Der Telegraph durch’s atlantische Meer (Nachträge und Abbildungen)

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Titel: Der Telegraph durch’s atlantische Meer (Nachträge und Abbildungen)
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 477, 480–481
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[477]

Aufwickelung des Telegraphentau’s im Rumpf des Schiffes „Agamemnon.“

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Der Telegraph durch’s atlantische Meer.
(Nachträge und Abbildungen.)

Die schon in einer früheren Nummer gegebene Schilderung dieses riesigen Unternehmens verdient noch einige Erläuterungen, die wir durch die Abbildungen sofort verständlich machen können.

Zusammensetzung des dickern Tau’s

Wir sehen zunächst in natürlicher Größe die Composition des Telegraphentaues: unter A die sieben inneren Kupfer- und eigentlichen Leitungsdrähte, dann (um allen salinischen Einflüssen des Meeres und seiner eigenen Schwere Widerstand zu bieten, die Bekleidung und Bewaffnung derselben) unter B die dreifache Gutta-Perchahaut, unter C ein doppeltes Kleid darüber, bestehend aus Gutta-Percha und Sägespänen (wozu expreß über zwanzig Klaftern Holz mit den feinsten, dampfmaschinen-getriebenen Sägen zerstäubt wurden), unter D ein weiteres Kleid von siebenfachen Strähnen Garn und Theer und unter E zwölf solide Eisendrähte als äußersten Mantel, Schutz und Panzer. Im geraden Durchschnitt hat dieses dickere Telegraphentau das Ansehen, wie wir es anliegend abgezeichnet finden. Dieses dickere Tau, für die felsigen und Grenztheile oder größten Tiefen bestimmt, hat 11/2 Zoll im Durchmesser. Das schwächere Tau, für die ebenen, sandigen, tiefen Strecken des atlantischen Meeres berechnet, hat in seiner Zusammensetzung, von 11/16 Zoll Dicke, eine ähnliche Construction und das Ansehen der mit 1, 2, 3, 4 bezeichneten Figur.

Ansicht der verschiedenen Bekleidungen des dünnern Tau’s

In Nr. 1, dem äußersten Mantel, sind 18 Drahtsträhne, jeder von 7 Drähten gedreht; Nr. 2 sechs Strähne von Werggarn und Theer; Nr. 3 drei Häute Gutta-Percha und Nr. 4 im Innern die sieben kupfernen Leitungsdrähte. Im Durchschnitt kommen auf jede Meile Telegraphentau 126 Meilen Draht. Die vollendeten Taue wurden zuletzt noch durch einen ungeheueren Kessel heißen Theers gezogen, gebürstet, geglättet und aufgewunden. Aufgewunden! Darüber ließe sich allein eine technische Abhandlung, einen großen Band stark, schreiben, über alle diese Räder und Maschinen und Hebel und Hülfsmittel, die weit und breit in ungezählter Menge und Mannichfaltigkeit Wochen und Monate lang Tag und Nacht schwirrten und schnurrten, dem Laien das verwirrendste Labyrinth, aus welchem sich Jeder bald gern wieder herausirrte, um der Gefahr zu entgehen, sich alle Sinne und Besinnung mit aus dem Kopfe herausschwirren zu lassen. Einige gefalbelte Damen mit Crinolines kamen nur mit Verlust einiger Falbeln von pfeilschnell gedrehten Rädern und Drähten weg, und eine wäre thatsächlich mit hineingesponnen worden, wenn sie nicht im ersten Augenblicke der Gefahr von starken Männerarmen mit Verlust ihrer meisten Kleider zurückgerissen worden wäre.

Durchschnittansicht des dickern Tau’s

Eine der wichtigsten Operationen nach Vollendung des Taues war dessen Ein- und Aufwickelung in die beiden Kriegsschiffe, die es in’s Meer ausspinnen sollten. Die ungeheuere Masse zusammen geseilerten Drahtes und Peches lief über Räder und Maschinen Wochen lang in ununterbrochener Geschwindigkeit von 54 englischen Meilen wöchentlich (darnach muß unsere frühere Angabe berichtigt werden) in den gewaltigen Rumpf des Schiffes, der erst Raum für Tausende von Menschen, zuletzt kaum noch für die Arbeiter bot. Wie es diese anfingen, um den hereinströmenden, mehr als 130fachen Draht mit seinen vielfachen Mänteln ganz regelmäßig und [481] ökonomisch aufzuwickeln und zu ordnen, davon gibt die Abbildung dieser Arbeit eine Vorstellung. Von den Maschinen und Sicherungsmitteln bei Abwickelung des Taues für das Meer haben wir noch keine deutliche Vorstellung: sie sind mannichfaltig, neu und unserer Laienansicht nach sehr praktisch und genial.

Die beiden großen Firmen, von denen jede die Hälfte des Ganzen lieferte, nämlich 1,250 englische Meilen, spannen also zusammen 2,500 Meilen, 600 Meilen mehr, als nach Berechnung und Abmessung gebraucht werden, ein Reservefonds, der für alle mögliche Rechnungsfehler aufkommen wird.

Die stärkeren Theile des Taues sind für die felsigen und Gestadepartieen berechnet, besonders für die englisch-irländische Seite. Für die Mitte und die ruhige, ebene Tiefe, also in seiner Hauptausdehnung, ist es dünner und hat die unter 1, 2, 3, 4 gezeigte und gezeichnete Composition und Dicke.

Wir erwähnen noch eine kurze, vor der Abreise beider Schiffe (siehe unsern ersten Artikel) getroffene Aenderung. Die Schiffe werden nun nicht von der Mitte des atlantischen Meeres aus in entgegengesetzter Richtung ausspinnen, sondern das Kriegsschiff Niagara wird von der Valentinenbucht an der Kerry-Küste von Irland aus seine Hälfte nach Neufundland zu ausspinnen, dann schließt sich der Agamemnon mit seiner Hälfte an, und spinnt sie aus, bis es auf Neufundland angekommen sein wird, um die poetische Prahlerei des luftigsten und lustigsten aller Shakespeareschen Geister, Pucks, daß er in 40 Minuten die Erde umgürten könne, zu einer ganz praktischen und prosaischen Thatsache zu machen.

Der längste Faden, je gesponnen, die neueste, ungeheuerste und wahrste Seeschlange, je gefabelt, diese Thatsache, wundervoller als die kühnste Dichtung in Tausend und Eine Nacht und in zehntausend Romanen, das atlantische Magneto-Elektro-Telegraphen-Kabeltau senkt sich jetzt eben 400 geographische Meilen lang aus zwei Kriegsschiffen in den Ocean. Sehen wir’s uns auf diesem Wege einmal an, und wie man’s machte und Vorsorge traf gegen alle möglichen Zufälle.

Das große elektrische Sprachrohr zwischen den beiden Welten sinkt nicht, sondern schwimmt hinunter in seine Lage auf dem Meeresgrunde. Die Schwere desselben ist so abgemessen worden, daß es durch den Gewichtverlust im Wasser (so viel, als das Wasser wiegt, das es verdrängt) und durch die Reibung der Wassertheilchen an der unebenen Oberfläche leicht genug wird, um nur eben sich allmählich zu senken und nicht mit bloßer metallischer Schwere zu fallen. Das Abspinnen aus dem Hintertheile des Schiffes geschieht auf ähnliche Weise, wie man die Seidenwurmfäden aus dem dichten, scheinbar verworrenen Cocon mit großer Geschwindigkeit und scheinbarer Gewalt abhaspelt. Die abwickelnden Räder schwirren mit ungeheuerer Geschwindigkeit und reißen den zarten, kaum sichtbaren goldenen Faden aus seiner natürlichen Verbindung, aber nicht entzwei, weil der Widerstand just durch die Schnelligkeit der Bewegung verringert und der Faden nicht ungebührlich gedehnt, sondern bloß in eine andere Verbindung abgewunden wird. So zieht das Telegraphentau sich durch seine eigene, angemessene Schwere über die rollenden Räder schnell in den Meeresgrund hinab, ohne der Cohäsion seines Gewindes zu viel zuzumuthen, während das Schiff etwa eine deutsche Meile in der Stunde zurücklegt.

Diese gigantischen Cocons von je 210 geographischen Meilen Telegraphentau drehen sich und lassen den Draht über 4 Scheibengats etwa 5 Fuß über dem Wasserspiegel durch eine fünfte Drehscheibe außerhalb in’s Meer herab. Mit einer der inneren Drehscheiben steht eine Frictions-Trommel in Verbindung, durch welche die Schnelligkeit der Abwickelung regulirt wird. Während der ganzen Zeit des Auswickelns zuckt regelmäßig jede Secunde ein elektrischer Strom durch die ganze Länge des Drahtes, um sich jeden Moment der Continuität und Schadlosigkeit desselben zu versichern.[1]

An der Seite des Schiffes dreht sich ein spiralförmiger Klotz durch den Widerstand des Wassers im Laufe des Schiffes und steht mit einem elektrischen Apparate in Verbindung, der die Schnelligkeit der Bewegung wie eine Uhr angibt. Alle diese Räder und Instrumente laufen in eine prächtige Kajüte zusammen, das technische Central-Bureau, in welchem Charles Bright (Erfinder aller dieser Vorrichtungen) und Whitehouse (der erstere im Niagara, letzterer im englischen Agamemnon) wie in dem Mittelpunkte eines großen, elektrisch sprechenden Gewebes sitzen, um von allen Seiten Nachrichten über den Stand und Gang der Dinge zu empfangen, zu buchen und Befehle demgemäß auszublitzen.

Auch für Auffindung der besten Zeit zu diesem welthistorischen Werke hat man die sorgfältigsten Forschungen benutzt und angestellt. Dadurch fand man, aus 260,000 Beobachtungen dieses Jahrhunderts, daß die Zeit vom 20. Juli bis Mitte August die sicherste, ruhigste und von Nebeln, Stürmen und Eisbergen freieste auf dem atlantischen Oceane sei, die man also wählte. Wenn aber dessenungeachtet ein Orkan ausbrechen sollte, wird man das eben ablaufende Ende des Taues an eine der bereit gehaltenen, mit zwei Meilen dickem Eisendraht besponnenen Trommeln befestigen, von dem noch innern Telegraphendrahte abschneiden und so in den Meeresgrund sinken lassen, um ihn nach zurückgekehrter Ruhe durch die obenschwimmende und am Eisendrahte festhaltende Trommel wieder in die Höhe zu winden, mit dem noch auszusenkenden Theile des Taues wieder zu verbinden und dann das Werk fortzusetzen, bis die Valentia-Bucht im Südwesten von Irland und die Trinity-Bucht auf Neufundland (in gerader Linie 1834 englische Meilen von einander entfernt) verbunden sind und man von da aus in Tausenden von Strahlen diese Verbindung der alten und neuen Welt weiter auszublitzen vermag.

In Neufundland und an der Südwestküste Irlands treten beide Welten weit zu einander vor wie ausgestreckte Hände, die sich einander freundschaftlich drücken wollen, aber zu kurz sind, um einander zu erreichen. Das industrielle Bedürfniß und der industrielle Unternehmungsgeist Amerikas und Englands befriedigen jetzt die ausgestreckte Sehnsucht beider Welten. Die Natur ist zu Hülfe gekommen und hat den Meeresgrund dazwischen mit wenigen Ausnahmen ziemlich geebnet. Das Tau würde in gerader Linie liegend die Peripherie eines Kreisabschnittes einer runden Linie um die Erde bilden, aber der Beschaffenheit des genau untersuchten Meeresbodens Rechnung tragend, wird man den Lauf des Schiffes sechs Mal um je einen Viertelpunkt des Compasses ändern, so daß die circulare Curve der Lage zu sechs Seiten eines erdgroßen Polygon’s wird, aber mit kaum erwähnenswerther Aenderung der Peripherieform, von der sie im Ganzen nur acht Zehntel einer nautischen Linie abweichen wird. Die große elektrische Seeschlange wird auf dem Meeresgrunde liegen wie eine gerade Linie, da die Windungen sich auf so große Räume ausdehnen und verhältnißmäßig so unbedeutend sind, daß man in einer angenommenen Vogelperpective, die einen Ueberblick des Ganzen gestattete, kaum etwas davon merken würde.



  1. Mittwoch am 12. August hörten diese Signale von dem etwa 100 Meilen entfernten Schiffen in Valentia plötzlich auf und bald darauf traf auch die Nachricht hier ein, daß der Draht 270 Meilen von der irischen Küste gerissen sei, man sagt, weil das Tau zu kurz bemessen und in Folge dessen die Spannung zu groß gewesen sei. Bestimmte Nachrichten fehlen noch, indeß scheint doch so viel gewiß, daß der Hauptfehler in den Versenkungsapparaten gelegen hat.
    Die „Niagara“, so heißt es, war eben auf starkbewegter See mit der Abwindung beschäftigt, als ein Ingenieur durch den andern abgelöst wurde, dieser soll nun den Apparat so regulirt haben, daß das Kabeltau zu straff angespannt wurde und entzwei riß, als die „Niagara“ von einem Wellenberge rasch in ein Wellenthal hinabfuhr. So erzählt man sich wenigstens. Gewiß ist wenigstens das Eine, daß die Leitung nicht gehindert war, so lange sich das Tau unter einem Drucke von 1500 Faden Wasser befand, daß somit die Meerestiefe als solche der Beförderung elektrischer Signale keinen Eintrag thut; dagegen fragt es sich, ob die Versenkungsapparate nicht anders construirt werden müssen, ob unterseeische Kabel, wie sie bisher angefertigt wurden, sich überhaupt für so große Strecken und Tiefen eignen. Diese Fragen werden erst gelöst werden müssen, bevor ein neuer Versuch gewagt wird. Als aufgehoben darf man das Unternehmen nicht betrachten, aber Täuschung wäre es, blos von einer tage- oder wochenlangen Verzögerung zu sprechen. Die späte Jahreszeit hindert natürlich daß die unterbrochene Arbeit in diesem Jahre nochmals aufgenommen wird.