Textdaten
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Autor: Ulrich Jahn
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Titel: Der eiserne Kasten
Untertitel:
aus: Schwänke und Schnurren aus Bauern Mund, S. 48–53
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: [1890]
Verlag: Mayer & Müller
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Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Russische Staatsbibliothek = Commons; E-Text nach Digitale Bibliothek, Band 80: Deutsche Märchen und Sagen
Kurzbeschreibung:
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[48]
Der eiserne Kasten.

Es war einmal ein armer Bauer, der fuhr eines Morgens, früh, ehe die Sonne aufging, in den Wald, um Holz zu schlagen. Da traf er unter einer Eiche ein steinaltes Mütterchen, das stand vor einem großen, eisernen Kasten und sprach zu ihm:

„Du kannst mich erlösen und dich glücklich machen! Hier, dieser eiserne Kasten ist bis oben an mit harten Thalern gefüllt. Nimm ihn mit dir nach Hause; sag aber keinem Menschen ein Sterbenswörtchen davon, es würde dein Unglück sein.“

Die Worte gefielen dem Bauern von Herzen wohl, und das alte Mütterchen war noch so freundlich, mit anzufassen, daß er die Kiste auf den Wagen bekam. Dann bedankte er sich schön und fuhr wieder nach Hause zurück.

„Mutter“, sagte er, als der Wagen vor der Thüre hielt, „ich soll’s zwar niemand sagen, aber du bist meine liebe Frau; für dich gilt das Versprechen nicht.“

„Da hast du auch recht, Vater,“ erwiderte die Bäuerin neugierig, „ich bin verschwiegen wie das Grab. [49] Was ist ’s denn? Warum kommst du so früh aus dem Walde zurück?“

„Ja das ist ’s eben!“ antwortete der Bauer. „Ich habe unter einer Eiche einen großen Kasten voll Geld gefunden. Nun hat all unsre Not eine Ende. – Aber halt reinen Mund. Und jetzt besorg uns etwas Gutes zu essen, ich habe seit acht Tagen kein Fleisch mehr gesehen.“

Sie hoben darauf den Kasten vom Wagen und trugen ihn in den Keller; dann nahm die Bäuerin einen Thaler aus der eisernen Kiste, kaufte Fleisch ein und briet am Herde, daß es eine Freude war. Die Nachbarin roch jedoch kaum den lieblichen Geruch, als sie herbei gelaufen kam und schnüffelte und sagte:

„Guten Tag, Gevatterin, was hat sie denn in der Pfanne?“

„Ach, Nawersch“, erwiderte die Frau, „ich darf es zwar keinem sagen, aber sie ist ja verschwiegen. Mein Mann hat im Walde, als er Holzhauen fuhr, unter einer Eiche einen großen, eisernen Kasten voll Geld gefunden.“

„Ei, das ist ja schön“, antwortete die Gevatterin, „und du bist an die Rechte gekommen, ich sag’s niemand nach!“ Dann lief sie wieder in ihr Haus zurück.

Es dauerte gar nicht lange, so kam ihres Bruders Frau vom Hofe nebenan zu Besuch.

„Schwägerin, weißt du schon, was geschehen ist?“ rief sie ihr entgegen. „Du mußt aber auch reinen Mund halten!“

„Als ob ich ein Plappermaul wäre!“

„Na, das weiß ich ja, und darum sag’ ich dir’s [50] eben. Der Nachbarin von drüben Mann, der kleine Bauer, hat im Walde beim Holzhacken unter einer Eiche eine große Kiste mit Geld gefunden.“

Die Schwägerin hielt auch reinen Mund und trug die Sache zu des Küsters Frau; und ehe die Sonne untergegangen war, kam die Sache vor den Amtmann. Der ließ den Bauer vor sich rufen und sprach:

„Ich weiß alles! Du hast einen Kasten Geld gestohlen, der steht unten in deinem Keller. Heraus mit dem Gelde!“

„Nein, gnädiger Herr“, antwortete der Bauer, „das ist die Wahrheit nicht. Ich bin so arm, wie eine Kirchenmaus, aber ein ehrlicher Kerl, und habe nichts gestohlen.“

„Das wird sich finden, alter Freund“, versetzte der Amtmann, „deine Frau hat es selbst gesagt.“

„Ach, gnädiger Herr, meine Frau ist verrückt.“

„Geh’ er nur! Ueber vierzehn Tagen ist Gerichtssitzung, da wollen wir sehen, ob seine Frau verrückt ist.“

Dem Bauer war gar nicht wohl, als er vom Edelgut ging, und er dachte an die Worte, welche das steinalte Mütterchen unter der Eiche zu ihm gesprochen hatte. Aber er verlor den Mut nicht, machte, daß er nach Hause kam, und nahm aus der Kiste eine gute Handvoll Thaler heraus; dann spannte er an, stieg auf den Wagen und fuhr in die Stadt. Dort kaufte er von den Bäckern alle Kringeln auf, die sie vorrätig hatten, so daß er wohl einen halben Wispel davon auf den Wagen zu laden hatte. Damit fuhr er nach Hause zurück und streute die Kringeln auf dem Hofe aus, derweile seine Frau in der Küche stand und etwas Gutes in der Pfanne hatte. Ein [51] paar Metzen warf er auf das Dach, und auch vor das Thor legte er einige Stücke. Dann lief er in die Küche und rief:

„Frau, du bist doch wie die andern alle! Kaum haben wir ein bißchen Geld in der Tasche, so wirtschaftest du ins Blaue hinein und läßt unsern Herrgott draußen Kringeln regnen und bückst dich nicht einmal darnach, sie aufzuheben!“

„Mann, bist du nicht klug?“ gab ihm die Bäuerin zurück. „Kringeln hat’s geregnet?“

„Gewiß doch, sieh selbst nach,“ erwiderte der Mann.

Da schaute die Bauersfrau zum Fenster hinaus, und als sie die vielen tausend Kringeln auf dem Hof erblickte, war sie aller Freuden voll, lief hinaus und sammelte ein paar Stunden lang und füllte drei große Fleischtonnen voll.

Den andern Tag sagte der Bauer:

„Höre, Frau, als ich neulich in der Stadt war, hab’ ich erfahren, unser König habe sich neue Soldaten verschrieben mit langen, spitzen, eisernen Schnäbeln. Damit picken sie vornehmlich auf die Frauensleute und stechen sie tot. Heute sollen sie durch unser Dorf kommen. Ich werde das große Waschfaß über dich stülpen, dann finden sie dich nicht. Mich sollen sie auch nicht bekommen, ich verstecke mich auf dem Boden.“

Da setzte sich die Bäuerin in großer Angst nieder, und der Bauer stülpte das Waschfaß über sie. Dann ging er in den Hühnerstall, fing alle Hühner und trug sie auf den Flur, streute Gerste aus, um das Waschfaß herum und oben darauf, und: Pick, pick, pick! fraßen [52] die Hühner die Gerste auf, bis kein Körnchen mehr zu finden war. Darnach liefen sie auf den Hof zurück, der Bauer aber deckte das Faß wieder auf und sprach zu seiner Frau:

„Mutter, jetzt sind sie aus dem Dorfe heraus!“

„Ach, Vater, was habe ich Angst ausgestanden!“ sprach die Bäuerin. „Hu, wie sie pochten: Pick, pick, pick! mit ihren langen, eisernen Schnäbeln! Aber ich habe nicht gemuckst, und sie haben mich nicht gefunden.“

„Gott sei Dank, auch mich haben sie nicht entdeckt!“ sagte der Bauer, und damit war die Sache abgemacht.

Als nun die vierzehn Tage vergangen waren, wurde der Bauer mit seiner Frau vor Gericht geladen. Der Bauer leugnete alles rund ab. Als die Herren aber seiner Frau hart zusetzten, verschwur sie sich hoch und teuer, es sei so gewesen, wie sie ihrer Nachbarin erzählt habe.

„Glaubt dem Weibe nicht, ihr Herren,“ rief der Bauer, „sie hat’s im Kopfe! – Wann ist’s denn gewesen, Mutter, daß ich die Kiste nach Hause brachte?“

„Besinn dich doch, Vater,“ antwortete die Frau, „den Tag vorher, als unser Herrgott Kringeln regnen ließ!“

Die Gerichtsherren schüttelten mit den Köpfen, und der Bauer sagte:

„Hab ich nicht recht? Sie ist verrückt!“

„Ich soll verrückt sein?“ fuhr die Bäuerin eifrig fort. „Besinn dich doch, Vater, es war zwei Tage vorher, als unsers Königs neue Soldaten mit den langen, spitzen, [53] eisernen Schnäbeln durch das Dorf zogen und in unsern Hof kamen und: Pick, pick, pick! an das Waschfaß schlugen, das du über mich gestürzt hattest!“

„Bauer, er hat recht,“ sagten die Herren, „seine Frau ist nicht bei Sinnen. Geh’ er mit ihr nach Hause, und trage er gut Sorge, daß sie kein Unheil anrichtet.“

Da war der Bauer aus allen Nöten und zog mit seinem Weibe in das Dorf zurück. Dort gab er ihr den Kreuzdornstock zu schmecken, und das bekam ihr so gut, daß sie niemals wieder etwas ausgeplaudert hat. Sie kauften nach und nach von dem Gelde im eisernen Kasten ein Stück Land nach dem andern zu dem Hofe hinzu und wurden endlich steinreiche Leute; und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heute noch.