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Titel: Die Krankenpflegerin
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aus: Die Gartenlaube, Heft 28, S. 480-481
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[480] Die Krankenpflegerin. In allen Phasen der Geschichte erblicken wir die Frau als die Repräsentantin eines höhern Wissens, einer Divinationsgabe, die ihr vom Himmel gleichsam als Mitgabe für ihr Erdenleben verliehen worden. Wir begegnen ihr bald als Sibylle, bald als Vesta, den Priestern zur Hand oder beim Opferdienst auf dem heiligen Dreifuß die Orakel verkündend. Erst die christliche Kirche hat sie dieser Höhe entkleidet, sie in enge Hallen gebannt und ausgeschlossen aus dem großen Verband der menschlichen Gesellschaft und des Familienlebens.

Das harte Urtheil der ihr innewohnenden Sündhaftigkeit bezahlte sie mit Thaten des Mitleids; sie heilte Kranke, suchte im Walde heilende Kräuter und bereitete Genesung bringenden Trank. Ihre Natur trieb sie dazu Aerztin zu werden. Da, wo sie half, glaubte man an sie; allein sie konnte nicht Allen Heilung bringen, und wo ihre Mittel fehlschlugen, da klagte man sie der Giftmischerei an, brachte sie vor den Richterstuhl – verbrannte sie als Hexe.

Wir besitzen von dem berühmten Michelet zwei schöne Bücher, „La femme“ und „La sorcière“, in denen er das Schicksal begabter Frauen durch alte Zeitalter verfolgt. Es ist eine anregende Lectüre, namentlich für Frauen, und sollte mehr von ihnen gekannt sein, als es der Fall ist. – Das Bedürfniß der Frau zu heilen, zu pflegen, hat in allen christlichen Ländern einen Wirkungskreis gesucht, in engen Grenzen auch einen solchen gefunden. Die katholische Kirche hat die barmherzigen Schwestern eingeführt; in Belgien pflegen die Beguinen, der Protestantismus hat die Diakonissinnen geschaffen. Diese Schwesterschaften fordern ein Verzichten auf die Freuden der Welt und liefern dabei nur dienende Hände. Sie sind vortrefflich in ihrer Art und in ihren Hülfeleistungen ein Segen; allein ihr Können ist ein beschränktes, weil es von keinem Wissen unterstützt wird. Die Freiheit des Handelns ist ihnen benommen; sie sind das blinde Werkzeug einer höhern Intelligenz.

Die Genfer Convention vom 22. August 1864, ein internationaler Hülfsverein zur Pflege im Felde verwundeter und erkrankter Soldaten forderte die Ausbildung von Krankenwärterinnen als eine Hauptobliegenheit unserer Zeit; denn ohne geeignete Pflege und Wartung ist keine Möglichkeit der Heilung. Der große vaterländische Frauenverein, an dessen Spitze Ihre Majestät die Kaiserin Augusta trat, machte es sich zur Aufgabe, Anstalten zur Ausbildung dieser Pflegerinnen zu gründen. Baden ging darin mit rühmlichem Beispiele voran.

Jedes Mädchen und jede Frau von zwanzig bis vierzig Jahren, gleichviel welcher Religion sie angehört, kann in den Dienst des vaterländischen Vereins treten, wird auf dessen Kosten ausgebildet und dann in der Krankenpflege verwendet. Diese dienenden Schwestern gehen aus der Classe der Dienenden hervor; ihre Lage ändert sich nur insofern, als die Arbeit für sie eine andere geworden ist und sie einen höheren Grad der Gesittung erlangen durch die ihrem Gemüthe angediehene Pflege. Es steht ihnen dabei frei, ihr Verhältniß zu dem Vereine jederzeit zu lösen, sich zu verheirathen, auf eigene Hand zu verpflegen. Sie sind frei, und kein Gelübde bindet sie. In den Hospitälern, wo sie Verwendung finden, steht eine Oberin an der Spitze, die über sie die Aufsicht führt. Diese Oberin ist eine gebildete Dame, welche die Krankenpflege gründlich gelernt hat. Sie speist mit den dienenden Schwesten, wohnt aber für sich, empfängt in ihren Zimmern, gebietet unter der Anweisung der Aerzte, was für die Kranken geschehen soll.

Jeden Morgen erscheinen diese Herren im Hospital und machen die Runde durch die Säle. Die Oberin begrüßt sie im Conferenzzimmer, berichtet, was sich zugetragen, und nimmt fernere Instructionen entgegen. Ihr Amt ist ein sehr verantwortliches, aber auch ein sehr schönes; denn sie ist gleichsam das Licht dieses großen Hauses; sie ist der Sonnenschein für den armen Kranken, der nach einem tröstenden Worte verlangt, der sich an ihrem Zuspruche aufrichtet.

Der Wirkungskreis einer solchen Oberin ist der größte und schönste, [481] den irgend ein Frauenleben erzielen kann. Warum aber suchen ihn nur so Wenige? Warum dieser Mangel an Pflegerinnen bei dem allgemeinen Nothschrei nach einem entsprechenden Berufe für die Unverheiratheten? Kann es denn eine glücklichere, unabhängigere Lage geben? Schließt das Fach nicht Alles ein, was dem Frauenherzen sein Genügen bringt, während das Talent so schwer auszubilden, eine Kunst so schwer anzubauen ist, mit solchen Opfern an Zeit, mit solchem Aufwande von Mitteln errungen wird und dabei in den Erfolgen so unsicher bleibt?

Neigung zur Krankenpflege hegt im Grunde doch die größte Zahl der Frauen. – Wir haben es in den letzten beiden großen Kriegen gesehen, wie opferfreudig sie sich hinzudrängten, um Hülfe zu leisten, wir haben dabei aber auch die traurige Erfahrung gemacht, daß nur solche Pflegerinnen von wirklichem Nutzen sind, die sich für diesen Beruf vorbereitet haben. Warmes Mitgefühl, rege Theilnahme für die Leiden und Schmerzen des verwundeten Bruders kann die mangelnden Kenntnisse nicht ersetzen. Wunden wollen verbunden sein, wenn sie heilen sollen, und diesen Verband muß man anzulegen verstehen. Noch so heiß geweinte Thränen stillen keine Verblutung, ziehen kein Geschoß aus klaffenden Wunden – kurz: Wollen ohne Können ist gerade dort von weittragendster Gefahr.

Sollte man nun nicht gern der Wiederkehr solcher mißlichen Zustände vorbeugen wollen, nicht gern bedacht sein, die Rolle der vorsichtigen Jungfrauen zu spielen? Daß dies der Fall sei, ist der Wunsch des vaterländischen Frauenvereins; dazu bietet er in redlichster Absicht die Hand und ist erstaunt, daß so Wenige diese Hand ergreifen. Woran mag es liegen?

Vielleicht ist der Weg, den man einzuschlagen hat, noch zu unbekannt, das gesteckte Ziel in Friedenszeiten dem Auge des Fernstehenden verhüllt. Viele schreckt auch wohl das Wort „Hospital“, mit dessen Klang man Ansteckung, Pest, allerlei üble Gerüche und versunkene Menschen verbindet. Im Kriege denkt man an dergleichen nicht – da sieht das Auge der Frauen nur die für das Vaterland blutenden Helden, und auch die schwieligste Hand, die einen Finger einbüßte, netzt die Thräne des Mitgefühls. Nüchternen Sinnes aber ergreift die Frau ein Schauer bei eben den Leiden, denen sie sich, getragen von ihren Empfindungen, so opferfreudig leiht. Was ihr auf dem Schlachtfelde leicht fiel, wird ihr in einem engen Raume schwer; ihre Nächstenliebe, die von keiner Begeisterung getragen wird, erkaltet vor dem Anblick einer widerlichen Krankheit.

Wenn es Mode würde, Spitäler auf seinen Vergnügungsreisen zu besuchen, wie man Kunsthallen besucht, so würde manche Frau erkennen, daß dort das Gebiet ist, wo sie zu herrschen von der Natur berufen ist, und ihr Vorurtheil würde schwinden. Beginne sie doch einmal über eine solche Schwelle zu treten, wo Frauenregiment schon seinen verschönenden, säubernden Einfluß geübt hat! Schelle sie z. B. einmal an der Pforte des Stadtkrankenhauses in Karlsruhe und verlange die Oberin zu sehen! – Am Ende eines langen Ganges liegen deren Zimmer. Man läßt sie eintreten. Sie erscheint nicht gleich; dies gewährt Zeit, sich umzuschauen. Die Einrichtung ist behaglich, ist elegant; vielleicht sind es eigene Möbel. Dort steht ein Damenschreibtisch, daneben Blumen auf schön geflochtenem Gestell, dann kommt ein Clavier, ein Bücherschrank; alles bekundet Bildung. Der Vogel zwitschert im Käfig; vor dem Sopha steht noch das Frühstück. Durch die offene Seitenthür gewinnt man den Einblick in das Schlafgemach. Jetzt tritt sie ein, eine hohe, schlanke Gestalt, auf der Brust das rothe Kreuz, auf dem reichen blonden Haar das Häubchen. Gern geleitet sie den Besuch durch die Säle. In den reinlichen, gut gelüfteten Räumen sieht es vortrefflich aus; die Wäsche ist weiß; die Fenster sind spiegelhell. Die dienenden Schwestern, in sauberen Hauskleidern, bewegen sich geschäftig hin und her. Die Kranken erster Classe befinden sich in abgesonderten Zimmern, Jeder für sich allein.

„Zu diesen habe ich, während meiner Lehrzeit, selbst gehört,“ bemerkt die Oberin. „Um die Pflege praktisch zu lernen, läßt man sich in dieser Weise aufnehmen und zahlt dafür monatlich neunzig Mark. Der theoretische Unterricht ist dagegen unentgeltlich. Ein Jahr reicht hin, um seine Studien zu vollenden. Zeit und Erfahrung thun das Fehlende.“

„Sie sind glücklich hier? Sind Sie zufrieden?“ fragt der Besuch.

„Vollkommen!“ heißt es zurück. „Denn mein Beruf giebt der Thatkraft meines Herzens volles Genügen; meine äußere Lage ist vortrefflich; ich kenne keine persönliche Abhängigkeit; die Pflicht allein gebietet über mich. Ich kenne keine Sorge, kann ruhig der Zukunft entgegensehen und danke Gott täglich, daß er meine Schritte hierher gelenkt hat.“

Amely Bölte,
Verfasserin des „Frauenbrevier“ (Leipzig, J. Günther).