter,“ an dem Drahte in die Ferne fortpflanzt, bis der Ausgleich erfolgt, die Ruhe wieder hergestellt ist. Und so weckt die Wasserkraft des Neckar, indem sie das magnetische Eisen dreht, in den Drahtspulen den elektrischen Strom, der durch die Leitung blitzschnell nach Frankfurt „schwingt“ und sich hier wieder in Arbeitskraft, in Licht oder Wärme wandelt. In dieser Halle dreht er nun das magnetische Eisen, das Maschinen und Maschinchen treibt, in jener tobt er sich an dem Widerstand aus, den man ihm in der Form von Kohle entgegensetzt, und läßt die Kohle erglühen und leuchten, und wieder an anderen Orten löst er den chemischen Zusammenhang der Materie oder er gleitet hinab in die dunkle Nacht, in der das Geheimniß des Lebens ruht – er scheidet Metalle aus den Erzen, er bleicht, gerbt und färbt, er heilt die kranken Nerven und das kranke Gehirn. Das alles sehen wir in dem klaren Aetherblau des Morgens und es ist kein Märchen, es ist Wirklichkeit. Und was uns umfängt, ist nichts anderes als die Poesie der Wissenschaft, die freilich nicht zu den Sinnesnerven spricht, die man nicht eben durch Auge und Ohr aufnehmen kann, sondern vor allem durch das empfängliche Gemüth.

Aber nun wird es unten lebendig – es geht dem Mittag entgegen und wir wollen unsere Zeit nicht ganz verträumen. Der elektrische Aufzug mit neuen Besuchern steigt in die Höhe und wir kehren mit ihm zur Erde zurück. Unser erster Besuch gilt der Maschinenhalle, und wie anders erscheint sie uns jetzt! Diese schwarzen Ungethüme leben alle, sie blicken uns mit Menschenaugen an und ihre Sprache ergreift uns. Und während wir emsig weiter schreiten, von einer Halle zur andern, entdecken wir zwischen all diesem trägen oder sausenden Metall bald da bald dort ein Bildchen, in dem sich die Poesie der Wissenschaft besonders nahelegt, aus dem der Zauber auch zu unseren Sinnen spricht. Staunend stehen wir vor dem Blätter- und Blüthengeranke, das Natur scheint und doch Gold und Silber ist, und wenn wir näher treten, sehen wir den elektrischen Strom, wie er geisterhaft die Platten edlen Metalles umspült und die feinen Theilchen löst und fortträgt, um damit natürliche Rosen und Maiblumen, Epheugewinde und Palmenwedel zu überziehen. Und jetzt wird es hell in einem dunklen Raume und in allen Farben glüht es vor uns auf – wieder Blüthenranken, aber sie leuchten jetzt – wir stehen vor den Wundern des elektrischen Lichtes. Dann glauben wir die weißen Flocken der Winternacht zu sehen, die silbernen Glöckchen erklingen und der Schlitten im Rokokogeschmack fliegt an uns vorüber, von elekrischen Lämpchen beleuchtet, die aus Rosenkelchen hervorglühen. Und hier endlich hören wir durch das Telephon eine ferne, leise Musik – es geht ihr die Fülle und der Wohlkang ab, aber das wird ersetzt durch den Gedanken, daß sie aus dem Opernhause in München kommt – wir haben wieder Poesie.

So wandern wir hin und her, und jetzt sinkt die Sonne hinter dem bunten Gewirr von Giebeln, Kuppeln und Thürmchen, es wird Abend. Wir treten in das kleine Theater, und hier wird nun der Verhärtete, der die Poesie der Elektricität noch immer nicht empfunden hat, durch anmuthige Mädchengestalten so lange bestürmt, bis ihm der Zauber endlich das Herz erweicht. Diese getanzte Poesie der Ausstellung, wie sie auch unsere Bilder wiedergeben wollen – sie werde mit ein paar Worten geschildert.

Der kleine Roman, welcher der Theateraufführung zu Grunde liegt, beginnt im Olymp, wo Papa Zeus sich eben wieder über einen seiner schlimmen Verwandten gewaltig ärgert, über den Menschenschöpfer Prometheus. Dieser verlangt das Feuer für die Menschen, aber der alte Olympier, der seine Machtmittel

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Schlußscene aus dem Ballet „Pandora“: 0Die Huldigung vor der Siegerin Kultur.


nicht gern in fremde Hände giebt, will nichts davon wissen, und so entreißt Prometheus dem Gott der Schmiede, Hephästos, seine Fackel und eilt davon, um sie seinen geliebten Schützlingen zu bringen. Zeus ist wüthend und sinnt auf Rache – und siehe da, ein kostbarer Gedanke stellt sich ein. Das Feuer, das den Menschen die Erkenntniß, die Kultur, die Herrschaft über die Welt bringen würde, soll durch ein anderes Geschenk entkräftet werden. Dieses Geschenk ist – das Weib. Flugs macht sich der Göttervater an die Schöpfung, ein herrlicher Marmorblock wird herbeigeschafft, und bald ist das Werk vollendet, liebreizend und sinnverwirrend steht das marmorne Weib vor uns. Und nun hebt Hephästos, der vielerfahrene Ehegemahl der Venus, den kleinen Gott der Liebe zu dem starren Leib empor, und unter Amors Kusse wird der Marmor zu einer schönen Frau, zum Weibe, zum Sinnbild des schmeichelnden Liebreizes, der den kühnen Menschengeist in Sklavenfesseln schlagen soll.

Zeus frohlockt, und die Sterne kommen und tragen das Weib hinab zur Erde. Wolken erfüllen die Bühne, man erblickt die Kugel unseres Planeten, dann verschwindet auch sie und neue Wolken ziehen vorüber, endlich blaut der Himmel, eine lachende Landschaft erscheint – wir sind in Italien, am Comersee; aber die alten Götter sind längst gestorben, und was wir schauen, ist die Heimath Galvanis und Voltas, der beiden Männer, mit deren Beobachtungen um die Wende des letzten Jahrhunderts der Siegeszug der Elektricität begann.

Telephonie. 0 Photographie. 0 Phonographie. 0 Telegraphie.
Aus dem Ballet „Pandora“.

Der alte Olympier hat einen großen Rechenfehler gemacht. Er war – wenigstens nach der Ansicht des Balletmeisters – ein schlechter Menschenkenner. Daß das Weib liebreizend ist, wird der Balletmeister selbstverständlich nicht leugnen, aber er meint, daß dieser Reiz nicht hemmend, sondern fördernd auf das Streben und Kämpfen des Menschengeistes wirkt. Um das zu beweisen, führt er Galvani und Volta ins Treffen, diese beiden grundgelehrten Männer, die trotz alles Grübelns und Experimentierens nicht hinter das Geheimniß der Elektricität kommen. Da erscheint Signora Galvani, eine der schönen Enkelinnen jenes schönen von Zeus gemodelten Geschöpfes und siehe da – das Geheimniß ist gelöst! Sie hält spielend das Ende eines Drahtes an den Schenkel eines eben hereinhüpfenden Frosches, und plötzlich fängt dieser an, ganz seltsam zu springen – das ist der „elektrische Strom“ – der „Galvanismus“ ist entdeckt. So sehen wir, wie das Weib, statt den Menschen zu verderben, ihn nur weiter führt auf dem Weg zum Licht. Und nun beginnt ein froher Siegesreigen, aus allen Theilen der Erde strömen die Bewunderer der neuen Entdeckung herbei, Fürsten und Könige huldigen dem Gatten der schönen Signora und die Quelle, die sie eröffnet hat, wird zum weltbeherrschenden „Strom“.

Das Schlußbild des Ballets zeigt wieder eine hohe Frauengestalt, [622] die elektrische Glühlichter in der erhobenen Rechten schwingt. Aber diesmal ist es – wie schon das Gewand verräth – nicht Signora Galvani, es ist auch nicht „Pandora“, jenes tückische Geschenk des Zeus, es ist die Siegerin „Kultur“. Alle die glänzenden Gestalten des Ballets huldigen ihr in den bunten Verschlingungen des Tanzes, man sieht wieder die Elemente, die Metalle, die schwarze Kohle und den hellschimmernden Krystall, dann die Errungenschaften der Kultur wie Bergbau, Telegraphie, Telephonie, Phonographie und Photographie und andere mehr. Die Kultur, von Europa ausgegangen, das ihr zu Füßen lagert, hat nun auch die übrigen Erdtheile erobert, und so huldigen sie ihr alle, Asien und Afrika, Amerika und Australien, die beiden ersteren im Vordergrunde, die beiden letzteren im Hintergrunde unseres Bildes rechts und links hervorragend. Zuletzt öffnet sich die Säule, auf welcher die Kultur steht, fächerartig, ein Parkett leuchtender Blumen strahlt aus ihnen empor, und unter den Jubelklängen der Musik fällt der Vorhang. –

Wir verlassen das Theater und treten hinaus ins Freie. Ein herrlicher Sommerabend, lind und duftig – die phantastischen Linien der Giebel, Kuppeln und Thürmchen verschwimmen in den Schatten der Nacht. Die Poesie dieser Stunde, das leise Rauschen des Wassers aus der Ferne, die Klänge der Musik, die gedämpft an unser Ohr dringen, das alles zaubert eine Stimmung hervor, die uns bald vergessen läßt, wo wir sind. Die Wissenschaft, die Technik, die Elekricität – sie liegen weit hinter uns und vor uns ist nur die Nacht mit ihren geheimnißvollen Linien und Tönen, mit ihrer Dämmerung und ihrem milden Wehen. Da blitzt es plötzlich auf – in blendendem Schein liegt der weite Ausstellungsplatz vor uns; und dort wird eine Grotte hell in eletrischem Lichte, ein Frauenleib, von Silberlicht umstrahlt, hebt sich aus der leuchtenden Fluth, wie rothglühende Lava wälzt sich das Wasser über Felsen herab, aus dunkler Höhle schimmert ein Drachenungethüm in allen Farben hervor, und das Zickzack der Giebel und Firste zeichnet sich scharf ab von der märchenhaft erhellten Luft.

Wir stehen still und die Empfindungen des Morgens erwachen aufs neue. All dies wundersame Leuchten ist nur Schwingen der Moleküle, Licht gewordene Kraft. Und ergriffen von der Poesie dieses Gedankens starren wir in das elektrische Märchen, bis uns die Glocke der Ausstellung zum Aufbruche mahnt.