Textdaten
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Autor: Theodor Storm, Theodor Mommsen
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Titel: Die Abelssage
Untertitel:
aus: Schleswig-Holsteinische Sagen, in: Volksbuch für das Jahr 1844, mit besonderer Rücksicht auf die Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg, S. 84–87
Herausgeber: Karl Leonhard Biernatzki
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1844
Verlag: Schwers’sche Buchhandlung
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Erscheinungsort: Kiel
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Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[84]
Die Abelssage.

Mit König Erichs Thronbesteigung hatte sein Bruder, Herzog Abel von Schleswig, durch Intriguen[1] und offene Feindseligkeiten ihn zu stürzen und sich seines Thrones zu bemächtigen gesucht, doch da Erich ihn besiegte, hatte er sich unterwerfen müssen. Da bekam plötzlich der König Nachricht, daß ungeachtet des Friedens Graf Johann von Holstein mit Heeresmacht Rendsburg belagere, und Abel ihm wahrscheinlich hülfreiche Hand leiste. Sogleich brach der König gegen die Holsteiner auf; unterwegs aber kehrte er in Schleswig bei seinem Bruder ein, um diesen zur Eintracht zu gewinnen. Abel empfing ihn auf seinem Schlosse, das auf der jetzt sogenannten Möweninsel lag,[2] und bewirthete ihn freundlich. Aber während Erich nach der Tafel mit einem Ritter am Brettspiel saß, berieth Herzog Abel sich mit Lauge Gudmundsön und Inge Pust, wie er den König aus dem Wege räumen möchte. Als sie sich einig waren, suchte der Herzog einen Zank mit dem König. Darum ging er auf ihn zu und schalt ihn wegen des Unheils, das er über sein Haus gebracht habe. „Denkst du noch daran“, sagte er, „wie du vor zwei Jahren diese Stadt verbranntest, und meine Tochter nackend und barfuß aus dem Thore gehen mußte?“ – Der König antwortete „Ich glaube, lieber Bruder, daß ich noch Geld genug im Beutel [85] habe, um deiner Tochter ein Paar neue Schuhe zu kaufen.“ Da ließ der Herzog ihn sogleich fesseln und in ein Boot werfen, das mit ihm die Schlei hinunterfuhr Bei Brodersbye holte ein zweites Boot das des Königs ein; der König fragte, wer es leite. Als man ihm antwortete, es sey Lauge Gudmundsön, so wußte der König, daß er sterben müsse, und befahl, ihm einen Mönch von der Brodersbyer Kapelle zu holen, was auch geschah.[3] Davon heißt der Ort noch jetzt Messunde.[4] Als Erich gebeichtet hatte, schlug man ihm auf Lauge’s Befehl das Haupt herunter, und versenkte den Leichnam in die Schlei, beschwert mit Steinen und Ketten, von welchen noch heute einige Glieder in dem Schleswiger Dom gezeigt werden.

Zur Nachtzeit aber sah man an der Stelle, wo der König versenkt war, blaue Flammen auf dem Wasser tanzen, und des Tages lagerten sich dort dichte Möwenschwärme und riefen unaufhörlich Erich! Erich! – Das währte zwei Monate hindurch; da tauchte der Leichnam wieder auf und wurde von Fischern nach Schleswig gebracht, wo er heimlich im Dom bestattet ward.[5] Seitdem verschwanden die Flammen; die Möwen aber flogen auf und lagerten sich um Abelsburg, wo sie ihre Nester bauten und sich auf keine Weise vertreiben ließen. Die Burg ist seitdem längst in [86] Trümmer gesunken, die Möwen aber bewohnen noch immer und jetzt allein die Insel, und rufen. Erich! Erich![6]

Abel war nun König, aber Ruhe fand er nicht mehr und fiel zwei Jahre später in einem Kampfe gegen die Friesen, der Rademacher Wessel Hummer aus Pellworm erschlug ihn auf dem Milderdamm bei Stapelholm. Auch ihn bestattete man wie seinen Bruder im Dome zu Schleswig; aber es duldete ihn nicht im Grabe. Nachts, wenn die Mönche ihr Gebet absangen, erhub sich Gepolter und Stöhnen und störte sie in ihrem heiligen Amte. Nachdem sie vergebens versucht hatten, den ruhelosen Geist zu bannen, ließen sie die Leiche ausgraben und in einen Sumpf im Pöhlerwald[7] versenken und einen Pfahl durch den Sarg und den Körper in die Erde treiben, damit er sich nicht wieder erheben könne. Noch jetzt zeigt der Bauer der dortigen Gegend die Stelle. – Allein es ist Alles vergebens gewesen. In der Nacht steigt der todte König aus seinem Sumpfgrabe und schwingt sich auf ein kleines feuriges Roß; zwei feurige Hunde begleiten ihn. So unter Pfeifen und Hörnerschall braus’t die wilde Jagd hoch durch die Luft hin, über das Gehölz, über die Domkirche dem Möwenberge zu; um diesen wird die Runde gemacht; dann geht es weiter bis nach Missunde hin zu der Stätte des Brudermordes, dann wieder zurück in das Grab im Pöhlersumpf. Das ist [87] König Abel’s wilde Jagd, die manchen noch Lebenden erschreckt hat. In der Sommernacht aber des zehnten August, am Todestage König Erich’s, jagt er wilder als sonst, und Hörnerruf, Gestöhn und Rüdengebell schallen laut durch die Nacht.

Anmerkungen

  1. „intrekeert“ sagen die Leute.
  2. Die Geschichtschreiber setzen die Burg bald auf die jetzige Freiheit, bald nach der Schiffsbrücke oder dem Bischofshof. Ob die Jürgensburg gemeint ist, die Dankwerth, Heldvader und Andre erwähnen, und von der noch heute theils in dem Wall auf der Insel selbst, theils in einer zur Stadt führenden Steinbrücke Spuren vorhanden sind, bleibe dahingestellt.
  3. Dahlmann erzählt fast ebenso; aber nicht Einer sondern Mehrere haben uns so mündlich erzählt.
  4. Vielleicht von Sund und Messe; so leitet das Volk wenigstens ab. Die bekannte Ableitung ist von missus in undas.
  5. Andere erzählen, daß in der Schlei zwischen Loitmark und Arnis nach dem Angelschen Ufer zu ein großer Stein sey, worunter König Erich begraben liegt. Allnächtlich kehrt er sich um, wenn die Uhr zwölf schlägt, – oder, wie die Rationalität sagt, wenn er sie zwölf schlagen hört.
  6. Andre sagen, daß die Möwen der Herzog und seine Gesellen sind, die so arg auf der Insel haus’ten, daß Gott sie in Möwen verwandelte, und es ihnen auflegte, daß sie jährlich sollten geschossen werden. Daher das Möwenschießen, ein Volksfest der Schleswiger. So viel ihrer auch getödtet werden, kommen sie doch jährlich wieder. Vor hundert Jahren ist das Möwenschießen einmal unterblieben; da blieben die Möwen sieben ganze Jahre aus.
  7. Bei der jetzigen Stampfmühle.