Der Stadthauptmann von Lüneburg

Textdaten
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Autor: Eduard Gottwald
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Titel: Der Stadthauptmann von Lüneburg
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 20–22, S. 207–11, 219–22, 229–32
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Geschichte aus dem 14. Jahrhundert
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[207]

Der Stadthauptmann von Lüneburg.

Historische Erzählung aus der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts.
Von
Ed. Gottwald.

Die wilde Herrschaft des Faustrechts in Deutschland, welche im 13. Jahrhunderte den Bund der Hansa hervorgerufen, um den Handel der Städte zu Wasser und zu Land gegen räuberische Ueberfälle zu schützen und den Eroberungsgelüsten der deutschen Ritter und Fürsten eine bewaffnete Macht entgegen zu stellen, diese Herrschaft der rohen Willkür rief auch hundert Jahre später den Bund der schwäbischen Städte in’s Leben, als unter der Regierung des wankelmüthigen Kaiser Karl IV. Nord- und Süddeutschland der Schauplatz der blutigsten Fehden eroberungssüchtiger Fürsten und Bischöfe geworden war. In diese wildbewegte Zeit fiel die Regierung des Herzog Magnus des Jüngern, welcher über die vereinigten Braunschweig-Lüneburg-Hannoverschen Lande herrschte, und dem die Geschichte den Namen Torquatus beilegt.[1]

In ununterbrochener Fehde mit den Herzögen von Sachsen und Mecklenburg, sowie mit den Bischöfen von Hildesheim und Münster verwickelt, mußten die reichen mit der Hansa verbundenen Handelsstädte seines Landes gar oft die leer gewordenen Säckel des nicht immer siegreichen Fürsten füllen und die ärgsten Erpressungen erdulden. Dieser Bedrückungen müde, verschlossen unter dem Schutze des Hansabundes Braunschweig und Harburg, Hannover und Wolfenbüttel zuletzt dem wilden Welfenfürsten ihre Thore und aus friedlichen Bürgern wurden mit den Waffen wohl vertraute Kriegsleute, die hinter den festen Wällen ihrer Städte den beutesüchtigen Heerhaufen des Herzogs höhnend Trotz boten.

Soweit war es auch zwischen dem Herzog Magnus und der Stadt Lüneburg im Jahre 1371 gekommen. – Um die Befreiung von sechzig seiner Ritter zu erlangen, welche in die Gefangenschaft des Herzogs von Mecklenburg [208] gerathen waren, hatte er der Stadt Lüneburg befohlen, die auf der Sülze[2] daselbst haftenden Einkünfte der Mecklenburger Prälaten mit Beschlag zu belegen, und als die Stadt dies zu thun sich geweigert, war derselben vom Commandanten der Burg auf dem dicht vor Lüneburg gelegenen Kalkberge, welche die Stadt beherrschte, eine Strafe von 2000 Mark Silber auferlegt worden.

Kaiser Karl IV., genöthigt durch die Klagen, welche von Fürsten, Bischöfen und Städten fortwährend über den händelsüchtigen Herzog einliefen, erklärte denselben in die Acht, belehnte den Herzog Albert von Sachsen nebst dessen Oheim den Churfürsten Wenzeslaus[3] mit dem lüneburgischen Lande, und übertrug dem Herzog von Mecklenburg die Vollstreckung der Achtserklärung. Sobald Herzog Magnus diese Nachricht erhielt, rückte er mit seinen Kriegsvölkern und verbündetem Adel den Mecklenburgern entgegen, und zwang diese bei Winsen an der Lühe zur Schlacht. Diese aber lief so unglücklich für Herzog Magnus ab, daß er selbst nur mit Mühe sich durch die Flucht rettete, 1500 Todte auf dem Kampfplatz ließ und über 600 seiner adeligen Reiter sich dem Feinde als Gefangene ergeben mußten, für deren Auslösung der Herzog von Mecklenburg 6000 Mark Silber verlangte.

Diese Summe nebst den noch schuldenden 2000 Mark sollte die Stadt Lüneburg binnen acht Tagen auf Befehl des Herzogs nach Celle senden, im Weigerungsfalle aber sollte der Befehlshaber auf dem Kalkberge die Stadt als eine feindliche behandeln, bis der Herzog selbst zu deren Züchtigung heranziehen würde. – Dies zur Einleitung der nachfolgenden Erzählung.


Es war Freitag vor Lichtmesse des Jahres 1371, als vor dem auf dem großen Marktplatze der alten Stadt Lüneburg gelegenen Rathhause sich eine ungewöhnlich zahlreiche Volksmenge versammelt hatte, die trotz der späten Abendstunde und des wilden Schneegestöbers, welches ein heftiger Nordwind durch die Straßen der Stadt jagte, mit neugieriger Unruhe nach den Fenstern des Rathhauses blickte, in welchem der Magistrat Lüneburgs zu ernster Berathung versammelt war, da es sich um nichts Geringeres handelte, als um die Abfassung des Absagebriefs der Stadt an den Herzog Magnus Torquatus von Braunschweig. Denn wenige Tage vorher hatte der Befehlshaber der Festung auf dem Kalkberge die Vornehmsten des Raths und die Führer des von der Stadt besoldeten Kriegsvolkes zu sich entboten und ihnen angekündigt, daß binnen acht Tagen die Löse- und Strafgelder der Stadt erlegt werden müßten, indem er sonst den Befehl seines Gebieters nachzukommen genöthigt sein würde, und so wohl er es auch mit der Stadt meine, sie dann doch nicht länger schonen könne. – Endlich schien die Berathung beendigt; ernsten Schrittes wendete sich der Bürgermeister Lüneburgs Ulrich von Weißenburg über den Marktplatz schreitend seiner Wohnung zu, einen Rathsdiener hinter sich, welcher eine Pergamentrolle trug, die den verhängnißvollen Absagebrief enthielt.

Ehrerbietig grüßend machte ihm die Volksmenge Platz, während die dem Bürgermeister nachfolgenden Senatoren sich unter die Gruppen der Bürger mischten, und nicht lange darauf, als gälte es einer allgemeinen Berathung, sah man die Bürger und Rathsherren sich wieder dem Rathhause zuwenden, und in dem großen Sitzungssaale desselben sich versammeln.

Im Hause des Bürgermeisters von Weißenburg aber hielt währenddem dessen blühende achtzehnjährige Tochter einen stattlichen jungen Kriegsmann umhalset, welcher wie zur Abreise gerüstet, des Bürgermeisters Rückkehr vom Rathhause zu erwarten schien.

„Hab’ keine Angst, Elsbeth!“ tröstete der junge Kriegsmann das bangende Mädchen, indem er einen Kuß auf deren jungfräuliche Stirn drückte. „Ich reise unter Gottes Schutz und gerechter Sache. Mag auch der Magnus ein gar wilder und böser Herr sein, so soll er mir doch nichts anhaben können, da es diesmal gilt der Gewalt die List entgegen zu setzen. Und – fuhr er mit vor Freude strahlenden Blicken fort – knüpft sich doch an die Vollziehung des mir gewordenen Auftrags Deines Vaters Einwilligung zu unserer Herzen Bündniß, wie sollte ich da nicht Alles wagen, um Dich sobald als möglich für immer mein nennen zu dürfen?!“

„Wenn Dich aber der wilde Herzog fest halten und in den Kerker werfen läßt?“ – klagte Elsbeth mit thränenfeuchten Blicken zu dem Geliebten aufschauend.

„So nahe werde ich mir den Wütherich nicht kommen lassen,“ entgegnete beruhigend dieser, und zog das liebende Mädchen fester an seine Brust, indeß, von Beiden unbemerkt, die ernste stolze Gestalt des Bürgermeisters Ulrich von Weißenburg am Eingange des Gemachs sichtbar ward, der mit wehmüthig lächelnden Blicken auf das in inniger Umarmung verschlungene Liebespaar schaute.

„Elsbeth!“ rief jetzt des Vaters ernste Stimme, und erschrocken eilte die Jungfrau aus des jungen Kriegsmanns Umarmung, während dieser sich ehrerbietig vor dem Bürgermeister verneigte, und dann, die Blicke nicht ohne einige Verlegenheit senkend, sich an dem Wehrgehenk seines Schwertes zu schaffen machte.

„Ich will es Euch nicht verargen – begann Weißenburg jetzt mit mildem Ausdruck in Blick und Stimme – daß Ihr Abschied nehmt von einander als gelte es einer langen Trennung, denn wohl könnte es kommen, daß Dein Sponse auf längere Zeit Quartier erhalten dürfte in der Hofburg des Herzogs zu Celle, wenn er nicht all’ seinen Muth und seine Klugheit zusammen nimmt, denn es ist kein leichter Gang, welchen Dir, Arnold Becker, die Stadt Lüneburg als ihren Kriegshauptmann überträgt, und den wir nur eben einem Manne von Entschlossenheit, wie Du als solcher Dich bewährt, übertragen konnten.“

„O meine Ahnungen!“ jammerte Elsbeth, und lehnte von liebender Besorgniß überwältigt, ihr Haupt an des Geliebten Brust, während sie zu gleicher Zeit des näher getretenen Vaters Hand erfaßte.

„Macht mir meine Elsbeth nicht bange, Herr Bürgermeister,“ [209] entgegnete mit einem zärtlichen Blick auf die Geliebte im Tone scherzenden Vorwurfs der junge Kriegsmann.

„Ich weiß recht wohl – fuhr er dann fort – daß ein Ritt zum wilden Welfenherzog, diesem den Absagebrief seiner Stadt Lüneburg zu überbringen, so gar leichtes Spiel nicht ist, da ich aber durch solch’ einen Ritt mir Elsbeth’s Hand und Euern Vatersegen zu unserm Liebesbund erwerbe, so würde ich eben so fest vertrauend auf Gottes Schutz und mein Glück in der Walpurgisnacht zum Hexentanz auf den Blocksberg reiten, als wie jetzt zu Magnus Torquatus nach Celle.“

„Du bist ein wackerer Kämpe, Arnold –“ rief der Bürgermeister, sichtlich erfreut über den kecken Muth des künftigen Schwiegersohns, und auch Elsbeth blickte, ihre Angst vergessend, mit holdseligem Lächeln zu dem Geliebten auf, dessen Lob sie mit Stolz erfüllte, da sie ja deutlich sich sagen mußte, daß Alles, was er zu wagen entschlossen sei, nur aus Liebe zu ihr geschehe.

„Wenn der Auftrag, den wir Dir geben – fuhr Ulrich von Weißenburg zu Arnold Becker gewendet fort – Dir ein neuer Beweis ist, welch’ Vertrauen die Stadt Lüneburg Dir schenkt, so wirst Du mir wohl glauben, daß ich nicht theilnahmlos geblieben, als es sich darum gehandelt, das Leben eines Mannes, welchem ich das Theuerste, was ich auf Erden besitze, mein einziges Kind überlassen will, den Gefahren Preis zu geben, die nicht allein in Celle unter Magnus wildem Kriegsvolke, sondern auch auf Deiner Rückkehr nach Lüneburg durch Verfolgung Dich treffen können.“

„Es ist daher Vorkehrung getroffen, daß bei Deinem Hin- und Herritt auf drei Dir bekannten Punkten der Haide frische Pferde zum Wechsel für Dich bereit gehalten werden, und es kommt nur darauf an, daß Du auch Zeit zur Flucht gewinnst, während der Herzog den Absagebrief durchliest; es muß Dir dies durch List auszuführen überlassen bleiben, denn eben das ist das schwierigste Deines Auftrags.“

Der Bürgermeister hielt hier inne, und warf einen prüfenden Blick auf den Kriegsmann und Elsbeth, deren Besorgniß von Neuem durch die Andeutung der Gefahren, die den Geliebten droheten, mächtig gesteigert wurde. Obgleich sie keines Wortes mächtig zu sein schien, so gab doch ihr heftig wogender Busen und ihr ängstlich forschender Blick, mit welchem sie den Geliebten betrachtete, deutlich die Aufregung kund, in der sie sich befand, während Arnold Becker heiter und ruhig ihr zulächelte. „Nimm jetzt Abschied von Elsbeth –“ begann der Bürgermeister von Neuem – und folge mir in mein Cabinet, wo noch besondere Instruction Dir werden soll.

„Will’s Gott, so bist Du morgen Abend schon wieder hier und dann mag Elsbeth als Deine verlobte Braut Dich begrüßen. – Wir aber,“ setzte er mit ernster Stimme hinzu – „wollen bis morgen nicht unthätig bleiben[WS 1], um Hand an’s Werk zu legen zur Befreiung Lüneburgs von der Zwingburg des Welfenherzogs.“

Mit diesen Worten verließ er das Gemach, und mit dem Ausruf inniger Liebe: „Elsbeth, morgen für immer mein!“ zog der Kriegshauptmann die bangende Jungfrau stürmisch an seine Brust und nach einem langen heißen Kusse eilte er dem Bürgermeister nach.

Eine Stunde später ritt Arnold Becker in den Farben eines herzoglichen Kriegshauptmanns gekleidet, der Straße nach Uelzen zu, indeß Elsbeth in ihrem Kämmerlein im stillen Gebet unter heißen Thränen des Himmels Schutz auf den Geliebten herabflehte.


Während in neuerer Zeit Kunststraßen und Eisenbahnen die öden traurigen Sandflächen durchziehen, welche von Lüneburg und Harburg sich bis nach Münster hin ausbreiten und nur eine geringe Abwechselung von Hügelland und zerstreuten Laub- und Nadelholzparthien bieten, war vor 50 Jahren so wenig wie vor 400 Jahren durch die größte dieser mit Haidekraut und Moorboden bedeckten Ebene, bekannt unter dem Namen der Lüneburger Haide, eine eigentliche Straße nirgend zu finden, wohl aber durchzog ein Labyrinth von Fahrgleisen nach allen Richtungen der Windrose diese Steppe, denn es blieb jedem Fuhrwerk überlassen, sich selbst eine Straße zu wählen. – Der einzelne Reiter und Fußgänger mußte in dieser 12 bis 15 Meilen weiten weglosen Fläche genau bekannt sein, wenn er nicht Gefahr laufen wollte sich zu verirren, da die wenigen in der Haide oder an deren Grenzen gelegenen Ortschaften meilenweite Entfernung von einander trennte, und so lange dieselben nicht sichtbar, auch nirgend das kleinste Zeichen sich kund gab, daß man sich in der Nähe menschlicher Wohnungen befinde.

Aber Arnold Becker hatte den Weg von Lüneburg nach Celle auf seinen Kriegsfahrten schon oft zurückgelegt, um irre zu reiten und gelangte nach 12stündigem scharfen Ritte, ohne daß er auf irgend ein Hinderniß gestoßen, in Zelle an, wo Herzog Magnus Torquatus seit einigen Wochen Hof hielt und von hier aus seine Rüstungen gegen die Bischöfe von Münster und Osnabrück betrieb, mit denen er neuerdings wieder in Fehde gerathen.

So wenig auch Arnold Becker der Furcht in seinem Innern Eingang gestattete, so ward ihm doch etwas unheimlich zu Muthe, als er so allein Celle sich näherte, welches weit eher einem wilden Kriegslager als einer herzoglichen Residenz glich, deren Straßen von neugeworbenen Kriegsvölkern angefüllt waren, und in den weiten Höfen und Zwingern der Hofburg der Kern der herzoglichen Kriegsleute rastete, denen das blutige Fehdeleben zur Gewohnheit geworden und die hinsichtlich ihrer Grausamkeit und Plünderungswuth in Feindesland zum Schreckgebild von ganz Deutschland geworden waren.

Ehe der junge Kriegshauptmann noch vom Roß gestiegen, umringte ihn schon ein Trupp herzoglicher Panzerreiter und musterte den Angekommenen mit mißtrauischen Blicken.

„Nun, Herr Hauptmann,“ begann ein alter Rottmeister, sich selbstgefällig den langen Zwickelbart streichend, indeß Becker sein Roß einem Stallbuben übergab und sorgfältig den Absagebrief unter den Brustharnisch verbarg – „Ihr scheint scharf geritten zu sein; kommt Ihr, um uns die bischöflichen Kreuzfahrer anzumelden, denen die Glatzen nach unsern Flambergen zucken?!“

„Nein, Rottmeister,“ entgegnete Becker ruhig. „Ich komme von der Festung auf dem Kalkberge mit einem Schreiben unsers Commandanten an unsern herzoglichen Kriegsherrn.“

[210] „Aha,“ lachte der Rottmeister, „dann ist der Geldkasten wohl schon aufgepackt, den auf des Burghauptmanns Befehl das patzige Bürgervolk in Lüneburg endlich gefüllt. Nun dann seid Ihr willkommen, denn der Magnus verlangt sehnlich nach Geld und wartet schon längst auf Botschaft von daher.“

„Ich bringe wohl mehr, als der Herzog, unser gnädigster Herr glaubt,“ bemerkte Becker mit geheimnißvoller Wichtigkeit in Blick und Stimme. „Aber“ – fuhr er in einem vertraulichen Tone übergehend fort – „erst Kamerad laßt mich mein armes Roß sicher unterbringen, was wacker hat ausgreifen müssen, um mich so schnell als möglich bis hierher zu tragen, dann will ich Euch länger Rede stehen.“

„So ist’s recht, ein braver Reiter sorgt erst für sein Roß, dann für sich,“ lächelte beifällig der Rottmeister, als Becker dem Stallbuben folgte, während die übrigen Kriegsleute sich gleichgültig von ihm abgewendet, da sie in ihm nichts mehr als einen Eilboten sahen, deren von den Verbündeten des Herzogs in der neuern Zeit so viele in Celle eingetroffen waren.

„Willst du dir einen Goldgulden verdienen?“ – frug Becker den Stallbuben, dessen offenes ehrliches Gesicht ihm gefiel, als er mit diesem allein im Stalle war und sich nun überzeugte, daß sein Roß in guter Pflege sei.

„Einen Goldgulden!“ rief staunend der Stallbube. „Heiliger Ambrosius, einen Goldgulden – und womit denn?“

„Durch einen ganz leichten Dienst,“ fuhr Becker fort. – „Sieh! Du scheinst mir ein wackerer Junge und weißt, wie viel ein gutes Roß dem Reiter werth. Nun aber hat mein Ungarhengst hier scharf herhalten müssen und damit er mir nicht erlahmt durch halbstündige Ruhe, so sollst du ihn, sobald er richtig abgefüttert, aus dem Stalle ziehen und mir ihn bis vielleicht zum äußern Hofthore hin langsam auf- und abführen, so daß, wenn ich schnell wieder auf Herzogs Befehl zurück muß, was sicher geschehen wird, ich ihn auch sogleich wieder zum Fortritt besteigen kann. Versprichst du mir das?“

„Gewiß, Herr Ritter! verlaßt Euch darauf, Euer Roß soll gut verpflegt werden und Ihr sollt es gesattelt und gezäumt finden, noch ehe Ihr die Stufen wieder hinabsteigt, die zu des Herzogs Gemache führen,“ entgegnete treuherzig der Stallbube und ging an die Fütterung des Pferdes, während der lüneburgische Kriegshauptmann mit hochklopfendem Herzen den Hallen der Hofburg zueilte und dort von einem herzoglichen Diener geleitet durch einen langen gewölbten Gang eine breite Treppe hinauf nach einer Art Vorzimmer geführt wurde, in welchem zwei Trabanten des Herzogs, lautlos auf und nieder schreitend und ohne den Ankommenden einer besondern Aufmerksamkeit zu würdigen, Wache hielten. –

In dem Gemache, vor welchem die Trabanten Wache hielten, saß Herzog Magnus Torquatus völlig gerüstet, über dem stark vergoldeten Brustharnisch die schwere silberne Kette tragend, mit welcher ihn als Jüngling des Vaters Zorn gefesselt, umgeben von seinen vertrautesten Räthen und Kriegsobristen, um eine große eichene Tafel, auf welcher eine Anzahl riesiger Humpen paradirten, welche der Mundschenk des Herzogs von Zeit zu Zeit füllte, da der Wein bei den Berathungen dieses Kriegsfürsten mit seinen Getreuen nie fehlen durfte. Zur Seite des Herzogs saß der Kanzler von Sprök, der Einzige, welcher an der großen Berathungstafel mit Schreibmaterial versehen war, vielleicht auch der Einzige, welcher die Schreibekunst wirklich verstand und neben diesem nahmen die Grafen von Hoya, Hallermund und Homburg Platz, während die übrigen Würdenträger des herzoglichen Hofes und die unter den Befehlen der genannten Grafen stehenden Kriegshauptleute in Gruppen vertheilt die Tafel umgaben. –

Die Berathung, welche mit der achten Stunde des Morgens begonnen und bereits drei Stunden gewährt, mochte dem Herzog eben nicht viel Erfreuliches gebracht haben, denn schon zeigten sich auf der vom Wein und Ingrimm gerötheten Stirn des Fürsten finstere Falten, die sichern Vorboten eines bald ausbrechenden Jähzorns, und man schien es der nächsten Umgebung des Herzogs anzumerken, daß bei so böser Laune, wie sie dem Welfenherzog bald zu überfallen drohete, keiner der rauhen bärtigen Kriegsmänner gern in seiner Nähe verweilte.

„Zum Teufel mit all’ diesen Verbündeten!“ – rief nach einer kurzen Pause unheimlichen Schweigens der Herzog plötzlich heftig und schlug so gewaltig mit der Faust auf den Tisch, daß der Kanzler von Sprök erschreckt zusammenfuhr, während die Grafen von Hoya und Hallermund sich ebenfalls erhoben und nur der Graf von Homburg sitzen blieb. – „Zum Teufel mit all’ den Verbündeten!“ wiederholte der Herzog. „Will der Erzbischof Albert von Magdeburg etwa dasselbe Spiel treiben, wie sein Vorfahr, der Erzbischof Dittrich bei Dünkeler[4] und den Feinden leichtes Spiel machen, wo wir vereint ihn für immer zu Boden halten würden. Warum stößt er mit seinem Kriegsvolke nicht zu uns, da bereits acht Tage verflossen, seit er versprochen mit 5000 Mann Fußvolk und 500 adeligen Reitern hier einzutreffen. Just so ging es damals auch und das Zögern brachte uns um Land und Freiheit, während das reiche Hildesheim mit all’ seinem Gold und Silber unser werden mußte und der Bischof Gerhard statt mit unserem Golde sein Domdach zu decken, froh sein durfte, wenn wir ihn nicht in den Hungerthurm gesperrt. Wahrlich des Kaisers Majestät hätte nicht gewagt uns die Achtserklärung zukommen zu lassen, wie er’s dann gethan, als wir von allen Seiten uns verrathen sahen. Aber Geduld! ich will diesen Glatzköpfen für ihr Zaudern und Heucheln eine Fackel aufstecken, die dem Kaiser von Aachen bis Goslar leuchten soll.“ –

„Und wird Adolph von Holstein nicht eben so wortbrüchig handeln wie Eure Pfaffen?“ frug trocken der Graf von Homburg seinen Platz verlassend und sich an die Ecke eines Bogenfensters lehnend.

„Holstein wortbrüchig?!“ fuhr Magnus auf. „Ha! dann dürfte ich mir selbst nicht trauen. Warum befürchtet Ihr dies?“

„Ich befürchte es nicht, aber ich vertraue auch Niemand als mir selbst,“ entgegnete Graf v. Homburg, einer der bedeutendsten Parteiführer der damaligen Zeit, über [211] welchen, so wie über Herzog Magnus die Reichsacht ausgesprochen, der aber mit seinen wilden Kriegsvölkern sich wenig darum kümmerte und diese nach Gefallen in Feindes Lande plündern und sengen ließ und von dem, als einem seiner mächtigsten Verbündeten, selbst Magnus Widerspruch ertrug.

„Wir sind stark genug,“ fuhr der Graf von Homburg fort – „um gegen die feindlichen Bischöfe so wie gegen Sachsen und Mecklenburg Stand zu halten, denn wir zählen an 15,000 Lanzen und 6000 schwer gerüstete Reiter und unsere Kriegsvölker fragen den Teufel nach Bann und Acht, wenn nur reiche Beute in Aussicht ist. Das Herumlungern hier macht das Volk faul und mürrisch, und da wir vor Allem Geld brauchen und Eure getreue Stadt Lüneburg in Güte nicht zahlen will, so glaube ich, es wäre das Kürzeste, wir holten es uns und setzten der Rebellenstadt für die Mühe des Wegs dahin den rothen Hahn auf’s Dach.“

„Ja, auf gegen Lüneburg!“ – riefen die Grafen v. Hoya und Hallermund, ebenfalls Verbündete des Herzogs. „Homburg hat Recht, das Volk wird trotzig und böswillig ob der trägen Ruhe, in die es hier sich schicken muß.“

„Nun, glaubt Ihr denn, der Magnus gefällt sich hier und wäre nicht schon längst aufgebrochen gen Lüneburg, wenn er nicht erst mit den Bischöflichen hätte aufräumen wollen?“ entgegnete bitter lachend der Herzog und warf einen grollenden Blick auf seine Verbündeten.

[219] In diesem Augenblicke wendete sich im Vorgemach der lüneburgische Kriegshauptmann Becker, welcher deutlich des Herzogs Stimme vernommen und nun überzeugt war, daß der Absagebrief in des Magnus Hände gelangen mußte, an einen der wachthaltenden Trabanten, indem er das zusammen gebrochene Pergament unter seinem Brustharnisch hervorzog.

„Hört, Trabant!“ begann er, „es wird nicht nöthig sein, daß ich selbst dies Schreiben unsers Commandanten vom Kalkberge dem Herzog Magnus übergebe, da eben, wie ich vernommen, Kriegsrath gehalten wird. Seid so gut und tragt es dann hinein, ich will in der Hofküche auf Antwort warten, denn Ihr werdet wohl begreifen, daß wenn man zwölf Stunden nicht aus dem Sattel gekommen, Hunger und Durst nicht fehlen.“

„Wie Ihr wollt, Herr Ritter,“ entgegnete der Trabant und nahm das Pergament in Empfang.

„Es braucht auch nicht gleich zu sein,“ warf Becker gleichgültig hin: „Laßt die Herren da drinnen immer noch eine feine Weile sich berathen und streiten, kaum bleibt mir und meinem todtmüden Rosse Zeit uns zu kräftigen zum Heimritt, denn wahrscheinlich muß ich heute noch zurück nach Lüneburg, des Herzogs Antwort zu überbringen.“

„Schon gut,“ brummte der Trabant, während Becker sich langsam entfernte, dann aber mit schnelleren Schritten die Gänge und Höfe durcheilte und bald, am äußeren Burghofe angelangt, dort den Stallbuben mit seinem Rosse fand.

„Hier, nimm Bube,“ rief er und warf diesem ein Goldstück zu, indem er ihm die Zügel abnahm und sich in den Sattel schwang.

„Wohin so eilig, Herr Ritter,“ – frug der Rottmeister, welcher ihm neugierig gefolgt und auf die versprochene Mittheilung zu warten schien.

„Nach Soltau, auf Kundschaft, heut’ Abend schon wieder hier!“ rief schnell gefaßt Becker, gab seinem Rosse die Sporen und jagte zum Burgthore hinaus, während der Stallbube staunend sein Goldstück betrachtete, der [220] Rottmeister aber kopfschüttelnd und mißtrauisch dem bald seinen Blicken entschwundenen Reiter nachsah.

Nach Verlauf von einer guten halben Stunde, seit Becker’s Entfernung aus dem Schlosse, trat der wachthabende Trabant in das Berathungszimmer und übergab dem zufällig der Thüre nahe getretenen Grafen von Hallermund die Pergamentrolle mit dem Bemerken, daß ein herzoglicher Reiterhauptmann diese von dem Commandanten der Festung auf dem Kalkberge überbracht, und in der herzoglichen Hofküche auf Antwort warte.

„Was gibt es?“ frug der Herzog sich nach dem Grafen wendend.

„Ein Schreiben der Stadt Lüneburg wahrscheinlich, mit der Bitte, der Stadt die Zahlung der Lösegelder zu erlassen,“ spöttelte der Graf. – „Doch nein,“ setzte er hinzu und übergab das Schreiben dem Herzog, „ich irre mich, Euer Commandant vom Kalkberge hat es durch einen Eurer Kriegshauptleute übersendet.“

Der Herzog nahm das Schreiben und warf es dem Kanzler von Spörk zu, „leset, Kanzler, was das Krämervolk wieder ausgeheckt.“

Dieser öffnete bedächtig das Schreiben, aber kaum hatte er einen Blick hineingeworfen, als er, erschreckt durch den Inhalt desselben, einen Schritt zurücktrat.

„Nun, Kanzler, was zögert Ihr?“ rief Herzog Magnus.

„Unglaublich!“ stammelte der Kanzler, „dies hat kein herzoglicher Kriegshauptmann überbracht, dies hat die Stadt durch einen der Ihrigen übersendet, die sich gegen Euch, Herr Herzog, auflehnt und Euch Fehde ankündigt.“

„Wie!“ schrie der Herzog. „Seid Ihr verrückt, und tanzen Euch etwa die gemalten Schnörkel verkehrt vor den Augen. Noch einmal erklärt deutlich: was enthält dies Schreiben?!“

Die Stadt Lüneburg sagt hiermit dem Herzog Magnus von Braunschweig Huth und Weide, Gehorsam und Unterthänigkeit auf für ewige Zeiten,“ las jetzt der Kanzler mit langsamer aber zitternder Stimme.

„Ha, diese Hunde,“ knirschte Magnus und riß dem Kanzler das Schreiben aus der Hand, warf einige Blicke auf dasselbe, und als er sich von der Wahrheit dessen, was Spörk vorgetragen, überzeugt, zerriß er das Pergament und trat es vor Wuth schäumend mit Füßen.

„Wo ist der Bote?“ brüllte er nach einer kurzen Pause. „Schafft ihn herbei! Verstümmelt auf ein Roß geschmiedet, soll er der Rebellenstadt die Antwort bringen.“

Eilig stürzten mehrere der Anwesenden aus dem Gemache, den Befehl des, in seinem Zorne von Allen gefürchteten, Herzogs zu erfüllen, aber vergebens durchsuchten hunderte von Kriegsleuten und Dienern die weiten Räume des Schlosses, der lüneburgische Hauptmann war nirgends zu finden. Bald darauf sprengten Bewaffnete der Richtung nach Lüneburg zu, den Geflüchteten zu ereilen, während die Signale der Schlachthörner die in und um Celle lagernden Kriegsvölker zum Aufbruch riefen.




Aber nicht so schnell als es den erbitterten Herzog in seiner zürnenden Hast drängte, konnte er der Stadt Lüneburg mit seiner Rache nahen, denn an demselben Tage, an welchem er den Absagebrief dieser Stadt erhalten, und im Begriff war, sich mit seinen Kriegsvölkern gegen Lüneburg zu wenden, kamen Eilboten von Hannover, meldend, daß sich Herzog Albert von Sachsen mit starker Kriegsmacht dahin gewendet, und als vereinige sich alles ihm Feindliche, um seine Macht mit einem Male zu brechen, so erschienen noch an demselben Tage Flüchtlinge, welche den im finstern Groll mitten unter seinen im Aufbruch begriffenen Reiterschaaren haltenden Herzog verkündeten, daß die Heerhaufen der Bischöfe von Münster und Hildesheim sich mit dem Herzog von Mecklenburg verbunden und gegen Braunschweig zögen, so wie bald darauf die Kunde an Magnus gelangte, daß die Städte Harburg, Uelzen, Lüdershausen, Hannover und Winsen dem Beispiele der Stadt Lüneburg gefolgt, und ihm den Gehorsam aufgesagt. –

Seine Macht theilend und die Rache gegen seine rebellischen Städte auf spätere Zeiten sparend, wendete sich Herzog Magnus zum Kampfe gegen Sachsen und Mecklenburg; die Bürger Lüneburgs aber, wohl wissend, daß, so lange die Festung auf dem Kalkberge nicht in ihren Händen, die Stadt fortwährend den Schrecknissen nächtlicher Ueberfälle und Brandunglücks Preis gegeben sei, beschlossen in derselben Nacht, in welcher der Kriegshauptmann Becker mit dem Absagebrief nach Celle geritten, sich zum Kampf vorzubereiten und durch List oder Gewalt sich in den Besitz der Burg zu setzen. –

Und dazu gab der Ablaß, der im Benedictinerkloster, welches in den Ringmauern der Festung sich befand, jedes Jahr am Tage der Lichtmesse ausgetheilt wurde, die günstigste Gelegenheit. In der vierten Morgenstunde des 2. Februar 1371 (Lichtmeß), als noch finstere Nacht über die Häusermassen und Thürme der Stadt Lüneburg lagerte, setzte sich vom Marktplatze aus, eine Anzahl Mönche an der Spitze, ein langer Zug von hunderten der Frauen Lüneburgs geweihte Kerzen tragend, nach dem Kalkberge zu in Bewegung. Arglos, den frommen Brauch ehrend, ließ der wachthaltende Kriegsmann die äußern Thore der Festung öffnen, während von der Kirche des Benedictinerklosters her, Geläute der Glocken den Beginn der feierlichen Ablaßertheilung verkündeten.

Neugierig folgte die wachthaltende Abtheilung der Besatzung dem Zuge der Frauen, indeß der Commandant der Festung sowie der größte Theil der streitbaren Mannschaft noch im tiefen Schlafe ruhete. Aber kaum im Innern der Festung angelangt, verwandelten sich mit Blitzesschnelle die Mönche und bußfertigen Frauengestalten in wohlgerüstete Krieger, die mit Schild und Schwert, mit Streitaxt und Lanze über die keines Ueberfalls sich vermuthenden herzoglichen Söldner herfielen und dieselben niedermetzelten.

Zu gleicher Zeit drangen von der Stadt aus, in welcher die Stille der Nacht durch ein wildes von Waffengeklirr begleitetes Treiben unterbrochen wurde, neue Streitkräfte in die Festung, und als der Commandant des Kalkberges, Ritter Segebald vom Berge, halbangekleidet an der Spitze der übrigen noch schlaftrunkenen Besatzung herbeieilte, waren die Bürger schon im Besitz des größten Theils der Festung. Schritt vor Schritt aber mußten die Lüneburger das Eindringen in das Innere derselben erstreiten, und nur als der mit Löwenmuth kämpfende Commandant v. Berge, von dem Schwerte des [221] Rathsherrn Karsten Rodenwald durchbohrt, todt zu Boden sank, ergab sich der Rest der Besatzung den siegenden Bürgern, während die Flammen des durch den Kampf in Brand gerathenen Klosters ihren Glutschein weit hin über die dunklen Häusermassen der Stadt und deren Umgebung warfen, und als sich gegen Vormittag 10 Uhr die Strahlen der Sonne Bahn brachen durch die dicken Nebel eines trüben Winterhimmels, verkündeten nur die schwarzen Rauchsäulen, welche aus den Trümmern der Klosterkirche aufstiegen, daß da oben des Krieges Verwüstung geherrscht; vom höchsten Thurme der Burg wehete stolz das Panner der Stadt Lüneburg, in der Stadt selbst aber mischte sich der Jubel der Sieger mit den Wehklagen der Frauen und Kinder, deren Gatten und Väter als Opfer des Kampfes gefallen, denn es hatte die Stadt bei diesem Ueberfall über 130 ihrer wackersten Kämpfer verloren.




Am Abend desselben Tages jagten zwei Reiter auf verschiedenen Wegen der Stadt Lüneburg zu. Der eine derselben war ein Eilbote des Herzog Magnus, welcher dem Commandanten des Kalkberges den Befehl bringen sollte, streng das Treiben der rebellischen Bürger zu überwachen und der Festung wegen Tag und Nacht auf der Huth zu sein. Der andere Reiter war der Kriegshauptmann Becker, welcher eine Stunde früher todtmüde auf schaumbedecktem Rosse am Stadtthore hielt, welches sich ihm, der die Verfolger oft hart hinter sich gehabt, aber trotz der Erschöpfung seiner körperlichen Kräfte ohne Gefahren glücklich entronnen war, sogleich öffnete.

Des Herzogs Boten aber empfingen Steinwürfe und Geschimpf, als er dem Burgthor sich näherte, und Einlaß im Namen des Herzogs begehrte; als er aber erkannte, daß die Burg bereits in den Händen der feindlich gesinnten Bürger sei, da wendete er entsetzt sein Roß zur schleunigen Rückkehr nach Celle, um dem Welfenherzog das Unglaubliche zu verkünden. –

In fieberhafter Aufregung hatte Elsbeth der Ankunft des Geliebten geharret, und während der blutigen Ereignisse des Tages qualvolle Stunden in ihrem Gemach einsam verlebt, und mit dem freudigen Ausruf: „Gott sei Dank, Du wieder hier!“ sank sie in Becker’s Arme, als dieser des Bürgermeisters Haus betrat.

Staunend vernahm dieser aus Elsbeth’s Munde, wie schnell Lüneburg die Eroberung der Festung gelungen, und als bald darauf Ulrich von Weißenburg eintrat und erfreut über die glückliche Rückkehr Becker’s ihn zum ersten Male an seine Brust zog, da eilte auch die Tochter von ihrem Gefühl übermannt unter Freudenthränen an das Vaterherz.

„Du hast bereits durch Elsbeth erfahren, daß auch wir nicht unthätig gewesen,“ begann jetzt der Bürgermeister, als Becker die glückliche Ausführung seines Auftrags ihm mitgetheilt – „doch wird wohl noch manch’ schwere Stunde uns treffen, ehe wir gänzlich befreit vom Joche dieses Wüthrichs, der so oft schon geschworen, eher all seine Städte der Erde gleich zu machen, als deren Trotz zu dulden.“

„Mir will es scheinen, als wende sich des Magnus Glücksstern gänzlich von ihm und als gehe es mit all’ seiner Macht zur Neige,“ bemerkte Becker, während Elsbeth an des geliebten Mannes Seite, dem sie indeß den stärkenden Imbiß bereitet, der Männer Rede aufmerksam lauschte. –

„Jedoch“ – fuhr Becker fort – „wird der rachsüchtige Herzog gewiß nicht säumen, uns seinen Zorn fühlen zu lassen, sobald seine Händel es ihm irgend gestatten, und darum mag Lüneburg vor Allem scharfe Wacht halten bei Tag und Nacht, auf Wall und Festung.“

„Wir haben bereits darüber im versammelten Rathe gesprochen,“ entgegnete der Bürgermeister, ernst des künftigen Schwiegersohnes Hand ergreifend, – „und da Du, Becker, unser Vertrauen stets gerechtfertigt, und es Dir nicht fehlt an Muth und Umsicht, so haben wir heut’ Abend noch den Beschluß gefaßt, Dir den Oberbefehl über die bewaffnete Macht der Stadt zu übertragen, und ich bin überzeugt, daß die Stadt Lüneburg nicht schlecht dabei fahren wird.“

„Ha!“ rief freudig überrascht Becker. „Auch dies danke ich Eurer Vatergüte, und gewiß, ich will derselben nie unwerth, ein treuer Hüter der Stadt sein. Aber“ fuhr er bittend fort – und ergriff Elsbeth’s Hand – „Ihr habt mir schon so viele Beweise Eurer Güte gegeben und mich, den schlichten Kriegsmann, zu Euch herangezogen, durch Huld und Liebe gleich Eurem Sohne. O, gewährt mir nun auch das Höchste, was mein Herz begehrt, gewährt, daß Elsbeth und mich nun auch der Kirche Segen für immer einige.“

„Nimm sie, Arnold!“ – sprach mit dem Tone ernster Rührung Ulrich von Weißenburg. „Dein Vater war mir ein treuer Freund, der mir in bösen Tagen Ehre und Leben gerettet, warum sollte ich dem Sohne nicht vergelten, was ich dem Vater schulde. Nimm hin mein einzig Kind!“ wiederholte er und führte Elsbeth, hocherglühend vor Freude und jungfräulicher Schaam, dem glücklichen Krieger in die Arme. – „Auch Du bist aus wackerm Geschlecht und werth in den Stammbaum der Weißenburg’s zu treten und wohl bedarf die schwache Jungfrau in so trüber Zeit eine feste Stütze. Möge mein Kind in Deinen Armen glücklich sein.“

„Vater, guter lieber Vater!“ stammelte Elsbeth, dessen Kniee umschlingend. – „Segnet uns, damit auch Gott uns segne!“ bat tief gerührt durch Weißenburg’s Güte Becker und beugte an der Seite der Geliebten sein Kniee vor der hohen edlen Gestalt des Bürgermeisters, der mit mildem Lächeln auf die Knieenden schaute, und dessen Augen sich mit Thränen der Freude füllten.

„Nehmt meinen Segen!“ rief feierlich die Hände auf der Knieenden Haupt legend der Vater. „Möge er ein treuer Begleiter sein auf Eurer Lebensbahn. – An demselben Tage, an welchem Lüneburg seine Huldigung dem Sachsenherzog bringt, sei Eure Vermählung, einfach und still, wie es in so ernstbewegter Zeit sich geziemt.“

Und noch einmal die Liebenden an sein Herz drückend, verließ er das Gemach, das Brautpaar mit den Träumen ihres Glückes allein lassend.




Wenige Tage nach diesem Ereigniß traf der Herzog Albert von Mecklenburg als kaiserlicher Commissar in Lüneburg ein, um mit Rath und Bürgerschaft wegen der Ueberweisung der lüneburgischen Lande an die sächsischen Fürsten Verhandlung zu pflegen, und bald darauf [222] hielten Herzog Albert und dessen Oheim Churfürst Wenzeslaus in Lüneburg ihren feierlichen Einzug, um die Huldigung der daselbst versammelten Landstände entgegen zu nehmen, die bestehenden Privilegien und Freiheiten zu bestätigen, und von diesem Tage an als des Landes rechtmäßige Herren zu verfahren.

Ernst und feierlich ging dieser für Lüneburg so wichtige Act vor sich, ohne jene lärmenden Lustbarkeiten für die niedere Volksmenge, welche damals so wie noch viele Jahre nachher bis zur neuesten Zeit im Gefolge derartiger Feierlichkeiten sich befanden; denn nicht wie friedliche Bürger, sondern zum Kampf gerüsteten Kriegsschaaren gleich, leisteten mit bewaffneter Hand Lüneburgs Bewohner den neuen Fürsten den Eid der Treue und Unterthänigkeit, wohl wissend, daß trotz dieses Wechsels der Herrscher schon die nächste Stunde den Kampf auf Leben und Tod mit Herzog Magnus herbeiführen konnte.

Treu seines Wortes ließ nach geschehener Huldigung der Bürgermeister von Weißenburg Elsbeth und Becker durch Priesterhand verbinden, still und prunklos, wie es den glücklich Neuvermählten um so willkommener war, und es der ernsten Zeit angemessen, deren nächste Zukunft eher wilde Stürme, als friedlich heitern Himmel versprach; und um ungetrennt von dem Vater zu leben, zog auf dessen Wunsch der neue Stadtobrist mit seiner Gattin in die wohnlichen Räume des Weißenburgischen Hauses.

Den Tag nach der Huldigung zogen die sächsischen Fürsten mit starker Heeresmacht gegen Magnus, welchem seit Kurzem das Kriegsglück wieder sich günstig gezeigt, und der mit reicher Beute beladen nach siegreichem Kampfe gegen die Bischöfe von Münster und Hildesheim nach Celle zurückgekehrt war, um von da aus gegen Lüneburg aufzubrechen. – Bei Winsen an der Lühe, wo Magnus einst gegen Mecklenburg so unglücklich gekämpft, mußte diesmal der Herzog Albert von Sachsen nach mehrstündigem heißen Kampfe dem Welfenfürsten das Schlachtfeld überlassen und in wilder Flucht sich nach Hannover wenden, wohin ihm Magnus Torquatus, verlockt durch zwei so schnell hintereinander errungene Siege, ungestüm folgte. – Hier aber wendete sich sein Glück; vereinigt mit dem Herzog von Mecklenburg schlug Albert von Sachsen den Braunschweiger Herzog in die Flucht, ließ die Lauenburg schleifen, und überließ die Trümmer dieser gefürchteten Zwingburg der Stadt Hannover zur Erweiterung ihrer Ringmauern. Herzog Magnus verlor in dieser Schlacht über 2000 seiner tapfersten Krieger, und mußte hinter den festen Wällen der damals so mächtigen Stadt Braunschweig Schutz suchen, mit welcher er durch Schenkung wichtiger Privilegien von Neuem sich geeinigt.

Wie wenig aber die kaiserlichen Achtserklärungen in jener wildbewegten Zeit fruchteten, beweist, daß trotzdem Herzog Magnus zu wiederholten Malen geächtet worden war, die sächsischen Fürsten dennoch bald nach jener Schlacht in einen Vergleich mit ihm sich einließen, nach welchem:

Herzog Albert und Churfürst Wenzeslaus von Sachsen Landesherren im Lüneburgischen bleiben sollten, so lange sie lebten; nach deren Tode aber die Successio daselbst alternative geschehen solle, also, daß sie allemal auf den Aeltesten der beiden Häuser – Braunschweig-Lüneburg nämlich und Niedersachsen – fallen müßte;

und da mit diesen Bestimmungen beide Theile zufrieden waren, so wurde von Kaiser Karl dem Vierten die über Magnus Torquatus ausgesprochene Achtserklärung zum zweiten Male zurückgenommen. Doch trotz dieses Bündnisses, durch welches die Stadt Lüneburg gegen alle Feindseligkeiten von Seiten des Herzogs von Braunschweig geschützt zu sein schien, konnte der rachsüchtige Welfenfürst dieser Stadt nicht vergessen, daß sie auf so kecke Weise sich der Festung auf dem Kalkberge bemächtigt, und bereitwillig unterstützte er die Raubzüge seiner Verbündeten, um der Stadt an Vermögen und Besitzthum, durch Plünderung und Niederbrennung ihrer Freihöfe und Meiereien Schaden zuzufügen.

[229] Acht Monate waren bereits seit der Eroberung der Festung auf dem Kalkberge verflossen und außer jenen räuberischen Ueberfällen, durch welche die außerhalb der Ringmauern Lüneburgs liegenden Besitzungen der Stadt mehrfach gefährdet wurden, war die Ruhe im Innern derselben durch nichts gestört worden. Tag und Nacht hatten bisher abwechselnd Bürger und Soldtruppen auf den Wällen der Stadt und Festung strenge Wacht gehalten, jedoch da ein Monat nach dem andern vergangen war, ohne daß Magnus sich der Stadt genähert, so ließ auch, sicher gemacht durch den Vergleich der sächsischen Fürsten mit dem Erzfeind Lüneburgs, die ängstliche Wachsamkeit immer mehr und mehr nach, und um den durch so lange ununterbrochenen Tag- und Nachtdienst erschöpften Bürgern Erholung zu gönnen, wurden die zur Nachtwache nöthigen Posten nur von den städtischen Söldnern besetzt, und die Anzahl derselben soweit nur möglich vermindert.

So war der Tag der zehntausend Jungfrauen, der 31. October 1371, gekommen. Eine finstere Herbstnacht lag über Lüneburg, in dessen Häusern alles dem stärkenden Schlummer sich überlassen, und die Grabesstille, welche im Innern der Stadt herrschte, wurde nur selten vom Ablösungsruf der auf den Wällen wachthaltenden Kriegsleute und deren Waffengeklirr unterbrochen; je näher aber die Mitternacht rückte, je heftiger der Regen niederströmte, der mit Beginn der Dunkelheit begonnen, je seltener gab sich auf den Bastionen der Stadt und Festung ein Zeichen der Wachsamkeit kund, und bald schienen auch diese Wächter der Stadt, gleich den Bewohnern derselben, in festen Schlaf versunken.

Nur im Hause des Bürgermeisters Ulrich v. Weißenburg theilten zwei Personen das Gefühl der sichern Ruhe nicht, es war dies der Bürgermeister und Arnold Becker. Beide hielt eine ungewöhnlich seltsame Unruhe wach, und eben war der Stadtobrist im Begriff, den nächtlichen Umgang auf den Wällen zu halten, den er nie verfehlte, um Zeuge zu sein, daß es an Wachsamkeit nicht fehle, als die Thüre eines Nebengemachs sich öffnete, und Elsbeth, die junge Gattin Beckers, welche schon seit zwei Stunden der Ruhe gepflegt, bleich und verstört, in ihr Nachtgewand gehüllt, hereintrat.

[230] „Elsbeth!“ – riefen beide Männer zugleich. „Was ist Dir?!“

„Dem Himmel sei Dank, es war nur ein Traum,“ stöhnte die junge Frau, schwer aufathmend und schmiegte sich zitternd an des Gatten Brust. – „O!“ fuhr sie fort – und bedeckte einen Augenblick mit beiden Händen ihr Antlitz, als fürchte sie, die Schreckbilder ihres Traumes noch einmal zu erblicken – „o fürchterlich war das Bild, was ein böser Traum vor meinen Augen aufrollte und so deutlich als stehe es jetzt noch hier. Du, Arnold, warst im Handgemenge mit dem Feinde, um Dir her thürmten sich die Leichen der von Dir Erschlagenen, deren Blut Dich bespritzt und Du, Vater, beugtest demüthig Deine Knie vor dem Feinde, der in stolzer Siegersicherheit auf dem Marktplatz hielt, und vor dem Du Gnade für die Stadt erflehtest.“

Betroffen sahen sich bei dieser Erzählung Arnold und Weißenburg an.

„Geh’ zur Ruh, Elsbeth!“ begann jetzt Becker und versuchte zu lächeln. „Du siehst ja wohl, daß es eben nichts war als ein wirres Traumbild, was Dich erschreckt. Ich selbst will jetzt gehen und mich überzeugen, ob Lüneburg, treu bewacht, der nächtlichen Ruhe pflegen darf.“

„O nur heute geh’ nicht von hier!“ bat Elsbeth und versuchte den Gatten zurückzuhalten.

„Laß ihn, Kind,“ ermahnte der Bürgermeister. „Es ist seine Pflicht und der Stadt nöthig. Denn bald würde es traurig um die Wachsamkeit unserer Söldner aussehen, wenn sie wüßten, daß wir der Ruhe pflegen und keiner da wäre, den sie fürchten, und der sie überwacht.“

„Elsbeth! geh’ in Dein Kämmerlein, bald bin ich wieder hier,“ tröstete der Stadtobrist und führte die sich sträubende Gattin ihrem Schlafgemach zu, drückte einen zärtlichen Kuß auf ihre Lippen und entfernte sich schnell. Aber fast in demselben Augenblicke als Becker das Haus verlassen, unterbrach von der Festung her der Donner des Lärmgeschützes[5] die Stille der Nacht, und bald darauf tönte der Angstruf: der Feind! der Feind! durch die Straßen der Stadt. Aus allen Häusern stürzten die in Eile bewaffneten Bürger ihren Sammelplätzen zu, während das Geschrei einzeln flüchtender Bewohner mit dem wilden Hohngelächter der Feinde sich mischte, die begünstigt durch den Nebel, welcher den Tag vorher die Umgegend bedeckt, sich der Stadt genähert und mit Beginn der Nacht auf Sturmleitern die Wälle derselben erstiegen, wo nach geringem Widerstande der aus tiefem Schlaf aufgeschreckten Wachen sie nichts gehindert bis in’s Innere der Stadt vorzudringen.

Aber bald wich der Bürger Bestürzung der muthigen Besonnenheit derselben und wohlgeordnet zogen unter des Stadtobristen Becker und des Kriegshauptmannes Fischkeute Befehl die Schaaren der Bewaffneten dem Markte zu, denn hier hielt der Feind, bestehend aus 700 größtentheils adeligen Kriegern, die als Verbündete des Herzogs Magnus unter Anführung des Grafen von Homburg und des Ritters Siegfried v. Saldern (genannt „mit den Krücken“ diesen Ueberfall versucht.

Ihres Sieges gewiß erwarteten hier in stolzem Uebermuth die Feinde der Stadt Lünebnrg demüthige Unterwerfung, und bald näherte sich auch, nach einer kurzen Besprechung mit dem Stadtobristen, der Bürgermeister Ulrich von Weißenburg, welcher beim ersten Hülferuf, nachdem er die jammernde Elsbeth ihren Dienerinnen übergeben, sogleich nach dem Schauplatz der Verwirrung geeilt, mit mehreren der Rathsherren in demütiger Haltung ohne alle Waffen, von einem Fackelträger begleitet, und blieb in einer kurzen Entfernung vor dem an der Spitze des feindlichen Kriegshaufens haltenden Grafen v. Homburg stehen, während Becker und Fischkeute die bewaffneten Schaaren der Bürger so geräuschlos als möglich in allen zum Markte führenden Straßen vertheilte, ohne daß der Feind sich irgend eines Angriffs vermuthete.

„Bringt Ihr die Schlüssel der Rebellenstadt?“ herrschte Graf v. Homburg den Bürgermeister zu, welcher sich tief vor dem stolzen feindlichen Heerführer verneigte.

„Ja, Graf von Homburg, entgegnete ernst der Bürgermeister. „Sobald Ihr uns Frist vergönnt, die Bürgerschaft zu unterrichten, daß Ihr die Schlüssel verlangt, und sobald Ihr uns versprecht, daß wir an Leben und Gut nicht Schaden leiden sollen, und die Stadt verschont bleibt vor Eurem Grimm, da Herzog Magnus ja selbst vor Kaiser und Reich uns Sicherheit zugesagt im Vergleich mit den sächsischen Fürsten.“

„Und wenn wir das alles nun aber nicht wollten?“ frug höhnisch Siegfried v. Saldern, „wie dann?!“

„Dann bleiben wir, der Rath der Stadt, Euch überliefert, die Bürger Lüneburgs werden dann mit Euch den Kampf wagen auf Leben und Tod,“ antwortete fest und ruhig Ulrich v. Weißenburg.

„Thörichtes Krämervolk!“ – schalt verächtlich Graf v. Homburg, während seit den letzten Worten des Bürgermeisters das Murren der Ungeduld und des Unwillens im den Reihen der Feinde immer lauter vernehmbar wurde. „Was würden wir wohl von Euch zu fürchten haben, da wir schon in den Mittelpunkt Eurer Stadt ohne Schwertstreich gelangt. Wahrlich fast bereue ich, daß wir nicht schon den rothen Hahn auf Eure Dächer gesteckt; darum sputet Euch und bringt unterwürfige Antwort, denn ein Wort von mir und Eure Stadt ist dem Verderben Preis gegeben.“

„Habt Geduld, edler Graf,“ bat der Bürgermeister und verneigte sich demüthig. „Ihr sollt sogleich gnügende Antwort erhalten.“

Aber kaum hatte sich Ulrich v. Weißenburg mit den Rathsherren entfernt und den Blicken der Feinde entzogen als die in Schlachtordnung aufgestellten Schaaren der Ritter und Knappen sich zu trennen begannen, um nach eigner Willkür, des Harrens überdrüssig, in den Straßen der Stadt sich zu vertheilen, in deren Besitz sie sich ungehindert wähnten.

In diesem Augenblicke gab der Stadtobrist Becker mit dem Ausrufe: „Mit Gott für Lüneburg!“ das Zeichen zum Angriff, und mit Ungestüm stürmten von allen Seiten die bewaffneten Bürger auf die feindlichen Krieger, die in wilder Unordnung zurückweichend den mutigen Bürgern nicht Stand zu halten vermochten. Mit Löwenmuth kämpfte an der Bürger Spitze Arnold Becker Mann gegen Mann mit dem Grafen v. Homburg und als dieser mit gespaltetem Haupte todt zu Boden sank, durchbohrte [231] auch des Kriegshauptmanns Fischkeute Schwert den tapfersten der Feinde, den Siegfried von Saldern mit den Krücken. Ihrer Führer beraubt, drängten die Feinde der Straße zu, die nach der Sülze führte, von woher sie so leichten Kaufs in die Stadt gelangt, aber hierher warf sich auf Nebenwegen Becker mit dem Kern seiner Mannschaften, die ermuthigt durch den Sieg mit der Tapferkeit ihres Anführers zu wetteifern schienen. Ueber 200 von Adel und über 300 Kriegsknechte des Feindes lagen erschlagen auf dieser Straße, während der Rest der Ritter und Knappen sich der Stadt als Gefangene überlieferte. Die Straße aber und das Thor wo das Gemetzel unter des Magnus Verbündeten am Aergsten gewesen, hieß nach Jahrhunderten noch, in Folge des Blutbads, welches die Lüneburger unter ihren Feinden hier angerichtet, das rothe Thor und die rothe Straße.

Im heißen Angstgebet lag während dieses Mordgefechtes Elsbeth auf ihren Knieen, denn deutlich drang der Schlachtruf der Kämpfenden unter wildem Waffenlärm in ihr stilles Gemach. Als aber nach beendeter Schlacht die siegestrunkenen Bürger unter lautem Jubelruf den tapfern Stadtobristen und den um das Wohl der Stadt Lüneburg so oft sich verdient gemachten Bürgermeister nach deren Wohnung geleiteten, da litt es das junge Weib nicht länger allein, und mit fliegenden Haaren und hochwallendem Busen eilte sie hinab in die Hausflur und sank unter Thränen der Freude und des Stolzes in des geliebten Mannes Arme, der mit blutbeflecktem Schwerte und vom wilden Kampfe hochglühendem Antlitz sie innig an seine Brust zog.

Schäumend vor Wuth empfing Magnus Torquatus die Kunde von der blutigen Niederlage der tapfersten seiner Krieger, aber obgleich er fortwährend auf Rache sann gegen die ihm verhaßte Stadt, so gelang es ihm nie wieder gegen Lüneburg zu Felde zu ziehen, da bis zu seinem Tode in immer neue Fehden verwickelt von jenem Tage an, wo seine mächtigsten Verbündeten Graf Homburg und Siegfried v. Saldern gefallen, das Unglück als rächende Nemesis ihn Schritt vor Schritt verfolgte.

Noch einmal versuchte auf erhobene Beschwerde der Fürsten von Sachsen gegen Magnus v. Braunschweig, wegen gebrochenen Vertrags der Kaiser in Güte beide Parteien zu einigen und beschied dieselben nebst mehreren andern Fürsten und Prälaten, die er zu Beisitzern und Mitrichtern gewählt, zu einem Gerichtstag nach Pirna im Stifte Meißen. Allein Magnus Torquatus blieb aus, weil er entweder sein Erbrecht zum Herzogthum Lüneburg nicht auf einen zweifelhaften Rechtsfall setzen wollte, oder auch wohl wußte, daß der größte Theil der dorthin beschiedenen Mitrichter den beiden Sachsenfürsten mehr zugethan war als ihm. Entrüstet über diese Nichtachtung und Zurückweisung kaiserlicher Befehle und gütlicher Vergleiche, drangen die versammelten Fürsten und Prälaten in den Kaiser, einen Machtspruch zu tun, und für immer diesem Streit ein Ende zu machen. Und dem geschah so. Das Fürstenthum Lüneburg wurde von neuem dem Herzog Albert und dem Churfürsten Wenzeslaus von Sachsen zugesprochen, die Succession auf Albert’s Nachkommen übertragen und über Magnus Torquatus die Reichsacht zum dritten Male ausgesprochen.[6]

Die Stadt Lüneburg aber genoß an Wohlstand gewinnend unter Herzog Albert eines ungestörten Friedens. Noch lange Jahre weilte Ulrich von Weißenburg bis in’s hohe Greisenalter unter seinen Kindern, an deren Glück sich erfreuend, und obwohl Arnold Becker, der zugleich herzoglicher Feldobrist geworden, oft mit dem lüneburgischen Aufgebot Theil nahm an den Fehden seines neuen Gebieters, so kehrte er doch jedesmal, ob auch oft mit Wunden bedeckt, ohne Gefährdung seines Lebens zu den Seinigen zurück, wo ihm an Elsbeth’s Seite, von blühenden Kindern umgeben, die kurzen Freuden eines häuslich stillen Friedens reichen Ersatz für sein wild bewegtes Kriegerleben boten.

Nach Arnold Beckers Tode nannte man die Straße, auf welcher der tapfere Kriegsobrist gewohnt, diesem zu Ehren, „die Beckerstraße,“ sowie man sein Bildniß in Lebensgröße in Stein gehauen über dessen Hause zum ewigen Andenken anbringen lies. In voller Rüstung, in der einen Hand ein Schwert, in der andern Hand eine Lanze haltend, ist er so mitten unter den von ihm erlegten Feinden als Sieger stehend, abgebildet, über seinem Haupte die Worte:

Pugna pro Patria!




Herzog Magnus aber, dessen mächtigste Verbündete theils durch den Tod auf den Schlachtfeldern hingerafft worden waren, theils aber auch durch die über ihn und alle mit ihm Verbündete ausgesprochene Reichsacht sich von ihm zurückgezogen, hatte seit der Schleifung der Lauenburg bei Hannover nach und nach den größten Theil seiner festesten Burgen verloren, und irrte oft, wenn die Thore seiner Städte ihm verschlossen blieben, obdachlos an der Spitze seiner gefürchteten plündernden und brennenden Reiterhaufen von Ort zu Ort, von Land zu Land.

Aus persönlicher Zuneigung überließ Herzog Albert von Sachsen der Gemahlin und den Kindern des flüchtigen Herzogs das Schloß und die Stadt Celle. Albert selbst aber blieb in beständiger Fehde mit Magnus Torquatus verwickelt, den es oft in toller Wagniß drängte, sich seinen Feinden entgegen zu werfen und die verlornen Lande wieder an sich zu reißen. Das Kriegsglück, welches ihn für immer verlassen zu haben schien, war bei mehreren seiner letzten Streifzüge ihm wieder günstig gewesen und hatte dem wilden Kriegsfürsten reiche Beute und frische Kriegsvölker zugeführt; dies gnügte ihm und seinen beutesüchtigen Schaaren, um kühner wieder in größere Fehden sich einzulassen. Der Grund zu einer solchen fand sich bald, denn als seines Bruders Wittwe sich an den Grafen von Schauenburg vermählte, überfiel er mit seinen Reitern eine Abtheilung schaumburgischer Krieger, welche den Fuhrleuten zur Bedeckung dienten, auf deren Wagen der Schmuck und das Hausgeräth der neuvermählten Wittwe nach der Schaumburg gebracht werden sollte, und verweigerte die Herausgabe des Raubes.

Entrüstet über diese Frechheit und bestürmt von den Klagen seiner Gemahlin über den Verlust ihres Vermögens, verband sich Graf Schauenburg mit dem Herzog Albert von Sachsen und rückte mit vereinigter Streitmacht dem Herzog Magnus entgegen, der mit seinen Schaaren schon [232] seit längerer Zeit bei Leveste am Deisterwalde sich gelagert. Dort kam es am St. Jacobustag des Jahres 1373 zur offenen Feldschlacht, und laut hatte Magnus vor Beginn des Kampfes geschworen, noch denselben Tag in Feindeslande als Sieger zu schlafen. Schon weichen die Kriegsvölker des Sachsenherzogs, in wilder Flucht sich auflösend, schon lagen die ersten der feindlichen Heerführer zu Boden geworfen, und mit Rachejubel durchbohrte des Magnus Schwert die Brust des Grafen von Eberstein, des Heerführers der Sachsen, und Mann gegen Mann kämpfend, kreuzten sich die Schwerter des Welfenherzogs und des Grafen von Schaumburg. Da überschlug sich des Letztern Roß und vertheidigungslos lag der Graf unter dem gestürzten Thiere. Mit Hohngelächter warf sich Magnus vom Roß und auf den Grafen, zum Todesstreich das Schwert erhoben, da plötzlich sank auch er tödtlich getroffen als Leiche auf den lebenden Grafen. Ein schaumburgischer Stallmeister hatte den mordlustigen Herzog auf seines Herrn Leib getödtet.

Der Tod des gefürchteten Fürsten war für seine Reiterschaaren das Zeichen zur Flucht, und der Sieg, den er schon errungen, ward durch seinen Fall den Gegnern zu Theil. Als man den Grafen von Schaumburg unter seinem Rosse hervorzog, nachdem man ihn von der Leiche des Herzogs befreit, und sein Blick auf die noch im Tode finstern und trotzigen Züge des Welfenherzogs fielen, rief der Graf aus:

„Da unser Schwager Magnus geschworen, die Nacht noch in Feindesland zu schlafen, darum wollen wir ihn in unser Land führen, und dann in’s Land Braunschweig schicken.“

Und dem geschah; die Leiche des Herzogs wurde die erste Nacht auf Burg Schaumburg gebracht und dann der Stadt Braunschweig übergeben, welche die Hülle des im Leben so unruhigen Fürsten in den herzoglichen Grabgewölben des St. Blasiusdoms beisetzen ließ.

So endete auf dem Schlachtfelde, an der Spitze wilder Söldnerhaufen, die unter seinem Befehl kämpfend und seinen Namen tragend zu den gefürchtetsten Räuberbanden Deutschlands geworden waren, einer der mächtigsten aber auch rauflustigsten Fürsten des vierzehnten Jahrhunderts, dessen dreizehnjährige Regierung der Nachwelt nichts hinterlassen, als ein blutiges Schlachtenbild mit den rauchenden Trümmern verheerter Burgen und Städte. – Seine Gemahlin, welche auf ihrem Wittwensitz zu Celle lebte, vermählte sich ein Jahr nach seinem Tode mit Herzog Albert von Sachsen.




  1. Magnus Torquatus regierte vom Jahre 1358–1370 und erhielt seinen Beinamen durch das Tragen einer silbernen Kette, an welche ihn in seinem sechszehnten Jahre sein Vater Magnus der Fromme hatte festschließen lassen, als er auf dessen Drohung: „wenn er seine bösen Streiche nicht lassen wolle, würde er ihn an ein hänfenes Seil hängen lassen.“ höhnend geantwortet: „So Du mich hängen lassen willst, muß es an einer silbernen Kette geschehen, denn ein Strick paßt für keinen Herzogssohn!“ Die Kette selbst trug Magnus Torquatus bis zu seinem Tode.
  2. Die Sülze, ein schon im vierzehnten Jahrhundert ergiebiges Salzbergwerk dicht bei Lüneburg, welches nebst seinen Gebäuden mit einer besondern Ringmauer umschlossen war.
  3. Herzog Albert von Sachsen und Kurfürst Wenzeslaus waren Fürsten aus dem Askanischen Hause, welches in die Sachsen-Lauenburgische und Sachsen-Wittenbergische Linie getheilt war. Nach der von Kaiser Karl IV. ertheilten güldenen Bulle verblieb die Churwürde und das Erzamt bei der Sachsen-Wittenbergischen Linie, während die Sachsen-Lauenburgische nur den Herzogstitel führte.
  4. Durch zu spätes Eintreffen der erzbischöflichen Hülfsvölker verlor Magnus Torquatus die Schlacht bei Dünkeler d. 3. Sept. 1367 gegen Bischof Gerhard von Hildesheim.
  5. Bekanntlich gab es schon seit dem Jahre 1360 in Deutschland gegossene Kanonen, deren die Hansestädte und Augsburg sich zuerst bedienten.
  6. Durch die Vermählung des Herzogs Friedrich, Sohn des Magnus Torquatus, mit Anna, des Churfürsten Wenzeslaus Tochter, im Jahre 1386, kam das Fürstenthum Lüneburg wieder an die Herzöge von Braunschweig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: beiben