Textdaten
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Autor: Hans Wachenhusen
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Titel: Die Emailleuse
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 434
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Emailleuse.
Von Hans Wachenhusen.

Lange hielt ich sie für eine untergegangene Kunst, nämlich die des Emaillirens der natürlichen äußeren Bekleidung des menschlichen Körpers, und wo ich dennoch im Laufe der Jahre im Salon, an festlichen Tafeln ihre Spuren in dem Schmelz und Sammet des Nackens meiner Nachbarin wieder zu entdecken glaubte, war ich diskret genug, meine Kenntniß zu jener zu legen, deren Geheimnisse seit Jahrtausenden in den pharaonischen Gräbern untergegangen.

Heute kommen Andere und lüften von dem Toilettentisch den Schleier, unter den sich diese Kunst geflüchtet; sie decken die Geheimnisse einer rosigen Freimaurerei auf, die nunmehr zwanzig Jahre lang, durch Verschwiegenheit gehütet, unter dem Siegel derselben ihre Anhängerinnen warb, und so erzähle denn auch ich nach der Erinnerung, was ich im Jahre 1867 kurz vor Beginn der großen Weltausstellung über den Ursprung dieser Geheimkunst schrieb.

Zu jener Zeit erschienen nämlich eines Tages in Paris große gelbe Anschlagzettel an allen Mauern, auf denen man nichts weiter las als: „Mademoiselle Rachel wird nach Paris kommen!“

Dies konnte nun im Grunde Jedermann sehr gleichgültig sein; denn die große Tragödin dieses Namens war längst gestorben, und zu ihren Lebzeiten war man gewohnt gewesen, ihren Namen auf ganz anderen Affichen zu finden. Und dennoch fragte man sich: wer ist Mademoiselle Rachel und was will sie in Paris?

Man beruhigte sich darüber, bis wenige Monate später an denselben Mauern mit großen Lettern wiederum gedruckt stand: „Mademoiselle Rachel ist in Paris angekommen!“ Und nicht lange dauerte es, da verkündete Mademoiselle Rachel ihre Konferenzen .„über die Schönheit und die Jugend“.

Wir, ein Häuflein Deutsche, zu dem damals auch Ullmann, Strakosch u. A. gehörten, hatten unser Hauptquartier am Boulevard im Café du Helder und suchten also neugierig die in der Nähe liegende stille Rue Choiseul auf, in der diese Konferenzen stattfinden sollten.

Richtig, da standen an einer Thür die mystischen Worte: „La jeunesse et la beauté.“ Aber ein weiblicher Drache wies uns mit Schweigen ab, als wir Eintritt begehrten in der Ueberzeugung, daß hinter diesen Glasthüren der Quell der Jugend und Schönheit sprudeln müsse.

Wenige Tage später brachten die Pariser Blätter, voran die „Vie Parisienne“, der Moniteur gewisser Damen, große und enthusiastische Reklamen für Mademoiselle Rachel, die Emailleuse. Man erfuhr, daß die Schwelle jedem Männerfuß untersagt sei, daß es jedoch den Gatten verstattet werde, gegen eine Zutrittskarte für 25 Franken ihre Frauen im Vorzimmer abzuholen. Noch immer lagerte ein gewisses Dunkel über der Sache, und nur die Frauen mochten es verstanden haben, aber sie schwiegen. Die Reklamen waren so gehalten, daß sie Aller Neugier herausforderten und den Männern Verdacht einflößten. Da nahm endlich Mademoiselle Rachel selbst das Wort; sie proklamirte sich als Emailleuse, deren Kunst selbst den von Alter und Sorgen entstellten Gesichtern die ursprüngliche Schönheit und Jugend wieder zu verleihen sich anheischig mache.

Den Ehemännern sträubten sich die Haare bei dem Gedanken, daß ihre Frauen verleitet werden könnten, noch einmal wieder jung sein zu wollen, noch einmal sie, die Gatten, alle die Qualen der Eifersucht und anderer Prüfungen durchleben zu lassen, welche mit einer schönen jungen Frau ins Haus einziehen. Für wen konnten sie wieder jung und schön werden wollen? Für sie, die Gatten …? So mancher Ehemann stellte sich auch Abends an der Ecke der Rue Choiseul auf die Lauer; Andere ergaben sich verzagt in ihr Schicksal.

Aber zu ihrem Trost verbreitete sich hinsichtlich der Wunderthätigkeit der Emailleuse eine andere Kunde. Mademoiselle Rachel, hieß es, emaillirt allerdings die Gesichtszüge, an denen Kréme und Essenzen umsonst ihre Wirkung versucht; sie überzieht das Antlitz mit einem Email, welcher alle Runzeln und Falten glättet, alle Flecken bedeckt, ein Engelsgesicht an Frische und Anmuth verleiht, Schwanennacken zaubert, Brust und Arme mit dem Schmelz jener ersten Jugend bedeckt, da das Herz noch seine Illusionen hatte. Das Alles thut Mademoiselle Rachel; aber, jede Medaille hat ihre Rückseite. Das Antlitz, einmal emaillirt, ist keines wechselnden, inneren Regungen gehorchenden Ausdrucks mehr fähig! Eine Dame, die sich ein lächelndes Antlitz hat emailliren lassen, muß immer lächeln, immerfort! Sie lächelt, wenn sie Migräne oder Zahnschmerzen hat; sie lächelt, wenn ihr Kind im Sterben, ja sie muß lächeln, wenn sie selbst auf dem Todtenbette liegt. Sie muß lächeln, immerfort lächeln!

Und wiederum die Andre, die sich ein schmachtendes, schwermuthsvolles Antlitz hat emailliren lassen, sie erscheint vor der Welt traurig, immer traurig! Sie ist melancholisch, wenn sie das große Los gewonnen, traurig, wenn sie die höchste Wonne, die reinste Seligkeit empfindet, traurig, wenn ihr Herz vor Freude jauchzt … immerfort traurig! – Verhängnißvolle Emailleuse!

Aber auch das hinderte Mademoiselle Rachel nicht, die glänzendsten Geschäfte zu machen; denn ihre Kunst lieferte die glänzendsten Resultate. Man sah in den Logen der Boulevardtheater anfangs bei den lustigsten Komödien wohl Damen mit eisig kalten, unempfänglichen Gesichtern sitzen, andere in der Porte St. Martin mit lächelnder Miene den schauerlichsten Dramen beiwohnen; bald aber hatte man der Erfindung ihre richtige und praktische Seite abgewonnen. Zu was der Welt irgend einen Affekt zeigen! Eine Pariserin ist ja gegen Passionen gefeit; es ist nicht comme il faut, überhaupt Gemüthsbewegungen zu haben, noch weniger solche zu verrathen. Man erfand also ein Mittelding, ein neutrales Gesicht, die Jugend mit dem Statuen-, dem Medusenhaupt, das allen gesellschaftlichen Situationen gerecht und im Glanz der Lustres von zauberhafter Wirkung war.

Seitdem hat diese unselige Kunst ihr Atelier in den geheimsten Räumen der Pariser Frauenwelt aufgeschlagen, und die Salons der Aristokratie, der Börsenfürsten sind die Schauplätze der Triumphe, die sie durch äußeres Blendwerk vor gläubigen Augen feiert; aber der Herrgott läßt sich nicht in seine Schöpfung pfuschen, und die Wirkung, welche diese Kunst durch Störung der Porenthätigkeit auf den Körper geübt, die Folgen werden erst offenbar, wenn das weltsüchtige Herz den eitlen Zielen entsagt hat und das Alter nicht mehr mit sich feilschen lassen will.