Textdaten
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Autor: H. Sch.
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Titel: Die Geißel Italiens
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 723–727
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[723]
Die Geißel Italiens.


Vor Jahrhunderten schon bildeten die Briganten ein stehendes Capitel fast in allen touristischen Schilderungen Italiens. Wer südlich über Rom den Halbinselstiefel hinabdrang oder sich auch blos etwas tiefer in die Campagna hineinwagte, der mußte darauf gefaßt sein, die Bekanntschaft einer oder der andern Räuberbande zu machen, deren Hauptleute nicht den chevaleresken Charakter der Helden trugen, welche Vulpius, Spieß, Cramer, Fürst und andere poetische Gemüther zu [724] ihren romantischen Schöpfungen begeistert haben. Und heute ist’s in dieser Beziehung jenseits der Alpen noch ziemlich ebenso geblieben, wie es vordem war, ja, es hat sich darin nicht nur Weniges zum Bessern gewandelt, im Gegentheile Vieles noch verschlimmert, so lange der Statthalter Gottes auf Erden sein Reich auch auf „diese Welt“ erstreckte. Oft genug haben dies die Zeitungen zu berichten gehabt, und auch der Regierung Victor Emanuel’s machen die Banditen bis zum heutigen Tage noch zu schaffen. Nicht wie eine Behörde gegen eine Missethäterbande wagt sie wider das Gesindel vorzugehen, sie schlägt und verträgt sich mit ihm vielmehr wie eine kriegführende Macht mit der andern.

Das Räuberthum scheint sonach eine Institution, eine berechtigte Eigenthümlichkeit Italiens zu sein wie die blühenden Citronen und die im dunkeln Laube glühenden Goldorangen, und dergestalt, abgesehen von dem culturhistorischen Interesse und den vielen hochdramatischen Episoden, die es bietet, die eingehende Monographie zu rechtfertigen, die ihm ein bekannter Mitarbeiter der „Revue des deux Mondes“ widmet.[1] Diesem Handbuche der Geschichte des italienischen Brigantenwesens folgen die nachstehenden Mittheilungen, zwar nicht „bis in die entlegensten Zeiten, bis zu dem im großen Walde des Aventin hausenden Räuber Cacus zurück, von welchem in der Aeneide die Rede ist“, sondern nur in die beiden letzten Abschnitte, die von den jüngstvergangenen Tagen handeln, den Jahren 1867 bis 1875.

1.

Anfangs des Jahres 1867 befand sich unser Gewährsmann in Rom, und da verging kein Tag, wo nicht über neue Raubanfälle im Kirchenstaate und oft ganz in der Nachbarschaft der ewigen Stadt Berichte einliefen. Einmal war eine Brigantenschaar bis nach Paliano, einem in der Campagna gelegenen Flecken, gedrungen und hatte sich dort, trotz des energischen Widerstandes einer Gensd’armerie-Abtheilung, festgesetzt. Wie ein feindliches Heer legte sie dem Orte Contributionen sowohl an baarem Gelde wie an Lebensmitteln auf und zog sich dann zurück.

Der heilige Stuhl verausgabte behufs Unterdrückung des Räuberwesens im Kirchenstaate jährlich gegen fünf Millionen Franken, also etwa elftausend Franken pro Bandit. Im übrigen Italien, dort, wo, wie auf den Höhen der Apenninen und in Calabrien, eine größere Truppenentfaltung sich schwer bewerkstelligen läßt, hat es Jahre gegeben, wo jeder Räuber dem Staate auf siebenzigtausend Franken zu stehen gekommen ist.

Auf den ersten Blick erscheint es allerdings im höchsten Grade befremdlich, daß die unaufhörliche Jagd, die man auf die Räuber macht, so unerhebliche Resultate erzielt; forscht man indeß der Sache näher nach, so erklärt sich die anfangs so wundersam erscheinende Thatsache aus verschiedenen Ursachen.

Einmal ist der Krieg in den Bergen ein außerordentlich beschwerlicher und fast endloser: hundert waffengeübte und entschlossene Männer können, in den ihnen wie ihre Taschen bekannten Schluchten und Engpässen versteckt, eine ganze Truppenbrigade in Schach halten und ermüden. Nur selten verläßt der Brigant die Provinz, in welcher er geboren ist, sodaß er mit geschlossenen Augen ungefährdet durch Berge und Wälder schweifen kann, wo die Soldaten sich die Hälse brechen. In den vom Wasser ausgehöhlten Straßen, am Rande jäher Abstürze, im wilden Gestrüppe, da findet der Räuber seine natürliche Deckung.

In der Ebene würde ein Brigantenthum, wie es in Italien besteht, ganz unmöglich sein, Berg und Thal, Schluchten und Felsgetrümmer sind zu seinem Gedeihen ebenso unerläßlich, wie der sogenannte Manutenpolismus, die Hauptgrundlage, auf der es beruht, das heißt die Unterstützung, die es bei der Bevölkerung selber findet. In der Regel aber gehören drei Viertel der Bewohnerschaft des platten Landes zu dieser Anhängerschaft der Räuber, theils aus Furcht, theils aus finanziellen Interessen.

Solcher Helfershelfer des Räuberthums aus Furcht giebt es zweierlei; die Verwandten der von den Räubern gefangen genommenen Personen und die Grundbesitzer der Gegend.

Ist Jemand in die Gewalt einer Bande gerathen, so fordert diese von der Familie ihres Gefangenen ein Lösegeld in baarer Münze, in Lebensmitteln, Schießbedarf und dergleichen, und die erschrockenen Angehörigen suchen dieser kategorischen Forderung so schnell wie möglich nachzukommen. Und das ist ein großer Fehler. Freilich kann man einwenden, es sei immer besser, sich mit den Banditen abzufinden, als zu gewärtigen, daß die Fortgeschleppten gequält und am Ende gar gemordet werden, allein es steht fest, daß die Räuberbanden längst zu sein aufgehört hätten, wenn die Regierung ihnen von vorn herein die Lebensader zerschnitten, das heißt nicht geduldet hätte, daß ihnen auch nur das geringste Lösegeld zukäme. Zweifelsohne wäre dadurch eine Anzahl von Unglücklichen hingeopfert, das Uebel indeß auch in seiner Wurzel angegriffen worden, denn es bedarf keiner besonderen Bemerkung, daß es nur die Habgier ist, was den Briganten bei seinen Handlungen leitet. Nimmt man ihm diesen Stachel, so nimmt man ihm das Leben.

Nicht minder verhängnißvolle Früchte aber, als die Erlegung von Lösegeldern, seitens der in einem ihrer Mitglieder betroffenen Familien, trägt die Beeiferung, mit welcher der Landmann den Winken und Wünschen der Räuber gehorcht. Wenn einer Bande Geld oder Lebensmittel ausgehen, dann braucht sie nur an irgend einen Grundeigenthümer zu schreiben: „Schickt uns sofort so und so viele Scudi, so und so viele Patronen, so und so viel Lebensmittel, oder wir zünden Euer Gehöft und Eure Scheunen an,“ um ungesäumt zu erhalten, was sie verlangt. Ja, es giebt sogar Bauern, welche den Räubern eine regelmäßige Steuer entrichten um ihr Eigenthum zu schützen, um es gewissermaßen gegen die Banditen zu versichern.

Die Anhänger des Räuberthums aus Interesse sind zwar zahlreicher als die aus Furcht, für die Gesellschaft jedoch nicht so schädlich, denn sie führen den Räubern kein Geld zu, sondern erhalten vielmehr solches von ihnen. Mit anderen Worten: die Briganten bezahlen ihnen einen Theil der durch die Lösegelder gewonnenen Summe. Sobald die Banden Tagelöhnern, Hirten und Anderen ihrer Kundschaften und Lieferanten nichts mehr geben können, werden ihnen diese ohne Weiteres den Dienst kündigen. Um aber den Anhang, den das Räuberthum in der Bevölkerung hat, zu beseitigen, muß man vor allen Dingen die Armuth zu bekämpfen suchen. Ein Handarbeiter in der Provinz Frosinone (und in anderen Provinzen soll der Lohn noch geringer sein) verdient etwa fünfzehn bis zwanzig Sous, also höchstens einen Franken, täglich, kaum genug, um seine fast immer zahlreiche Familie dürftig mit Polenta füttern zu können. Wie kann es daher Wunder nehmen, daß er sich vom Glitzern eines Goldstücks blenden läßt, daß er das Gesetz übertritt, um den Räubern Proviant zuzuführen, bei dessen Verkauf er mindestens seine zweihundert Procent verdient?

Von den zu jener Zeit im Kirchenstaate hausenden Räuberhauptleuten zeichneten sich namentlich drei aus: Fuoco, Cedrone und Andreozzi; sie galten als die Meister der Kunst und übten eine gewisse Oberherrschaft über die anderen Bandenführer aus.

Fuoco pflegte sich gewöhnlich Oberst zu tituliren und gebahrte sich als den Nachfolger Chiavone’s, jenes berüchtigte Rottenführers der sogenannten „königlichen Banden“. Denn daß die Bourbonen von Neapel, Ré Bomba so gut wie sein Sohn, der jetzige Exkönig Franz der Zweite, sich nicht scheuten, die Briganten als Werkzeuge zur Bekräftigung ihres Gottesgnadenthums zu benützen, ist bekannt. Nachdem Fuoco acht Jahre in der neapolitanischen Armee gedient hatte, beging er kurz nacheinander zwei Mordthaten und floh in’s Gebirge, das heißt wurde Räuber. Bald darauf schon schwang er sich zum Hauptmanne einer Bande auf und verdiente sich den Name eines zweiten Caruso, jenes entmenschten Scheusals, das 1866 in Rom erschossen wurde.

Nach Fuoco glänzte Cedrone, des Erstern vertrauter Freund, auch ein Mitglied der reactionären Banden, der sich rühmte, von Franz dem Zweiten von Neapel das Patent als Capitain und regelmäßige Unterstützungen an Mannschaften, Munition und Proviant erhalten zu haben. Wie Fuoco besaß auch Cedrone eine Frau, die er ver- und entführt hatte, eine riesenhafte Amazone, welche in Männerkleidern der Bande voraufzog, die Gefangenen peinigte, oftmals Expeditionen befehligte und bei jeder Gelegenheit schwor, daß, wenn ihr Mann jemals Miene

[726] machen sollte, sich zu ergeben oder das Handwerk zu quittiren, sie ihn tödten, in Stücke zerhauen und dergestalt in einem Sacke den Behörden zuschicken würde.

Ueber Cedrone cursiren noch jetzt eine Menge von Geschichten. Die nachfolgende wird darthun, welcher Art sie sind.

Eines Abends schritt ein Bauer, Namens Francesco Modano, durch ein südwestlich von Viticuso gelegenes Gehölz, seiner Hütte zu, einige Schweine, seine ganze Habe, vor sich hertreibend, als er sich plötzlich von etwa zwanzig Männern umringt sah. Sie waren mit Flinten, Revolvern und langen Einschlagmessern bewaffnet und gehörten zu Fuoco’s Bande, wurden indeß von Cedrone angeführt. Francesco war einer von den Italianissimi; er hatte sich 1860 Garibaldi angeschlossen und später kleine Scharfschützenabtheilungen auf nur dem Holzfäller und Räuber bekannten Fußpfaden aus dem Bereiche der die Gegend durchstreifenden „reactionären Banden“ geführt.

Das war natürlich kein Verdienst in den Augen der Briganten, die – man vergesse das nicht – fast immer mehr oder weniger im Dienste der neapolitanischen Royalisten standen. Er erblaßte daher, als er sich jählings Cedrone gegenüber sah.

„Warst Du es, der die Scharfschützen geführt hat?“ fragte ihn der Letztere kalt.

„Ich verstehe Sie nicht,“ stammelte er, bemüht, die ihm drohende Gefahr von sich abzulenken.

„Ich werde Dich gleich lehren mich zu verstehen,“ sagte Cedrone, indem er Francesco mit dem Gewehrkolben heftig wider die Brust stieß.

Mit einem Schmerzensgebrülle fiel er zu Boden, während ihm das Blut aus dem Munde strömte.

Die Briganten hoben ihn auf und banden ihn an einen Baum. Darauf stach ihm Cedrone mit seinem Messer die Augen aus, schnitt ihm die Ohren ab, riß ihm die Zunge aus und ließ ihn noch andere grausame Martern ausstehen, bis der Unglückliche ausgeröchelt hatte. –

Man schaudert, wenn man von dergleichen Scheußlichkeiten liest, und ist geneigt, sie für Gebilde einer ausschweifenden Phantasie zu halten, wären nicht alle diese Unthaten actenmäßig und durch das eigene Geständniß ihrer Urheber erwiesen. Uebrigens verfährt der Räuber gegen seine eigenen Genossen gelegentlich nicht viel glimpflicher. Unheilbare Kranke seiner Bande schießt er ohne Weiteres nieder, ebenso tödtet er seine im Kampfe mit Gensdarmen und Soldaten verwundeten Cameraden, um ihrer Pflege überhoben zu sein. Meist schneidet er ihnen kurzweg den Kopf ab. Auf diese Weise verhindert er zugleich, daß der Blessirte in die Hände des Feindes geräth und vielleicht für die Bande gefährliche Geständnisse macht.

Bücher ließen sich schreiben über die Barbarei, mit welcher die Briganten ihre Gefangenen behandeln, wenn ihnen das Lösegeld nicht so schnell und reichlich zukommt, wie sie es erwartet haben. So erzählte unserm Gewährsmann ein vor einigen Jahren von Dominicuccio (so pflegte das Volk den Domenico de Vitto zu nennen) gefangener Pächter aus der römischen Campagna über seinen gezwungenen Aufenthalt bei dem berüchtigten Räuberhauptmann das Folgende: Er hatte die Bande auf allen ihren Raubzügen begleiten müssen; ging er den Gesellen zu langsam, so ward er auf das Unbarmherzigste mit den Flintenkolben bearbeitet, und da seine Familie nicht im Stande gewesen war, zur verlangten Stunde das geforderte Lösegeld zu schicken, so schnitt man ihm ohne Umstände eines seiner Ohren ab, band ihm Hände und Füße zusammen und ergötzte sich damit, ihn von der Höhe des Berges hinab zu rollen, auf dessen Gipfel die Gesellschaft lagerte. Brachten die Bauern und sonstigen Helfershelfer der Räuber Lebensmittel und Munition, so wurde ihm der Kopf mit einem Sacke verhüllt und er dann an einen weiter abgelegenen Ort geschafft, damit er diese Lieferanten nicht sehen und etwa später denunciren könnte.

Das Alles gleicht freilich den edlen Briganten recht wenig, die wir in Romanen und Schauspielen kennen lernen, wenn gleich einzelne Züge von Galanterie und Ritterlichkeit unter den italienischen Räubern wohl vorgekommen sein mögen und gelegentlich noch vorkommen. Dergleichen Banditengentlemen sind in den Apenninen wie in den Abruzzen immer jedoch höchst seltene Ausnahmen und die meisten Geschichten, die erzählt werden, eitel poetische Erfindungen.

Einen Hauptherd fand das Räuberthum in dem Bergreviere von Frosinone, einer im südlichen Kirchenstaate, unweit der neapolitanischen Grenze, höchst malerisch gelegenen Provinzialhauptstadt mit ungefähr zehntausend Einwohnern. Dort hatte es solche Dimensionen angenommen, daß im Jahre 1867 an den apostolischen Delegaten der Provinz, Monsignor Pericoli, ein im Vatican berathenes strenges Edict dagegen erlassen worden war, das jedoch gleichzeitig bekundete, welcher Mittel sich der päpstliche Stuhl bedienen mußte, Mittel die wahrhaftig nicht dazu angethan waren, die öffentliche Moral zu heben. In diesem Erlasse hieß es unter Anderm: „Wer einen Briganten lebendig der Behörde überliefert, erhält eine Belohnung von dreitausend Franken. Ist der Brigant ein Bandenhauptmann, so steigt die Belohnung auf sechstausend Franken. Wer einen Räuber tödtet, empfängt einen Preis von zweitausendfünfhundert Franken, das Doppelte dieser Summe aber, wenn der getödtete Räuber ein Bandenhauptmann ist. Wer Briganten denuncirt, dem wird der fünfte Theil der angegebenen Belohnungen zugesichert, und wer zur Verhaftung eines Anhängers des Räuberwesens verhilft, empfängt zwei- bis dreihundert Franken. Der Räuber, welcher todt oder lebend einen andern Räuber einliefert, ist selbst nicht nur frei von jeder Strafe, sondern erhält überdies noch eine Belohnung von fünfhundert Franken. War der lebendig oder todt eingebrachte Räuber ein Hauptmann, so werden dem Einbringer tausend Franken bezahlt. Doch muß der Räuber, der einen seiner Cameraden der Gerechtigkeit überantwortet, sich aus den Provinzen Frosinone und Velletri, unter Umständen selbst aus dem ganzen Staatsgebiete entfernen.“

Was aber bewirkte dieses Edict? Es that dem Räuberthum so wenig Abbruch, daß die Bewohner der von demselben heimgesuchten Provinzen ihren Beschluß kundgaben, keinen Bajocco (etwa 4 bis 5 Pfennige) Steuer mehr zu bezahlen, solange die Regierung ihnen nicht Sicherheit an Leben und Eigenthum verschaffe. Und die Herren Briganten selbst? Sie antworteten auf die bezüglichen Paragraphen des Edictes mit der Erklärung, daß sie Jedem hundert Piaster in Gold auszahlen würden, der ihnen den Kopf eines Soldaten brächte, und zweihundert Dem, welcher ihnen todt oder lebendig einen Officier oder ein Individuum überlieferte, das sie denuncirt hätte. Von der Ohnmacht der Regierung ihnen gegenüber überzeugt, streiften sie ungescheut auf allen Landstraßen umher und wagten sich bis an die Thore; auch der größeren Orte, mit ganz der nämlichen Ruhe, mit welcher der römische Bürger auf dem Monte Pincio lustwandelt. Und alle Welt gehorchte ihnen; alle Welt zitterte vor ihnen – sie waren faktisch die Herren des Landes.

Einmal begab sich eine Bauersfrau in der Gesellschaft eines alten Priesters von Veroli nach Frosinone, um von hier mit der Eisenbahn nach Rom zu fahren. Sie saßen auf einem von einem Esel gezogenen Karren und unterhielten sich ganz gemüthlich mit einander. Da sahen sie, als sie in einen Hohlweg einbogen, drei Räuber lauern.

„Euch schickt uns die Madonna,“ rief einer der Strolche aus. „Fürchtet Euch nicht, steigt ab und folgt uns!“

Die Unglücklichen thaten, wie ihnen befohlen ward. Nach einer dreistündigen Wanderung durch dichten Bergwald gelangten sie auf eine kleine Hochfläche, die auf der einen Seite von einem Felsen überragt wurde, aus dem man eine Grotte ausgehöhlt hatte.

Die Flinten zwischen den Knieen, lagerten hier an dreißig Banditen, aus der Grotte heraus aber drang das Wimmern eines neugeborenen Kindes.

Sowie die drei Cameraden mit Priester und Bäuerin erschienen, erhob sich der Hauptmann mit sichtlicher Freude und schritt auf den Geistlichen zu.

„Mein Vater,“ sagte er zu ihm, „ich schätze mich glücklich, Sie bei uns zu sehen. Meine Frau hat mir vor ein paar Stunden einen Jungen geboren, und ich will, daß er in die Gemeinde der Christenheit aufgenommen wird. Taufen Sie ihn!“

Ungewiß des seiner harrenden Looses, ließ sich der alte Priester zitternd das Kind bringen; man gab es der Bauersfrau zu halten, welche die Taufzeugin abgeben sollte. Neben ihr fungirte der Vicehauptmann als Pathe.

Der Priester vollzog die Ceremonie. Sowie er dieselbe beendet hatte, reichte ihm der Hauptmann einen Geldbeutel dar. [727] „Jeder Arbeit gebührt ihr Lohn,“ sprach er; „nehmen Sie den da und ziehen Sie ruhig Ihres Weges! Ihr, gute Frau, Ihr könnt auch gehen, und da habt Ihr etwas für Euere Mühe!“ Damit übergab er dem Weibe einen in Papier gewickelten Gegenstand und entließ es sammt seinem Begleiter. Der Geldbeutel enthielt sechs Piaster und das Papier ein Paar schwere goldene Ohrringe.

Ein ähnliches Abenteuer bestand um dieselbe Zeit ein junger Mann aus Pescasseroli in den Abruzzen. Er fiel Fuoco’s Bande in die Hände und erzählte dann unter eidlicher Betheuerung sein Erlebniß also:

„In den Bergen von Malchialvalla ergriffen mich die Räuber und schleppten mich nach den Höhen von Campoli, auf das päpstliche Gebiet hinüber, bis in die Nähe von Collepardo. Dort sperrte man mich in eine Art natürliche Grotte, die von zwei Lampen erhellt wurde und die gesammte Bande mit Bequemlichkeit aufnehmen konnte. Keinen Augenblick blieb ich unbewacht. Entfernten sich die Banditen, so ward ich an Händen und Füßen gefesselt und unter der Obhut der Geliebten des Hauptmannes zurückgelassen.

Oftmals hielt die Gesellschaft Kriegsgericht, in welchem einer der Briganten als Ankläger auftrat. Die darin ausgesprochenen Strafen lauteten auf Tod, Stockschläge oder ‚Libertà‘, das heißt man band dem Angeklagten Hände und Füße zusammen und warf ihn in einen Winkel, wo sich kein Mensch weiter um ihn kümmerte.

Während meiner Gefangenschaft genas die Geliebte des Briganten Guerra eines Knaben. In ihrer Galatracht begab sich darauf die gesammte Bande nach Collepardo hinunter, dort das Kind taufen zu lassen, was der Pfarrer auch bereitwillig that. Der Bube empfing den Namen Michelongiolo Guerra; die Orgel tönte und der Weihrauch duftete, wovon sich die Cumpane Abends mit großer Genugthuung unterhielten. Nachdem der Taufact vorüber, feuerte die Bande in den Gassen des Dorfes zwei Stunden lang Freudenschüsse ab, warf Geld unter die Bauern und ließ für sie den Wein in Strömen fließen, dem Alt und Jung sonder Scrupel eifrigst zusprach.“

Was sagt man von der Gemüthlichkeit dieser Zustände in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts und inmitten eines seit Jahrtausenden civilisirten Landes?

Doch wir werden noch mehr davon zu hören bekommen.

H. Sch.


  1. Le Brigandage en Italie dupis les temps les plus reculês jusqu’à nos jours, par Armand Dubarry. Paris, Plon et Co. 1875.